Titel: | Ueber Räucherungen. Von Hrn. Faraday, F. R. S. etc. |
Fundstelle: | Band 16, Jahrgang 1825, Nr. LXXXI., S. 368 |
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LXXXI.
Ueber Räucherungen. Von Hrn. Faraday, F. R. S.
etc.
Aus dem Quarterly Journal of Science, Literature and the
Arts, im Repertory of Arts, Manufactures and
Agriculture. November 1824, S. 348.
Faraday, über Räucherungen.
Ich wurde vor einigen Monathen zur Leitung und Oberaufsicht
bei der Raͤucherung des allgemeinen Zuchthauses (general Penientiary) zu Millbank eingeladen.
Waͤhrend ich diese Arbeit uͤbernahm, draͤngten sich mir einige
Vorsichts-Maßregeln und Einrichtungen auf, welche, wie ich vermuthete, vielleicht
nicht ohne Nuzen fuͤr diejenigen seyn moͤgen, welche einst
groͤßere oder kleinere Gebaͤude durch Raͤucherung von allein
Anstekungs-Stoffe zu reinigen haben.
Bei der Untersuchung eines Gebaͤudes, welches durch Raͤucherung
gereinigt werden soll, ist es nothwendig die Groͤße der Oberflaͤche,
welche den Anstekungs-Stoffen ausgesezt ist, so wie die Weite des Gebaͤudes
zu berechnen. Wenn die Luft irgend eines Gebaͤudes mit Anstekungsstoff
verunreinigt ist, so wird die Oberflaͤche der Waͤnde etc. in dem
Verhaͤltnisse ihrer Groͤße, in dem Verhaͤltnisse ihrer
groͤßeren oder geringeren Entfernung von der Quelle des Anstekungs-Stoffes,
und gewisser Maßen auch nach Verschiedenheit der Natur desselben, mehr oder minder
von demselben einsaugen.
Der ganze Bau des Strafhaufes war zu einer vollkommenen Raͤucherung geeignet;
denn, obschon es sehr groß ist, so machte doch die Eintheilung desselben in viele
kleinere Raͤume, wie Gaͤnge, Stiegen, Thuͤrme etc., welche
beinahe alle mit Glasfenstern und Thuͤren geschlossen, und von einander
abgeschieden werden konnten, die theilweise Anwendung der nochwendigen Mittel leicht
und bequem.
Nachdem man sich fuͤr Raͤucherung mittelst Chlorine entschieden hatte,
handelte es sich um die vorteilhafteste Methode der Anwendung derselben, und ich
wuͤnschte aus mehreren Gruͤnden vielmehr eine abgemessene und
anhaltende Entwiklung des reinigenden Stoffes, als eine ploͤzliche und
schnell wieder verschwindende. Auf diese lezte Weise wuͤrden die Arbeiter,
obschon das ganze Gebaͤude auf ein Mahl, und wahrscheinlich auch
kraͤftig genug, gefuͤllt geworden seyn wuͤrde, bedeutend
gelitten haben, und die Wirkung wuͤrde bald verschwunden seyn, weil die
uͤbertuͤnchten Waͤnde das Mittel bald eingesogen haben
wuͤrden, und dasselbe durch jene Oeffnungen in den verschiedenen Theilen des
Gebaͤudes, welche durchaus nicht geschlossen werden konnten, entwichen seyn
wuͤrde. Auf die erste Art hingegen, nach welcher das Mittel ununterbrochen
angewendet wird, und dasselbe laͤnger auf die Atmosphaͤre des Hauses
wirkt,
koͤnnen Betten, Kleider, und alles, was in den engen Raͤumen des
Gefaͤngnisses sich befindet, besser davon ergriffen und gereinigt werden, und
das Mittel selbst kann vollkommener in jeden Theil des Hauses eindringen.
Die Materialien, die man anwendete, sind die gewoͤhnlich
gebraͤuchlichen: naͤmlich: Kochsalz, gepuͤlvertes
Braunstein-Oxid und Vitriol-Oehl. Nach den Versuchen, welche ich mit diesen
Materialien, so wie der Lieferant sie zur Raͤucherung schikte, anstellte,
fand ich, daß eine Mischung aus Einem Gewichttheile gemeinen Kochsalzes und
ebensoviel Braunstein-Oxides, auf welche man zwei Theile Vitriol-Oehl, das
vorlaͤufig mit einem Gewichttheile Wasser gemischt und stehen gelassen wurde,
bis es erkaltete, wirken laͤßt, die besten Resultate lieferte. Diese Mischung
entwikelte, bei einer Temperatur von 60° Fahrenh. (+ 12,44 Reaum.), keine
Kochsalzsaͤure; in wenigen Minuten fieng sie an Chlorine zu entbinden, und
dieß dauerte vier Tage lang fort. Als man sie am fuͤnften Tage untersuchte
und Hize auf dieselbe einwirken ließ, um alle Chlorine zu entwikeln: die sie zu
liefern vermag, erhielt man nur mehr eine geringe Menge derselben. Man kann also
annehmen, daß eine solche Mischung die Chlorine, wenn gleich langsam, doch
vollkommen und ohne Anwendung von aͤußerer Hize entwikelt, und daher zur
Raͤucherung im Großen sehr geeignet ist.
Die Gefaͤße, in welchen man diese Mischung macht, muͤssen flach seyn,
und duͤrfen, der Kosten wegen, so wenig als moͤglich von Chlorine oder
von Saͤuren angegriffen werden. Man brauchte zu Millbank die gemeinen rothen
irdenen Schuͤsseln: denn, da man viele solche Geschirre auf ein Mahl
noͤthig hatte, so wuͤrde bessere Toͤpferwaare zu kostbar
geworden seyn. Eine solche Schuͤssel haͤlt ungefaͤhr 4
Quarts.
Vor der Raͤucherung wurde das Salz ausgeschuͤttet, und die
groͤßeren Klumpen wurden mit einem hoͤlzernen Hammel zerschlagen, so
daß die ganze Salzmasse in Pulverform gebraucht werden konnte. Hierauf wurde
ebensoviel Braunstein-Oxid. dem Gewichte nach, dem Salze beigemengt. Die
Saͤure und das Wasser wurden in einer hoͤlzernen Kufe gemengt; das
Wasser ward zuerst hineingeschuͤttet, dann ungefaͤhr die
Haͤlfte Saͤure zugesezt, und fleißig umgeruͤhrt. Nachdem die dadurch
erzeugte Hize sich legte, was in einigen Stunden geschah, wurde die noch
uͤbrige Saͤure zugesezt, wie vorher geruͤhrt, und die ganze
Mischung zum Erkalten hingestellt. Die Arbeiter, die das Wasser mit der
Saͤure zu mengen hatten, hatten den Auftrag, ehe mehr Saͤure als
Wasser zu nehmen: 9 Maße auf 10 waren beinahe die erforderlichen Mengen: indessen
hatten kleine Abweichungen hiervon nichts zu bedeuten. Nun wurden die
Schuͤsseln gefuͤllt, in deren jede ungefaͤhr 3 1/8 Pfund von
obiger Mischung aus Salz und Braunstein gethan wurde, und in gehoͤrigen
Entfernungen in den Gaͤngen vertheilt: Thuͤren und Fenster wurden
vorlaͤufig geschlossen, und alle Oeffnungen, durch welche etwas entweichen
konnte, mit Matten oder Pelzen verhaͤngt, vorzuͤglich die
Schluͤsselloͤcher, durch welche Zug Start hatte. Die verduͤnnte
und kalt gewordene Saͤure wurde in Kannen oder Kruͤge gefuͤllt,
und zu 4 1/2 Pfund auf jede Schuͤssel bemessen, worauf man die Mischung mit
einem Stabe gehoͤrig umruͤhrte, und dann sich selbst uͤberließ.
Diese Arbeit hatte fuͤr denjenigen, der sie zu verrichten hatte, gar keine
Unbequemlichkeit, außer wenn die Saͤure zu warm angewendet wurde. Man hatte
Zeit genug von einer Schuͤssel zur anderen zu gehen, und die verschiedenen
Gaͤnge nach einander zu schließen. Wenn man wenige Minuten, nachdem ein Gang
auf diese Weise behandelt wurde, in denselben trat, so konnte man sich von der
Verbreitung der Chlorine in demselben deutlich uͤberzeugen. Nach einer halben
Stunde war es zuweilen unmoͤglich in einen solchen Gang zu treten, und
haͤufig sah man, wenn man einen solchen (150 Fuß langen) Gang der
Laͤnge nach durchschaute, eine gelbliche Farbe in der Luft desselben. Bis zum
fuͤnften Tage konnte man den Geruch der Chlorine deutlich in dem
Gebaͤude wahrnehmen. Nach dem sechsten Tage wurden die Schuͤsseln
weggenommen, (obschon dieß zuweilen noch seine Schwierigkeiten hatte) um ausgeleert
und anderswo verwendet zu werden: an dem geraͤucherten Orte wurden Fenster
und Thuͤren geoͤffnet.
Man rechnete jede Schuͤssel auf ungefaͤhr 1 Pfund Chlorine-Ertrag, oder
5 1/2 Kubik-Fuß. Die ganze Masse, die man verbrauchte, war 700 Pfund Kochsalz, 700
Pfund Braunstein-Oxid, 1,400 Pfund Vitriol-Oehl. Der Raum, welcher durchgeraͤuchert werden mußte,
betrug 2 Millionen Kubik-Fuß, und die Oberflaͤche der Waͤnde, Deken,
Fußboͤden etc., ohne Betten und Meubel etc., ungefaͤhr 1,200,000
□ Fuß. Diese Oberflaͤche war großen Theils Ziegel und Stein, und
groͤßten Theils mit Kalk uͤbertuͤncht. Es fanden sich hier 72
Gaͤnge zu 150 Fuß Laͤnge, Thuͤrme, Stiegen, eine Kapelle etc.,
die noch ungefaͤhr 13 Gaͤnge betrugen. Die Zahl der Zimmer und Zellen
war beinahe 1200.Die hier gegebenen Gewichts-Maaße zur Chlorin-Entwiklung sind sehr gut
gewaͤhlt, indessen entbindet sich neben der Chlorine doch noch immer
etwas Salzsaͤure, die die Respiration stark belaͤstigt, und
sie kann nur da angewendet werden, wo man die zu reinigenden Gebaͤude
oder Gemaͤcher mehrere Tage entbehren kann. Dagegen ist der
oxidirt-salzsaure Kalk, dessen Bereitung wir in Band III. S. 408 angegeben
haben, ein treffliches Mittel, Wohnungen, ja selbst die Zimmer der Kranken,
ohne daß diese dadurch belaͤstigt werden, mit dem reinsten
oxydirt-salzsauren Gas zu raͤuchern und zu reinigen. Zu diesem Behufe
mengt man kleine Quantitaͤten troknen oxydirt salzsauren Kalk
(Chlorin-Kalk) mit etwas uͤbersaurem schwefelsaurem Kali und
befeuchtet die Mischung mit ein wenig kaltem Wasser, wo sich das reinste
oxydirt-salzsaure Gas nach und nach entwikelt. Statt des uͤbersauren
schwefelsauren Kali kann man auch sehr verduͤnnte
Schwefelsaͤure nehmen: naͤhmlich auf einen Theil oxydirt
salzsauren Kalk einen halben Theil konzentrirte Schwefelsaͤure, die
man vorher mit 5 Theilen Wasser verduͤnnt, und dem oxydirt salzsauren
Kalk nach und nach zusezt. Dieses Mittel wurde zu diesem Behufe von dem
verdienten Apotheker, Ritter von Stahl in
Augsburg zuerst in Anwendung gebracht, und der Medizinal-Rath Wetzler hat hieruͤber eine, aus vielen
Erfahrungen hervorgegangene Drukschrift herausgegeben. Sie fuͤhrt den
Titel: „Ueber den Nuzen und Gebrauch des nach der Vorschritt des
Hrn. Apothekers v. Stahl entwikelten oxydirt
salzsauren Gases zur Reinigung der Luft und in Krankheiten. Augsburg,
des Martin Engelbrecht. 1825. 8. Preis 24 Kreuzer. D.
Es war aus mehreren Gruͤnden hoͤchst wuͤnschenswerth, daß dieses
Haus auf die vollkommenste Weise durchgeraͤuchert wuͤrde, und man hat
daher vielleicht mehr gethan, als noͤthig gewesen waͤre, um alle in
demselben enthaltenen Miasmen zu zerstoͤren. Das Verhaͤltniß der
entwikelten Chlorine zur Groͤße und Oberflaͤche des Hauses kann daher
hier, als fuͤr den aͤußersten Fall hinreichend, erachtet werden; und,
obschon hier das aͤußerste Verhaͤltnis mehr vermuthet als nach Regeln berechnet ist,
so glaube ich doch, daß in jedem anderen gewoͤhnlichen Falle, wo
Raͤucherung noͤthig ist, die Haͤlfte oder ein Viertel dieser
Menge von Chlorine hinreicht.