Titel: | Bericht des Hrn. Francoeur, im Nahmen des Ausschusses der mechanischen Künste, über die ruhende Hemmung oder Cylinder-Hemmung (échappement à cylindre) des Herrn Matthieu, Uhrmachers, rue de la Bourse, zu Paris. |
Fundstelle: | Band 18, Jahrgang 1825, Nr. LII., S. 288 |
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LII.
Bericht des Hrn. Francoeur, im Nahmen des Ausschusses der mechanischen
Kuͤnste, uͤber die ruhende Hemmung oder Cylinder-Hemmung (échappement à cylindre) des Herrn Matthieu, Uhrmachers, rue de la Bourse, zu Paris.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement. N. 253. S. 211.
Francoeur's Bericht uͤber die ruhende Hemmung oder
Cylinder-Hemmung.
Die Triebkraft in einer Uhr theilt ihre Wirkung mittelst eines Raͤderwerkes
einem lezten Rade mit, welches man das Hemmrad (roue d'échappement) nennt; wenn dieses Rad nicht
abwechselnd durch einen Regulator, den man die Unruhe
oder das Pendel nennt (balancier
ou pendule), gehalten und losgelassen wuͤrde, so wuͤrde
dasselbe mit einer außerordentlichen Schnelligkeit umherlaufen, bis endlich die
Triebkraft gaͤnzlich erschoͤpft wird; dieser Regulator ertheilt aber
durch seine Schwingungen, die von gleicher Dauer seyn muͤssen, der Bewegung
dieses Rades eine gewisse Langsamkeit und vorzuͤglich eine gewisse
Gleichfoͤrmigkeit, wodurch die Uhr in den Stand gesezt wird, die verlaufenen
Zeitraͤume zu bemessen.
Die Art, wie dieses Rad und die Unruhe auf einander wirken, ist tausend verschiedener
Formen faͤhig: die gewoͤhnlichste ist diejenige, die unter dem Nahmen
Stangen- und Steigerad-Hemmung (échappement à
verge et à roue de rencontre) bekannt ist: eine bewundernswerthe
Erfindung, indem diese Vorrichtung immerfort thaͤtig bleibt, bis sie endlich
durch den langen Dienst beinahe gaͤnzlich unbrauchbar geworden ist, und so
leicht zu verfertigen ist, daß auch der gemeinste Arbeiter sie ausarbeiten kann. Man
verfertigt sie daher auch in den Uhrfabriken im Großen. Allein, so sinnreich auch
diese Vorrichtung ist, so wird doch das Rad, da bei jeder Schwingung die dadurch
entstehende Bewegung zu sehr ausgedehnt ist, gezwungen von seiner Seite etwas
nachzugeben, wenn der Regulator in seinen urspruͤnglichen Stand
zuruͤkkehrt, und dieses Rad tritt, durch die Unruhe gezwungen, etwas
zuruͤk. Dieser Mechanismus gibt also kein genaues Zeitmaaß, weil hier große
Unregelmaͤßigkeiten unterlaufen. Ohne auf die uͤbrigen Nachtheile
aufmerksam zu machen, welchen er unterliegt, mag es hier genuͤgen, zu
bemerken, daß er bei genauen Uhren nicht anwendbar ist. Unter den sogenannten ruhenden Hemmungen (Echappemens
á repos), die man deswegen so nennt, weil hier kein
Zuruͤkweichen statt hat, ist die Cylinder-Hemmung,
welche Hr. Graham erfand, die gebraͤuchlichste, und entspricht ihrem Zweke am
Vollkommensten.
Eine cylindrische Halbroͤhre ist an der Achse der Unruhe, mit welcher sie
concentrisch ist, befestigt, und sieht beinahe der Haͤlfte einer, der
Laͤnge nach sehr kurz geschnittenen Federspuhle, aͤhnlich. Wenn die
Unruhe sich schwingt, so dreht sie sich mit ihr. Das Hemmrad, das auf eine eigene
Weise gebaut ist, druͤkt mit einem seiner Zaͤhne abwechselnd außen auf
diese Roͤhre, und auf ihren inneren concaven Theil, und bildet zwei
Augenblike von Ruhe, waͤhrend welcher die Unruhe sich schwingt. In dem ersten
Falle waͤhrt der aͤußere Druk so lange, bis der Cylinder seine
Schneide dem Zahne darbietet, oder der, der Form wegen sogenannten, schiefen Flaͤche. Sobald dieser Zahn auf der
Schneide ruht, schiebt er den Cylinder, indem er seinen Rand von dem Mittelpunkte
wegbringt, und auf diese Art der Unruhe wieder jene Kraft ertheilt, die sie durch
die Reibung verloren hat. Unter dem Einflusse der Feder kehrt aber der Cylinder bald
zuruͤk, waͤhrend der Zahn sich in die Hoͤhlung
eindraͤngt, und mit seiner Spize auf die Flaͤche derselben
druͤkt, die dann die zweite Schneide darbietet, auf welche sie, in
entgegengesezter Richtung, einen andern Druk ausuͤbt. Der Zahn tritt dann aus
der Hoͤhlung, waͤhrend eine andere schiefe Flaͤche außen den
Cylinder ergreift, und darauf ruht u.s.f.
Diesen sinnreichen Mechanismus nennt man die ruhende
Hemmung; das Rad, so wie der Cylinder, sind aus Stahl; indessen ist es heute zu Tage
allgemein uͤblich, bei allen guten Uhren den Cylinder aus Rubin zu
verfertigen; der beruͤhmte Bréguet hat
sowohl die Form als die Stellung des Cylinders und des Rades vervollkommnet, und
wenn Bréguets Hemmungen nicht sehr
gebraͤuchlich sind, so kommt es bloß daher, weil sie muͤhsam und
theuer, nicht weil sie mangelhaft sind; denn sie sind durchaus vollkommen.
Hr. Mathieu nimmt die Prioritaͤt einer Erfindung
dieser Art vor den Genfer-Uhrmachern in Anspruch, die seit zwei bis drei Jahren den
Rubin-Cylinder an seinen beiden Enden mittelst Gummi-Lak auf die beiden
Doͤbel (tampons), aufkleben, die hier die Stelle
der Zapfen vertreten. Hr. Matthieu versichert, diese
Vorrichtung schon vor 8 Jahren getroffen zu haben, und beweiset es fuͤr 5
Jahre. Der Preis, den man zu Genf demjenigen Kuͤnstler gab, der der erste in
dieser Stadt diese Vorrichtungen angewendet hat, wurde also bloß einer Nachahmung
ertheilt.
Vor Matthieu wurde der Stein zwischen zwei Doͤbeln
wohl hinlaͤnglich befestigt; diese Doͤbel wurden aber durch eine
Stange, die man Kurbel nannte (manivelle) festgehalten;
gegenwaͤrtig bildet der Stein und die beiden Doͤbel drei verschiedene
Stuͤke. Der Vortheil, den diese Erfindung vor der fruͤheren voraus
hat, die, wie Hr. Mathieu sagt, eine englische Erfindung
seyn soll, besteht darin, daß, wenn man die Bewegungen der Uhr zuweilen
beschleunigt, die schiefen Flaͤchen oͤfters an der Stange anstießen,
wodurch die Maschine und die Gleichfoͤrmigkeit der Bewegungen derselben litt.
Durch Beseitigung der Kurbel wurde auch dieser Nachtheil gehoben, ohne daß die
Festigkeit des ganzen Systems der Uhr dabei leidet. In dieser Hinsicht verdient also
Hr. Mathieu alles Lob von Seiten der Freunde der Kunst, vorausgesezt, daß seine
Erfindung sich durch die Zeit selbst zu erproben vermag. Man muß gestehen, daß seine
Erfindung spaͤter faͤllt, als jene der Hemmungen Bréguet's, bei welchen der Stein in der Luft, und nur an einem
seiner Enden an dem Zapfen angeloͤthet ist, auf welchem er sich dreht, und
der denselben nur durch seine Reibung durchlaͤuft. Die Zaͤhne des
Rades sind dreiekig geformt, so daß nur die Basis dieses Dreiekes den Cylinder oben
ergreift: dadurch bleibt das Oel auf dieser Basis, die der ununterbrochenen Reibung
ausgesezt ist, waͤhrend bei den gewoͤhnlichen schiefen Flaͤchen
das Oel durch eine Art von Haarroͤhrchen-Kraft aufgezogen wird, und nicht auf
diesen Flaͤchen bleibt; es waͤre demnach gut, dich Art von Hemmung vorzugsweise
allgemein einzufuͤhren, wovon aber jezt nicht die Rede ist.
Das Empfehlungswuͤrdigste an Hrn. Mathieu's
Arbeiten ist eine Reihe von Werkzeugen, die sehr sinnreich ausgedacht sind, um fabrikmaͤßig die staͤhlernen Raͤder
und die Cylinder aus Stahl oder Stein zu verfertigen. Man wird fuͤhlen, wie
vortheilhaft es waͤre, in die Fabrik-Uhrmacherei Cylinder-Hemmungen
einfuͤhren zu koͤnnen, die durch die Muͤhe, welche ihre
Verfertigung kostet, so theuer werden muͤssen. Man zahlt einem Arbeiter 40
Franken fuͤr ein Rad und den dazu gehoͤrigen staͤhlernen
Cylinder, uneingerechnet die bei dem Zusammensezen der Uhr noͤthigen
Ausbesserungen. Zwei in den Stein eingetriebene Loͤcher kosten 20 Franken;
Cylinder-Hemmungen aus Stein mit vier Loͤchern kosten 120 Franken. Zu diesen
Ausgaben muß man noch den Zuschuß rechnen, den man billigerweise dem Uhrmacher
lassen muß, der mit Uhren Handel treibt. Man muß also bei dem gegenwaͤrtigen
Stande der Dinge nicht glauben, diesen Mechanismus bei den gemeinen Uhren
einfuͤhren zu koͤnnen.
Mittelst der Werkzeuge des Hrn. Mathieu hat man jedoch
Hoffnung, die Cylinder-Hemmungen auch bei den gemeinen Uhren eingefuͤhrt zu
sehen. Er kann leicht in Einem Tage mit der dazu noͤthigen Vorrichtung fertig
werden. Alle sogenannten Stangen-Uhren (montres á
verge) koͤnnen, um einen niedrigen Preis, eine solche Art von
Hemmung erhalten. Ich ließ ihn, auf diese Weise, eine Uhr zurichten, mit welcher ich
gegenwaͤrtig sehr wohl zufrieden bin. Jeder Uhrmacher kann also eine gute
Hemmung, statt einer schlechten, auf diese Art verfertigen, ohne daß viele Auslagen
dafuͤr noͤthig waͤren.
Wenn Hr. Mathieu aber, statt Eine Hemmung verfertigen zu
muͤssen, mehrere von derselben Groͤße zu machen haͤtte, so
wuͤrde er, da keine Zeit mit dem Wechseln der Werkzeuge verloren geht,
wenigstens vier bis fuͤnf in drei Tagen machen koͤnnen; und
koͤnnte er dieselben im Großen verfertigen, wo ein Arbeiter immer nur eine
Sache zu machen haͤtte, so koͤnnte eine Menge derselben auf ein Mal
verfertigt und um einen sehr niedrigen Preis geliefert werden. Gegenwaͤrtig
werden viele Cylinder-Hemmungen aus Genf eingeschmuggelt, da nichts leichter ist, als
solche beinahe kaum wahrnehmbare Dinge den Argus-Augen der Zoͤllner zu
entziehen.
Ihr seht also, meine gnaͤdigen Herren! daß die Erfindung neuer Vorrichtungen
den doppelten Vortheil gewaͤhrt, der Industrie des Auslandes ihre
Hilfsquellen zu entziehen, und Frankreich zu bereichernDas sehen diejenigen gnaͤdigen Herren Schreiber nicht, die eine
Anordnung um die andere erlassen, um unsere vaterlaͤndische Industrie
zu Grunde zu richten; sie sehen es nicht, auch wenn sie Argus-Augen
haͤtten, denn sie lassen sich dieselben alle mit Genfer Uhren
verrammeln.; die noͤthigen Vorrichtungen zu einer Uhr, die bald allgemein in den
Uhr-Fabriken eingefuͤhrt seyn werden, fabrikmaͤßig zu erzeugen, ist
unentbehrliches Beduͤrfniß, vorzuͤglich in Hinsicht der Hemmung, in
welcher eigentlich der ganze Werth einer Uhr beruht, da alles uͤbrige
ziemlich grob gearbeitet seyn darf, wenn nur die Hemmung gut ist. Hr. Mathieu wird sie im Großen fabriciren, sobald die
Umstaͤnde es ihm gestatten. Seine Werkzeuge vorher beschreiben, will er
nicht, damit nicht andere den Vortheil fruͤher ernten. Ich muß mich darauf
beschranken, sie allen Beifalles werth zu erklaͤren; sie werden ihn sicher
zum Zweke fuͤhren. Bei unseren Uhrmachern bedient sich zwar jeder Arbeiter,
vorzuͤglich in Hinsicht auf Cylinder-Hemmungen, eigener Werkzeuge. Ferd. Berthoud hat hierzu eigene Instrumente erfunden; der
geschikte Hr. Perrelet hat seine eigenen Werkzeuge
hierzu; Hr. Vallet, dessen taubstummen Zoͤgling
die Société belohnte, hat gleichfalls eigene Werkzeuge zu den
Cylinder-Hemmungen ausgedachtWelche in der vorstehenden Abhandlung beschrieben, und auf Tab. IV.
abgebildet sind.; allein, alle diese Instrumente, so sinnreich sie auch sind, taugen,
wenigstens so wie sie jezt sind, nicht im Großen. Ganz anders ist es mit den
Werkzeugen des Hrn. Mathieu: das eine bohrt das
Cylinder-Rad; das andere spaltet es, ein drittes treibt die schiefen Flaͤchen
aus, und vollendet sie; ein viertes polirt sie; ein fuͤnftes schneidet die
Stahl-Cylinder u.s.f.; mit einem Worte, man hat hier ein vollstaͤndiges
System wohlberechneter Werkzeuge. Hr. Mathieu haͤlt seine Erfindung nur
fuͤr einige Zeit uͤber geheim, und ich muß gestehen, daß seine
Werkzeuge von der Art sind, daß jeder geuͤbte Mechaniker sie leicht machen
koͤnnte; indessen wuͤrde es doch vieler vergebener Versuche
beduͤrfen, um so sicher und schnell, wie er, zum Ziele zu gelangen.
Ich wiederhole es: es ist keine Kleinigkeit, um eine gute und wohlfeile Hemmung
fuͤr mittelmaͤßige Uhren. Sie duͤrfen nicht vergessen, meine
Herren, daß es Zeit ist, unsere Uhrmacher auf diese Art von Fabrikaten aufmerksam zu
machen; denn, mit Ausnahme jener schoͤnen Uhren, mit welchen Frankreich immer
den Vorrang behauptet, wird die Uhrmacherei uͤberhaupt beinahe ausschließlich
das Eigenthum des Auslandes, und wir werden in dieser Hinsicht bald sagen
koͤnnen, daß es keine Uhrmacher mehr in Frankreich gibt, wohl aber
Uhrenhaͤndler, die ihre Uhren aus Genf und aus der Schweiz beziehenObschon der Uebersezer kein Franzose ist, muß er doch Herrn Francoeur aufmerksam machen, daß Franzosen, aber
verfolgte und geaͤchtete, Franzosen, es waren, die zu Genf und in der Schweiz (um nach der franzoͤsischen
Geographie zu sprechen), die Uhrmachern gruͤndeten und auf jenen
hohen Grad von Vollkommenheit brachten, den sie gegenwaͤrtig
erreichte. Der ruchlose, der verkehrte, der abscheuliche, Hr. Arouet de
Voltaire, dessen Schatten man jezt am Montrouge verbrennen wuͤrde,
wenn man koͤnnte, gruͤndete die Uhrmacher-Staͤdtchen
Lokle und Chaudefond in der Schweiz, und der einkoͤpfige Adler hob
die Uhrmacherkunst zu Genf hoͤher, als der zweikoͤpfige sie
nie zu heben vermochte, obschon er die Schluͤssel zum Himmel*) zur
Seite hatte. A. d. Ueb.*) Genf erhielt den Schluͤssel vom Papste, und den Doppeladler vom
Kaiser und Reich, weil es abwechselnd diesem und jenem
diente..
Ich habe daher die Ehre Ihnen vorzuschlagen, Herrn Mathieu
zu seinem Unternehmen aufzumuntern etc.