Titel: | Ueber Kornbranntwein-Brennerei und über das zur Gährung tauglichste Wasser. Von Hrn. Dubrunfaut zu Lille. |
Fundstelle: | Band 7, Jahrgang 1822, Nr. LXII., S. 427 |
Download: | XML |
LXII.
Ueber Kornbranntwein-Brennerei und über das zur Gährung tauglichste Wasser. Von Hrn. Dubrunfaut zu Lille.
Aus den Annales de Chimie et de Physique. Jaͤner 1822. S. 73.
Dubrunfaut über Kornbranntwein-Brennerei.
Es ist eine sowohl in der Theorie, als in der Praxis allgemein
angenommene Meinung, daß Regen- oder Flußwasser zur Erhaltung einer guten
Gaͤhrung das tauglichste Wasser waͤre. Diejenigen, die nicht diese
Meinung theilten, behaupteten, daß alle Arten von Wasser, insofern sie noch trinkbar
sind, zu diesem Zweke gleich brauchbar waͤren. Die erste dieser beiden
Meinungen, obschon sie mehr als die leztere sich von der Wahrheit entfernt, wurde
indessen durch die hoͤhere Reinheit des Regen- und Flußwassers
begruͤndet, und stand seit langer Zeit in vielen Brennereien so sehr
uͤber allen Zweifel erhaben, daß man sich ein Gewissen daraus gemacht haben
wuͤrde, Brunnen- oder Quellwasser zu gebrauchen.
Diese, wie ich unten zeigen zu koͤnnen hoffe, irrige Vorliebe entsprang aus
einer falschen Anwendung der Theorie. Es ist zwar sehr leicht begreiflich, wie die
zarten Operationen bei chemischen Analysen, und die feinen Kunstgriffe in der
Faͤrberei ein sehr reines, so viel moͤglich von allem
kalkhaͤltigen Mittelsalze, das die verlangte Wirkung vereiteln
koͤnnte, befreites Wasser fodern muͤssen; wenn man aber diese Vorsicht
auch auf andere Operationen der Kunst, einer bloßen Wahrscheinlichkeit wegen und
ohne alle Pruͤfung, ausdehnen wollte, so hieße dieß einen
gefaͤhrlichen Irrthum predigen.
Die Kornbranntwein-Brennerei, die in Deutschland, und vorzuͤglich in
Holland, ihre erste Vervollkommnung erhielt, ist heute zu Tage eine bedeutende
Huͤlfsquelle fuͤr den Akerbau, zumal im noͤrdlichen und
oͤstlichen Frankreich.
In Flandern, wo dieser Zweig der Industrie sich aus Holland hin vererbte, gibt es
viele Branntwein-Brennereien, in welchen immer 55, 60, ja selbst 65 Litres 19
graͤdigen Kornbranntweines aus einem metrischen Zentner Roggenmehl gebrannt
werden. Man koͤnnte im oͤstlichen und im inneren Frankreich diese
Angaben fuͤr Aufschneiderei erklaͤren, wenn sie nicht durch die
Resultate einer zahlreichen Menge großer Branntwein-Brennereien
bestaͤtiget wuͤrde. Denn im Durchschnitte erhaͤlt man in diesen
Brennereien gewoͤhnlich nicht mehr als 40–44 Litres aus obiger Menge
Mehles, und es, gibt einige, die gar nur 30 bis 35 Litres bekommen. Es gibt, wie es
mir scheint, keine Kunst, die auffallendere Abweichungen, eine Fabrik mit der
anderen verglichen, darboͤthe, als diese.
Es waͤre wirklich interessant, die Ursachen dieser Abweichungen genau zu
kennen; allein die Praxis hat hier die Kunst so sehr uͤbereilt, daß wir nur
mit großer Schuͤchternheit es wagen duͤrfen, daruͤber zu
raisonniren. Die Thatsache, welche ich als Grund dieser Abweichungen hier auf,
stellen werde, scheint mir indessen ziemlich entscheidend, und ohne behaupten zu
wollen, daß sie die einzige Ursache waͤre, glaube ich doch, daß sie eine der
allervorzuͤglichsten seyn muͤsse.
Bei meinen chemischen Kenntnissen mußte es mir, als ich unsere
Branntwein-Brennereien versuchte, auffallen, daß unsere
Branntwein-Brenner mit schweren Kosten tiefe Brunnen graben, um sich das zur
Gaͤhrung noͤthige Wasser zu verschaffen, waͤhrend sie auf eine
weit wohlfeilere Weise das Bachwasser, das an ihren Gebaͤuden voruͤber
laͤuft, benuͤzen koͤnnten. Ich fragte sie, warum sie dem
Brunnenwasser den Vorzug geben, und, ohne mir dieselbe erklaͤren zu
koͤnnen, kamen sie alle in ihrer Antwort darin uͤberein, daß sie sich
noch sehr wohl des Schadens erinnern, den die Anwendung des Flußwassers ihnen
verursachte, und daß sie nimmermehr dasselbe versuchen wollen. Ein Praktiker, der
ein feinerer Beobachter zu seyn schien, und den ich fragte, welches Wasser er am
tauglichsten zur Gaͤhrung finde, gab mir zur Antwort, dasjenige, welches
uͤber Kalksteine (moellons) laͤuft.
Diese Antwort war ein Lichtstrahl fuͤr mich; ich erinnerte mich sogleich an
das Mittel, welches Higgius den Colonisten auf Jamaica zur Verhuͤthung der
sauren Gaͤhrung vorschlug, und ich zweifle nicht, daß unser Brunnenwasser,
welches durch einen Ueberschuß an Kohlensaͤure kohlensauren Kalk
aufgeloͤset enthaͤlt, bei den Branntwein-Brennereien eben so wirke, wie die
Kalksteine bei den Gaͤhrungen der Kolonisten auf Jamaica, aber nur in einem
minderen Grade, gewirkt haben. Dieser kohlensaure Kalk ist, im aufgeloͤsten
Zustande, gleichfoͤrmig in der ganzen Masse der Kufe vertheilt, und ist
dadurch desto mehr im Stande auf die Theilchen der Saͤure zu wirken, welche
sich in einer sehr verduͤnnten Gaͤhrungsmasse so leicht entwikeln, und
kann desto vollstaͤndiger den Fortschritten der von den
Brantwein-Brennern so sehr gefuͤrchteten Gaͤhrung Einhalt
thun.
Ich stehe keinen Augenblik an, diesen Umstand als eine Hauptursache der großen
Vorzuͤge unserer Brennereien zu betrachten, und finde mich umsomehr hiezu
geneigt, als es durch Erfahrung bewiesen ist, daß sie, so lang sie eigensinnig genug
waren, auf Fluß- oder Bachwasser bei der Gaͤhrung zu bestehen, nie
mehr als 40–44 Lines, und oͤfters noch weniger, von einem metrischen
Zentner Roken erhielten.