| Titel: | Untersuchungen über die Bildung des Anilinroths; von Rosenstiehl. | 
| Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. XIV., S. 52 | 
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                        XIV.
                        Untersuchungen über die Bildung des Anilinroths;
                           								von Rosenstiehl.
                        Aus dem Bulletin de la
                                 									Société industrielle de Mulhouse, 1871, t. XLI p.
                              								217.
                        Rosenstiehl, über die Bildung des Anilinroths.
                        
                     
                        
                           Als ich mich vor einigen Jahren mit Untersuchungen über die Bildung des
                              										AnilinrothsMitgetheilt im polytechn. Journal Bd. CLXXXIX S. 393, Bd. CXC S. 57, Bd. CXCI
                                       											S. 483, Bd. CXCIII S. 315. beschäftigte, beobachtete ich mehrere Thatsachen, welche ich nicht
                              									veröffentlichte, weil damals noch ein dieselben verknüpfendes Band fehlte. Nun bin
                              									ich aber in Stand gesetzt, dieselben in rationeller Weise zu gruppiren, wodurch
                              									meine früheren Beobachtungen vervollständigt werden.
                           Man weiß jetzt, daß zur Bildung des Fuchsins drei Alkaloide sich eignen, nämlich das
                              										Anilin und die beiden Toluidine. Diese Alkaloide vermögen, zu je zweien vereinigt, rothe, in
                              									Bezug auf ihre physischen Eigenschaften einander identische, in chemischer Hinsicht
                              									aber bloß isomere Farbstoffe zu bilden.
                           Dagegen ist es bis jetzt nicht gelungen, eines dieser drei Alkaloide für sich allein
                              									angewandt und der gewöhnlichen Behandlung unterworfen, in
                              										„Anilinroth“ umzuwandeln. Dieß ist in Kürze der
                              									gegenwärtige Standpunkt unserer Kenntnisse über diesen Gegenstand.
                           Der letztere Satz wird jedoch durch meine neuen Beobachtungen modificirt. Allerdings
                              									kann das Anilin, für sich allein, ebenso wenig in 
                              									Rosanilin umgewandelt werden, wie das Toluidin für sich allein; anders verhält es sich jedoch
                              									mit dem Pseudotoluidin. Schon vor drei Jahren fand ich,
                              									daß das Pseudotoluidin beim Erhitzen mit Arsensäure Anilin gibt; diese Reaction
                              									erfolgt unter den Umständen wo ein Gemisch von Anilin und Pseudotoluidin sich in
                              									Roth umwandelt; es muß daher ein Zeitpunkt eintreten, wo das gebildete Anilin und
                              									das noch nicht umgewandelte Pseudotoluidin in den zur Erzeugung der rothen Substanz
                              									geeigneten Verhältnissen zugegen sind. Der erste Versuch, dieß experimentell
                              									nachzuweisen, gab ein negatives Resultat;Polytechn. Journal, 1869, Bd. CXCI S. 484. als ich aber später Gelegenheit hatte, auf diesen Versuch zurückzukommen,
                              									fand ich daß sich bei längerer Fortsetzung desselben wirklich ein rother Farbstoff
                              									bildete, welcher mit der von mir als „Pseudorosanilin“
                              									beschriebenen Substanz identisch ist.
                           Die Ausbeute an diesem Farbstoffe beträgt etwa 12 Procent; die Versuche wurden mit
                              									fünf Proben von sehr reinem Alkaloid gemacht, welche nach eben so vielen
                              									verschiedenen Methoden dargestellt waren. Die Bildung eines dem Rosanilin isomeren
                              									Körpers, für welche das Pseudotoluidin alle Elemente liefert, ist eine
                              									unzweifelhafte Thatsache; die Arsensäure, bei hoher Temperatur angewendet, ist aber
                              									nicht das einzige Agens, durch welches das Pseudotoluidin in Farbstoff umgewandelt
                              									werden kann. Auch die atmosphärische Luft vermag diese Umwandlung bei gewöhnlicher
                              									Temperatur zu bewirken.
                           Es ist eine bekannte Thatsache, daß die Anilin- und Toluidinsalze sich an der
                              									Luft rosenroth färben. Als ich vor drei Jahren die Anilin- und Toluidinsalze
                              									darstellte, welche mir als Material zu meinen vergleichenden Untersuchungen über
                              									diese Alkaloide dienten, beobachtete ich daß diese Rosafarbe sich nur dann
                              									entwickelt, wenn kleine Mengen von Pseudotoluidin zugegen sind.
                           Sind die Toluidinsalze ganz rein, so färben sie sich nur sehr langsam und bloß gelb;
                              									ebenso verhalten sich die Anilinsalze, welche eine grünlichgraue Färbung annehmen.
                              									Auf die freien Alkaloide wirkt die atmosphärische Luft in ähnlicher Weise. Sättigt
                              									man reines, selbst frisch destillirtes Pseudotoluidin vorsichtig mit einer Säure, so
                              									färbt sich die Flüssigkeit in dem Augenblicke wo vollständige Sättigung eingetreten
                              									ist, intensiv fuchsinroth. Dieselbe Erscheinung zeigt sich, wenn man Anilin oder
                              									Toluidin, welche eine geringe Menge Pseudotoluidin enthalten, in derselben Weise
                              									behandelt. Nach meiner Beobachtung erscheint die Färbung besonders schön, wenn man
                              									zum Sättigen des Alkaloids verdünnte Essigsäure und nicht etwa stärkere Säuren, wie
                              									Schwefel- oder Salzsäure anwendet; mit diesen letzteren tritt die Färbung
                              									genau im Momente der Neutralisirung ein, verschwindet aber auf Zusatz eines weiteren
                              									Tropfens Säure sofort und an ihrer Stelle erscheint eine matte bräunlichgelbe
                              									Färbung. Diese Eigenschaft des Farbstoffes, in Folge des Zusatzes eines
                              									Säureüberschusses in Gelb überzugehen, ist für das Fuchsin charakteristisch.
                           Bei diesen Versuchen ist es unmöglich, die rothe Substanz zur näheren Untersuchung zu
                              									isoliren; diese Substanzen besitzen bekanntlich ein so starkes Färbungsvermögen, daß
                              									schon unwägbare Mengen hinreichen, um eine sichtbare Wirkung hervorzubringen.
                           Die Schwierigkeit läßt sich aber durch einen sehr einfachen Kunstgriff beseitigen.
                              									Man tränkt einen Baumwollzeug mit der schwachen Lösung eines Pseudotoluidinsalzes
                              									und hängt ihn an die Luft; nach einigen Stunden färbt sich der Zeug rosenroth und
                              									diese Färbung nimmt bis zum anderen Morgen an Intensität zu. Hierauf spült man den
                              									Zeug in reinem Wasser, welches die löslichen secundären Producte, sowie das nicht
                              									umgewandelte Salz beseitigt, während der Farbstoff auf der Faser fixirt bleibt. Man
                              									kann dann, ohne ihn durch ein Lösungsmittel abzuziehen, constatiren daß er alle
                              									Eigenschaften eines Rosanilinsalzes besitzt; ich habe diese charakteristischen
                              									Eigenschaften in der nachfolgenden kleinen Tabelle vergleichend
                              									zusammengestellt:
                           
                              
                                 Eigenschaften
                                       												derRosanilinsalze.
                                 Eigenschaften des
                                       												aufBaumwollgewebe ausPseudotoluidin
                                       												entstandenenrosenrothen Farbstoffes.
                                 
                              
                                     1. Die verdünnte Lösung der Salze
                                    											istrosenroth und theilt diese Färbung denmit ihr imprägnirten
                                    											Stoffen mit.
                                     Der Stoff ist rosenroth gefärbt.
                                 
                              
                                     2. Diese Lösungen werden in Folgeder
                                    											Bildung der Base, welche farblos ist,durch die caustischen Alkalien
                                    											entfärbt.
                                     Wird ein Tropfen Aetznatron auf den
                                    											Stoffgebracht, so entfärbt sich derselbe an derbetreffenden
                                    											Stelle.
                                 
                              
                                     3. Sättigt man die Flüssigkeit
                                    											genaumit einer Säure, so erscheint dieursprüngliche Farbe
                                    											wieder.
                                     Spült man den Stoff in schwach
                                    											angesäuertemWasser, so tritt die rosenrothe Färbung
                                    											wiederauf.
                                 
                              
                                     4. Durch concentrirte Säuren wird
                                    											dieLösung in Folge der Bildung einesdreifachsauren Salzes
                                    											bräunlichgelbgefärbt.
                                     Ein Tropfen Salzsäure, auf den rothen
                                    											Stoffgebracht, erzeugt einen gelben Fleck, welchermit dem
                                    											rosenrothen Grunde lebhaft contrastirt.
                                 
                              
                                     5. Verdünnt man die gelbe Lösung
                                    											mitWasser, so erscheint in Folge des Zerfallensdes erwähnten
                                    											Salzes die rosenrothe Färbungwieder.
                                     Wird der gelbe Fleck mit vielem
                                    											Wassergewaschen, so verschwindet er und dierosenrothe Färbung
                                    											erscheint wieder.
                                 
                              
                                     6. Wird die Lösung mit
                                    											reducirendenKörpern, z.B. mit Zinkpulver (Zinkstaub)gekocht, so
                                    											entfärbt sie sich unter Bildungvon Leukanilin.
                                     Zinkpulver, in Wasser vertheilt
                                    											welchesmit Traganthgummi verdickt ist, auf den Stoffaufgedruckt,
                                    											entfärbt denselben. Man erhältauf diese Weise einen weißen Aetzdruck
                                    											aufrosenrothem Grunde.
                                 
                              
                           Die vorstehenden Eigenschaften, in Verbindung mit der Identität der Rohstoffe, sind
                              									für die Natur des rothen Farbstoffes entscheidend: derselbe ist das Pseudorosanilin. Zu diesen letzteren Versuchen wurde ich
                              									durch meine Nachforschung über die Ursachen eines Uebelstandes veranlaßt, welcher
                              									bei der Darstellung des Anilinschwarz häufig eintritt. In dem Falle welcher meine
                              									Aufmerksamkeit besonders erregte, waren Abschnitte von verschiedenen Baumwollstoffen
                              									an einander geklebt, dann mittelst der Walze mit einer Farbe für Anilinschwarz
                              									bedruckt und zur Entwickelung des Schwarz in einer heißen Kammer aufgehängt worden;
                              									mehrere dieser Zeugstückchen, welche vorher vollkommen weiß gewesen waren, zeigten
                              									sich nach dem Aufhängen in der heißen Kammer mehr oder weniger intensiv rosenroth
                              									gefärbt; andere waren weih geblieben, und zwar wechselten die weißen Stückchen mit
                              									den gefärbten in sehr unregelmäßiger Weise ab. Diese Vertheilung der Erscheinung
                              									führt zu dem Schlusse, daß bei der Bildung der rosenfarbigen Substanz das Gewebe
                              									selbst eine Rolle gespielt haben muß, und sofort drängte sich mir die zweifache
                              									Frage auf: 1) welche rosenrothe Substanz bildet sich in den nicht mit Schwarz
                              									bedruckten Theilen des Gewebes, und 2) welche Substanz ist in dem Gewebe vorhanden
                              									und begünstigt die Bildung der rosenrothen Substanz? Die erstere Frage hat mich
                              									nicht lange aufgehalten; die Rosafärbung hatte die größte Analogie mit derjenigen
                              									des Rosanilins und der ihm isomeren Farbstoffe, und die Proben welche ich vorher
                              									beschrieb, haben die Richtigkeit dieser Anschauung sehr bald bestätigt.
                           Es bleibt nun noch die zweite Frage zu beantworten.
                           Da die rosenrothe Substanz ein Pseudorosaninsalz ist, so muß der den Baumwollzeug
                              									imprägnirende Körper ein Pseudotoluidinsalz gewesen seyn. Dieß ist nun zu beweisen.
                              									Wenn man in eine heiße Kammer eintritt, in welcher Anilinschwarz entwickelt wird, so
                              									fällt der starke Geruch in derselben auf, welcher die Gegenwart von freien, aus den
                              									Geweben sich entwickelnden Alkaloiden in der Atmosphäre dieses Raumes anzeigt. Unter
                              									diesen Alkaloiden befindet sich auch unvermeidlich Pseudotoluidin, da solches in dem für Schwarz angewendeten Anilin
                              									enthalten ist. Diese Dämpfe imprägniren das Gewebe, können sich aber in demselben
                              									nur dann fixiren, wenn der Stoff die zur Bildung eines Salzes erforderliche Säure
                              									enthält.
                           
                           Dieser letztere Punkt hat sich durch zahlreiche Versuche als begründet
                              									herausgestellt. Ich wählte einen Stoff, der sich beim Aufhängen in der heißen Kammer
                              									nicht färbte, imprägnirte die eine Hälfte desselben mit einer ein Tausendtel
                              									Salzsäure enthaltenden Lösung und ließ auf das ganze Stückchen nach dem
                              									vollständigen Trocknen eine Farbe für Schwarz drucken. Nachdem hierauf das Schwarz
                              									entwickelt worden war, zeigte sich der mit Säure getränkte Theil intensiv rosenroth
                              									gefärbt, während der nicht imprägnirte Theil weiß geblieben war. Um diesen Versuch
                              									noch auffallender zu machen, kann man das angesäuerte Wasser durch Zusatz von einem
                              									Procent Säure verstärken und auf verschiedene Baumwollstoffe Streifen drucken. Hängt
                              									man nun diese Proben mit Stücken auf, welche in Schwarz bedruckt sind, so bildet
                              									sich ein ziemlich lebhaftes, von dem weißen Grunde deutlich abstechendes Rosa. Die
                              									Säure, mit welcher das Gewebe imprägnirt ist, zieht die Pseudotoluidindämpfe an und
                              									fixirt sie; in Folge der Einwirkung der Luft auf das entstandene, über eine große
                              									Fläche verbreitete Salz entwickelt sich das Pseudorosanilin. Um den directen
                              									Nachweis zu liefern, daß der Vorgang wirklich in der angegebenen Weise stattfindet,
                              									hing ich mit angesäuertem Wasser bedruckte Probestückchen in einem Raume auf, in
                              									dessen Atmosphäre keine Alkaloiddämpfe enthalten waren, und verflüchtigte in
                              									demselben eine kleine Menge Alkaloid; nach Verlauf einiger Stunden hatte sich die
                              									rosenrothe Färbung entwickelt.
                           Die in Rede stehende Erscheinung wird also durch die Gegenwart freier Säure in dem
                              									Gewebe veranlaßt. Ein Säuregehalt in gebleichten Stoffen kann uns nicht verwundern,
                              									denn die Schlußoperation beim Bleichprocesse besteht in der Behandlung mit
                              									angesäuertem Wasser und die Menge der im Gewebe zurückbleibenden Säure hängt von der
                              									auf das letzte Auswaschen verwendeten Sorgfalt ab. Abgesehen von dieser Ursache,
                              									welche wohl die wesentlichste ist, können die Zeuge in den Kattundruckereien in
                              									manchen Fällen Säure, namentlich Essigsäure, anziehen. Viele meiner Collegen, mit
                              									denen ich die im Vorstehenden mitgetheilten Versuche besprach, sagten mir daß sie
                              									das Auftreten der Erscheinung häufig beobachtet haben, wenn Essigsäuredämpfe von
                              									sich gebende Stücke neben anderen mit Anilinschwarz bedruckten aufgehängt waren.
                              									Nachdem die Ursache nachgewiesen worden, ist auch das Heilmittel angezeigt; jede
                              									Operation, durch welche die Säure neutralisirt wird, führt zum Ziele. Auch in dieser
                              									Hinsicht ist die industrielle Praxis, wie in so vielen anderen Fällen, der Erklärung
                              									der Erscheinung vorgekommen. Gustav Schaeffer hat nämlich
                              									beobachtet, daß diese Färbung bei einem Stoffe nicht mehr auftritt, welcher behufs
                              									des Krappfärbens einem längeren Passiren durch heißes Wasser, welchem Kreide, Natronwasserglas, Seife
                              									oder irgend eine andere alkalische Substanz zugesetzt wurde, unterzogen worden
                              									ist.
                           Nach dem Vorstehenden sind also die Bedingungen unter denen die in Rede stehende
                              									Erscheinung auftritt, ganz bestimmte; man kann dieselbe nach Belieben hervorrufen
                              									oder verhindern.
                           Ich komme jetzt zu einer Modification der Erscheinung, deren Erklärung sehr schwierig
                              									ist und bei deren Ergründung mir die chemische Analyse ihre Mitwirkung versagt hat.
                              									Beim Aufdrucken von angesäuertem Wasser auf verschiedene Baumwollstoffe beobachtete
                              									ich, daß unter übrigens ganz gleichen Verhältnissen Färbungen auftraten, welche
                              									sowohl in Bezug auf Intensität als auf Nüance von einander abwichen. Die
                              										Cretonnes,Ein sehr starker Baumwollzeug aus der Normandie. welche ich zu meinen Versuchen verwendete, gaben mir das reinste und
                              									intensivste Rosa; die Satins (Atlas) färbten sich blasser rosa und die Calico's
                              									nahmen ein mit Gelb oder Braun gemischtes Rosenroth an. Diese Form der Erscheinung
                              									beweist, daß bei derselben die Substanz des Stoffes selbst in's Spiel kommt. Es
                              									fragt sich nun, ob wir es hier mit einem fremdartigen Körper zu thun haben, welcher
                              									ungeachtet der kräftigen Einwirkung der Bleichoperationen an der Baumwolle haften
                              									geblieben, oder ob die Erscheinung von der reinen Pflanzenfaser selbst herrührt,
                              									deren verschiedene Organisation sich durch ihre Wirkung auf den Farbstoff
                              									kundgibt?
                           Auf diese letztere Erklärung verfiel ich in Wahrheit anfänglich nicht; ich wußte
                              									zwar, daß Baumwollsorten von verschiedenem Ursprunge beim Färben eine sehr ungleiche
                              									Ausgiebigkeit zeigen; ich selbst hatte aber noch kein Beispiel davon beobachtet; ich
                              									forschte daher nach, welche der gebleichten Faser zufällig anhaftende Substanz die
                              									Bildung des rosenrothen Farbstoffes möglicherweise durch ihre Gegenwart begünstigen
                              									oder verhindern könne. Ich imprägnirte die verschiedenen Gewebe mit den in der rohen
                              									Baumwolle enthaltenen Stoffen, wie Fetten, harzigen, stickstoffhaltigen Körpern,
                              									sowie mit den Chemikalien welche beim Bleichen mit derselben in Berührung kommen.
                              									Speciell experimentirte ich mit Colophoniumseife, deren Harz ich durch verschiedene
                              									Verfahrungsarten fixirte. Die Resultate welche ich erhielt, waren sämmtlich
                              									negativer Art, weßhalb ich hier auf die Einzelheiten dieser Versuche nicht näher
                              									eingehe, sondern nur einen derselben anführe, welchen ich als überzeugend betrachte.
                              									Gustav Schaeffer stellte mir Proben von roher Baumwolle,
                              									sowie von Baumwollstoff zur Verfügung, welche nach jeder Operation des
                              									Bleichprocesses von den Stücken abgeschnitten worden waren; ich hatte damit also die ganze Sammlung
                              									der in der Gespinnstfaser enthaltenen und vor und bei dem Weben in dieselbe
                              									eingeführten Stoffe. Das angesäuerte Wasser, welches ich auf alle diese Proben
                              									drucken ließ, brachte auf denselben, als sie wie zur Entwickelung des Schwarz in
                              									einem warmen Raume aufgehängt wurden, dieselbe Färbung hervor. Ich glaube daher
                              									nicht, daß die verschiedene Ausgiebigkeit welche man bei verschiedenen Stoffen
                              									beobachtet, von einer fremdartigen Substanz herrührt; sie ist von der Baumwolle
                              									selbst bedingt.
                           Es bleibt nun noch ein Punkt zu untersuchen, welcher namentlich in wissenschaftlicher
                              									Beziehung von Interesse ist. Ist die Hauptrolle bei der Bildung des Pseudorosanilins
                              									bei gewöhnlicher Temperatur, wirklich dem Pseudotoluidin zuzuschreiben? Diese
                              									Ueberzeugung habe ich weiter oben ausgesprochen; ich muß dieselbe nun
                              									rechtfertigen.
                           Ich druckte auf Cretonne Streifen mit verdickten Auflösungen der
                              									chlorwasserstoffsauren Salze der drei Alkaloide (aus deren Gemenge die im Handel
                              									vorkommenden Aniline bestehen). Die zu diesen Versuchen benutzten Salze waren
                              									dieselben wie die welche mir im Jahre 1868 zur Bestimmung der für diese Alkaloide
                              									charakteristischen Farbenreactionen gedient hatten;Polytechn. Journal Bd. CXC S. 57. auf ihre Darstellung war eine besondere Sorgfalt verwendet worden.
                           Die Toluidinstreifen färbten sich gelb; das Pseudotoluidin gab die rosenrothe
                              									Färbung, durch welche es charakterisirt wird. Was das Anilin betrifft, so färbte es
                              									sich zu meiner Verwunderung wie das Pseudotoluidin. Die Färbung war ganz die gleiche
                              									und der Farbstoff besaß alle Eigenschaften des Pseudorosanilins. Bekanntlich gibt
                              									Anilin für sich allein bei Anwendung der gewöhnlichen Verfahrungsarten kein Roth und
                              									es läßt sich auch nicht wohl begreifen, daß es Roth zu geben vermag, wenn man seine
                              									Zusammensetzung und diejenige seines Farbstoffes in Betracht zieht. Ich nahm daher
                              									auch keinen Anstand, die erwähnte Färbung der Gegenwart einer im Anilinsalze
                              									zurückgebliebenen geringen Menge Pseudotoluidin zuzuschreiben. Ich unterwarf den
                              									noch in meinem Besitze befindlichen Rest von Anilinsalz (Oxalsäuresalz) viermal
                              									hinter einander einer gestörten Umkrystallisirung, in der Hoffnung, es auf diese
                              									Weise reinigen zu können; dann wandelte ich es in chlorwasserstoffsaures Salz um,
                              									und imprägnirte mit der Lösung desselben Proben von Cretonne; die Rosafärbung
                              									entwickelte sich. Nun machte ich einen Versuch mit aus Indigo dargestelltem Anilin,
                              									welches allgemein als reines Präparat gilt. Aber wider meine Erwartung
                              									entwickelte sich auch bei diesem Versuche die rosenrothe Färbung und zwar mit einer
                              									solchen Intensität, daß, wenn man dieselbe einem Gehalte an Pseudotoluidin
                              									zuschreiben wollte, von letzterem nicht bloße Spuren, sondern wenigstens einige
                              									Tausendtheile zugegen seyn müßten. Es ist auch wirklich nicht schwierig, die
                              									Gegenwart von Pseudotoluidin im Indiganilin nachzuweisen. Hierzu braucht man nur die
                              									beim Destilliren zuletzt übergehenden Antheile mit Wasser zu schütteln und diese
                              									wässerige Lösung mit Aether, Chlorkalk und dann mit angesäuertem Wasser zu
                              									behandeln, worauf die Flüssigkeit die für das Pseudotoluidin charakteristische
                              									prachtvolle Färbung zeigt. Da diese Thatsache in Hinsicht auf die chemische
                              									Constitution des Pseudotoluidins sehr interessant ist, so war mir ihre Bestätigung
                              									von Wichtigkeit. Hr. Perrey, Professor der Chemie an der
                              										Ecole supérieure des sciences in Mülhausen,
                              									hatte die Freundlichkeit, unter sorgfältiger Beobachtung der zur Verhütung von
                              									Irrthum erforderlichen Maßregeln eine Quantität Indiganilin darzustellen; in diesem
                              									Präparate, sowie in einer in der Sammlung jener Lehranstalt seit Jahren aufbewahrten
                              									Probe fand ich einen Gehalt an Pseudotoluidin. Da die Thatsache dadurch außer
                              									Zweifel gestellt war, so suchte ich dieses Anilin zu reinigen, indem ich dazu die
                              									verschiedene Löslichkeit der Oxalsäuresalze beider Alkaloide in Aether benutzte. Ich
                              									verwandelte 22 Gramme Indiganilin in Oxalsäuresalz, löste dieses in einer geringen
                              									Menge kochenden Alkohols und fällte durch 500 Grm. Aether. Diese Operation
                              									wiederholte ich viermal; zuletzt verblieben zwölf Gramme oxalsaures Anilin, welches,
                              									in chlorwasserstoffsaures Salz umgewandelt, auf Baumwollzeug eine noch deutlich
                              									unterscheidbare Rosafärbung gab, die jedoch eine geringere Intensität hatte als die
                              									vorher beobachtete. Es ist mir demnach schließlich nicht gelungen, ein Anilin zu
                              									erhalten welches die Färbung nicht veranlaßt; aber nach dem im Vorstehenden
                              									Mitgetheilten sowie nach Allem was über diesen Gegenstand bis jetzt bekannt ist,
                              									nehme ich an daß das reine Anilin keine Färbung geben würde.
                           Die beschriebene Farbenerscheinung scheint die empfindlichste Reaction des
                              									Pseudotoluidins zu seyn; ihre Empfindlichkeitsgrenze ist mir aber unbekannt. Es sey
                              									mir gestattet, sie mit derjenigen der Spectralanalyse zu vergleichen; wenn man dieß
                              									zulässig erachtet, so begreift man daß es unmöglich ist, mittelst wiederholter
                              									Umkrystallisirungen ein Product darzustellen, welches keine Reaction auf
                              									Pseudotoluidin mehr gibt. Bekanntlich ist es unmöglich, ein Gemenge von
                              									Natron- und Kalisalzen durch Umkrystallisiren so zu trennen, daß das Kalisalz
                              									die charakteristische gelbe Natronlinie nicht mehr zeigt; die Reinheit der reinsten
                              										Producte ist nur eine
                              									relative: die absolute Reinheit bildet eine Grenze welche die fortschreitende
                              									Wissenschaft unablässig zu erreichen strebt.
                           Die in diesem Aufsatze mitgetheilten Thatsachen lassen sich in folgende Sätze
                              									zusammenfassen:
                           1) Pseudotoluidin, für sich allein mit Arsensäure bei
                              									170° C. erhitzt, wandelt sich theilweise in Pseudorosanilin um.
                           2) Dieselbe Umwandlung findet bei gewöhnlicher Temperatur statt, wenn Pseudotoluidin
                              									für sich oder wenn seine Salze der Einwirkung der Luft ausgesetzt werden.
                           3) Dieses Verhalten bildet die empfindlichste Farbenreaction des Pseudotoluidins; sie
                              									wird durch die Gegenwart von Toluidin so wenig, wie durch die von Anilin
                              									gehindert.
                           4) Die Bildung von Pseudorosanilin auf den Zeugen kommt bei der Fabrication von
                              									Anilinschwarz häufig vor; sie bildet einen unangenehmen Uebelstand.
                           5) Durch trockene Destillation des Indigo's mit einem Alkali erhält man ein Gemenge
                              									von Anilin und Pseudotoluidin.