Titel: | Bemerkungen, als Antwort auf den (vorstehenden) Aufsaz des Hrn. Berthier, Ingénieur en chef des Mines, über die Theorie des Mörtels. Von Hrn. Vicat, Ingénieur des Ponts et Chausées. |
Fundstelle: | Band 11, Jahrgang 1823, Nr. LVI., S. 363 |
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LVI.
Bemerkungen, als Antwort auf den (vorstehenden)
Aufsaz des Hrn. Berthier,
Ingénieur en chef des Mines, über die Theorie des Mörtels. Von Hrn. Vicat, Ingénieur des
Ponts et Chausées.
Aus den Annales de Chimie. Mai 1823. S.
69.
Vicat's Bemerkungen über Berthier's Theorie des
Mörtels.
Eine zufaͤllige Verspaͤtung in Erneuerung meines
Abonnement auf die Annales de Chimie beraubte mich des
Vergnuͤgens, den interessanten Aufsaz des Hrn. Berthier uͤber den fetten Kalk, die hydraulischen Kalke und den
Moͤrtel fruͤher kennen zu lernen.
Das Detail, bis zu welchem dieser gelehrte Chemiker herabsteigt, der
gutmuͤthige und unpartheische Ton, mit welchem er Meinungen abwiegt, erlauben
mir den lebhaften Wunsch, daß er mir bei Besiegung jener Zweifel beistehen
moͤchte, welche noch uͤber eine Theorie walten, die, bei dem
gegenwaͤrtigen Zustande unserer Kenntnisse, nicht mehr laͤnger
zweifelhaft bleiben darf.
Es sind bereits 5 Jahre, daß ich meine ersten Untersuchungen uͤber diesen
Gegenstand bekannt gemacht habe Sie befinden sich in diesem Journal Bd. 4. S. 230. u. f. D. und seit dieser Zeit war ich stets beflissen, dieselben zu erweitern, und
die Reihe von Thatsachen zu vergroͤßern. Ich beeile mich zu erklaͤren,
daß sie die Erfahrungen des Hrn. Berthier uͤber das Verhalten der Kieselerde,
Thonerde, und des mit Kreide gebrannten Eisen- und Braunstein – Oxides
auf das Genaueste bestaͤtigen. Ich habe uͤberdieß schon (bereits in
meinem Mémoire. S 5) nach vielfaͤltigen
Versuchen bemerkt, daß Eisen und Braunstein bei hydraulischen Kalken nicht durchaus
nothwendig sind.
Hr. Berthier schließt seinen Aufsaz mit einigen kritischen
Bemerkungen uͤber die Erklaͤrung, welche ich uͤber die
Erhaͤrtung der Steinmoͤrtel (bétons) und der Moͤrtel uͤberhaupt zu geben versuchte.
Ich gestehe, daß meine Ideen nicht uͤber allen Einwurf erhaben sind, muß aber
auch bekennen, daß Hr. Berthier sich taͤuschte,
wenn er behauptete, daß ich dieselben auf keine Thatsache stuͤzte. Ich will
nur in Kuͤrze an diejenigen Thatsachen erinnern, die sie zu rechtfertigen
scheinen, und diesen noch diejenigen neueren Facta anreihen, die ich zeither
gesammelt habe:
1tens. Gips hat gar nichts Aezendes; man kann ihn ohne allen Nachtheil mit den
Haͤnden bearbeiten; er haͤngt nur durch Ansezung seiner Theile an den
Koͤrpern; auf welche er aufgetragen wird, und aͤußert auf dieselben
gar keine chemische Wirkung.
2tens. Eben dieß gilt auch vom Thone, der sich uͤbrigens physisch vom Gipse
dadurch unterscheidet, daß er sich bei seinem Erhaͤrten zusammenzieht, waͤhrend der Gips
waͤhrend desselben mehr oder minder am Umfange zunimmt.
3tens. Nimmt man diese beiden Stoffe als Bindungs-Mittel (gangue) und sezt denselben. Sand oder feines
Geroͤlle in verschiedenen Mengen zu, so wird der Widerstand (die Festigkeit)
dieses Aggregates im Verhaͤltnisse der Menge des ihnen beigemengten Zusazes
abnehmen.
4tens. Ein sehr fetter, d.h., sehr reiner Kalk wird dasselbe Resultat geben:
geloͤschter Kalk (hydrate de chaux) kann, ohne
Zusaz, eine mittlere Festigkeit von 3800 erhalten, waͤhrend diese, nachdem
man dem Kalke Sand zugesezt hat, unter den guͤnstigsten Umstaͤnden
hoͤchstens nur bis auf 2000 steigen kann.
5tens. Ein guter hydraulischer Kalk verhaͤlt sich aber ganz anders: wenn man
ihn fuͤr sich allein geloͤscht (als Hydrat), anwendet, und allen
Einfluͤssen der Witterung aussezt, erreicht er eine mittlere Festigkeit von
2000; mengt man ihn aber mit Sand, so kann er, unter denselben Umstaͤnde und
in dem guͤnstigsten Verhaͤltnisse, eine Festigkeit von 7700
erreichen.
6tens. Ein hydraulischer Kalk, der fuͤr sich allein und geloͤscht unter
frischer Erde angewendet wird, erreicht daselbst eine mittlere Festigkeit von 4000;
mit Sand gemengt kann er unter gleichen Umstaͤnden und unter den
guͤnstigsten Verhaͤltnissen eine Festigkeit von 5300 erreichen.
7tens. Ein fetter Kalk, welcher unmittelbar nach dem Loͤschen angewendet wird,
wo er noch so viel moͤglich seine ganze Aezkraft besizt, wird mit dem Sande
einen Moͤrtel bilden, der hoͤchstens eine Festigkeit von 1500 zeigen
wird. Derselbe Kalk aber wird, wenn er ein Jahr lang unter einem Dache der Luft
ausgesezt liegt, und sich nach und nach von selbst loͤscht, unter gleichen
Umstaͤnden einen Moͤrtel liefern, dessen Festigkeit bis 2700
steigt.
8tens. Die so eben unter 4, 5, 6, 7 angefuͤhrten Thatsachen haben gleichfalls
bei Kalk- und Quarz-Sand Statt.
9tens. Grober Sand bildet mit fettem Kalke einen besseren Moͤrtel als feiner
Sand: lezterer ist bei hydraulischem Kalke besser.
10tens. Die natuͤrliche Puzzolane und der leicht gebrannte Thon verhaͤlt sich mit
dem fetten Kalke auf eine vollkommen aͤhnliche Weise.
11tens. Gemenge aus fettem Kalke und Puzzolane erhaͤrten desto schneller unter
Wasser, je hoͤher die Temperatur des lezteren ist.
12tens. Das Wasser greift diese Mischungen nie an, wenn sie in gehoͤrigen
Verhaͤltnissen bereitet wurden: im entgegengesezten Falle aber
beschraͤnkt es sich darauf, den uͤberschuͤssigen, darin
enthaltenen Kalk aufzuloͤsen, und laͤßt den Sand ganz rein
zuruͤk, wenn es sanft uͤber einen gewoͤhnlichen, aus fettem
Kalke bereiteten, Moͤrtel hinfließt, der ganz frisch in dasselbe versenkt
wurde.
13tens. Der Stein- oder Grund-Moͤrtel aus fettem Kalke und aus
einer sehr guten Puzzolane nimmt am Umfange zu, waͤhrend er erhaͤrtet,
wenn er anders sorgfaͤltig angeruͤhrt wurde. Diese
Vergroͤßerung des Umfanges zeigt sich oͤfters durch das Bersten der
Gefaͤße, in welche man den Grundmoͤrtel (béton) geschuͤttet hat.
14tens. Die Puzzolane wirkt gleich kraͤftig, sey es, daß man sie in trokenem
oder bis zur Saͤttigung angefeuchteten Pulver anwendet.
15tens. Der durch Eintauchung geloͤschte Kalk (wodurch uͤberhaupt die
Erhaͤrtung hydraulischer Moͤrtel durch die absorbirende Kraft
desselben beschleunigt wird) fuͤhrt, wenn man ihn auch mit der trefflichsten
Puzzolane mengt, nicht auf jenen Grad von Haͤrte, wenn man nicht
vorlaͤufig die Zertheilung durch die gewoͤhnliche Loͤschung
vervollkommnet hat.
16tens. Hydraulische Puzzolan-Moͤrtel erhaͤrten langsam. Man
bemerkt, daß sie vom zweiten zum dritten Jahre hierin kraͤftiger
fortschreiten, als vom ersten zum zweiten. Durch Analyse derselben erhaͤlt
man nichts, als eine weit geringere Menge Kohlensaͤure, als zur
Saͤttigung des Kalkes, den sie enthalten, nothwendig ist.
Mein Nachdenken uͤber diese durch zehnjaͤhrige ununterbrochene
Erfahrungen erwiesene, Thatsachen leitete mich zu jenem ersten Schlusse, dessen
Richtigkeit man nicht bestreiten wird: daß die Kraft, welche den hydraulischen Kalk
mit den mit ihm gemengten quarzigen oder talkartigen Theilchen verbindet,
groͤßer ist als
die Kraft, mit welcher die Theilchen dieses Kalkes selbst unter sich
zusammenhaͤngen; und ich gestehe aufrichtig, daß es mir immer
unmoͤglich schien, dieses Phaͤnomen anders als durch die Kraft der
chemischen Wahlverwandtschaft zu erklaͤren. Hr. Berthier durchhaut diese Frage und sagt: „Dieses
Phaͤnomen darf uns nicht befremden. Sieht man nicht, daß angestrichene
Farbe und Firniß an dem Holze, der Leim an den meisten Koͤrpern, das Gold
an dem Email etc. mit solcher Staͤrke anhaͤngt, daß man, mit
chemischen Mitteln, dieselbe nicht zu uͤberwaͤltigen vermag? Und
ist es nicht offenbar, daß, in allen diesen Faͤllen, keine chemische
Verbindung Statt hat, indem, wenn man die Farbe, den Leim etc. zerstoͤrt,
und wegnimmt, der Koͤrper, auf welchem sie auflag, nicht die mindeste
Veraͤnderung erlitt, daß er sogar, wenn er polirt war; noch seinen ganzen
Glanz behielt?“
Ich sagte in meinem Memoire S. 73. „Die Veraͤnderungen (sie
moͤgen worin immer bestehen), welche die Einwirkung des Feuers an den
Verhaͤltnissen der mit dem reinen Kalke gemengten Kiesel- und
Thonerde hervorzubringen vermag, geben der daraus hervorgehenden Mischung die
Faͤhigkeit, durch Einwirkung des Wassers, chemisch auf die neuen im
Zustande des Quarzes sich befindenden kieselartigen Stoffe zu
wirken.“
Es ist moͤglich, daß ich mich anderswo auch des Ausdrukes chemische Verbindung
(combinaison) bediente; es kam mir aber dabei
niemals in den Sinn zu behaupten, daß das Resultat dieser Verbindung (combinaison) eine Veraͤnderung, ein Angreifen der
Politur, oder ein bemerkbares Anfressen der Oberflaͤche des Quarzes seyn
muͤßte. So deutlich ausgezeichnete Wirkungen sind nicht eine nothwendige
Folge der Molecular-Anziehung. Diese kann mit großer Kraft bei unendlich
kleinen Abstaͤnden so zu sagen oberflaͤchlich wirken, waͤhrend
eine Beiziehung der Poren, Unebenheiten etc. bei Erklaͤrung der angegebenen
Phaͤnomene nicht einen Augenblik Stich haͤlt. Ich will mich
hieruͤber noch deutlicher erklaͤren. Es seyen zwei Koͤrper, A und B, nach einer
Flaͤche S, bloß durch rein physische
Adhaͤsion unter einander verbunden; so entsteht diese Adhaͤsion
offenbar nur durch ein Eingreifen der Unebenheiten oder durch ein in einander
Schlingen der Fasern etc. Wenn man sich nun denkt, daß jede Unebenheit oder Faser
des Koͤrpers A durch einen Porus oder durch eine
Faser des Koͤrpers B, als durch eine kleine
Kraft, angehalten wird, so wird die gesammte Adhaͤsion der Summe dieser
Kraͤfte gleich seyn. Nun moͤgen aber dieser Unebenheiten noch so viele
seyn, so ist es offenbar, daß sie auf der Anhaͤngungs-Flaͤche
S nie zahlreich genug seyn koͤnnen, um der
Summe der derselben anliegenden Kraͤfte, die uͤber einen gleichen
Durchschnitt S des Koͤrpers A vertheilt sind, gleich zu werden. Wenn also der
Koͤrper A vollkommen homogen ist, und an den
Theilen dieses Koͤrpers, die mit B in
Beruͤhrung stehen, nichts Außerordentliches vorgegangen ist, so muß
nothwendig, so bald man diese beiden an einander anliegenden Koͤrper von
einander trennen will, die Trennung nach der Flaͤche der Beruͤhrung,
und nicht anderswo, erfolgen. Wenn nun aber im Gegentheile bei gleichem
Durchschnitte die Trennung in A oder B, und nicht in der Richtung der
Beruͤhrungs-Flaͤche erfolgt, so wird man zu dem Schlusse
berechtigt seyn, daß eine fremde Kraft dazwischen gekommen seyn muß, oder daß diese
an dieser Flaͤche anliegenden Theile mehr Dichtheit, mehr Festigkeit bekommen
haben muͤssen, als jene der uͤbrigen Masse, und daß sie folglich
modificirt worden sind. Welchen Namen soll man nun dieser Modification geben, und
welchem Grunde soll man dieselbe zuschreiben? Wenn ich mich taͤuschte, da ich
sie als das Resultat einer Verwandtschaft oder einer starken
Molecular-Attraction betrachtete, so wird man gestehen, daß dieses um so
verzeihlicher ist, als große Physiker keinen Anstand nahmen jener unbekannten Kraft,
welche, nach einiger Zeit, den Widerstand vermehrt, den zwei vollkommen glatte
Koͤrper aͤußern, wenn man sie uͤber einander schieben will,
denselben Namen beizulegen: Sie sind also hierin noch weiter gegangen, als ich. Ich
wuͤnschte, daß Hr. Berthier diese Gruͤnde
wuͤrdigen und untersuchen moͤchte, ob der kleine Streit, der sich
zwischen uns hieruͤber erhoben hat, nicht vielleicht mehr uͤber Worte,
als uͤber die Sache selbst gefuͤhrt wird.
Das angefuͤhrte Beispiel von den Firnissen, Leimen, Oelen, ist, wenn man mir
erlaubt, nach meiner Ansicht weit entfernt, meine Behauptung zu widerlegen. Es
scheint mir, daß wenn das Aufsteigen des Wassers in dem engen Raume zweier an einander liegenden
Glastafeln einer Molecular-Attraktion zuzuschreiben ist, man dieselbe Ursache
bei dem starken Streben des Leimes und der Oele in die Poren der Koͤrper
einzudringen, nicht verkennen kann; sagen, ein Koͤrper ist fett oder klebrig,
ist, wie es mir scheint, eben so viel, als wenn man sagt, seine Molekeln werden von
anderen Koͤrpern sehr leicht angezogen. Wenn ich also meine Schluͤsse
wiederhole, so sage ich vom Gipse, vom Thone und von dem gemeinen Kalke, daß diese
Substanzen nur wenig oder gar keine Verwandtschaft mit dem Quarze besizen, weil sie
mit demselben weniger stark zusammenhaͤngen, als ihre Theile unter sich; und
aus einem ganz entgegengesezten Grunde sage ich von einem ausgezeichneten
hydraulischen Kalte, daß er sich an dem Quarz in Folge der Wirkung eines chemischen
Verbandes anhaͤngt. Wenn man eine Handvoll Gassenkoth oder Thon gegen ein
Bret oder einen Stein wirft, so ist es wohl moͤglich, daß vor oder nach dem
Vertroknen desselben man ehe die Theilchen des Koches oder des Thones von einander,
als von dem Brette und dem Steine weg, bringt; und dieser Umstand beweiset, ich
gestehe es, durchaus nicht fuͤr Verwandtschaft; er beweiset aber, daß dadurch
das Homogene in dem Koche oder Thone beseitigt wurde, und daß die Wirkung des
Schlages darin bestand, daß die der Vereinigungsflaͤche zunaͤchst
gelegenen Theile zusammengedruͤkt, und dadurch dichter und fester anliegend
wurden.
Ich werde noch, uͤberdieß, meinen Proceß verlieren, wenn man es dahin bringt
zu beweisen, daß zwei Koͤrper bloß durch ihre Porositaͤt fester unter
einander verbunden werden koͤnnen, als die eigenen Theile dieser
Koͤrper im natuͤrlichen Zustande nicht unter einander verbunden sind:
da hier alles in dieser Frage physisch ist, so laͤßt es sich berechnen. Es
wird merkwuͤrdig seyn zu sehen, wie man folgende Thatsachen erklaͤren
kann, fuͤr deren genaue Beobachtung ich buͤrgen kann.
Ein ein Jahr altes Prisma von Gips zeigte 6120 Widerstand oder Festigkeit. 100 Theile
dieses Gipses wurden mit 150 Theilen Sand angeruͤhrt, und zeigten unter
gleichen Umstaͤnden, nur 2401.
Ein Prisma hydraulischen Kalkes, geloͤscht, und 14 Monate alt, zeigte 1950
Widerstand. 100 Theile desselben geloͤschten Kalkes, mit 150 Theilen
desselben Sandes gemengt, zeigten, unter gleichen Umstaͤnden, 7009.
Hr. John, dessen Theorie Hrn. Berthier mehr Beifall zu verdienen scheint, als die meinige, hat die
Unthaͤtigkeit des fetten Kalkes auf den Quarz durch einen directen Versuch
erwiesen; allein, seine Schluͤsse in Hinsicht auf Puzzolanen sind eine bloße
Induction, und dieser Induction koͤnnen wir folgende Thatsachen entgegen
stellen, welche nur weitere Entwikelungen derjenigen sind, die bereits unter N. 14,
15 und 16 aufgestellt wurden.
1. Wenn man gepuͤlverten Kalk, gepuͤlverten Quarz, und
Puzzolan-Pulver von gleichem Korne, und beilaͤufig von derselben
Haͤrte, nimmt, und diese drei Pulver durch mehrere Tage Wasser einsaugen
laͤßt, und dieselben sodann in aͤhnlichen Verhaͤltnissen mit
einer gleichen Menge fetten Kalkes mischt, und diese drei Mischungen auf der Stelle
eintaucht, so werden die Grund-Moͤrtel aus gepuͤlvertem Kalke
und Quarze immer weich bleiben, waͤhrend der aus Puzzolan erhaͤrten
wird.
2. Wenn man einem Grund-Moͤrtel an seiner Oberflaͤche einen
Theil seines Kalkes entzieht, so wird diese augenbliklich einen Theil ihrer
Consistenz verlieren; allein nach 5-6 Jahren wird sie sich mit einer leichten
Kruste von kohlensaurem Kalke bedeken, deren langsame Bildung dem kohlensauren Gase
zuzuschreiben ist, mit welchem alle Wasser mehr oder minder geschwaͤngert
sind; und, unter dieser Art von Schild, wird sie Festigkeit gewinnen, und endlich so
hart werden, wie die inneren Theile, auf welche die aufloͤsende Kraft des
Wassers nicht wirken konnte.
Wenn man diese Phaͤnomene durch die Porositaͤt und durch die
absorbirende Kraft der pulverartigen Theile der Puzzolane erklaͤren kann, so
wollen wir gern das Verdammungs-Urtheil uͤber das ergehen lassen, was
wir uͤber die chemische Wirkung dieser Substanzen geaͤußert haben.
Hr. Berthier glaubt nicht, daß gebrannter Thon
Aehnlichkeit mit Puzzolane habe; er hat aber wenigstens in der Weise, in welcher er
auf fetten Kalk wirkt, eine sehr große; und, was die chemische Zusammensezung
betrifft, so ist es gewiß, daß, wenn die vulcanischen Gebirgsarten Pottasche
enthalten, der Thon, so
wie die Natur ihn darbiethet, dieselbe gleichfalls oͤfters enthaͤlt.
Ich habe aber in meinem im Institute am 1ten Februar 1819 vorgelesenen „Recherches sur les pouzzolanes artificielles“ durch directe Versuche erwiesen, daß die Gegenwart der Pottasche oder der Soda
in dem gebrannten Thone keinen merklichen Einfluß auf die Staͤrke derselben
hat: dieselben alcalischen Oxide koͤnnen sich also zufaͤllig in den
vulcanischen Gebirgsarten finden, ohne daß man schließen kann, daß diese wesentlich
von dem kieselsauren Thone verschieden sind.
„Wenn“, sagt Hr. Berthier,
„wirklich eine Verbindung zwischen dem Kalte und dem Thone Statt
haͤtte, wuͤrden die daraus gebildeten Grund-Moͤrtel,
die in dem Wasser erhaͤrten, nicht ihre Haͤrte allmaͤhlich
bei Beruͤhrung der atmosphaͤrischen Luft verlieren; denn man weiß,
daß der roͤmische Moͤrtel, der nichts anderes als eine
aͤhnliche, auf trokenem Wege erhaltene Verbindung ist, bei
Beruͤhrung der Luft, so wie unter Wasser, erhaͤrtet.“
Dieser Einwurf ist, wie ich denke, nicht gegruͤndet, indem Verbindungen auf
dem nassen Wege nicht durch dieselben Kraͤfte entstehen, wie Verbindungen auf
dem trokenen. Es liegt also in der angefuͤhrten Thatsache kein Widerspruch.
Uebrigens wird Niemand laͤugnen, daß die Luft ein Koͤrper ist, welcher
gewisse chemische Verbindungen zerstoͤren kann Ich habe beobachtet, daß die der Luft ausgesezten Grundmoͤrtel desto
schneller und kraͤftiger zerstoͤrt werden, je mehr der, als
Puzzolane angewendete, Thon rein ist. Diese Zerstoͤrung wird auf eine
hoͤchst merkwuͤrdige Weise durch Eisen-Oxid
gemaͤßigt, und dieß ist vielleicht die Ursache, warum sie in Hinsicht
auf den roͤmischen Kitt und den Boulogner Kitt wenig merkbar ist. Ich
habe ferner noch bemerkt, daß der Grundmoͤrtel, der aus hydraulischem
Kalke und aus Sand gebildet und nur der trokenen Luft ausgesezt ist, in
einem Jahre nach seiner Einsenkung so zerreiblich wird, wie Moͤrtel
aus fettem Kalke, waͤhrend eben dieser Moͤrtel, nachdem er auf
dieselbe Weise ein Jahr lang unter frischer und leichter Erde lag, keine
Spur einer Veraͤnderung zeigte. A. d. O. .
Ohne diese Betrachtungen noch weiter zu verfolgen, wollen wir nur noch eine Thatsache
anfuͤhren: man nehme 100 Theile Kiesel-Hydrat, welche man durch
natuͤrliches Vertroknen einer Kiesel-Gallerte erhielt, und menge sie
mit ungefaͤhr 50 Theilen geloͤschten fetten Kalk zu einem etwas festen
Teige, und versenke dieses Gemenge alsogleich. In weniger als zwoͤlf Stunden
wird sich Erhaͤrtung zeigen, und die Verbindung offenbar seyn. Hier kann man
zu keiner Porositaͤt Zuflucht nehmen; die Erhaͤrtung wird solang
dauern, als die Einsenkung und wenn dieses Gemenge einen oder zwei Monate lang der
Luft ausgesezt blieb, so wird es matt und zerreiblich. Eben dasselbe geschieht auf
eine beinahe aͤhnliche Weise, wenn man die Kieselerde noch als Gallerte
anwendet, jedoch etwas dichter als sie unmittelbar nach dem Waschen ist.
Je tiefer man in diesen Gegenstand eindringt, desto unwahrscheinlicher wird die
Theorie der Unebenheiten und der Einsaugung. Wenn ein Ziegel, heiß wie er aus dem
Ofen kommt, sich, wo er eingetaucht wird, in einer Viertel-Stunde vollkommen
traͤnkt: wie viel Zeit wird man den beinahe unmerklichen Theilchen der
Puzzolane hiezu anweisen koͤnnen, die in Kalkbrei versenkt werden? Sie haben
Zeit genug sich hundertmal zu traͤnken, ehe man mit der gehoͤrigen
Genauigkeit die Mischung der Ingredienzen vollenden kann. Was koͤnnen sie
also noch weiteres thun, wenn man dieses Gemenge noch ganz in teigartigem Zustande
versenkt, aus welchem sie bereits kein Atom Wasser mehr einzusaugen
vermoͤgen; und wie kann dieses teigartige Gemenge sich immerfort
waͤhrend drei auf einander folgender Jahre erhaͤrten?
Hr. Berthier fragt, warum der rohe Thon, der
uͤberhaupt mehr zu Verbindungen geneigt ist, als der gebrannte, nicht
dieselben Wirkungen hervorbringt? Ich habe mir sehr oft dieselbe Frage gestellt,
ohne sie beantworten zu koͤnnen. Niemand kann diese Schwierigkeiten besser
loͤsen, als Hr. Berthier, wenn er diese
Muͤhe uͤbernehmen wollte: wir wuͤrden ihm dann die
Erklaͤrung einer nicht minder merkwuͤrdigen Erscheinung, als diejenige
ist, die er uns an der Wirksamkeit der Thonerde, des Eisen-Oxides etc., wenn diese
Koͤrper der Kiesel-Erde bei Bereitung kuͤnstlicher Kalke
zugesezt wird, kennen lehrte, zu verdanken haben.