| Titel: | Ueber den Begriff der Geschwindigkeit in der physikalischen Chemie und der chemischen Technologie. | 
| Autor: | Hans Schwerdtfeger | 
| Fundstelle: | Band 344, Jahrgang 1929, S. 45 | 
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                        Ueber den Begriff der Geschwindigkeit in der
                           								physikalischen Chemie und der chemischen Technologie.
                        Von Hans Schwerdtfeger.
                        SCHWERDTFEGER, Ueber den Begriff der Geschwindigkeit.
                        
                     
                        
                           In einigen früheren AbhandlungenBauart J. M. Walter, D. R. P. 446164 und Zusatzpatente, D. R. P.
                                    											angemeldet. des Verf. wurde häufig mit einem Begriff gearbeitet,
                              									den man schlechthin als eine „Geschwindigkeit“ bezeichnet, ohne daß man sich
                              									vielfach darüber klar ist, wie dieser Begriff mit dem zusammenhängt, den man sonst
                              									im allgemeinen als „Geschwindigkeit“ bezeichnet, der natürlicherweise
                              									mechanischen Ursprungs ist. So spricht man von Reaktionsgeschwindigkeit bei
                              									chemischen Reaktionen; ist insbesondere der chemische Vorgang die Korrosion des
                              									Eisens, so spricht man von RostgeschwindigkeitVerlag Julius Springer Berlin.; ferner
                              									nennen wir noch Lösungsgeschwindigkeit und Kristallisationsgeschwindigkeit, deren
                              									formale Erklärung man z.B. in den soeben erwähnten Aufsätzen findet. In mancherlei
                              									Hinsicht erweist es sich nun als wichtig und vorteilhaft, die Begriffsbildung der
                              									Geschwindigkeit in diesem Zusammenhang recht genau zu untersuchen, und zwar nicht
                              									nur mit Rücksicht auf die numerische Bestimmung der Maßgrößen der Geschwindigkeiten,
                              									obwohl für diese natürlich auch die Kenntnis der Begriffe eine wesentliche
                              									Voraussetzung ist, sondern vielmehr besonders, weil die genaue Kenntnis der
                              									Begriffe, wie ich im Falle der Kristallisationsgeschwindigkeit in der Abhandlung III
                              									gezeigt zu haben glaube, für die Erforschung des betr. Vorganges und für seine
                              									Erfassung in der Theorie von Bedeutung sein kann. Zusammenfassend wiederholen wir,
                              									daß es sich auf diesem Wege als unmöglich herausstellte, bei einem
                              									Kristallisationsvorgang, wie er in praxi verläuft, von einer
                              									Kristallisationsgeschwindigkeit zu sprechen, daß vielmehr erst eine ziemlich
                              									starke Idealisierung einsetzen muß, ehe eine exakte Definition des Begriffes möglich
                              									wird. Zu ähnlichen Ergebnissen von einem weit allgemeineren Standpunkt aus, nämlich
                              									alle die verschiedenen chemischen Geschwindigkeitsbegriffe umfassend, sollen die
                              									folgenden Ausführungen hinleiten.
                           § 1. Mechanische Analogie. – Vor allem weiteren erweist es
                              									sich als zweckmäßig, an den elementaren Geschwindigkeitsbegriff und seine
                              									einfachsten Verallgemeinerungen, wie sie uns in der Mechanik entgegentreten, zu
                              									erinnern. Wir denken einen Massenpunkt, welcher sich längs einer geraden Bahn unter
                              									dem Einfluß irgendeiner Kraft bewegt. Zur Zeit t befinde er sich an der Stelle s der
                              									Bahn, gemessen von einem gewissen Anfangspunkt s0
                              									an, in der er sich zur Zeit t = 0 befand. In einem noch etwas früheren Zeitpunkt
                              										t1 (t > t1)
                              									befinde sich der Punkt an der Stelle Si seiner Bahn. Es handelt sich darum,
                              									festzustellen, was man unter der Geschwindigkeit des Punktes an der Stelle Si
                              									versteht. Man versteht darunter die Zahl, die durch den folgenden Grenzwert, falls
                              									er existiert, dargestellt werden kann:
                           (1,1) \lim_{s\to{s_1}}\
                                 										\frac{s_1-s}{t_1-t}=\left(\frac{d\,s}{d\,t}\right)_{t_1}=s_1=v_1
                           Der Zusatz „falls er
                                    										existiert“ ist sehr wesentlich, denn a
                              									priori braucht ein Grenzwert ja gar nicht zu existieren, wenn er in dieser
                              									allgemeinen Weise eingeführt wird. Aber wir wollen immer annehmen, daß die
                              									Funktion
                           s = s(t)
                           so beschaffen ist, daß der Limes für alle in Frage kommenden
                              									t-Werte existiert. Entsprechend soll auch für die ähnlichen gleich noch zu
                              									behandelnden Fälle gelten. Ist die Bewegung insbesondere gleichförmig, so ergibt
                              									sich s = const. für alle t. Die nächste Verallgemeinerung ist die, daß wir die
                              									Geradlinigkeit des Weges aufgeben; die
                           
                           Definition des Geschwindigkeitsbegriffes bleibt formal unverändert. Es sind dann
                              									nur gewisse Voraussetzungen über die Bahnkurve notwendig, damit die Festsetzung
                              									einen anschaulichen Sinn behält; auch diese sehen wir als erfüllt an.
                           Wir verallgemeinern weiter; an die Stelle des sich bewegenden Punktes lassen wir
                              									irgendeine sich bewegende Kurve C treten. Bei der Bewegung überstreicht C einen
                              									gewissen Flächeninhalt F = F(t), der von einer gewissen Anfangszeit an gemessen – es
                              									sei etwa F(0) = 0 –, eine Funktion der Zeit t ist. Dies angenommen definieren wir
                              									die Flächengeschwindigkeit v durch
                           (1.2)  v_1=\lim_{t\to{t_1}}\
                                 										\frac{F_1-F}{t_1-t}=\left(\frac{d\,F}{d\,t}\right)_{t=t_1}\,(F_1=F\,(t_1))
                           und zwar ist dies die Flächengeschwindigkeit zur Zeit t1. Es ist ohne weiteres möglich, die Voraussetzungen
                              									weitgehend zu komplizieren, also anzunehmen, daß die Kurve C sich während der
                              									Bewegung irgendwie deformiere.
                           Ein Schritt weiter führt zur Körpergeschwindigkeit: An die Stelle der beweglichen
                              									Kurve C setzen wir eine bewegliche, auch wieder irgendwie deformierbare Raumfläche
                              									F., die bei der Bewegung einen Rauminhalt V = V(t) überstreicht. Als
                              									Körpergeschwindigkeit zur Zeit t1 erklären wir den
                              									Grenzwert
                           (1,3)
                              									v_1=\left(\frac{d\,V}{d\,t}\right)_{t=t_1}
                           Hier ist eine Verallgemeinerung auch wieder in der Weise
                              									möglich, daß man an Stelle der einen Fläche ein System von Flächen ins Auge faßt;
                              									insbesondere kann man dann auch noch annehmen, daß alle diese Flächen geschlossen
                              									sind, also ein Raumteil eingrenzen und daß ihre ganze Bewegung in Dehnung oder
                              									Zusammenziehung besteht. (Vgl. I und II.)
                           Dies alles sind natürlich nur Andeutungen, die an bekannte Dinge erinnern sollen in
                              									einer Form, wie wir sie nachher gebrauchen. Man wird leicht zugeben, daß der Begriff
                              									der Körpergeschwindigkeit, zu dem wir durch ganz einfache Verallgemeinerungen nach
                              									und nach gekommen sind, sich noch durchaus mit dem deckt, was man
                              										„gefühlsmäßig“ als „Geschwindigkeit“ bezeichnet. Das spezielle
                              									mathematische Gesetz, nach dem die Ausdehnung oder Zusammenziehung vor sich geht,
                              									ist natürlich in diesem allgemeinen Rahmen, sowohl was seinen Aufbau, als auch was
                              									seine physikalische Bedeutung angeht, belanglos; wichtig ist nur, daß es durch eine
                              										differenzierbare Funktion der Zeit gekennzeichnet
                              									wird. Dies muß man trotz Unkenntnis der dadurch vorgenommenen Einschränkung der
                              									Allgemeinheit immer fordern. Aehnliches beobachtet man bei aller mathematischen
                              									Naturbeschreibung.
                           §2. Der Begriff der Massengeschwindigkeit. – Auf Grund der
                              									vorstehenden allgemeinen Betrachtungen über den Geschwindigkeitsbegriff in seiner
                              									für die vorliegenden Zwecke geeigneten weitesten Fassung wird es möglich sein,
                              									Aussagen über die in Chemie und Technologie auftretenden Geschwindigkeiten zu
                              									machen, die wir im wesentlichen als Körpergeschwindigkeiten erkennen werden; wir
                              									wollen sie als Massengeschwindigkeiten zusammenfassend
                              									bezeichnen, da es sich bei den Vorgängen um Austausch oder Veränderungen von
                              									Massen handelt.
                           Um sogleich in medias res zu gelangen, denken wir zwei in irgendeiner beliebigen
                              									Weise von einander getrennte Massen oder Massebehälter, zwischen denen ein
                              									vollständiger oder teilweiser Austausch irgendwie möglich ist. Wir nennen die beiden
                              									Massenbehälter und auch die in ihnen enthaltenen Massen
                              										\frakfamily{A} und \frakfamily{B}. An sich
                              									ist es gleichgültig, welche der beiden Massen die gewinnende und welche die
                              									verlierende ist und wir können annehmen, daß durch irgendeine Veränderung der
                              									äußeren Umstände eine Rollenvertauschung bewirkt werden kann. Um aber etwas
                              									Bestimmtes zu sehen, werde angenommen, daß in der in Frage kommenden Zeitspanne
                              										\frakfamily{A} der abgebende,
                              										\frakfamily{B} der zunehmende Teil ist. Den Vorgang des
                              									Massenüberganges von \frakfamily{A} nach
                              										\frakfamily{B} wollen wir kurz durch das Zeichen
                              										(\frakfamily{A} ➛ \frakfamily{B}) angeben.
                              									Ferner bedenken wir, daß man den Vorgang jeweils auf zweierlei Weise eindeutig
                              									kennzeichnen kann: Einmal durch die Größe der Masse in 51 zur Zeit t, die gegeben
                              									sein mag durch
                           A = A(t),
                           sodann aber auch durch die entsprechende auf
                              										\frakfamily{B} bezgl. Funktion B = B(t). Zwangsläufig muß für
                              									alle t zwischen diesen beiden Funktionen nämlich der folgende Zusammenhang
                              									bestehen:
                           (2.1) A(t) + B(t) = c,
                           wobei c eine Konstante ist, welche das Maß der Gesamtmasse
                              									darstellt. Diese Beziehung ist von fundamentaler Bedeutung. (Man nennt sie das
                              									Gesetz der Erhaltung der Masse.) Die beiden Funktionen A, B sollen wieder
                              									differenzierbar sein. Dann ist die Massengeschwindigkeit
                              									des Vorganges (\frakfamily{A}\,\rightarrow\,\frakfamily{B}) zur
                              									Zeit t definiert durch die Beziehung
                           (2.2) v_1\,\{\frakfamily{A},\ \frakfamily{B}\}=\lim_{t\to{t_1}}\
                                    											\frac{B\,(t_1)-B\,(t)}{t_1-t}=\left(\frac{d\,B\,(t)}{d\,t}\right)_{t=t_1}
                           Aus (2,1) folgt dann sofort:
                           (2,3)    
                              										-\frac{d\,B\,(t)}{d\,t}=\frac{d\,A\,(t)}{d\,t}
                           Für den speziellen Fall des gleichförmigen Verlaufs des
                              									Vorganges kann man die Massengeschwindigkeit auch erklären als das Maß der in der
                              									Zeiteinheit beförderten Masse. Gefühlsmäßig ist es zunächst nicht klar, inwiefern
                              									man die durch (2,2) erklärte Zahl als Geschwindigkeit bezeichnen kann; mit Rücksicht
                              									auf die Betrachtungen von § 1 kann man diese Frage aber ganz leicht klären.
                           Setzen wir zunächst homogene Massenverteilung in \frakfamily{A}
                              									und \frakfamily{B} voraus; die Dichte sei α bzw. β, die Volumina
                              										VA bzw. VB,
                              									beides Funktionen von t Dann haben wir drei Fälle zu
                              									unterscheiden
                           
                              1° Die (zunehmende) Masse \frakfamily{B} hat
                                 										eine sie begrenzende Oberfläche F.
                              2° Die (abnehmende) Masse \frakfamily{A} hat
                                 										eine sie begrenzende Oberfläche F.
                              3° Die genannte Eigenschaft kommt
                                 											\frakfamily{A} und \frakfamily{B} zu.
                                 										(Hier könnte man die Kontinuitätsgleichung formulieren; dieser Fall ist aber in
                                 										diesem Zusammenhang uninteressant.)
                              
                           Sodann müssen wir jetzt eine bestimmte Voraussetzung über die Art machen, wie die
                              									Ausdehnung oder Zusammenziehung der begrenzenden Fläche vor sich geht, was
                              									in der allgemeinen Einleitung nicht möglich war: Wir nehmen an, daß die Veränderung
                              									der Oberfläche durch Hinzutreten oder Abgehen von Masse bewirkt wird. Und dann sehen
                              									wir, daß die Massengeschwindigkeit aus der Körpergeschwindigkeit durch
                              									Multiplikation mit einem konstanten Faktor, der Dichte,Vergl. Obermoser, E.T.Z. (Springer-Verlag. Heft 15), 1925. Vergl. Obermoser,
                                    												„Maschinenbau“ (V.D.J. -Verlag) Heft 16, 1925. Vergl. Foerster
                                    												„Werkstattstechnik“ (Springer-Verlag) Heft 10, 1926.
                              									hervorgeht. Im Fall 1° kann man eine bestimmte Körpergeschwindigkeit vb der
                              									Ausdehnung von B angeben und hat dann die folgenden drei Beziehungen
                           (2.4) v\,\{\frakfamily{A},\
                                 										\frakfamily{B}\}=\frac{d\,B}{d\,t},
                              										v_s=\frac{d\,V_s}{d\,t}, \beta\
                                 										\frac{d\,V_s}{d\,t}=\frac{d\,B}{d\,t}.
                           Entspreched gilt im Fall 2°:
                           (2,5) v\,\{\frakfamily{A},\
                                 										\frakfamily{B}\}=-\frac{d\,A}{d\,t},
                              										v_A=\frac{d\,V_A}{d\,t}, \alpha\
                                 										\frac{d\,V_A}{d\,t}=\frac{d\,A}{d\,t},
                           Im Falle 3° gilt dagegen:
                           (2.6) αVA= – β VB.
                           In den Beziehungen. (2,4/5/6) ist alles wesentliche, was sich
                              									von so allgemeinem Standpunkt über die Massenänderungsvorgänge sagen läßt,
                              									enthalten. Alles weitere ergibt sich durch Einschränkung in den Voraussetzungen.
                              									Nicht in diesem Zusammenhang, aber wohl in anderem, ist besonders interessant Fall
                              									3°. Man kann da etwa folgendermaßen einschränken: Die Beförderung der Massen von
                              										\frakfamily{A} nach \frakfamily{B} ist so
                              									vorzunehmen, daß die Kosten der Beförderung am kleinsten werden; die Lösung dieser
                              									Aufgabe, des „Probleme des désblais et des remblais,“ erwies sich als sehr
                              									schwierig und forderte eminente mathematische Hilfsmittel.August Rotth, Das Telephon und sein Werden. Berlin, Julius Springer,
                                    											1927.
                           Setzen wir für das weitere ein für allemal voraus, daß die Massengeschwindigkeit eine
                              									stetige Funktion der Zeit ist. Ferner betrachten wir unseren Vorgang in einer
                              									solchen Zeitspanne, in der er eine Umkehrung erfährt, d.h. in der Zeitspanne to ≤ t ≤ t' gelte (\frakfamily{A}
                              									→
                              									\frakfamily{B}) und in der Zeitspanne t' ≤ t ≤ t1 gelte (\frakfamily{B} →
                              										\frakfamily{A}). Wenn dann v(t) die Massengeschwindigkeit in
                              									der Zeit to ≤ t ≤ t1
                              									darstellt, so hat man
                           v(t)=v\{\frakfamily{A},\ \frakfamily{B}\}, wenn
                              										to ≤ t ≤ t'
                           =v\{\frakfamily{B},\ \frakfamily{A}\}, wenn t' ≤
                              									t ≤ t1
                           Da v\{\frakfamily{B},\ \frakfamily{A}\} und
                              										v\{\frakfamily{A},\ \frakfamily{B}\} verschiedene Vorzeichen
                              									haben müssen, so muß wegen der vorausgesetzten Stetigkeil v(t) an der Stelle t' verschwinden. Dies gilt für alle Umkehrstellen.
                           Sodann eine grundsätzlich wichtige Bemerkung. Bisher war immer vorausgesetzt, daß es
                              									sich bei allen Aenderungen der Größen der Massen uni solche handelt, bei denen die einzige unabhängige Veränderliche die Zeit
                                 										ist. Wir wollen zeigen: Nur unter dieser
                                 										Voraussetzung kann man von einer Massengeschwindigkeit bei einem Vorgang
                              										(\frakfamily{A} → \frakfamily{B}) überhaupt sprechen. Falls außer der Zeit noch eine andere
                              									unabhängige Veränderliche auftritt, ist as nicht möglich, zu einem vernünftigen
                              									Geschwindigkeitsbegriff zu gelangen. Sind dagegen die übrigen auftretenden
                              									Veränderlichen selbst wieder Funktionen der Zeit, so ist die Begriffsbildung der
                              									Geschwindigkeit sehr wohl möglich. Beweisen wir zuerst die erste Behauptung. Wir
                              									hatten eine Geschwindigkeit als eine Ableitung einer gewissen Funktion nach der Zeit
                              									erkannt; die Festsetzung bezog sich aber nur auf solche Funktionen, deren einzige
                              									unabhängige Veränderliche die Zeit war. Ist dies nicht der Fall, so kann man nur
                              									eine partielle Ableitung nach t bilden, der man nicht die Bedeutung einer
                              									Geschwindigkeit zulegen kann, da diese doch grob gesprochen das Maß der
                              									Gesamtänderung darstellen soll. Betrachten wir beispielsweise einen Vorgang
                              										(\frakfamily{A} → \frakfamily{B}), bei
                              									dem
                           A = A(t, T, p), B = B(t, T, p)
                           gilt, wo T die absolute Temperatur und p einen Druck
                              									darstellen möge. Das Maß der Gesamtänderung gibt dann die Größe
                           (2,6)
                              										d\,B=\frac{\delta\,B}{\delta\,t}\,d\,t+\frac{\delta\,B}{\delta\,T}\,d\,T+\frac{\delta\,B}{\delta\,p}\,d\,p=-d\,A
                           Anders dagegen, wenn T und p selbst wieder Funktionen der Zeit
                              									sind, also eine Darstellung in der Form T = T(t), p = p(t) zulassen. Dann gilt, wenn
                              									der Punkt * die Ableitung nach t bedeutet:
                           (2,7) v\ \{\frakfamily{A},\
                                 										\frakfamily{B}\}=\frac{d\,B}{d\,t}=\frac{\delta\,B}{\delta\,t}+\frac{\delta\,B}{\delta\,T}\,\dot{T}+\frac{\delta\,B}{\delta\,p}\,\dot{p}=-\frac{d\,A}{d\,t}
                           und durch diesen Ausdruck wird im gewöhnlichen Sinne eine
                              									Geschwindigkeit dargestellt. (Vgl. III.)
                           Der Sonderfall, daß weder \frakfamily{A} noch
                              										\frakfamily{B} eine wohl bestimmte Oberfläche besitzen, ist
                              									absichtlich vorläufig beiseite gelassen, da er eine vollkommene Abstraktion von den
                              									anfänglich gegebenen mechanischen Vorstellungen verlangt. Wir wollen jetzt
                              									nachträglich übereinkommen, auch für diesen Fall die getroffenen Festsetzungen zu
                              									übertragen, obwohl die gegebene anschauliche Begründung dann nicht mehr stichhaltig
                              									ist. Eine logische Schwierigkeit besteht da nicht, da man die
                                 										Definition der Massengeschwindigkeit ja auch unabhängig von der
                                 										Körpergeschwindigkeit fassen kann.
                           § 3. Die vektorielle Massengeschwindigkeit. – Für das
                              									folgende ist es durchaus notwendig, sich auf die drei vorangestellten Fälle zu
                              									beschränken und den soeben noch nachgetragenen Sonderfall außer acht zu lassen; um
                              									nämlich überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, die vektorielle Massengeschwindigkeit
                              									einzuführen, braucht man ein festes System von
                                 									Richtungen, auf die man diese selbst mit „Richtung behaftete Größe“
                              									beziehen kann. Ein solches System von Richtungen wird uns allerdings durch die nach
                              									irgendeinem wohl bestimmten Gesetz gebaute Oberfläche der Masse
                              										\frakfamily{A} oder \frakfamily{B}
                              									geliefert. Die über die Oberflächen zu treffenden Einschränkungen sind so
                              									beschaffen, daß sie sich praktisch immer werden erfüllen lassen. Denn einmal kann es
                              									sich um Lösungs- und Kristallisationsvorgänge handeln; dann ist die Art der
                              									begrenzenden Oberflächen von Natur bestimmt. Zweitens kann es sich um technisch
                              									wichtige chemische Reaktionen handeln, bei denen man weitgehendst imstande ist, die
                              									begrenzenden Oberflächen zu beeinflussen. Demgemäß wollen wir folgendes annehmen:
                              									Die Oberfläche soll so beschaffen sein, daß es immer möglich ist, sie durch eine
                              									endliche Anzahl voneinander unabhängiger, bei dem zu betrachtenden Vorgang durch
                              									stetig differenzierbare Funktionen der Zeit eindeutig bestimmte Größen in ihrer
                              									räumlichen Ausdehnung festzulegen. Diese Größen bezeichnen wir durch x1, x2, ..., xm bzw. yl,  y2, ..., yn, je
                              									nachdem sie die Bestimmungsstücke von \frakfamily{A} oder von
                              										\frakfamily{B} sind. In der allgemeinen Behandlung kann man
                              									sich natürlich auf den Fall m = n = 3 beschränken, welcher zudem noch den Vorzug der
                              									Anschaulichkeit hat. Durch Beispiele kann man leicht die Bedeutung der x erläutern.
                              									Ist A etwa kugelförmig, so kommt man mit einer Größe x1 aus, etwa dem Radius; im Falle des Ellipsoids braucht man drei, etwa die
                              									Halbachsen x1, x2,
                              										x3. Die verschiedenen Kristallformen kann man
                              									immer durch eine endliche Anzahl von Größen xy
                              									charakterisieren. Unsere Voraussetzungen treffen also gerade die praktisch
                              									vorliegenden Verhältnisse, um deren Beschreibung es sich handelt.
                           Dies angenommen betrachten wir einen Vorgang (\frakfamily{A} →
                              										\frakfamily{B}) mit den Voraussetzungen von Fall 1°. Dann
                              									gibt es für \frakfamily{B} eine bestimmte Oberfläche, die von den
                              									drei Veränderlichen
                           y1 = y1(t) y2 = y2(t) y3 = y3(t)
                           abhängt. Das von der Oberfläche umschlossene Volumen, das wie
                              									diese eine Funktion der Zeit ist, sei gegeben durch VB(t) = F(y1, y2, y3). Ist die Funktion F dann auch nach
                              									den drei Veränderlichen partiell differenzierbar, so kann man die
                              									Körpergeschwindigkeit berechnen:
                           (3,1)
                              										\frac{d\,V_s}{d\,t}=\frac{\delta\,F}{\delta\,y_1}\,\dot{y_1}+\frac{\delta\,F}{\delta\,y_2}\,\dot{y_2}+\frac{\delta\,F}{\delta\,y_3}\,\dot{y_3}=\sum_{v=1}^3\,\frac{\delta\,F}{\delta\,y_v}\,\dot{y_v}.
                           und daraus durch Multiplikation mit der nicht notwendig
                              									konstant gewählten Dichtet sofort die Massengeschwindigkeit; mit
                              										\beta\,.\,F=\overline{F} kommt
                           (3,2) v\,\{\frakfamily{A},\
                                 										\frakfamily{B}\}=\frac{\delta\,\overline{F}}{\delta\,y_1}\,\dot{y_1}+\frac{\delta\,\overline{F}}{\delta\,y_2}\,\dot{y_2}+\frac{\delta\,\overline{F}}{\delta\,y_3}\,\dot{y_3}=\sum\,\frac{\delta\,\overline{F}}{\delta\,y_v}\,\dot{y_v}
                           Entsprechend haben wir in Fall 2°: Wenn VA(t) = G(x1? x2, x3)
                           (3,3) -v\,\{\frakfamily{A},
                                 										\frakfamily{B}\}=\sum_v\,\frac{\delta\,G}{\delta\,x_v}\,\dot{x_v}
                           Als die vektorielle Massen-Geschwindigkeit wird dann definiert der Vektor mit den drei Komponenten
                              										(xl, x2, x3) und diesen Vektor
                                 										bezeichnen wir kurz durch
                              									\frakfamily{x}. Entsprechendes gilt für den Vektor mit den
                              									Komponenten (y1, y2,
                              										y3), den wir symbolisch durch
                              										\frakfamily{y} angeben.
                           Ferner betrachten wir die beiden Vektoren mit den Komponenten
                           \frac{\delta\,\overline{F}}{\delta\,y_1},\
                                 										\frac{\delta\,\overline{F}}{\delta\,y_2},\
                                 										\frac{\delta\,\overline{F}}{\delta\,y_3}\ \ \ \ \ \ ,\ \ \ \ \
                                 										{\delta\,\overline{G}}{\delta\,\dot{x_1}},\
                                 										\frac{\delta\,\overline{G}}{\delta\,\dot{x_2}},\
                                 										\frac{\delta\,\overline{G}}{\delta\,\dot{x_3}},
                           die man bekanntlich als die Gradienten der beiden Funktionen
                              										\overline{\mbox{F, G}}, bezeichnet und durch
                              										\frakfamily{grad}\ \overline{F} und
                              										\frakfamily{grad}\\overline{G} abgekürzt andeutet. Aus (3,2)
                              									und (3,3) sieht man dann sofort, daß
                           (3,4) v\{\frakfamily{A},\
                                 										\frakfamily{B}\}=(\frakfamily{y}\,.\,\frakfamily{grad}\,F)=–(\frakfamily{x}\,.\,\frakfamily{grad}\,g)
                           sein muß, wenn die Klammern (...) hier das skalare Produkt der
                              									beiden Vektoren bedeuten. Durch diese Formeln wird in sehr übersichtlicher Weise der
                              									Zusammenhang zwischen der skalaren und der vektoriellen Massengeschwindigkeit
                              									dargestellt.
                           Ferner ergibt sich aus (3,4) ohne umständliche Rechnung sofort eine weitere
                              									Bemerkung. Es geht daraus nämlich hervor, daß die skalare
                                 										Massengeschwindigkeit
                              									v\{\frakfamily{A},\ \frakfamily{B}\}
                              									auch dann gleich 0 sein kann, wenn
                                 										dies für die vektorielle Massengeschwindigkeit nicht zutrifft. Erstere
                              									verschwindet nämlich auch dann, wenn die vektorielle
                                 										Massengeschwindigkeit auf dem Gradientvektor senkrecht steht, auf Grund
                              									einer elementaren Eigenschaft des skalaren Produktes.
                           Diese letztere Feststellung erscheint besonders interessant mit Rücksicht auf die
                              									Kristallisations-vorgänge, die in unserer hier durchgeführten Fallunterscheidung
                              									unter 1° enthalten sind; es geht daraus hervor, daß das Verschwinden der skalaren
                              									Massengeschwindigkeit nicht etwa ein Kriterium dafür ist, daß die Massen in dem
                              									Kristall selbst sich gewissermaßen in Ruhe befinden. Ein Kriterium dafür liefert
                              									erst das Verschwinden der vektoriellen Massengeschwindigkeit. Wenn man dies auch aus
                              									anschaulichen Gründen von vornherein gewiß erwartet hat, so hat man doch nicht ohne
                              									weiteres sagen können, in welcher Weise diese Verhältnisse mit der Gestaltung der
                              									Oberfläche des kristallisierenden Stoffes zusammenhängen. In der Tat ist der
                              									Zusammenhang mit dem Gradienten der Darstellungsfunktion als ein besonders einfacher
                              									und immerhin merkwürdiger zu bezeichnen.
                           An einzelnen Beispielen kann man sich leicht noch die Bedeutung der Ergebnisse klar
                              									machen; wegen Raummangels müssen wir auf die ausführliche Darstellung derselben
                              										verzichten.O. v. Sichere r. „Hygiene des Auges,“ 2.
                                    											Aufl. 1913. Fritz Foerster. „Elektrolicht“
                                    											(Verlag Kesselringsche Hofbuchhandlung Frankfurt a. M. 1918). Es
                              									möge aber vorbehalten bleiben, bei anderer Gelegenheit weitere Folgerungen aus dem
                              									zuletzt herausgestellten Ergebnis auszugestalten. Endlich sei noch bemerkt, daß man
                              									die ganzen Betrachtungen auch auf den Fall von mehr als zwei, etwa n veränderlichen
                              									Massen \frakfamily{A}, \frakfamily{B},
                              										\frakfamily{C}, ... \frakfamily{N}
                              									ausdehnen kann. Jedoch ergibt sich dabei nichts wesentlich Neues.