| Titel: | Nachtrag zu Dr. Ure's Versuchen über die Zukerraffination. | 
| Fundstelle: | Band 54, Jahrgang 1834, Nr. LXXIII., S. 448 | 
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                        LXXIII.
                        Nachtrag zu Dr. Ure's Versuchen uͤber die
                           Zukerraffination.
                        (Siehe Polytechnisches Journal Bd. LIV. S. 67 und 113)
                        Ure's Versuche uͤber die Zukerraffination.
                        
                     
                        
                           Ehe ich in eine Eroͤrterung der Versuche des Hrn. Dr.
                                 Ure eingehen will, und um die in der Chemie weniger vertrauten Leser
                              uͤber die Natur jener Schwierigkeiten aufzuklaͤren, die Hr. Ure in Betreff des Verlustes, der sich bei einigen seiner
                              Versuche ergab, erfuhr, erlaube ich mir Einiges uͤber die Natur und die
                              chemischen Eigenschaften des Zukers vorauszuschiken. Der Zukerrohrsaft, aus welchem
                              der Rohzuker gewonnen wird, wird bekanntlich in Muͤhlen mit 2 oder 3 Walzen,
                              zwischen welche das Zukerrohr gebracht wird, ausgepreßt. Der auf diese Weise
                              ausgepreßte Saft ist mit vielen fremdartigen vegetabilischen Stoffen, so wie auch
                              mit sauren Bestandtheilen, die der Krystallisation des Zukers entgegenwirken,
                              uͤberladen. Der erste Proceß, welchem man den Saft in den Colonien
                              unterwirft, bevor man ihn eindikt, ist darauf berechnet, ihn so viel als
                              moͤglich von den mit dem Zukerstoffe verbundenen fremdartigen Substanzen zu
                              befreien. Dieß erreicht man auch in einem gewissen Grade dadurch, daß man die in die
                              Pfannen gebrachte Fluͤssigkeit mit geloͤschtem Kalke vermengt. Durch dieses
                              Verfahren werden naͤmlich die Aepfelsaͤure und die uͤbrigen im
                              Zukersafte enthaltenen vegetabilischen Saͤuren gesaͤttigt, und das
                              wesentliche Oehl zum Theil zerstoͤrt. Der Kalk verbindet sich hingegen weder
                              mit dem Extractivstoffe, noch auch mit dem Farbstoffe und dem Schleime, welche in
                              dem Zukerrohrsafte enthalten sind. Der Zuker kann nur durch wiederholte
                              Krystallisation bei niedriger Temperatur im Großen von den anderen damit verbundenen
                              vegetabilischen Stoffen befreit werden. Der Kalk oder das Kalkwasser wirkt so
                              nachtheilig auf den Zukerstoff, daß dessen Intensitaͤt zum Theil dadurch
                              zerstoͤrt wird. Der auf diese Weise behandelte Zuker ist daher nicht so
                              suͤß, als er sonst seyn wuͤrde, was jedoch nicht so sehr in Betracht
                              kommen kann, als die Erzielung eines raschen und im Großen anwendbaren Verfahrens.
                              Die feuerfesten Alkalien verbinden sich mit dem Zukerstoffe; allein sie
                              zerstoͤren dessen Suͤßigkeit noch vollkommener, als dieß bei dem Kalke
                              der Fall ist, und sie sind daher weit weniger zur Behandlung der rohen Syrupe
                              geeignet, als dieser. Wurde zu viel Kalk angewendet, so kann derselbe durch
                              Schwefelsaͤure als Gyps niedergeschlagen, und die urspruͤngliche
                              Suͤßigkeit des Syrupes wieder hergestellt werden; allein die Schwefelsaure
                              verkohlt auch einen Theil des Zukers, und macht denselben schwerer krystallisirbar.
                              Die schwefelwasserstoffsauren und phosphorsauren Alkalien und alkalischen Erden
                              zersezen den Syrup gleichfalls, und verwandeln ihn in eine schleimige Substanz.
                           Die groͤßte Zerstoͤrung des Zukers bei diesem ersten Processe wird
                              jedoch durch das intensive Feuer, welches man unter den großen offenen Eindikpfannen
                              anzumachen pflegt, hervorgebracht. Es entsteht hiedurch viele Kohle und brennzelige
                              Schleimsaure, wodurch die Masse nicht nur schleimig und schwerer krystallisirbar
                              wird, sondern auch an Intensitaͤt der Suͤßigkeit verliert, so daß die
                              auf diese Weise erzeugten und granulirten Zuker von geringerem innerem Gehalte
                              werden. Diesem Mißstaͤnde und Nachtheile kann durch keine der spaͤter
                              nachfolgenden Operationen wieder abgeholfen werden; und die neueren Verbesserungen
                              in der Zukerraffination beziehen sich lediglich auf Verhinderung einer weiteren
                              Zerstoͤrung von Zukerstoff und auf Erzeugung einer groͤßeren
                              Quantitaͤt krystallisirten Zukers.
                           Die Producte der Zersezung des Zukers bei langsamer Destillation desselben aus einer
                              Retorte sind: Wasser, Essigsaͤure, Oehl, Kohle, Kohlenwasserstoffgas und
                              brennzelige Schleimsaͤure, welche leztere bei weitem den groͤßten
                              Antheil ausmacht. Denn wenn man 480 Gran raffinirten Zuker in einer Retorte
                              allmaͤhlich bis zum Rothgluͤhen erhizt, so erhaͤlt man:
                           
                           
                              
                                 Brennzelige Schleimsaͤure mit etwas
                                    Oehl
                                 270 Gr.
                                 
                              
                                 Kohle
                                 420  –
                                 
                              
                                 Kohlenwasserstoff- und kohlensaures
                                    Gas
                                   90  –
                                 
                              
                                 
                                 ––––––
                                 
                              
                                 
                                 480 Gr.
                                 
                              
                           Betrachtet man nun die chemischen Bestandtheile des Zukers, so erhellt offenbar, daß
                              wenn Quantitaͤt und Qualitaͤt die einzigen und hoͤchsten Zweke
                              bei der ersten Behandlung waren, die Pflanzer und Fabrikanten den Zukerrohrsaft oder
                              den Rohzukersyrup nur durch langsame Verduͤnstung behandeln sollten. Allein
                              bei einem so ausgedehnten und so zusammengesezten Processe muͤssen nothwendig
                              auch die Zeit, und die Kosten an Lohn, Nahrung, Kleidung etc., und
                              vorzuͤglich der Aufwand an Maschinen und Apparaten in Anschlag gebracht
                              werden. Ich habe in einer Reihe von 6 bis 7 Jahren den Einfluß aller dieser
                              Hauptpunkte auf die Frage der Produktion und des endlichen Gewinnes genau erwogen,
                              und glaube hienach, daß es kaum irgend eine auf die langsame Verduͤnstung des
                              duͤnnen Zukerrohrsaftes in den Colonien anwendbare Verbesserung des Principes
                              der langsamen Verduͤnstung gibt, welche durch ein der Quantitaͤt und
                              der Qualitaͤt nach hoͤheres Product, den großen damit verbundenen
                              Kosten, und der in manchen Faͤllen daraus erwachsenden Versaͤumniß der
                              Jahreszeit und des gewoͤhnlichen Marktes auf vorteilhafte Weise das
                              Gleichgewicht zu halten im Stande waͤre. Die Einfuͤhrung der
                              verschiedenen patentirten Verbesserungen in der Zukerraffination in England leistete
                              beinahe Alles, was man verlangen kann, bis auf die unwissenschaftliche Untersuchung
                              des Gewinnes, zu welcher sich die englische Regierung in Dr.
                                 Ure's Versuchen herabließ.
                           Hr. Dr. Ure sagt, um endlich wieder auf meinen Gegenstand
                              zuruͤkzukommen, daß er sich mit Schmerzen gezwungen sehe, zu schließen, daß
                              bei seinem fuͤnften Versuche beim Klaͤren beilaͤufig 7 Cntr.,
                              und bei seinem sechsten Versuche beilaͤufig 9 Cntr. als Abtropfsyrup
                              entwendet wurden. Er sagt beim fuͤnften Versuche, daß dieser enorme Verlust
                              weder durch den Schaum, der jederzeit ausgewaschen und ausgepreßt wurde, noch durch
                              einen Mangel an Aufsicht, noch durch ein Auslassen der Pfanne, noch durch die
                              oftmalige Behandlung des Syrups, noch durch eine Ungleichfoͤrmigkeit der
                              Temperatur beim Versieden veranlaßt worden seyn konnte. Er hilft sich daher aus
                              allen diesen negativen Dilemma's endlich damit hinaus, daß er angibt, daß das
                              Fuͤllhaus, in welchem sich der mit Blut und Zuker gefuͤllte Kessel
                              befand, nicht geschlossen werden konnte, und daß daher jeder der Arbeiter, der
                              uͤble Absichten hatte, leicht eine ansehnliche Quantitaͤt des in der
                              Pfanne enthaltenen mit Blut vermengten Zukers zerstoͤren konnte.
                           
                           Nehmen wir nun auch an, daß einer der Arbeiter aus der Pfanne, welche 33 Centner
                              Rohzuker faßte, auf mehrere Male zwei oder drei Centner Rohzuker stahl und aus der
                              Raffinerie verschleppte; oder daß er eine solche Quantitaͤt aus boͤsem
                              Willen in den Abzugscanal laufen ließ, ohne dabei entdekt zu werden, so fragen wir,
                              wie ist es moͤglich, daß Dr. Ure und sein
                              Siedmeister zum Klaͤren und Versieden schreiten konnten, ohne daß sie den
                              leeren Raum bemerkten, der durch Entfernung von 2 bis 3 Cntr. aus der Pfanne
                              nothwendig entstehen mußte? Oder wie konnte diese Entwendung durch Auffuͤllen
                              der Pfanne mit Wasser verborgen werden, ohne daß der Klaͤrungs- und
                              Versiedeproceß (der nach Dr. Ure's Versicherung doch mit
                              derselben Gleichfoͤrmigkeit von Statten ging, wie bei den fruͤheren
                              Operationen) durch einen so großen Zusaz von Wasser nothwendig veraͤndert
                              worden waͤre? Aber wie laͤßt sich der große Verlust, fragt der
                              gelehrte Doctor, auf eine andere annehmbare Weise erklaͤren, als durch
                              Betrug? Zur Beantwortung dieser Frage, die ein neuer Beweis ist, wie wenig dem
                              Fabrikanten oft die Theorie hilft, wenn sie nicht mit ausgedehnter praktischer
                              Erfahrung im Großen verknuͤpft ist, will ich Hrn. Dr. Ure verhelfen. Der Zuker macht oft die Berechnungen des Ertrages nach der
                              Regel de Tri zu Schanden; und ein Verlust, wie ihn der gelehrte Doctor bei seinem
                              fuͤnften Versuche erlitt, ist den erfahrenen Zukerraffineurs nichts Neues; ja
                              sie haben sogar einen eigenen technischen Ausdruk dafuͤr, denn sie sagen in
                              solchen Faͤllen: „der Zuker ist durch den
                                    Rauchfang davon geflogen.“ Dieß ist auch wirklich
                              buchstaͤblich der Fall, und der Raffineur hilft der Wiederholung eines
                              solchen Verlustes dadurch ab, daß er auf dem Markte keinen solchen Rohzuker mehr
                              kauft, von dem er weiß, daß er zum Theil unbemerkt durch den Rauchfang entweicht.
                              Ueber die chemische Ursache dieser eigenen Art von Fluͤchtigkeit behalte ich
                              mir vor, in einem anderen Aufsaze Mehreres mitzutheilen.