| Titel: | Untersuchung der Ursachen, welche die bei Reading in Pennsylvanien am 2. Septbr. 1844 erfolgte Explosion der Locomotive „Richmond“ veranlaßten; auf Verlangen der HHrn. Gebrüder Norris (Locomotiven-Fabrikanten zu Philadelphia), angestellt von Dr. Dion. Lardner. | 
| Fundstelle: | Band 95, Jahrgang 1845, Nr. LXVI., S. 249 | 
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                        LXVI.
                        Untersuchung der Ursachen, welche die bei Reading
                           in Pennsylvanien am 2. Septbr. 1844 erfolgte Explosion der Locomotive
                           „Richmond“ veranlaßten; auf Verlangen der HHrn.
                           Gebruͤder Norris
                           (Locomotiven-Fabrikanten zu Philadelphia), angestellt von
                           Dr. Dion.
                              Lardner.
                        Aus dem Mechanics' Magazine. Decbr. 1844, No.
                              1114.
                        Lardner's Untersuchung über die Explosion der Locom.
                           Richmond.
                        
                     
                        
                           (Explosionen von Locomotiv-Maschinen sind seltene Ereignisse und die bisher
                              vorgekommenen haben so wenig Schaden angerichtet, daß sie kaum einen Eindruk auf die
                              öffentliche Meinung zurükließen. Der in Rede stehende Unglüksfall ist unbezweifelt
                              der größte, welchen man kennt. Die Freunde der Eisenbahnen werden jedoch aus
                              vorliegender Untersuchung ersehen, daß bei diesem Unfall kein Umstand obwaltete,
                              welcher unser Vertrauen in die Vorzüglichkeit derselben hinsichtlich der Sicherheit
                              vor jedem andern Fortschaffungsmittel im Geringsten schwächen könnte.)
                           Von den Gebrüdern Norris ersucht, über die Zerstörung der
                              Locomotive Richmond Untersuchungen anzustellen, bei
                              welchem Unfall vier
                              Menschenleben und ungefähr 10,000 Dollars Eigenthum verloren gingen, und die
                              Ursachen dieser Katastrophe wo möglich zu ermitteln, begab ich mich am 20. Septbr.
                              nach Philadelphia und am 21sten nach Reading, um die Stelle in Augenschein zu
                              nehmen, wo das Ereigniß stattfand und die nöthigen Erkundigungen darüber
                              einzuziehen.
                           Die Maschine Richmond wurde nach Contract für die
                              Reading-Eisenbahn-Gesellschaft gebaut und am 14. August von den HHrn.
                              Norris auf die Bahn
                              gebracht. In Form, Construction und Material war sie von gewöhnlicher Art und in
                              allen wesentlichen Theilen den übrigen Maschinen derselben Bahn ähnlich. Doch war
                              sie mit zwei Sicherheitsventilen versehen, wovon jedes 2 Zoll im Durchmesser hatte;
                              das eine war wie gewöhnlich auf dem Dekel des Feuerkastens, dem Maschinenführer
                              gerade gegenüber, das andere am cylindrischen Theil des Kessels, dem Feuerkasten
                              gegenüber angebracht und konnte von dem Maschinenführer, wenn er auf seinem
                              gewöhnlichen Plaze stand, nicht erreicht werden.
                           Es war zwischen den HHrn. Norris und der Gesellschaft die Uebereinkunft getroffen, daß man die
                              Maschine sechzig Tage lang unter der Aufsicht eines von den HHrn. Norris bestellten Maschinenführers
                              auf der Bahn laufen lasse, wonach sie dem Gesellschafts-Ingenieur überlassen
                              werden sollte; um jedoch leztern auf ihre gehörige Behandlung besser vorzubereiten,
                              ward angeordnet, daß der Maschinenführer der Gesellschaft, Joseph Ward, unter dessen Aufsicht die Maschine zulezt kommen
                              mußte, in der Fabrik der HHrn. Norris beim Zusammensezen dieser Locomotive behülflich seyn und den
                              Maschinenführer der HHrn. Norris begleiten solle, während lezterer sie sechzig Tage lang
                              dirigirte. Als die Maschine auf die Bahn gebracht wurde, am 14. August, begleitete
                              Joseph Ward den Maschinenführer der HHrn. Norris; aber nach der zweiten Fahrt
                              fand man sich durch ihren Gang so befriedigt, daß der Dienst des Ingenieurs der
                              HHrn. Norris nicht mehr für
                              nöthig erachtet und die Maschine, ohne weitere Versuche, dem Joseph Ward übergeben
                              wurde, welcher sie von dieser Zeit an führte, bis zu der Katastrophe, durch welche
                              sie zertrümmert wurde.
                           Bis Samstag den 31. August incl. war die Maschine
                              zwischen Pottsville und dem Richmonder Magazin gefahren. Montag den 2. Septbr. fuhr
                              die Maschine von dem Kohlenmagazin der Gesellschaft zu Richmond um 11 Uhr Vormittags
                              mit einem Train von 88 Waggons ab unter der Leitung des Hrn. Jeseph Ward, in Begleitung von Franklin Tye und Peter Mahon als
                              Heizer, James M'Cabe als Conducteur und Matthew Smith und Patrick Nugent
                               als Bremser (brakesmen). Zu Norristown, 16 Meilen von Philadelphia,
                              wurden noch zwei weitere Bremser, Thomas Cowden und John
                              Webster Powell, aufgenommen. Der Zug kam um 7 1/4 Uhr
                              Abends zu Reading an. Hier wurde er bis 10 Minuten nach 8 Uhr angehalten, worauf er
                              nach Pottsville fuhr; ehe er aber diese Stadt verließ, wurde er wieder an-
                              und etwa 1/4 Stunde aufgehalten und verließ endlich den Querweg der Hauptstraße
                              Reading genau 25 Minuten nach 8 Uhr.
                           Zur Zeit des Sonnenuntergangs hatte ein starker Gewittersturm begonnen und mit
                              ungewöhnlicher Heftigkeit bis spät in die Nacht fortgewüthet. Die Blize waren
                              zahlreich und lebhaft, sogenannte Zikzakblize; die Donnerschläge stark und folgten
                              dem Bliz unmittelbar. Die Gefahr wurde für so groß gehalten, daß an das Klima
                              gewohnte Individuen sich nicht hinauswagten. Mitten in diesem Gewitter ging der Zug
                              von Reading ab. Bei der Ankunft an einer Stelle der Bahn auf einem niedern Damm,
                              zwei Meilen von Reading, wurde von der Spize des Zuges her eine furchtbare Explosion
                              vernommen. Die Wägen wurden Plözlich angehalten und die Bremser fanden, als sie sich
                              zur Maschine hin begaben, die arbeitenden Theile derselben in Stüken auf der Bahn
                              und dem Abhang des Damms zerstreut; der Tender war über die Räder und auf das
                              zerbrochene Gestell der Locomotive geschleudert und der Kessel sammt allem, was dazu
                              gehört, völlig verschwunden. Die Körper der Heizer Franklin Tye und Peter Mahon wurden, durch Brüche an
                              Kopf und Leib getödtet, unter den Waggons gefunden, so wie nach weiterm Suchen der
                              entseelte Körper des Ingenieurs in einem angränzenden Felde, ungefähr 29 Yards
                              rechts von der Stelle des Tenders, mit gespaltener Stirne und zertrümmerten Beinen
                              gefunden wurde. Der Körper des Conducteurs Cabe wurde
                              ebenfalls leblos 330 Fuß über den Tender hinaus auf dem Damm gefunden und der Kessel
                              mit dem Feuerkasten, dem Rauchkasten, dem Kamin und den beiden Cylindern und Kolben
                              wurden auf einem Feld links von der Bahn, 250 Fuß von der Stelle entfernt, wo die
                              Räder und das Gestell der Locomotive lagen, vorgefunden. An einer Stelle im Felde,
                              etwa 30 Fuß näher zur Maschine, war eine tiefe Höhlung zurükgeblieben von dem dort
                              aufgefallenen Ende des Kessels hervorgebracht, welcher von da auf die Stelle weiter
                              geschleudert wurde, wo man ihn vorfand. Die so auf 250 Fuß von der Stelle, wo die
                              Explosion statt fand, fortgeschleuderte Masse wog ungefähr 10 Tonnen.
                           Der Dampfdom und der Rauchkasten waren unbeschädigt. Die trichterförmige Röhre des
                              Dampfdoms lag neben und zum Theil unter dem Kessel. Das runde Ende des Rauchkastens
                              nächst dem Standplaz des
                              Maschinenführers war flach- und ganz eingedrükt und der Feuerkastenplatte
                              nahegebracht; das Kronenstük oder der Dekel des Feuerkastens war von den
                              Seitenwänden desselben abgerissen; der Riß befand sich in der Regel über dem Rand,
                              an einigen Stellen aber auf dem Rand selbst, wo er die aufrechten Wände des
                              Feuerkastens verbindet. Das Kronenstük wurde in dem Feuerkasten zwischen dem
                              eingeschlagenen Theil und der Röhrenplatte eingezwängt gesunden. Die Roststangen und
                              der Aschenkasten waren mit solcher Gewalt auf die Bahn niedergeschleudert, daß
                              lezterer von der hölzernen Querschwelle, worauf er fiel, einen sehr deutlichen
                              Eindruk annahm. Die Form des Kronenstüks ist etwas concav auf der obern Fläche und
                              durch eine Reihe starker gußeiserner Stäbe, welche an die obere Fläche genietet
                              sind, befestigt, damit es dem Dampfdruk desto besser widerstehen kann. Nach der
                              Katastrophe aber war es an drei seiner vier Seiten oben, an der vierten aber unten
                              concav, und der Rand bedeutend abwärts gebogen. In dem den Feuerkasten umgebenden
                              Dampfgehäuse fanden sich drei Löcher von 3 Zoll Durchmesser, deren Ränder einwärts,
                              d.h. gegen den Dampf gebogen waren.
                           Die arbeitenden Theile des Kessels, die Dampfcylinder und Kolben ausgenommen, welche
                              mit ihm verbunden blieben, waren in eine außerordentliche Anzahl kleiner Stüke
                              zerbrochen. Die Schubstangen und andere Theile von einiger Länge waren höchst
                              unregelmäßig und wunderlich verdreht und nach jeder Richtung von der Stelle aus, wo
                              das Ereigniß statt fand, umhergeschleudert.
                           Die Schienen des Geleises, auf welchen sich die Locomotive bewegte, waren nach Auswärts verschoben und jene des zweiten Geleises (wie
                              mit einem Meißel) durchschnitten. Doch waren diese Schienen keine von denjenigen,
                              welche die Gesellschaft aufbewahrte und ich konnte sie daher nicht zur nähern
                              Untersuchung erhalten.
                           Die Locomotive ging 25 Minuten nach 8 Uhr von der Hauptstraße (nach dem Zeugniß des
                              Bremsers P. Nugent) ab und die Uhr des Conducteurs James
                              M'Cabe war durch den Stoß 20 Minuten vor 9 Uhr stehen
                              geblieben. Zwischen dem Abgang der Maschine von Reading und der Explosion des
                              Kessels waren also 15 Minuten verstrichen.
                           Dieß ist der allgemeine Umriß der Geschichte dieses Unglüksfalls; es fragt sich nun,
                              auf welch verschiedene Weisen er erklärt werden kann; mir scheint, daß außer durch
                              eine des folgenden Annahmen keine einleuchtende Erklärung möglich ist.
                           
                        
                           
                           Erste Annahme.
                           Daß das Feuer den Dampf schneller erzeugte, als er durch die Cylinder oder Ventile
                              austreten konnte und dadurch eine Anhäufung von elastischem Dampf in dem Kessel
                              herbeigeführt wurde, dessen Druk sich im Verhältniß seiner Anhäufung vermehrte, bis
                              zulezt dieser Druk größer wurde als die Widerstandskraft des Kronenstüks, welches
                              abwärts berstend die Katastrophe veranlaßte.
                           
                        
                           Zweite Annahme.
                           Daß dem Kessel nicht so schnell Wasser nachgeschafft wurde, als es durch die
                              Verdampfung consumirt wurde und dadurch das Kronenstük und die obern Röhren entblößt
                              wurden; daß in Folge davon nothwendig an diesen Theilen Ueberhizung eintrat, und sie
                              möglicherweise sogar ins Glühen kamen; daß ferner, wenn in diesem Falle Wasser über
                              sie gegossen wurde, es plözlich in Dampf von ungeheurem Druk überging und die
                              Katastrophe veranlaßte.
                           
                        
                           Dritte Annahme.
                           Daß die Maschine vom Bliz getroffen wurde, welcher sie zertrümmerte, das Kronenstük
                              von den Seiten des Feuerkastens wegriß und so die Katastrophe verursachte.
                           
                        
                           Vierte Annahme.
                           Daß der Bliz über den Kessel hingehend, einen Theil desselben auf eine hohe
                              Temperatur steigerte; daß das Wasser die Wärme aufnehmend sich schnell in Dampf
                              verwandelte, wie dieß auch bei dessen Berührung mit stark erhiztem oder glühendem
                              Metall der Fall gewesen wäre, daß auf diese Weise ein großes Volum Dampf von
                              ungeheurem Druk plözlich erzeugt wurde, der Kessel der Gewalt unterlag und somit die
                              Katastrophe eintrat.
                           Da diese Fälle meiner Meinung nach jede mögliche Ursache der beobachteten
                              Erscheinungen in sich fassen, richtete ich meine Untersuchungen auf die Entdekung
                              solcher Thatsachen, welche die Mittel darzubieten schienen, sie entweder zu
                              bestätigen oder zu widerlegen. Ich werde sie nun nach einander prüfen und die
                              Umstände und Betrachtungen angeben, welche mich zur Verwerfung oder Annahme
                              derselben bestimmten.
                           
                        
                           
                           Erste Frage.
                           Explodirte der Kessel durch übergroße Anhäufung von Dampf in seinem Innern, weil das
                              Feuer die Verdampfung rascher bewirkte, als die Cylinder den Dampf abführen
                              konnten?
                           Aus der Aussage des Thomas Yeager, Ingenieur des dem
                              Richmond unmittelbar nachfolgenden Trains, geht hervor, daß gerade vor der Abfahrt
                              von Reading beide Sicherheitsventile Dampf ausließen. Auch geht aus der Aussage des
                              Bremsers Thomas Cowden hervor, daß gerade vor dem
                              Ereigniß beide Ventile Dampf ausließen. Daraus ergibt sich offenbar, daß beide
                              Ventile frei waren. Nach der Last, welche die Locomotive fortschaffte, würde der
                              durch den Cylinder gegangene Dampf in der Minute beiläufig einen Kubikfuß Wasser
                              consumirt haben. Um die Möglichkeit einer großen Dampfanhäufung zulassen zu können,
                              müßte man also annehmen, daß die Dampfbildung in einem weit größern Maaße vor sich
                              ging, als er durch die Cylinder und die zwei Sicherheitsventile entweichen konnte.
                              Hr. Kirk, der Factor der
                              Gesellschaft, erklärte aber, daß während die Maschine 50 Minuten lang zu Reading
                              stand, die Ventile keinen Dampf ausließen, woraus hervorgeht, daß damals keine
                              Anhäufung statt fand.
                           Daß das Material des Kessels einem gewöhnlichen Druk nicht nachgibt, wurde zur
                              Evidenz erwiesen. Ich ließ Blechstüke des Kronenstüks unter dem Hammer biegen und
                              doppelt umbiegen, sowohl heiß als kalt, und sie zeigten alle Merkmale gesunden
                              Eisens. Auch ließ ich Stüke zerbrechen, welche auf dem Bruche die gewöhnliche, gutes
                              Eisen charakterisirende, faserige Structur zeigten. Ich ließ das Kronenstük auch von
                              dem Ingenieur James J. Rush
                              von Philadelphia und Hrn. Simpson, Maschinenmeister der Eisenbahncompagnie, untersuchen, deren
                              Ansichten mit meiner eigenen übereinstimmen und welche erklärten, daß die Explosion
                              des Kessels durch die bloße Anhäufung von Dampf in demselben vermöge der
                              gewöhnlichen Wirkung des Feuers nicht hätte eintreten können.
                           Hätte der Kessel den Dampf schneller erzeugen können, als er durch die Cylinder
                              austrat, so würde eine erhöhte Geschwindigkeit des Trains die Folge davon gewesen
                              seyn. Es geht aber im Gegentheil aus der Aussage zweier Bremser hervor, daß die
                              Geschwindigkeit zur Zeit der Explosion nicht zugenommen hatte und 10 Meilen in der
                              Stunde nicht überstieg.
                           Ich glaube, daß wenn der Ingenieur diese Explosion durch größtmögliche Steigerung des
                              Feuers hätte hervorbringen wollen, dieß ihm nicht möglich gewesen wäre, weil der Cylinder und die
                              Ventile ihr freies Spiel hatten.
                           Die Frage muß sonach verneinend beantwortet und die erste der vier Annahmen, als
                              physikalisch unmögliche Folgerungen einschließend und Voraussezungen erheischend,
                              verworfen werden.
                           
                        
                           Zweite Frage.
                           Wurde die Explosion durch vernachlässigte oder mangelhafte Speisung des Kessels
                              verursacht?
                           Um diese Frage gehörig zu beantworten, müssen wir die Geübtheit und den Charakter des
                              Führers der fraglichen Locomotive sowie hie Aussagen der Zeugen berüksichtigen.
                           Der Kessel einer Locomotive wird durch zwei Drukpumpen mit Wasser gespeist, welche
                              durch die Maschine selbst in Bewegung gesezt werden und das Wasser aus dem Reservoir
                              oder dem Tender in den Kessel treiben. Diese Pumpen kann der Maschinenführer nach
                              Belieben in- oder außer Bewegung sezen. Da die Pumpen aus verschiedenen
                              Ursachen in Unordnung gerathen können, so daß sie dann ungeachtet ihres Spiels den
                              Kessel doch nicht mit Wasser versehen, so ist an der Speiseröhre ein sogenannter
                              Probirhahn angebracht, durch welchen sich der Maschinenführer überzeugen kann, ob
                              die in Gang befindlichen Pumpen ihre Schuldigkeit thun. Auch in verschiedenen Höhen
                              des Kessels befinden sich sogenannte „Wasserstandshähne“, durch
                              deren Oeffnen der Maschinenführer sich jeden Augenblik versichern kann, wie hoch das
                              Wasser im Kessel steht und ob derselbe gespeist werden muß.
                           Gehörige Aufmerksamkeit auf die Speisung des Kessels ist die erste und wichtigste
                              Pflicht des Locomotivenführers. Die Vernachlässigung derselben hat, wie er wohl
                              weiß, nothwendig eine Explosion zur Folge, deren Wirkungen die Personen im Train
                              möglicherweise entgehen können, die ihm aber das Leben kosten muß. Es ist dieß daher
                              auch ein selbst von den schlechtesten Locomotivenführern beinahe niemals
                              vernachlässigtes Geschäft. Der Locomotivenführer untersucht von Zeit zu Zeit den
                              Zustand des Kessels mittelst der Wasserstandshähne und öffnet die Speisepumpen, um
                              das Wasser auf geeigneter Höhe zu erhalten. Es gibt besondere Fälle, wo es eine
                              unerläßliche Regel ist, den Kessel anzufüllen. Bei der Annäherung an jede
                              Hauptstation, wo einiger Aufenthalt vorauszusezen ist, hört der Maschinenführer auf
                              das Feuer im Ofen zu schüren, er öffnet die Ofenthür um die Verbrennung zu mäßigen
                              und besorgt die Speisung. Hiedurch kömmt er mit vollem Kessel und schwachem Feuer
                              an; die Dampfbildung hört während des Aufenthalts auf und die Abfahrt findet wieder bei
                              vollem Kessel statt nach Wiederherstellung der Lebhaftigkeit des Feuers vor der
                              Abfahrt. Wenn aber die Verdampfung während des Stillstands der Locomotive das Wasser
                              vermindern sollte, so überzeugt er sich hievon durch die Wasserstandshähne, trennt
                              die Locomotive und den Tender von dem Train und fährt eine kurze Streke mit
                              arbeitenden Speisepumpen auf der Bahn, so daß der Kessel angefüllt wird. Auch beim
                              Annähern an eine Steigung, wo wegen des vergrößerten Widerstands volle Dampfkraft
                              erforderlich wird, pflegt man den Kessel gerate vor der Ankunft am Fuß der Rampe zu
                              füllen, so daß während der Berganfahrt die Pumpen abgesperrt werden können und die
                              ungehinderte Dampfbildung während des Berganfahrens benuzt werden kann. Dieß sind
                              den Maschinenführern wohl bekannte Regeln und sie werden, wie mit Sicherheit
                              angenommen werden kann, von ordentlichen bewährten Männern niemals
                              vernachlässigt.
                           Nach den Aussagen und Zeugnissen aller mit der Reading-Eisenbahn Vertrauten
                              war Joseph Ward einer der besten und verlässigsten
                              Maschinenführer; er war fünf Jahre zur vollen Zufriedenheit in Diensten der
                              Gesellschaft und die fünf vorhergehenden Jahre bei der Baltimore-,
                              Ohio- und andern Eisenbahnen angestellt. Hr. Kirk, der Factor der Reading-Compagnie
                              und der Maschinenmeister Simpson zu Richmond, erklärten
                              beide, daß sie es nicht für möglich halten, daß Ward die
                              Speisepumpen vernachlässigt haben könne. Auch war er erwiesenermaßen von nüchternem
                              Lebenswandel und bei dem fraglichen Ereigniß vollkommen nüchtern. Ueberdieß sah ihn
                              Powell, einer der Bremser, vor der Ankunft zu Reading
                              den Wasserstandshahn fleißig probiren, bemerkte daß der Kessel mit Wasser wohl
                              gefüllt war und zweifelt nicht, daß er es auch bei der Ankunft zu Reading war.
                              – Der Bremser Cowden ging an der Maschine vorbei,
                              ehe sie von Reading abfuhr und sah Ward ebenfalls die
                              Wasserstandshähne probiren und Wasser aus ihnen laufen. Bei der Abfahrt von Reading
                              war sonach der Kessel offenbar voll. Die Explosion fand am Fuß der Steigung von 15
                              Fuß per Meile statt. Ward
                              wollte daher natürlich seinen Kessel bis zur Ankunft an diesem Punkt gefüllt halten,
                              indem es nothwendig war, beim Hinanfahren der Steigung die Speisung abzusperren.
                              Alle diese Umstände und Beweise können keinen vernünftigen Zweifel übrig lassen, daß
                              im Moment der Explosion der Kessel mit Wasser gehörig gefüllt war.
                           Man könnte jedoch einwenden, daß obwohl die Pumpen in Gang waren, sie doch hätten
                              verstopft seyn können, so daß sie den Kessel nicht speisten; dagegen muß ich
                              bemerken, daß der Maschinenführer das gewöhnliche Probirmittel, den Probirhahn, zur
                              Hand hatte, zu welchem
                              er jedenfalls seine Zuflucht nehmen mußte. Der Zeuge Simpson sagt aus „daß bei der Annäherung an Reading Ward den Kessel gespeist und sich von dem Zustand der
                                 Pumpen durch den Probirhahn überzeugt habe, auch von Reading gewiß nicht weiter
                                 gefahren wäre, wenn er seine Pumpen nicht in gutem Zustand gesunden
                                 hätte.“
                              
                           Die Zwekmäßigkeit des Speiseapparats des Richmond überhaupt anbelangend, ist
                              Simpson's Aussage ganz
                              klar und entschieden. Er sagt, Ward sey sein Zögling
                              gewesen, und unter ihm schon als Heizer gestanden – daß er ihn ferner seit
                              zehn Jahren gekannt habe, daß Ward sowohl in Folge dieses
                              langen vertraulichen Verhältnisses, als aus Dienstpflicht, ihm jeden Fehler des
                              Richmond oder jede Schwierigkeit bei dessen Benüzung hätte mittheilen müssen
                              – daß derselbe aber während der ganzen Zeit, wo er diese Locomotive
                              dirigirte, nie eine solche Klage geführt, auch keinen Fall erwähnt habe, wo die
                              Pumpen Wasser zu liefern versagten. Auch hatte Simpson
                              sich, wie gewöhnlich am Sonntag (1. Sept.) vor dem Ereigniß in das Magazin begeben,
                              um die Reparaturen in Augenschein zu nehmen, welche an den für den Montag bestimmten
                              Locomotiven erforderlich waren; er überzeugte sich dabei, daß der Richmond keiner
                              Ergänzung weiter bedürfe, als eines Stifts, welchen Ward
                              selbst ersezte. Ward bemerkte ihm auch, daß diese
                              Locomotive den Samstag-Train (118 beladene Waggons) leicht zog und stark
                              genug sey, noch 50 Waggons mehr ohne Anstrengung zu ziehen.
                           Hätte man das Wasser so weit verdampfen lassen, daß das Kronenstük und die obern
                              Röhren bloß gelegt worden wären, so hätten diese Theile wenigstens beinahe zum
                              Rothglühen kommen müssen. Kupferrohren, welche rothglühend waren, sind aber leicht
                              zu erkennen; diejenigen des Kessels zeigten keineswegs die Merkmale einer
                              Ueberhizung. Das Kupfer war weder geröthet, noch schuppig, noch spröde geworden; es
                              hat vielmehr ganz das Ansehen von solchem, welches unter Wasser war. Keine Röhre war
                              aus ihrer Form gebracht. Das Kronenstük des Feuerraums zeigt keine Merkmale glühend
                              gewesen zu seyn. Unter andern dagegen sprechenden Erscheinungen scheint eine
                              vollkommen entscheidend zu seyn – der Nuß blieb an der Unterseite des
                              Kronenstüks dik zurük. In der That, ich kann mein Urtheil mit Zuversicht dahin
                              abgeben, daß weder der Feuerkasten noch die Röhren überhizt worden waren.
                           Ich ließ diese Theile des Kessels auch von den HHrn. J. J. Rush und Simpson untersuchen, welche beide im Allgemeinen
                              mit meinen Ansichten übereinstimmen.
                           
                           Es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß die Explosion durch den unvollkommenen Gang
                              der Speisepumpen veranlaßt worden sey; ich ermittelte einen der Bremser als den
                              Verbreiter dieses Gerüchts, und zog ihn darüber zu Verhör; dabei ergab sich aber,
                              daß derselbe mit dem Bau einer Locomotive so wenig bekannt war, daß er die Stelle
                              der Speisepumpe an einer solchen gar nicht zeigen konnte.
                           Ich bin folglich der Ansicht, daß obige Frage verneinend zu entscheiden sey und daß
                              es sich hinlänglich klar und entschieden herausstellt, daß die zweite Annahme als
                              unstichhaltig zu verwerfen sey.
                           
                        
                           Dritte Frage.
                           Wurde der Unglüksfall durch die bloße mechanische Wirkung des Blizes
                              hervorgebracht?
                           Ich glaube daß mit diesem Unglüksfall Umstände verknüpft waren, welche auf eine so
                              starke Wirkung von Dampf oder einer andern elastischen Flüssigkeit hindeuten, daß
                              diese Frage ebenfalls verneinend beantwortet werden muß. Der Zustand des Kronenstüks
                              des Feuerraums, die laute Explosion, die Richtung, in welcher der Kessel
                              geschleudert wurde und andere hier nicht einzeln anzuführende Umstände bilden kaum
                              zu verkennende Anzeichen.
                           
                        
                           Vierte Frage.
                           Wurde der Unglüksfall durch die vereinigte Wirkung der atmosphärischen Elektricität
                              und des Dampfes veranlaßt?
                           Die Beobachtungen der Meteorologen haben uns durch zahlreiche Erfahrungen über die
                              verschiedenen mechanischen, chemischen und physischen Wirkungen der atmosphärischen
                              Elektricität auf Gegenstände belehrt. Unter die hervorstechendsten dieser Wirkungen
                              gehört die Temperaturerhöhung der Körper; daß der Bliz Metalle durch Erhöhung ihrer
                              Temperatur schmilzt, ist durch die Thatsache erwiesen, daß durch den Bliz
                              geschmolzenes Metall in Tropfen auf einen hölzernen Fußboden und auf das Verdek von
                              Schiffen fiel, in welche es Löcher brannte. Diese Wirkungen beschränkten sich aber
                              nicht auf Metallmassen von geringen Dimensionen, auch nicht bloß auf die Oberfläche
                              derselben, sondern es wurden in mehreren Fällen bedeutende Massen geschmolzen. Wo
                              der Bliz keine Schmelzung bewirkte, wurde doch das Eisen glühend und weich und auf
                              die zu seiner Schweißung erforderliche Temperatur gebracht; kurz, die Metalle werden
                              durch atmosphärische Elektricität plözlich auf alle Temperaturgrade bis zu ihrem
                              Schmelzpunkte erhizt. Beispiele hiefür gibt es eine Menge. Im April 1807 fuhr der
                              Bliz in Lancashire (England) durch eine große eiserne Kette und erweichte ihre Ringe
                              in dem Grab, daß sie
                              sich vermöge ihres eigenen Gewichts zusammenschweißten und die Kette in eine eiserne
                              Stange verwandelt wurde. Im März 1772 wurde eine 4 Zoll lange und 1/2 Zoll dike, mit
                              einer Wasserröhre an der Kuppel der St. Pauls-Kirche in Verbindung stehende
                              Eisenstange zum Rothglühen erhizt.
                           Die mechanischen Wirkungen des Blizes bestehen darin, daß er durch feste Körper
                              Löcher bohrt, sie in Stüke zersplittert, sie in verschiedene, wunderliche Formen
                              biegt und ihre Bruchstüke, von manchmal ungeheurem Gewicht, weit fortschleudert. Vom
                              Bliz getroffene Gebäude brachten Stöße hervor, welche in der Nachbarschaft wie die
                              eines Erdbebens empfunden wurden; die schwersten Blöke, aus welchen ihre Mauern
                              bestanden, wurden nach allen Richtungen zerstreut, und auf 200 Fuß Entfernung
                              geschleudert. In Cornwall wurde eine Kirche vom Bliz getroffen, von deren Dach ein
                              beinahe 200 Pfd. schwerer Stein 60 Yards weit fortgeschleudert ward; ein anderes
                              Bruchstük wurde 400 Yards weit geworfen. Ein andermal wurde in Schottland eine 28
                              Fuß lange, 7 Fuß breite und 5 Fuß dike Felsmasse in die Luft gehoben und über eine
                              Erhöhung 50 Yards weit geschleudert. Solcher Beispiele lassen sich eine Menge
                              anführen.
                           Große Eisenmassen können bekanntlich den Bliz anziehen und zwar steht die
                              Anziehungskraft im Verhältniß zu ihrem Gewichte. So wurde einmal der außerhalb eines
                              Gebäudes vorüberfahrende Bliz von einem innerhalb desselben befindlichen Dampfkessel
                              durch die Mauer hindurch angezogen. Vor einigen Jahren wurde in England eine
                              Kettenbrüke während eines heftigen Sturms zerstört, und obgleich sie mit der Erde
                              communicirte, in Stüke zerbrochen, ihre schwersten Theile verbogen, über einander
                              gebogen, verdreht und in wunderliche Formen verschlungen, ohne daß ein Merkmal der
                              Schmelzung an ihr sichtbar ward.
                           Ich theile diese Einzelnheiten mit, um mit meteorologischen Forschungen nicht
                              vertraute Personen über die durch atmosphärische Elektricität thatsächlich
                              hervorgebrachten Wirkungen zu belehren; nun entsteht die Frage, ob in dem uns
                              vorliegenden Fall dieser Einfluß wirksam war.
                           Es geht sowohl aus der Aussage der Bevölkerung in der Umgebung der Stelle, wo das
                              Unglük vorfiel, als auch aus jenen der speciell vernommenen Personen auf dem Train
                              hervor, daß zur Zeit des Ereignisses ein heftiger Gewittersturm andauerte; zwei der
                              überlebenden Bediensteten auf dem Train versichern, daß das Blizen sowohl vor als
                              nach der Explosion unaufhörlich statt fand und daß die Blize sogenannte Zikzakblize
                              waren. Von solchen werden gerade irdische Gegenstände gewöhnlich getroffen.
                           Nun scheinen hier alle Bedingungen zur Hervorbringung einer solchen Erscheinung
                              vorhanden gewesen zu seyn; das Blizen ging unausgesezt fort; es war von der Art, wie
                              es eine solche Wirkung erfordert; 18 Tonnen Metall in Form des Dampfkessels und der
                              Maschinerie waren vorhanden, um den Bliz anzuziehen; es waren in dieser Maschinerie
                              so viele Unterbrechungen des Zusammenhangs vorhanden, daß die Leitung (wie zwischen
                              den Ringen einer schweren Kette) hinlänglich unterbrochen wurde, um der Wärme
                              erregenden Kraft der Elektricität volle Wirkung zu gestatten; auch wurde jene Masse
                              in Stüke zerbrochen, die Theile in allen Richtungen umher gestreut, zerbrochen,
                              verbogen und verdreht, und in beträchtlichen Massen weit fortgeschleudert. Allein
                              zugegeben auch, daß der Bliz den Kessel traf, wie ist dann, kann man fragen, die
                              Explosion zu erklären? – denn daß eine solche statt fand, ist höchst
                              wahrscheinlich, wo nicht gewiß. Der Charakter und das Getöse des Knalls, so wie das
                              Aussehen der zurükgebliebenen Theile des Feuerkastens sprechen hiefür deutlich
                              genug. Ich antworte, daß in dem vorliegenden Falle, mit den Cylindern in voller
                              Thätigkeit und zwei freien Sicherheitsventilen, eine Explosion nur durch eine
                              beinahe plözliche Entwikelung eines großen Volums höchst gespannten Dampfes im
                              Kessel entstehen konnte – eines so großen Volums, daß der durch den Cylinder
                              und die Ventile entweichende Dampf im Vergleich damit verschwindet. Eine solche
                              Wirkung würde unbezweifelt hervorgebracht durch einen plözlichen Zutritt von Wärme,
                              welche sich einem mit Wasser in Berührung befindlichen Theile des Kessels, oder
                              unmittelbar dem Wasser selbst mittheilte. Wenn nun die Elektricität den Kessel oder
                              einen Theil desselben so erhizte, und das Wasser, wie es der Fall gewesen seyn kann,
                              dem Metall die Wärme so schnell entzog, daß lezteres nicht schmelzen oder glühend
                              werden konnte, so wäre hiemit der ganze Vorfall mit allen ihn begleitenden Umständen
                              erklärt. Das Nichtvorhandenseyn von Merkmalen des Schmelzens oder der Gluth, die
                              furchtbare Heftigkeit der Explosion, das Fortschleudern einer 10 Tonnen schweren
                              Masse auf eine Entfernung von 80 Yards, das Zerbrechen und Umherschleudern aller
                              arbeitenden Theile, das Verbogen- und Verdrehtwerden derselben in die
                              verschiedensten Formen, wären lauter natürliche und gewöhnliche Folgen einer solchen
                              Wirkung. Daß die Körper der Getödteten frei waren von den Wirkungen des Blizes,
                              würde sich aus der größeren Leitungsfähigkeit des Materials des Kessels erklären,
                              welches der Bliz, seinen Eigenschaften gemäß, vorzugsweise ergreift.
                           
                           Ich übergehe absichtlich eine Vermuthung, welche hinsichtlich des Ereignisses
                              aufgestellt werden könnte, daß nämlich das Wasser im Kessel zersezt und die
                              Explosion durch dessen gasförmige Bestandtheile veranlaßt worden sey. Die von mir
                              gegebene Erklärung macht es überflüssig, zu dieser Muthmaßung die Zuflucht zu
                              nehmen, welche sicherlich durch keine Gründe unterstüzt werden könnte, die sie
                              einigermaßen zu einer vertrauensvollen Annahme berechtigten, wenn sie überhaupt
                              einige Haltbarkeit hat.
                           Nach allen bei dem vorliegenden Falle vorhandenen Umständen bin ich folglich der
                              Ansicht, daß die lezte Voraussezung allein als diejenige anzunehmen ist, welche die
                              vollkommene Erklärung der Katastrophe zuläßt. Ich weiß wohl, daß man einwenden
                              könnte, der Kessel nebst seinem Zubehör war in metallischer Verbindung mit der Erde
                              und während starken Regens sey der Boden selbst im günstigsten Zustande, um die
                              Elektricität abzuleiten; aber bei der Construction des Kessels und seines Zubehörs
                              waren auch größere Unterbrechungen des metallischen Zusammenhangs vorhanden, als
                              zwischen den Ringen einer Kette und in andern Fällen, wobei es erwiesen ist, daß
                              Eisenmassen durch den Bliz glühend wurden.
                           Wenn mein Gutachten verlangt würde in einem Falle, wo die Rechte oder Beschuldigungen
                              von Individuen eine positive Entscheidung unerläßlich machten, so würde ich keinen
                              Augenblik anstehen zu behaupten, daß die Entscheidung nach der lezten obiger
                              Annahmen erfolgen müsse.