Titel: | Ueber das Bleichen der vegetabilischen und animalischen Substanzen. Von W. H. v. Kurrer. |
Autor: | Dr. Wilhelm Heinrich Kurrer [GND] |
Fundstelle: | Band 10, Jahrgang 1823, Nr. XXXII., S. 191 |
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XXXII.
Ueber das Bleichen der vegetabilischen und animalischen Substanzen. Von W. H. v. Kurrer.
(Fortsezung von Band 8. S. 51. 155. 314. 488. Band 9. S. 111. u. f.)
v. Kurrer über Strohbleichen.
Ueber das Bleichen des Strohes und der Strohgeflechte.
Seit nicht gar langer Zeit haben die
Strohmanufactur-Gegenstaͤnde des Inn- und Auslandes, durch ihre
Mannigfaltigkeit einen so entschiedenen Aufschwung als Modegegenstaͤnde
erhalten, daß viele tausend Menschen dadurch reichlich beschaͤftigt werden.
Diese Stroharbeiten bestehen in Damen- und Herren-Huͤten, in Muͤzen,
Baͤndern, Arbeitskoͤrbchen, Teppichen, Fußboͤden, Untersezern
und Geflechten jeder Gattung, so wohl fuͤr den Luxus als auch fuͤr den
noͤthigen Hausgebrauch.
Auch in der Strohweberei wurden bedeutende Fortschritte gemacht; es gehen durch sie
Gegenstaͤnde hervor, die sowohl in geschmakvollen Deßeins als auch in der
Soliditaͤt nichts zu wuͤnschen uͤbrig lassen.
Italien, namentlich das Großherzogthum Toskana, liefert die edelsten und kostbarsten
Stroharbeiten. Von da aus verpflanzte sich dieser wichtige Industriezweig nach
Oberitalien, Frankreich, England, der Schweiz und nach mehreren Gegenden
DeutschlandsHermbstaͤdt's Bulletin des Neusten und Wissenswuͤrdigsten etc.
Bd. 8. S. 97–112. Hermbstaͤdt's gemeinnuͤziger
Rathgeher etc. Bd. 1. S. 160–163. A. d. Verf.. In Baiern verdienen die ordinairen Stroharbeiten die in Augsburg und dem Landgerichte Weiler
verfertigt werden, alle AufmerksamkeitVergleiche: uͤber Verfertigung der Strohhuͤte und andere
Strohwaaren von R. R. Dr. Hoͤck im 7ten
Bande dieses Journales S. 320–327. A. d. Verf..
Vollkommnes Bleichen und gutes Appretiren sind die wesentlichen Bedingungen, den
Stroharbeiten die hoͤchste Vollkommenheit zu geben. In dieser Hinsicht
gebuͤhrt den englischen Stroharbeiten vor allen andern, Toskana nicht
ausgenommen, der Vorzug. Einige Schriftsteller sind der Meinung, daß in England das
schon vor der Verarbeitung vollkommen rein gebleichte Stroh nach dem Flechten wieder
in eine schwache Kalilauge gebracht, dann geschwefelt, und um ihm einen vollkommenen
Glanz zu geben, durch Weingeist gezogen werde. Ein solches Verfahren dient dazu, dem
gebleichten Stroh den Schweiß und andere Unreinigkeiten, welche es beim Flechten
annimmt, wieder zu entziehen.
Die aͤlteste Art Stroh zu bleichen, geschah durch Laugen und Auslegen an die
Sonne. Spaͤter trat die jezt noch uͤbliche Weise „Stroh durch Schwefeln weiß zu machen“ an
die Stelle. Um das Stroh durch das Schwefeln zu entfaͤrben, wird es in
kleinen Bunden mit Wasser angefeuchtet und in dem Schwefelkasten so neben einander
aufgestellt, daß die weißeren Enden der Halme unten hin zu stehen kommen. Der
Schwefelkosten ist mit einem Dekel dicht verschlossen, hat doppelte Boͤden,
wovon der zweite, auf welchem die Strohgebinde stehen, stark durchloͤchert
und etwa 3/4 Fuß uͤber dem ersten befestigt ist; unten an der einen
Seitenwand, zwischen beiden Boͤden ist er mit einer Thuͤr versehen,
durch welche man den Schwefel auf einer Schuͤssel hineintraͤgt, welche
unter dem zweiten Boden in der Mitte hingesezt wird. So bald der Schwefel
gehoͤrig brennt, wird die Thuͤr verschlossen. Die sich bei der
Verbrennung des Schwefels bildende schwefelichte Saͤure, wird durch diesen
Prozeß durch Aufnahme von Sauerstoff nach und nach in Schwefelsaͤure
verwandelt. Nach 10 bis 12 Stunden wird der Dekel geoͤffnet, die Bunde
herausgenommen, und diese einige Tage oder so lange der Luft ausgesezt, bis sie
maͤßig troken sind, worauf die Halme nochmals sortirt und alle flekige und
durch das Schwefeln nicht genugsam gebleichte, davon abgesondert werdenBulletin des Neusten und Wissenswuͤrdigsten von Hermbstaͤdt, B.
8. S. 100. A. d. Verf..
Da durch die dunstfoͤrmige schweflichte Saͤure die gelbe Farbe des
Strohes nie ganz zerstoͤrt werden kann, so versuchte man in Frankreich, Stroh
mittelst Chlorine weiß zu bleichen. Chaptal legte der
Akademie von Montpellier eine Abhandlung uͤber diesen Gegenstand vor, welche
in den Verhandlungen der koͤniglichen Akademie vom Jahr 1787 bekannt gemacht
wurde. Laroisier und Berthollet erstatteten einen Bericht der in den Annales de Chimie T. I. S. 69 zu finden ist. In England wollte
anfaͤnglich das Bleichen des Strohes mit der Chlorine nicht gelingen; die
Ursache hievon war, daß man die Chlorine und ihre Verbindungen in einem zu
concentrirten Zustande anwendete, wodurch die Pflanzenfaser Schaden erlittSamuel Parkes chemische Abhandlungen und Versuche fuͤr die
Kuͤnste und Manufacturen in Großbritanien, aus dem Englischen
uͤbersezt 1te Abtheilung S. 268. A. d. Verf..
Fischer in Wien, war der Erste, der das Strohbleichen
mittelst Chlorine zu einer groͤßeren Vollkommenheit brachte. Um dieses
Verfahren im Großen auszuuͤben, verfahre man auf folgende Weise: Man
uͤbergieße das Stroh in Faͤssern von beliebiger Groͤße mit
kochendem Wasser, und lasse dieses 24 Stunden daruͤber stehen. Die
Fluͤßigkeit wird nun abgelassen, in einem kupfernen oder eisernen Kessel eine
Aufloͤsung von einem Pfund Pottasche und 120 Pfund Wasser gemacht, und das
Stroh in dieser Lauge 3 Stunden lang maͤßig gekocht, wobei das verdampfende
Wasser immer wieder ersezt werden muß. Nach dem Erkalten bringt man das Stroh aus
dieser Fluͤßigkeit wieder in die Faͤsser, und uͤbergießt es mit
reinem Wasser. Dieses wird nach einigen Stunden gelb werden, worauf man es abgießt
und wieder mit frischem Wasser ersezt. Das Stroh laͤßt man nun 5 bis 6 Tage
unter Wasser, waͤhrend welcher Zeit 6 bis 8 mal frisches Wasser zugegossen
wird. Der Faͤrbestoff des Strohes befindet sich jezt in leicht
loͤsbarem Zustande, und wird nun in einer halb so starken Pottaschen-Lauge
noch einmal eine Stunde lang maͤßig ausgekocht. Das Stroh wird nun wieder in Faͤsser
gebracht, mit kochendem Wasser uͤbergossen, und dieses alle 16 bis 20 Stunden
erneuert, bis das Wasser keine Farbe mehr annimmt, wozu gewoͤhnlich drei Tage
erfoderlich sind.
Man nimmt nun das Stroh aus dem Faß, bringt es in ein Chlorinkalibad, in welchem die
Chlorine vorwaltet, und laͤßt es 24 bis 30 Stunden lang offen stehen, wo das
Stroh nun weiß gebleicht erscheint. Ist es nach Verlauf dieser Zeit nicht weiß
genug, so wird die Fluͤßigkeit durch frisches Bleichwasser so oft ersezt, bis
es vollkommen entfaͤrbt ist. Das weiß gebleichte Stroh waͤscht man so
lange in Wasser, bis aller Chloringeruch von demselben entfernt ist, und troknet es
an der SonneTechnologisches Lexicon B. 5. S. 167. A. d. Verf.. Ich habe die vorstehenden Verfahrungsarten einer sorgfaͤltigen
Pruͤfung unterworfen, und gefunden, daß keine ganz geeignet ist, um dadurch
das Stroh absolut weiß darzustellen.
Um Strohgeflechte und Strohwaaren vollkommen weiß zu bleichen, muß man sie nach
vorhergegangener Behandlung in schwacher alkalischer Lauge und Wasserbaͤdern
abwechselnd durch Chlorin-Fluͤßigkeit und durch schwefliche Saͤure
nehmen. Bei dieser Methode zu bleichen, kann man sich folgender Chlorin-Verbindungen
im Großen bedienen: a) der Chlorine an Wasser gebunden;
b) Chlorinkali-Loͤsung mit einem Ueberschusse
von Chlorine; c) Chlorinnatron-Loͤsung mit
vorwaltender Chlorine; d) Chlorinkalk-Aufloͤsung
mit praͤdominirender Chlorine; e)
Chlorindaͤmpfe. Die hiebei in Anwendung zu sezende schweflichte
Saͤure: a) an Wasser gebunden, als liquide
schweflichte Saͤure; b) als schweflichte
Saͤure in Gasgestalt, durch die Verbrennung des Schwefels im verschlossenen
Raͤume gebildet; c) der schweflichtsauren Salze
mit Ueberschuß von schweflichter Saͤure, naͤmlich: α) des
sauren schweflichtsauren Natron; β) des sauren schweflichtsauren Kali;
γ) der sauren schweflichtsauren Kalkerde. Alle diese schweflichtsauren
Salzverbindungen gehen durch den Bleichproceß in schwefelsaure Salze uͤber,
wodurch ihre bleichende Wirkung aufgehoben wird.
Beleuchten wir nun die zwekfoͤrdernste Art nach dieser Methode zu
bleichen.
A) Erste Operation. Behandlung in Wasser.
Die zuvor sorgfaͤltig sortirten Strohbuͤndel werden in ein
geraͤumiges Faß geschichtet, und mit kochendem Wasser uͤbergossen.
Nach 24 Stunden, wenn die Fluͤßigkeit stark gelb gefaͤrbt ist,
wird das Wasser abgezogenabbezogen, der Spunt geschlossen und wieder kochendes Wasser darauf gegossen,
welches so oft wiederholt wird, bis die verschiedenen Strohsorten dem Wasser
keine gelbe Farbe mehr ertheilen. Durch diese Manipulation wird dem Stroh ein
betraͤchtlicher Antheil Faͤrbestoff entzogen, und fuͤr die
Einwirkung der nachfolgenden alkalischen Laugen disponibler gemachtIm Laufe meiner Versuche Stroh zu bleichen, versprach ich mir durch die
Fermentation eben denselben guten Erfolg, wie bei der Baumwollen- und
Leinen-Bleiche. Ein Buͤndel Stroh wurde mit heißem Kleienwasser
eingesezt, und so lange darin gelassen, bis durch die Fermentation eine
essigartige Saͤure gebildet war. Dieses erfolgte im Sommer in
Zeit von 4 Tagen. Das fermentirte Stroh wurde herausgenommen,
ausgewaschen, und mit einem frischen Buͤndel von derselben Sorte
alle Gaͤnge der Bleichoperation durchgefuͤhrt. Im ganzen
Verlauf dieser Operation, verhielt sich das eine wie das andere, und
lieferte den Beweis, daß die gedachte Wirkung, das Stroh fermentiren zu
lassen, von keinem besonderen Erfolg war. A. d. Verf.. Das aus dem Faß genommene Stroh, wasche man in Flußwasser gut aus, und
schichte es wie zuvor in ein Laugenfaß ein.
B) Zweite Operation. Behandlung in alkalischer Lauge. Erste Methode.
100 Pfund Wasser, in dem 16 Loth gute Pottasche aufgeloͤst sind, gieße man
kochend auf das Stroh, lasse es 24 Stunden lang wohl zugedekt stehen, und ziehe
hernach die stark gelb gefaͤrbte Fluͤßigkeit ab. Durch diese
Behandlung wird das Stroh noch gelber als in seinem Naturzustande erscheinen. Es
ist dieses ein Zeichen der Verbindung des Kali mit dem Faͤrbestoff. Man
gieße nun eine zweite Lauge, aus 1 Pfund Pottasche und 200 Pfund Wasser, kochend
uͤber das Stroh. In dieser Lauge bleibt es wieder 24 Stunden lang, gut
zugedekt, liegen, wonach die gefaͤrbte Fluͤßigkeit abgelassen,
eine dritte Lauge, aus 16 Loth Pottasche und 150 Pfund Wasser, kochend
daruͤber geschuͤttet, und wieder 24 Stunden stehen gelassen wirdIn Laͤndern, wo die gereinigte Soda wohlfeiler als Pottasche zu
haben ist, kann man sich ihrer mit gleich gutem Erfolg bedienen, wenn
gegen 1 Pfund kalireicher Pottasche 1 3/4 Pfund Soda in Anwendung
gebracht wird. A. d. V.. Die Fluͤßigkeit wird abgelassen, das herausgenommene Stroh am
Fluße ausgewaschen, in das Wasserfaß eingeschichtet, mit kochendem Wasser
uͤbergossen, und 36 Stunden lang gut zugedekt stehen gelassen,
herausgenommen, ausgewaschen, und fuͤr das Chlorinbad vorgerichtet. In
diesem Zustande ist dem Stroh bereits eine große Quantitaͤt seines
natuͤrlichen Faͤrbestoffes entzogen, ohne jedoch dem Auge
entfaͤrbter zu erscheinen, besizt es die Eigenschaft in den nachfolgenden
Baͤdern sich um so schneller und vollstaͤndiger weiß bleichen zu
lassenKaustische Alkalien zerstoͤren schon in maͤßig
concentrirtem Zustande das Stroh. Der Bast und die Holzfaser verlieren
ihre Cahaͤsionskraft wodurch sich das Stroh in seinen
natuͤrlichen Eigenschaften von den Baumwollen- und Leinen-Stoffen
unterscheidet; es ist daher ein großer Irrthum, wenn man das Stroh den
andern Pflanzen-Fasern gleich stellt, wie ich dieses im Verfolge meiner
Untersuchungen bestaͤtigt fand. Ein Bund Weizen und ein Bund
Roggenstroh wurden mit Kleien-Wasser der Fermentation unterworfen, zwei
gleiche Bunde Weizen- und Roggenstroh mit Wasser nach angegebener
Behandlung zur alkalischer Lauge vorbereitet. Alle vier Bunde in einer
kaustisch-alkalischen Lauge von 2 1/2 ⍜ stark, nach Becks
Areometer, 5 Stunden lang gekocht, gaben folgende Resultate: a) die alkalische Lauge verlor ihren
alkalischen Geschmak vollkommen, und hatte so viel faͤrbbare
Materie ausgenommen, daß die Fluͤßigkeit specifisch dichter und
wie ein dunkles braunes Bier aussah. Auf der
Oberflaͤche der gefaͤrbten Lauge sammelte sich eine
betraͤchtliche Quantitaͤt zaͤhen Schleims, welcher
dem Anfuͤhlen nach gummiharziger Natur zu seyn schien. Er glich
einer Gummiharzloͤsung, besaß eine dunkelbraune Farbe, getroknet
erschien er sproͤde, von schwaͤrzlich brauner Farbe. b) die Dauerhaftigkeit des Strohes war
voͤllig zerstoͤrt, und das Stroh bildete eine klebrige
braͤunlich gelb gefaͤrbte Maße, welche in Wasser
ausgewaschen, den Schleim nicht verlor, und so schluͤpferig wie
schleimige Fische anzufuͤhlen war. In
Chlorinkalk-Aufloͤsung gebracht, zerstoͤrte sich ein
großer Theil der kleberigen Materie, unter starker Entwiklung freier
Chlorine, und hinterließ mir mehr gelblich gefaͤrbte, weiche,
holzige Maße, die sich einer durch Chlorine zerstoͤrten Holzfaser
fast analog erwies. Ausgewaschen und getroknet ließ sich der
Ruͤkstand zwischen den Fingern wie Mehl zerreiben. Diese
Erscheinung der Zerstoͤrung des Strohes durch kaustisch
alkalische Lauge, begruͤndet den Schluß, daß der Bast des Strohes
in derselben groͤßern Theils aufgeloͤst, und nach
Ausziehung der faͤrbbaren Materie, die Holzfaser in ihrem
Zusammenhange aufgehoben wird. A. d. Verf..
Zweite Methode.
Die zweite Methode, das Stroh in den alkalischen Laugen zu behandeln, besteht
darin, daß statt dem Einweichen das Stroh in den drei angegebenen Laugen
jedesmal 2 Stunden langsam gekocht wird. Dieses Verfahren ist bei geringen
Strohsorten, die gewoͤhnlich mehr Faͤrbestoff als die feinen
enthalten, zu empfehlen, wobei jedoch darauf zu sehen ist, daß durch das
Kochen das Stroh nicht durcheinander geworfen, umgebogen noch abgebrochen
werde. Um diesem Uebelstande bei feinen Strohsorten zu begegnen, ziehe ich
die erste Methode der zweiten vor. Um geringes Stroh nach der ersten Methode
zu behandeln,
werden bald eine bald zwei schwache alkalische Aufguͤsse mehr
erfoderlich.
C) Dritte Operation. Behandlung im Chlorinbade.
Der Bequemlichkeit und Wohlfeilheit wegen ziehe ich die
Chlorinkalk-Aufloͤsung in welcher freie Chlorine vorwaltet, den andern
Verbindungen vor. Chlorine an Wasser gebunden bietet zwar ein treffliches Mittel
fuͤr die Entfaͤrbung dar; allein ihr Geruch ist fuͤr die
Arbeiter schaͤdlich, welches mich veranlaßte, ihren Gebrauch
aufzugeben.
Das zu bleichende Stroh schichte ich in flache hoͤlzerne Wannen der
Laͤnge nach ein, bringe uͤber die Quere derselben hoͤlzerne
Staͤbchen, um das Stroh in der Fluͤßigkeit untergetaucht zu
halten. Die klare Chlorinkalk-Aufloͤsung in derselben Staͤrke wie
bei'm Bleichen der Leinwand wird mit gleichen Theilen Wasser verschwaͤcht
auf das Stroh gebracht, und so lange uͤber demselben gelassen, bis die
bleichende Wirkung entkraͤftet ist, welches gewoͤhnlich in 24
Stunden erfolgt. Durch den unten an der Wanne angebrachten Spunt lasse ich die
Fluͤßigkeit ablaufen, und das Ganze durch frisches Bleichwasser ersezen.
In beiden Baͤdern bleibt das Stroh 24 Stunden lang offen liegen, wird
sodann herausgenommen, sorgfaͤltig gewaschen, und fuͤr das
schweflichtsaure Bad vorgerichtet.
Bei dieser Operation zerstoͤrt die Chlorine einen großen Theil des
Faͤrbestoffs; das Stroh naͤhert sich in seiner Farbe einer weißen,
in hell nanking schillernden, Pflanzenfaser.
D) Vierte Operation. Behandlung in der schweflichten Saͤure.
Hiezu bediene ich mich einer langen Wanne, die von Oben nach Unten gegen den
Boden spizig zulaͤuft, und unten mit einem Spunt versehen ist. In diese
Wanne wird, so hoch das Stroh loker eingelegt ist, ein durchloͤcherter
Dekel von Holz fest eingesezt, um zu verhindern, daß die Fluͤßigkeit das
Stroh in die Hoͤhe hebt. Wenn das Stroh eingeschichtet, und der Dekel
befestigt ist, dann wird mit Wasser verduͤnnte liquide schweflige
Saͤure so eingegossen, daß die Fluͤßigkeit in gleichem Niveau mit
dem durchloͤcherten Dekel steht. Ein zweiter moͤglichst
luftdichter Dekel dient dazu, die Wanne zu schließen, damit die schweflichte
Saͤure nicht in Gasgestalt entweichen kann. Nach Verlauf von 24 Stunden,
oͤffne ich den Dekel, um durch den Geruch die Bleichwirkung der
schweflichten Saͤure zu pruͤfen. Hat sich der Geruch derselben
stark vermindert, so ist es ein Zeichen, daß auf Rechnung des Bleichens ein
großer Theil der Saͤure in Schwefelsaͤure umgeaͤndert, und
ihre Bleichkraft in demselben Verhaͤltniß verloren hat. Die
Fluͤßigkeit wird nun abgelassen, das Stroh heraus genommen, gut
ausgewaschen, und auf dieselbe Weise noch einmal der Einwirkung schweflichter
Saͤure ausgesezt. Nach Verlauf von 36 Stunden lasse man die
entkraͤftete Fluͤßigkeit ablaufen, nehme das gebleichte Stroh
heraus, wasche es aus, und schreite zur fuͤnften OperationDie Wirkung der schweflichten Saͤure auf das Stroh gruͤndet
sich auf Entziehung von Sauerstoff, durch dessen Aufnahme die
schweflichte Saͤure in Schwefelsaͤure verwandelt, und das
Stroh in seiner Farbe weißer erscheint. Ich ziehe die Behandlung mit
liquider schweflichter Saͤure jener mittelst schweflicht sauren
Daͤmpfen vor, weil das Stroh durch erstere gleichmaͤßiger
entfaͤrbt, und dadurch eine bessere Elasticitaͤt herbei
gefuͤhrt wird. Die sauren schweflichtsauren Verbindungen bewirken
dasselbe, kommen aber im Preise hoͤher zu stehen. A. d. V..
E) Fuͤnfte Operation. Verschwaͤchtes Chlorinkalkbad.
Dieses wird wie bei der dritten Operation 24 Stunden hindurch gegeben. Man wendet
das Bad in einem mit mehr Wasser verschwaͤchtem Zustande an, so daß die doppelte
Quantitaͤt Wasser hinzugegeben wird. Die chlorinirte Waare wird vor der
sechsten Behandlung gut ausgewaschen.
F) Sechste Operation. Schwefelsaures Bad.
In einer aͤhnlichen Wanne wie die vorige, wird das Stroh, eingeschichtet,
und das schwefelsaure Wasser so verschwaͤcht hinzugegeben, als man es
gewoͤhnlich in der Baumwollen- und Leinenbleiche (polyt. Journal B. 8. S. 74.) anzuwenden pflegt. Das
Stroh, welches 24 Stunden darin liegen blieb, wird heraus genommen, durch
Waschen in Wasser von dem anhaͤngenden Sauerwasser befreit, und zur
siebenten Operation geschritten.
Die bleichende Wirkung der mit vielem Wasser verschwaͤchten
Schwefelsaͤure auf die Pflanzenfaser haben wir fruͤher bei dem
Bleichen der Leinwand kennen gelernt. Auch bei dem Stroh, leistet sie
wesentliche Dienste.
G) Siebente Operation. Verschwaͤchtes schweflichtsaures Bad.
Man gibt die siebente und lezte Operation durch die mit dem doppelten Gewichte
Wasser verschwaͤchte schweflichte Saͤure in dem Apparate der
vierten Behandlung 36 Stunden hindurch, wascht das Stroh hoͤchst
sorgfaͤltig aus, und troknet es, wo moͤglich, an der Sonne. Es
erscheint jezt vollkommen weiß, und zeichnet sich durch folgende Kennzeichen
insbesondere aus.
a) Es besizt ein weißes,
glaͤnzendes, atlasartiges Ansehen;
b) ist so geschmeidig, daß man es
ohne Zerkniken im feuchten so wohl als selbst im trokenen Zustande wie ein
Band um den Finger wikeln kann;
c) die Eigenschaft der
Elasticitaͤt zeichnet sich vor jedem Stroh, das durch andere
Bleichverfahren weiß gemacht ist, auffallend aus;
d) es wird durch Einwirkung der Luft
nicht wieder gelb;
e) laͤßt sich in
angefeuchtetem Zustande zu den zartesten Haarfaͤden, oder so fein wie
Seide spalten, und laͤßt sich so zu den allerkostbarsten Geflechten
und Geweben der Luxus-Gegenstaͤnde verarbeiten; endlich
f) ist die natuͤrliche
Sproͤdigkeit des Strohes ganz aufgehoben, so zwar, daß man den
feinsten Haarfaden ohne das Brechen befuͤrchten zu duͤrfen,
wikeln und spulen kann.
Durch dieses Bleichverfahren wird der natuͤrliche Firniß und der
Faͤrbestoff, welche das Stroh im rohen Zustande sproͤde und
bruͤchig machen, ganz hinweggeschaft. Die Bast- und Holzfaser bleiben im
weiß gebleichten Zustande zuruͤk, und das Stroh laͤßt sich, wenn
es von guter Beschaffenheit war, zu den allerfeinsten Stroh-Fabrikaten
verarbeiten. Bei ganz feinen Arbeiten, als fertige
Stroh-Manufactur-Gegenstaͤnde, wird es hin und wieder noͤthig, den
durch das Spalten, Flechten und Verarbeiten hinzugebrachten Schweiß und andere
anhaͤngende Unreinigkeiten wegzuschaffen, um den Gegenstand in seiner
hoͤchstmoͤglichsten Weiße zu erhalten. Dieses geschieht dadurch,
daß man die Arbeiten in einer voͤllig hellen alkalischen
Fluͤßigkeit (1 Theil Pottasche in 300 Theilen Wasser geloͤst) 24
Stunden lang sorgfaͤltig einweicht, in Wasser rein abwascht, und noch
einmal in schweflichtsaurem Gast schwefelt.
Um Strohpapier weiß zu erhalten, muß das Stroh zuvor gebleicht werden, ehe man es
der Papier-Fabrikation unterzieht.
Geringe im Preise wohlfeile Strohwaaren, koͤnnen nicht mit jener Sorgfalt
behandelt werden, weil der Bleichproceß zu kostspielig, und uͤberhaupt
dergleichen Stroh-Manufactur-Gegenstaͤnde nie ganz weiß in den Handel
gebracht werden. Bis jezt begnuͤgte man sich gewoͤhnlich damit,
das Stroh mit Wasser zu kochen, und ein- oder auch zweimal der Einwirkung
schweflichtsaurer Daͤmpfe auszusezen.
Weißer als bisher und eben so wohlfeil lassen sich dergleichen Strohwaaren
erhalten, wenn man sie nach den vorgeschriebenen Wasserbaͤdern mit
schwachen alkalischen Laugen langsam kochen laͤßt, und abwechslungsweise
in die durch feines Stroh schon benuzten Chlorinkalk- und liquide
schweflichtsaure Baͤder bringt, welche ohnehin weggeworfen werden. Durch
ein solches Verfahren werden die Bleichmaterial-Kosten nicht erhoͤht,
weil die wenige Pottasche, welche hiezu gebraucht wird, den Schwefel aufwiegt,
der fruͤher angewendet wurde. Die vermehrte Arbeitskosten ersezen sich
reichlich durch das vollstaͤndigere Bleichen. – Ganz
ordinaͤre Strohwaaren werden gar nicht gebleicht.
Das beßte Stroh fuͤr die feinsten Strohgeflechte, liefert der
Sommer-Weizen, auf diesen folgt Winter-Weizen, dann Spelz- und Haberstroh.
Roggen- und Gerstenstroh kann nur zu groben Gestechten gebraucht werden.
Alle diese Strohgattungen lassen sich aber sehr veredelt ziehen, wenn bei ihrem
Anbau bloß das Stroh beruͤksichtigt wirdWenn das Stroh eingeerndet, die Aehren abgeschnitten und getroknet
werden, lassen sich die Getreidearten auf feines Mehl verarbeiten, das
fuͤr Bakwerke insbesondere gebraucht werden kann. A. d. Verf.. Es muß kurz vor dem Reifwerden eingeerndet werden, weil das Reifwerden
alle Strohgattungen mehr bruͤchig macht.
Sommer-Weizen, welcher auf einem trokenen Aker duͤnne gesaͤt, und
nach obiger Vorschrift eingeerndet wurde, liefert auf deutschem Boden ein Stroh,
das, nach unserer Methode gebleicht, dem beßten italiaͤnischen Stroh
fuͤr ganz feine Geflechte an die Seite gestellt werden kann.
Da das rohe Stroh durch sorgfaͤltige Cultur in unserem Vaterlande ein eben
so brauchbares Naturprodukt wie in Italien und anderen Staaten liefert, wenn es
mit Sachkenntniß gepflanzt und gepflegt wird, so verdient dieser
landwirtschaftliche und zugleich industrielle Gegenstand die wichtigste
Beherzigung. – Werfen wir einen Blik auf die große Summe, welche
jaͤhrlich nach Italien und andere Laͤnder fuͤr
Stroharbeiten aus Suͤd- und Nord-Deutschland wandern, die nie
wiederkehren, wo haͤufig einzelne Damenhuͤte mit 100 bis 500
Gulden bezahlt werden, so wird die Wichtigkeit dieses Gegenstandes uns
anschaulich vor Augen liegen. Wollen wir Deutsche bei dem
uns natuͤrlich angeborenen Fleiße dem Auslande stets zinsbar
bleiben?!!
Die Strohmanufacte jeder Art, lassen sich bei verbesserter Einrichtung,
Vervollkommnung und Vervielfaͤltigung bei einer frohen Aussicht, daß die
Stroharbeiten taͤglich gesuchter, und als Huͤte im Sommer ihrer
Leichtigkeit wegen unentbehrlicher geworden, zu einem aͤußerst wichtigen
Industriezweig des Vaterlandes erheben. Ihr Aufbluͤhen und der Flor
derselben greift in die große Kette der Nationaloͤkonomie ein, und erhoͤht den Nationalwohlstand.
Viele geschaͤftslose arme Menschen, Greise, gebrechliche Maͤnner
und Frauen, Kinder der zartesten Jugend, koͤnnen durch diesen
Industriezweig Sommer und Winter hindurch beschaͤftigt werden, und ihren
Unterhalt redlich erwerben. Die Baumwollen- und Schafwollen-Spinnerei durch
Maschinen, hat ohnehin viele thaͤtige Haͤnde verwaist, wovon ein
großer Theil durch Stroharbeit neue und nuͤzliche Beschaͤftigung
erhalten kann.
Darstellung der liquiden schweflichten Saͤure zum Bleichen des Strohes.
In einem großen glaͤsernen Ballon von der Form derjenigen, worin
gewoͤhnlich die franzoͤsische Schwefelsaͤure versendet wird,
werden 8 Pfund trokne Saͤgespaͤne gebracht, derselbe in ein geeignetes
Sandbad gesezt; durch eine krumgebogene Glasroͤhre, welche in den
Entwikelungsballon nur bis in die Mitte des Halses reicht, nach Art des Woulf'schen
Apparates, mit einem aͤhnlichen Vorlage-Ballon in welchem die
Glasroͤhre bis ungefaͤhr, 2 Zoll von dem Boden entfernt geht, in
Verbindung gebracht, und nachdem noch 3 aͤhnliche Ballons auf dieselbe Weise
durch aͤhnliche Glasroͤhren neben einander daran gefuͤgt
wurden, wird in den Entwikelungsballon ein Eingußrohr, welches fast bis auf den
Boden reicht, senkrecht eingesezt, und der Hals des Ballons gut verkittet. Die 3
ersten Vorlagen werden bis 3 Zoll unter dem Hals mit Wasser gefuͤllt, und
ebenfalls luftdicht verkittet. Der vierte erhaͤlt nur die Haͤlfte
Wasser, und bleibt offen um dem kohlensauren Gase Ausgang zu verschaffen und die
Spannung auf den Entwikelungs-Ballon zu verhindern. Nachdem der Kitt
ungefaͤhr eine Stunde angezogen hat, wird das Eingußrohr etwas gelokert, und
24 Pfund rauchende Schwefelsaͤure (sogenanntes saͤchsisches
Vitrioloͤl) durch dasselbe eingegossen; das Eingußrohr schnell
herausgenommen, ein mit weichem Kitt beschlagener Kork eingestekt, und der
Ballonhals, soweit er mit Kitt beschlagen ist, mit nasser Blase und Bindfaden
umwunden, und so luftdicht verschlossen.
Schon bei'm Eingießen der Schwefelsaͤure entwikelt sich schweflichte
Saͤure in Menge, die man an den uͤbergehenden Daͤmpfen und der
Bewegung in der Vorlage bemerken kann. In diesem Zustande laͤßt man die
Entwikelung einige Zeit ihren Gang nehmen, und unterstuͤzt dieselbe nachher durch
angebrachtes Feuer, daß die Masse im Ballon zum gelinden Sieden kommt. Wenn keine
schweflichte Saͤure mehr uͤbergeht, welches man am Aufhoͤren
der Bewegung in der Vorlage erkennt, wird der
Entwikelungs-Apparat geoͤffnet, damit die schweflichte Saͤure der
ersten Vorlage nicht in den Entwikelungsballon zuruͤk tritt.
Bei der Operation der Darstellung dieser schweflichten Saͤure, sezt die
Schwefelsaͤure einen Theil Sauerstoffes an die Holz-Spaͤne ab, welche
verkohlt werden. Es entwikeln sich Kohlensaͤure und Wasserstoffgas, welche in
die Vorlage uͤbergehen, durch die schweflichte Saͤure aber wieder
ausgetrieben werden. Die schweflichte Saͤure entweicht unter Gasgestalt,
tritt durch die Entwikelungs-Roͤhren in das Wasser und verbindet sich damit
zur liquiden schweflichten Saͤure. Ist das Wasser in der ersten Vorlage damit
gesaͤttigt, so saͤttigt sich der zweite, zulezt der dritte Ballon, und
der Rest verbindet sich mit dem Wasser der lezten Vorlage, durch welche die
Kohlensaͤure und das Wasserstoffgas entweichenWenn der vierte offene Ballon mit schwacher alkalischer Lauge oder Kalkmilch
statt mit Wasser beschikt wird, so entweicht gar keine schweflichte
Saͤure, im Fall das Quantum der Holzspaͤne und der
Schwefelsaͤure im Entwikelungsballon vermehrt wird, weil das
alkalische Salz und der Kalk ein staͤrkeres Bindungsvermoͤgen
besizen. Mit liquider schweflichter Saͤure diese Fluͤssigkeit
nach beendigter Operation uͤbersezt, werden saure schweflichtsaure
Salzaufloͤsungen gewonnen, die zum Bleichen verwendet werden
koͤnnen. A. d. Verf..
Da das Wasser in niederer Temperatur faͤhig ist, die schweflichte
Saͤure reichlicher aufzunehmen, als in einer hoͤheren, so ist es
rathsam, das Wasser so kalt als moͤglich anzuwenden, und im Sommer den Ort wo
die Bereitung geschieht, vor dem Zutritt der Sonne zu bewahren.
Nach gut vollendeter Arbeit, kann die erhaltene liquide schweflichte Saͤure
noch mit der Haͤlfte ihres Gewichtes Wasser, zur Anwendung, verduͤnnt
werden, wodurch 220 bis 230 Maß Bleichfluͤssigkeit (die Maß zu 2 Pfund)
erhalten wird.
Die hier angegebene Bearbeitungsart der schweflichten Saͤure zur technischen
Nuzanwendung im Großen, ist eine der vortheilhaftesten, die wir kennenDie schweflichte Saͤure chemisch rein zu bereiten, bedient man sich
anderer Zersezungsmittel fuͤr die Schwefelsaͤure; als Silber
Kupfer und besonders Queksilber. Alle organische Substanzen, welche der
Schwefelsaͤure Sauerstoff entziehen, sind zur Darstellung dieser
Saͤure geeignet. Brauner Zuker liefert mit derselben die
groͤßte Menge. A. d. Verf..
Die sauren schweflichtsauren Salze werden eben so bereitet. Statt Wasser Kalilauge
vorgeschlagen, erhaͤlt man saures schweflichtsaures Kali, mit der Soda saures
schweflichtsaures Natron und mit der Kalkmilch sauren schweflichtsauren KalkUeber die schweflichte Saͤure und schweflichtsauren Verbindungen,
empfehle ich den Lesern „Ueber Fabrikation der schweflichten
Saͤure in Frankreich und den Gebrauch derselben im 9.
Bande“ dieses Journals S. 343–347; einen
hoͤchst gediegenen Aufsaz aus dem Dictionaire
Technologique, nachzulesen. A. d. Verf..