Titel: | Etwas über Darmsaiten. |
Fundstelle: | Band 4, Jahrgang 1821, Nr. LVIII., S. 464 |
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LVIII.
Etwas über Darmsaiten.
Nebst einem gemeinnüzigen Vorschlage zum Emporbringen der vaterländischen Gewerbe.
J. M'Culloch etwas über Darmsaiten etc.
Herr J.
M'Culloch lieferte in dem Quarterly Journal of Science, Literature et the
Arts einen Aufsaz: Hints on the Manufacture of
Catgut Strings, welcher auch in dem Repertory of Arts, Manufactures
et Agriculture. II. Series. N. CCXXV. Febr. 1821. S. 175
abgedruckt ist. Dieser Aufsaz ist eben so gut fuͤr Baiern und andere Laͤnder als
fuͤr England geschrieben; in sofern Hr. M'Culloch
laut und bitter klagt, daß man in England bis zur Stunde noch nicht im Stande ist so
gute Darmsaiten zu verfertigen, als in Italien. Auch wir Baiern zahlen den
Italienern jaͤhrlich mehrere tausende baierscher Thaler, um unsere Violinen
zu besaiten, und vernachlaͤssigen unsere vaterlaͤndischen
Saiten-Manufakturen zu sehr. Manche derselben, die einst bluͤhend
waren, wie jene zu Kallmuͤnz an der Nab, sind jezt nicht mehr. Die englische
Saiten-Manufaktur zu Whitechapel erhielt sich indessen noch, wahrscheinlich
weil man in England wegen des in diesem Lande so allgemein beliebten Harfenspieles
noch weit mehr Saiten braucht als bei uns.
Hr. M'Culloch findet die Ursache der geringeren
Guͤte der englischen Saiten darin, daß man die Schafe, aus deren
aͤußerer Darmhaut bekanntlich die Saiten gemacht werden, in England, zumal in
der Naͤhe der Hauptstadt, so ungeheuer maͤstet, und raͤth den
Darmsaiten-Fabrikanten magere Schafe zu waͤhlen aus Wallis, aus den
Hochlaͤndern und Southdown Heiden. Dieser Rath ist allerdings eben so gut,
als die Bemerkung richtig ist. Allein die Uebermaͤstung der Schafe ist nicht
die einzige Ursache, warum die Darmsaiten diesseits der Alpen schlechter sind als
jenseits: denn bei uns in Baiern sind die Schafe leider nur zu mager, und wir haben
doch, auch von diesen mageren Schafen, keine italienischen Darmsaiten. Mehrere
Italiener, die wir uͤber die Ursachen der Guͤte ihrer Darmsaiten
fragten, schienen sie weniger auf die Verschiedenheit unseres Verfahrens, als auf
jenes unseres Klima zu schieben, eine Ursache, die, wenn sie richtig ist, allerdings
den Italiaͤnern das Monopol mit Saiten sichern muß.
Uns scheint es indessen, daß die Kunst Saiten zu verfertigen in Italien schon aus dem
einzigen Grunde allein auf einem hoͤheren Grade von Vollkommenheit stehen
muͤsse, weil man in diesem Lande um mehr dann 2000 Jahre laͤnger
Saiten fabricirt als bei uns. Wir waren noch Wilde in Deutschland und in England,
und standen auf keiner hoͤheren Stufe von Kultur, als heute zu Tage die
Irokesen im Westen und die Ostiaken im Osten von uns, als man an der Tiber bereits
seit Reihen von Jahrhunderten her nach der Lyra sang und tanzte. Usus facit artificem. Man muß Handwerker, nicht
Gelehrter seyn, um zu wissen, auf welche kleine Kleinigkeiten es oͤfters bei
einem Fabrikate ankommt, um demselben den hoͤchsten Grad von Vollkommenheit
zu verschaffen. Und welcher Gelehrte wird sich die Muͤhe geben wollen, die
uͤbelriechende und schmuzige Arbeit der Saiten-Fabrikanten in allen
ihren Heimlichkeiten zu studieren? Gelehrte koͤnnen im Fache der Technologie,
das, was gut ist, allenfalls noch besser machen: sie koͤnnen aber nicht eben
so leicht, das was schlecht ist, gut machen. Viele Handwerke und Kuͤnste
lassen sich aus Buͤchern und theoretischem Vortrage lernen; mehrere aber nur
durch praktische Uebung, und durch Reihen von Erfahrungen. Wieviel haben wir nicht
Schriften uͤber Juften-Bereitung in Deutschland, und wo wurde in
Deutschland noch jemals guter russischer Juften
verfertigt?
Wenn Staaten Gelehrte reisen lassen, damit die Wissenschaften gefoͤrdert
werden; wenn sie Kuͤnstler, Mahler, Bildhauer, Musiker reisen lassen, um die
sogenannten schoͤnen Kuͤnste zu foͤrdern; warum schickt man
nicht auch Handwerker auf Reisen, damit unsere Gewerbe, unsere Fabriken und
Manufakturen eben so erbluͤhen moͤgen, wie unsere gelehrten Anstalten,
unsere Akademien und unsere Gallerien?
Daß das sogenannte Wandern der Handwerksbursche nur wenig oder gar nichts zur
Foͤrderung der Handwerke und Gewerbe beitraͤgt, daruͤber ist
unter uns Handwerkern und Gewerbsleuten wohl nur eine Stimme. Vom Staate fordern, daß er auch den
Handwerksburschen Reisestipendien, Reisevorschuͤsse u.dgl. gebe,
wuͤrde, bei dem vielen Aufwande, den unsere vaͤterliche Regierung
fuͤr Foͤrderung alles Schoͤnen, und Guten thut, hoͤchst
unbillig seyn. Wo die Regierung soviel thut, muß auch der Buͤrger das Seinige
dazu beitragen.
Der Verfasser dieses Aufsazes, ein geborner baierscher Gewerbsmann, schlaͤgt
eine jaͤhrliche Subscription zu Reisegeld fuͤr Handwerksbursche vor.
Von seiner Seite wird bei dem polytechnischen Vereine jaͤhrlich, so lang er
lebt, an unseres Vaters Max Joseph Geburtstage ein Louisdor zu Reisegeldern
fuͤr fleißige, geschickte, verstaͤndige, nuͤchterne, junge
Handwerker bereit liegen, welche geborne Baiern sind. Er
hofft, daß mehrere seiner Landeleute, so wie er, denken, diesen festlichen Tag mit
einem kleinen Geschenke zur Aufnahme der vaterlaͤndischen Industrie feiern,
und dem Vereine es uͤberlassen werden, solche Individuen damit zu
unterstuͤzen, die dieser zur Ehre und zum Wohle unseres lieben baierschen Vaterlandes nach bestem
Wissen und Gewissen seiner Auswahl werth findet. Wenn wir auf diese Weise
jaͤhrlich nur 300 fl. zusammenbrachten, (deren Besorgung der Herausgeber
dieses Journal gerne uͤbernimmt), um zwei Saitenschlaͤger nach Lyon,
Toulouse, Rom, Neapel reisen, und sie durch fuͤnf bis sechs Jahre daselbst
mit einer Zubuße von hundert Thaͤlerchen jaͤhrlich zu dem Verdienste,
den sie bei den dortigen Meistern durch ihre Handarbeit gewinnen, arbeiten zu
lassen, und wenn man sie dann bei ihrer Ruͤckkehr noch etwas
unterstuͤzt, so haͤtten wir, durch Weniger als die Interessen des
Capitales, welches wir jaͤhrlich fuͤr Saiten in das Ausland schicken,
das ganze Kapital der jaͤhrlichen Ausgabe, die wir jezt gegen das Ausland
verlieren, fuͤr ewige Zeiten gewonnen. Und ergaͤbe sich als Resultat
dieses Versuches
auch bloß dieß, daß es wirklich wahr waͤre, daß in unserem Klima und von
unseren Schafen keine italiaͤnischen Saiten verfertigt werden koͤnnen;
waͤre nicht schon dieß allein Gewinn fuͤr die Technik?
Wieviel wuͤrden wir nicht gewinnen, wenn wir auf aͤhnliche Weise die
Bereitung des Juften, des englischen Stahles und so mehrere Gegenstaͤnde der
Gewerbsindustrie nach unserem Vaterlande verpflanzen koͤnnten! Es scheint,
daß es besser ist, Leute in's Ausland zu schicken, um die Industrie aus demselben
herzuhohlen, als diese durch Auslaͤnder hereintragen zu lassen. Die
Waͤlschen sagen: chi sta bene non se muove. Ein
Handwerker, ein Gewerbsmann, der sich in seinem Lande gut steht, wird selten ein
fremdes waͤhlen; und ich kann und will als Gewerbsmann nicht wissen, ob man
an jenen viel gewinnt, die ihr Vaterland um hundert Thaͤlerchen, die man
ihnen mehr biethet, als sie daheim haben, verlassen.