Titel: Die höchste Vereinfachung der Schreibekunst, dargestellt vom Hofrathe Dr. Erdmann, Leibarzte Sr. Majestät des Königs von Sachsen.
Autor: Otto Linné Erdmann [GND]
Fundstelle: Band 21, Jahrgang 1826, Nr. LIV., S. 236
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LIV. Die höchste Vereinfachung der Schreibekunst, dargestellt vom Hofrathe Dr. Erdmann, Leibarzte Sr. Majestät des Königs von Sachsen. Mit Abbildungen auf Tab. VI. Erdmann's, Vereinfachung der Schreibkunst. Schwerlich moͤchte es eilte Kunst geben, die dem geistig lebenden Menschen groͤßeres Beduͤrfniß waͤre, als die Schreibekunst, oder die Kunst, Gedanken im Raume zu fixiren. Ihr Ursprung faͤllt in die fruͤheste Kindheit unseres Geschlechtes, und mit dem ersten Versuche, Anschauungen durch Bilder zu bezeichnen, zusammen. Ihr Produkt war daher anfangs Gedankenschrift. Je mehr sich indessen die Anschauungen zu Begriffen steigerten, je mehr sich durch Denken abstracte Vorstellungen bildeten, desto weniger konnte jene Bilderschrift dem menschlichen Geschlechte mehr Genuͤge leisten. Es bedurfte Zeichen zum Festhalten der Toͤne, wodurch es seine Gedanken ausdruͤkte, d.h. einer Schrift fuͤr Worte. Die wichtige Erfindung derselben war dem ingenioͤsen Volke der Phoͤnizier vorbehalten, das der Welt die Buchstabenschrift gab. Ich will nicht untersuchen, ob dieselbe, gleichzeitig oder spaͤter, auch von anderen Voͤlkern erfunden wurde, oder ob jene Nation, bei ihren großen Unternehmungen zur See, die Idee dazu ringsumher, in ferne Laͤnder verpflanzte? Nur soviel will ich bemerken, daß der Werth dieser Schrift in allen Welttheilen anerkannt wurde, indem alle Nationen, die sich uͤber den Zustand der Rohheit erhoben, dieselbe nach und nach annahmen, und sie ihrer Sprache anpaßten, wenn auch das sonderbare Volk der Chineser hierin wieder etwas Sonderbares zeigte; indem es fuͤr jedes Wort seiner einsylbigen Sprache, einen eigenthuͤmlichen Buchstaben erfand. Aber wie verschieden war die Ausbildung des Alphabetes, im Laͤufe von drei Jahrtausenden, in den verschiedenen Zonen der Erde! – Man stelle die Hieroglyphen der Aegyptier (die ja nach Champollion und Spohn doch auch nur Buchstaben sind), die Runen der Germanen und Scandinavier, die Zuͤge der orientalischen Sprachen, und die Charaktere der lateinischen Voͤlker zusammen; man werfe einen Blik auf die verschiedene Verkettung der Zeichen in der Saͤulenschrift, von oben nach unten, in der Zeilenschrift von der Rechten zur Linken, und von der Linken zur Rechten, schief oder horizontal, in der Zirkel- und Kreisschrift, die sich periphorisch um angenommene Punkte bewegt, so wie in der Schreibmahlerei und mehreren Spielereien des Occidents im Mittelalter, des Orients selbst noch in unseren Zeiten, wozu die persischen Inschriften den besten Beleg liefern koͤnnen; man denke endlich an die Aufnahme der Vocale in die Reihe der Consonanten bei den Abendlaͤndern, und an die Ausstoßung derselben aus dieser Reihe bei den Bewohnern des Morgenlandes, an die Modificationen der Orthographie und Kalligraphie, und man wird uͤber die unendliche Mannigfaltigkeit der Bestrebungen, unsere Kunst auszubilden und zu vervollkommnen, erstaunen. Sollte bei der Betrachtung dieser Bemuͤhungen daher wohl noch der Gedanke aufkommen koͤnnen, daß diese lange und vielfaͤltig geuͤbte Kunst nichts desto weniger noch weit von ihrer Vollkommenheit entfernt sey? Und doch ist dem in der That also. – Abgesehen von dem Mangel, daß auch bei der richtigsten Stellung der Schriftzeichen, ohne andere Anleitung, die Art der Pronunciation sehr haͤufig ganz ungewiß bleibt, ist wohl die groͤßte Unvollkommenheit der Schreibekunst in dem Zeitaufwande zu suchen, den theils ihre Erlernung, theils ihre Ausuͤbung erheischt. Da sich der Kreis der Gegenstaͤnde des Lernens mit jedem Jahr erweitert, so muß die Abkuͤrzung der zum Auffassen eines jeden derselben erforderlichen Zeit schaͤzbarer Gewinn seyn, und koͤnnten wir einer kuͤnftigen Generation die auf Erlernung der Kalligraphie zu verwendende Muͤhe ersparen, die Jahre lange Uebung auf eine Uebung von wenigen Wochen reduciren; so wuͤrden wir uns schon dadurch ein großes Verdienst erwerben. Noch mehr indessen druͤkt wohl der Zeitverlust, bei der Ausuͤbung unserer Kunst, da er zeitlebens fortdauert, waͤhrend der bei Erlernung erlittene, nur auf die Zeit der leztern selbst beschrankt ist. Laͤngst fuͤhlten dieß thaͤtige Arbeiter bereits seit vielen Jahrhunderten. Der Schriftsteller sehnte sich nach einem Mittel, seine Gedanken in ihrem Fluge, der Nachschreiber die Worte im Strome der Rede zu fixiren. Das Resultat dieses Strebens war die Tachy- und Stenographie. Schon die Griechen, namentlich Xenophon, befleißigten sich derselben, spaͤter die Roͤmer, unter denen die Geschichte besonders Cicero's Freigelassenen Tiro nennt. Indessen beschrankte sich diese Kunst damals nur auf willkuͤhrliche Abbreviaturen. Systematisch wurde sie erst in den verflossenen beiden Jahrhunderten bearbeitet, und namentlich in England von Taylor, in Frankreich von Bertin, ihrem Ziele genaͤhert, denn der Erfolg bewies es, und beweist es in den oͤffentlichen Verhandlungen noch taͤglich, daß es, in Folge ihrer Anleitung, moͤglich ist, so schnell zu schreiben, als man gewoͤhnlich spricht. In Deutschland haben sich zwar Mosengeil, Hortig und Thon um die sogenannte Kurzhand nicht weniger verdient gemacht, die Nation aber zu einem allgemeinen und oͤffentlichen Gebrauche nicht veranlassen koͤnnen. Eine Krankheit, die mir nur wenige Stunden des Tages zu arbeiten erlaubte, und daher den Werth der Zeit doppelt fuͤhlbar machte, bewog mich, in diesem Jahre Thons Biometrie zur Hand zu nehmen, und mich bei dieser Gelegenheit auch mit seiner Stenographie, einer Modifikation der Horstig'schen bekannter zu machen, um sie bei meinen Arbeiten zu benuzen. Indessen fand ich bald so viele Schwierigkeiten dabei, daß ich ernstlich an eine Vervollkommnung dachte. Denn zu geschweigen, daß es viele Zeit erfordert, um sich die gehoͤrige Uebung darin zu erwerben, so treffen sie auch dieselben Vorwuͤrfe, welche allen bisherigen Steno- und Tachygraphien gemacht werden muͤssen: 1) daß mehrere aͤhnlich lautende Buchstaben durch dasselbe Zeichen ausgedruͤkt werden, wodurch die Orthographie verloren geht, und zu Zweideutigkeiten Veranlassung gegeben wird. So wird z.B. Puder und Butter auf gleiche Weise geschrieben, ae, oe und e, so wenig als u und i unterschieden; 2) daß die Stellung der Vocale ihre Schwierigkeiten hat, zeitraubend ist, und sehr haͤufig Zweifel uͤbrig laͤßt, zwischen welche Consonanten sie gehoͤren. 3) daß das Weglassen derselben die Zweideutigkeiten vermehrt, wie in Hund und Hand, in Fuß und Faß, in Roth und Rath, in Warm und Wurm, in Dumm und Damm, in Harz und Herz, in Blatt und Blut, in Bach und Buch, in Bette und Bitte; 4) daß die Verkettung der Consonanten oft schwierig, nicht selten fuͤr das Auge beleidigend, und wegen des Auf- und Ansteigens unbequem ist, was Jedem einleuchtend seyn muß, der einen Blik auf diese Schrift in dem gedachten Buche wirft; 5) daß beim Schreiben, noch mehr aber beim Lesen, eine bald erschoͤpfende Spannung der Aufmerksamkeit erfordert wird, um das Fehlende zu suppliren. Selbst – und Mitlauter gehoͤrig zusammen zu stellen, und den durch Zweideutigkeiten verdunkelten Sinn zu errathen. – Ich dachte daher auf Mittel, jene Mangel zu verbessern, und gelangte dabei zu einem Resultate, welches meinen Wuͤnschen nicht nur vollkommen entsprach, sondern auch meine Erwartungen bei weitem uͤbertraf, indem es mir den Weg bahnte, die Schreibekunst uͤberhaupt auf das Aeußerste zu vereinfachen, und mithin ihrer Vollkommenheit zu naͤhern, wenn anders Vereinfachung der Mittel, zum Zweke zu gelangen, Vervollkommnung einer Kunst genannt werden kann. Haͤtte mir jemand vor vier Wochen gesagt, es sey moͤglich, das ganze Alphabet auf zwei Zeichen zu reduciren, und doch jeden Buchstaben bestimmt auszudruͤken, ich wuͤrde vielleicht daruͤber gelacht haben. Nichts desto weniger bin ich so gluͤklich gewesen, diese unmoͤglich scheinende Erfindung selbst zu machen, und, von ihrer Wichtigkeit uͤberzeugt, stehe ich nicht an, sie der Welt, der sie angehoͤrt, mitzutheilen. Zwar bin ich weit entfernt, zu glauben, daß der Werth derselben von den Zeitgenossen allgemein werde anerkannt und benuzt werden, denn wer kennt nicht die Macht der Gewohnheit und des Vorurtheils, und wen erinnert nicht die Geschichte aller Erfindungen an die Schwierigkeiten, mit denen sie kuͤrzere oder laͤngere Zeit zu kaͤmpfen hatten? Dagegen schmeichle ich mir mit der Hoffnung, daß eine kuͤnftige Generation meiner Schreibart nicht nur bei der Handschrift, sondern auch bei dem Druke der Buͤcher, den Vorzug vor jeder anderen geben werde, da sie nicht nur alle Vortheile der Steno- und Tachygraphie in sich vereinigt, ohne ihre Fehler an sich zu tragen, sondern auch in aͤußerst kurzer Zeit zu erlernen ist, und sich fuͤr alle Sprachen eignet, fuͤr welche unser gewoͤhnliches Alphabet ausreicht. Doch zur Sache selbst! Von dem Grundsaze geleitet, daß eine Kunst um so mehr auf Brauchbarkeit Anspruch mache, je leichter sie zu erlernen und auszuuͤben ist, und von der Erfahrung ermuthigt, daß der kuͤrzeste Weg, zum Ziele zu gelangen, fast bei allen Kuͤnsten zulezt gefunden werde, dachte ich zuerst auf zwekmaͤßigere Bezeichnung der Buchstaben. Wo konnte ich diese aber anders, als in der hoͤchsten Vereinfachung suchen? Nur durch diese war es moͤglich, Raum und Zeit zu ersparen, und so den Zwek mit den kleinsten Mitteln zu erreichen, nach Art des Mechanikers, der die noͤthige Bewegung durch die kleinste Kraft zu bewirken strebt. Das Einfachste, was sich mir darbot, war der Punkt und der Strich. – Am Punkte ließ sich nichts veraͤndern, am Striche dagegen die Richtung, und zwar vielmahl, ohne undeutlich zu werden, je nachdem man ihn horizontal, perpendiculaͤr, oder schief, von unten nach oben, und von oben nach unten zog. Auf diese Weise konnten durch jene einfachen Zeichen 5 Buchstaben ausgedruͤkt werden; allein es waren deren 25 zu unterscheiden. Wie sollte dieß ohne Vermehrung der Zeichen selbst ausgefuͤhrt werden? Ich sann, und mußte mir am Ende zur Antwort geben: nur dadurch, daß man jedem Zeichen wieder eine fuͤnffache Bedeutung gibt. Wein, wodurch sollte dieselbe bestimmt werden? Dieß war das große Problem, das geloͤst werden mußte, wenn der angenommene Grundsaz bestehen sollte. Sobald ich mich mit dieser Aufgabe ernstlich zu beschaͤftigen begann, fiel mir zuerst die Analogie der Rechenkunst ein, in welcher mit nicht mehr, als 10 Zeichen alle moͤglichen Zahlen ausgedruͤkt werden. Aber das in derselben gebrauchte Mittel, den Ziffern durch Verruͤkung von der Rechten zur Linken, und umgekehrt, verschiedene Bedeutungen zu geben, war bei der Schreibekunst nicht anwendbar, weil sich die Buchstaben in unverruͤkter Ordnung an einander reihen mußten. In dieser Verlegenheit fuhr mir, wie ein Blizstrahl, der Gedanke durch die Seele, daß es ja noch eine andere Veraͤnderung des Orts gebe, die naͤmlich, von welcher wir in der Musik, beim Notenschreiben, Gebrauch zu machen pflegen. Hier werden ja, ohne Verruͤkung nach der Rechten oder Linken, durch dasselbe Zeichen die verschiedendsten Toͤne angedeutet, bloß durch die hoͤhere oder tiefere Stellung desselben. Ergriffen von dieser Idee, war es mir einleuchtend, daß es nur der Festsezung von 5 Stellen uͤber einander beduͤrfe, um jene fuͤnffache Bedeutung der 5 Zeichen zu Stande zu bringen, und so die 25 Buchstaben des Alphabets einzig und allein durch den Punkt und den Strich sicher zu unterscheiden. Die Anwendung dieses Mittels war dem der Bestimmung des Werths der Noten durch die Scale, analog, aber weit einfacher. Wenn uns naͤmlich bei der gewoͤhnlichen Art zu schreiben eine gezogene oder eingebildete Horizontallinie leiten muß; so bedurfte es jezt nur deren zwei, parallel gefuͤhrt, weil diese vollkommen hinreichten, fuͤnf Stellen genau zu unterscheiden; je nachdem man das Zeichen uͤber, zwischen und unter jene Linien, oder aber auf die erste oder zweite selbst sezte. Um das Geschaͤft des Schreibens und Lesens zu erleichtern, schien es mir zwekmaͤßig, den Punkt zur Bezeichnung der Vocale, den Strich in seinen vier Lagen aber zur Bezeichnung der Consonanten zu waͤhlen. Die Zahl der 6 Vocale unseres Alphabetes aber konnte leicht durch Wegwerfen des entbehrlichen y auf 5 reducirt, die Zahl der 19 Consonanten hingegen durch Aufnahme des zusammengesezten, in anderen Sprachen aber durch ein einfaches Zeichen ausgedruͤkten sch auf 20 vermehrt, und so jede Stelle zwekmaͤßig ausgefuͤllt werden. Diphthongen waren leicht durch uͤbereinandergesezte Punkte zu bezeichnen, und die Wahl der Stellung des Strichs fuͤr die Consonanten wurde auf die gewoͤhnlichsten und haͤufigsten Verbindungen derselben gegruͤndet. So entstand das Alphabet, welches sich unter Nr. 1. auf Tab. VI. dargestellt findet. Die Bezeichnung der Diphthongen sieht man unter Nr. 2. so wie die Verkettung mehrerer Consonanten an den Beispielen unter Nr. 3. Um den Raum moͤglichst zu sparen, koͤnnen aber auch Vocale und Consonanten sehr haͤufig uͤber oder unter einander gesezt werden, und dieß ohne einen Zweifel uͤber die Aussprache zu veranlassen, sobald man die Regel festsezt, daß die obern Buchstaben den untern bei der Pronunciation vorausgehen, wenn sie senkrecht uͤber einander stehen, oder daß der Vocal vor oder nach dem Consonanten ausgesprochen wird, je nachdem der Punkt uͤber und unter dem vorderen oder Hinteren Ende des Strichs steht. Siehe Nr. 4. Man wird dieser einfachen Schreibart zwar den Vorwurf machen, daß sie die Unterscheidung der großen und kleinen Buchstaben nicht zulasse, und der Interpunktionen entbehre. Was die erstere betrifft, so scheint sie mir entbehrlich, denn in den Schriften der Alten faͤllt der Unterschied der großen und kleinen Buchstaben ebenfalls weg, ohne daß eine Schwierigkeit beim Lesen daraus entstaͤnde, und dann sind ja auch in den meisten neuem Sprachen, wie in der franzoͤsischen und englischen, die großen Buchstaben weit weniger im Gebrauche, als bei uns, ohne daß sie deßwegen unvollkommener waͤren. Was dagegen die Zeichen der Interpunktion anbelangt, so kann man sich allenfalls, wo es der Sinn erheischt, der gewoͤhnlichen bedienen, wenn man sie nur, um Zweideutigkeiten zu vermeiden, entweder unter oder uͤber die Linien sezt. – Die Verehrer der Tachygraphie werden ferner in dem Absezen und dem Mangel der Verkettung der Buchstaben einen Zeitverlust zu finden glauben, vielleicht gar den Einwurf machen, daß, wegen jener Trennung der einzelnen Buchstaben, oft ein Zweifel uͤber das Zusammengehoͤren derselben entstehen koͤnne. Hierauf antworte ich, daß der geringe Zeitverlust, den das Absezen verursacht, einmahl durch den Zeitgewinn, den die Vereinfachung der Zeichen gewaͤhrt, gewiß uͤberwogen werde, und daß er bei hinreichender Uebung auch wohl an sich ziemlich verschwinde, ja daß jene Trennung der Buchstaben der Deutlichkeit ersprießlich sey, da die Verkettung der Zuͤge bei anderen Methoden oft Zweideutigkeiten veranlaßt, indem die lezte Haͤlfte des einen, und die erste Haͤlfte des anderen von den zusammengereihten Buchstaben nicht selten einem dritten gleichen. Uebrigens muß ja auch bei anderen Arten der Tachygraphie zuweilen abgesezt werden, namentlich wenn man Vocale hinzufuͤgt, waͤhrend bei meiner Schreibart nicht selten mehrere Consonanten zu einem Zuge verbunden werden koͤnnen, wie die Ansicht der Beispiele auf der Steintafel beweist. Was dagegen das Zusammengehoͤren der Buchstaben betrifft, so laͤßt sich dasselbe leicht durch das naͤhere Aneinanderruͤken; so wie der Unterschied der Worte, durch die weitere Entfernung der Zeichen andeuten. – Endlich wird man aber vielleicht noch einen Anstoß darin finden, daß ein besonderes liniertes Blatt zum Schreiben erfordert wird. Ich glaube indessen nicht, daß eine solche Vorbereitung des Papiers, bei den uͤbrigen Vorzuͤgen dieser Schrift, in Anschlag gebracht werden duͤrfe, da dieselbe vermittelst eines Bleistifts mit doppelter Spize sehr leicht ist, selbst unerfahrnen Haͤnden anvertraut, und, bei allgemeiner Anwendung meiner Methode, kuͤnftig selbst fabrikmaͤßig betrieben werden kann. Ja, man wird bei hinreichender Uebung am Ende dieser Linien ganz zu entbehren im Stande seyn, so paradox dieß auch anfangs klingt. Muͤssen wir denn nicht den Kindern auch bei dem Unterrichte im Schreiben nach der gewoͤhnlichen Art zwei Linien, und in der Folge noch laͤngere Zeit wenigstens eine ziehen, wenn sie gerade schreiben sollen? Sie beduͤrfen derselben zwar in der Folge nicht mehr, sinnlich dargestellt, aber doch eingebildet, als Richtschnur; ja der Kalligraph braucht deren selbst mehrere, um den auf- und absteigenden Buchstaben ihr gehoͤriges Verhaͤltniß zu geben, ohne sie deßwegen Zeitlebens auf's Papier zu tragen. Auf jeden Fall ist es nicht viel schwerer, zwei Parallellinien in der Phantasie fest zu halten, als eine einfache gerade Linie, und wir thun es eigentlich stets beim Zierlichschreiben, ohne uns dessen bewußt zu seyn. Das bequemste Huͤlfsmittel waͤre uͤbrigens wohl die Anfertigung eines Papiers mit durchscheinenden Doppellinien, statt der gewoͤhnlichen einfachen, wie man sie im Schreibpapiere, deutlicher im hollaͤndischen Briefpapiere, sieht. Nur muͤßten sie so dicht gestellt seyn, als es die Zeilen erfordern, wo sie dann, beim Gebrauche einer schwarzen Unterlage, leicht zur Richtschnur dienen koͤnnten. Nach diesen Bemerkungen koͤnnte ich getrost erwarten, daß sich meine Erfindung bei genauerer Pruͤfung selbst empfehlen wird. Da indessen bei der Menge von neuen Vorschlaͤgen nur wenigen Menschen am Ende Zeit genug uͤbrig bleibt, jeden derselben einer sorgfaͤltigen Kritik zu unterwerfen, so sey es mir erlaubt, die Vortheile der neuen Schreibart noch kurz zusammen zu stellen, um ihre Vorzuͤge vor der gewoͤhnlichen, so wie vor den bis jezt bekannten stenographischen zu zeigen. Sie bestehen in folgenden: 1) Die Charaktere sind in aͤußerst kurzer Zeit kennen zu lernen, da sie nur in zwei Zeichen bestehen, von denen das eine die Vocale, das andere die Consonanten andeutet, das leztere bloß in 4 veraͤnderten Lagen erscheint, die uͤbrigen Unterschiede aber durch die hoͤhere oder tiefere Stellung angedeutet werden. Es findet hier also fuͤr das Gedaͤchtniß dieselbe Erleichterung statt, wie bei der der Natur-Koͤrper, wenn sie im Systeme in Gattungen, Ordnungen und Klassen zusammengestellt werden. Dazu kommt, daß sich die Buchstaben beim Auf- und Absteigen in derselben Ordnung, wie im Alphabete, folgen, so daß, wenn man die Stelle des einen oder andern vergessen haͤtte, die Kenntniß seines Nachbars sogleich zu Huͤlfe kommt. Auf diese Weise wird die Erlernung des Lesens abgekuͤrzt. 2) Die Charaktere sind aͤußerst leicht auf dem Papiere darzustellen, denn was ist leichter zu verzeichnen, als der Punkt und der gerade Strich? Es bedarf daher keines langen Zeitaufwandes, um deutlich, ja selbst schoͤn, schreiben zu lernen. Wie lange muß sich ein Kind bei unserer gewoͤhnlichen Methode nicht plagen, um die wunderlichen Zuͤge der Buchstaben mit ihren Bogen und Winkeln in dem gehoͤrigen Verhaͤltnisse darstellen zu lernen, wie sehr muß es nicht seine Phantasie, so wie seine Finger anstrengen, um eine wahrhaft zierliche Schrift auszufuͤhren? Bei der meinigen ist kaum der zehnte Theil der Zeit erforderlich, um zu einem gleichen Grade der Vollkommenheit zu gelangen, denn die Deutlichkeit wird durch die Stellung der Zeichen an ihren gehoͤrigen Plaz erreicht, ohne daß die Abweichung in den Zuͤgen eine Stoͤrung veranlassen kann; und die Schoͤnheit beruht bloß auf dem Wechsel der staͤrkeren und feineren Striche, welcher durch die Lage bestimmt wird, wie die beigefuͤgten Beispiele zeigen. Wie vortheilhaft kann also auch die bei der Erlernung des Schreibens gewonnene Zeit beim Unterrichte zu anderen Arbeiten benuzt werden! – 3) Erspart aber auch der Gebrauch meiner Schrift im gewoͤhnlichen Leben, beim Arbeiten, unendlich viel Zeit, ein Vortheil, den jeder, welcher viel zu schreiben hat, wohl wird zu schaͤzen wissen. Man lasse sich nur nicht durch den ersten Versuch abschreken, denn die mit der neuen Methode noch nicht vertraute Hand darf freilich nicht mit der in der gewoͤhnlichen Schreibart geuͤbten verglichen werden; nur gleiche Uebung in beiden kann ein sicheres Resultat gewahren. Indessen glaube ich, wird auch schon jeder a priori einsehen muͤssen, wenn ihn nicht Vorurtheil blendet, daß die Vorzeichnung eines Punktes und eines Striches unmoͤglich so viel Zeit erfordern koͤnne, als die Vorzeichnung irgend eines Buchstaben aus unserem gewoͤhnlichen Alphabete, da diese alle aus mehreren, oft sehr vielen heterogenen, Zuͤgen zusammengesezt sind. Man betrachte sie nur einzeln. Die Selbstlauter sind in der gewoͤhnlichen deutschen Handschrift aus wenigstens 4 bis 6 Zuͤgen zusammengesezt, waͤhrend bei mir fuͤr die Bezeichnung eines jeden der Punkt zureicht. Noch einleuchtender wird dieser Vortheil bei den mehresten Mitlautern, die, wie: M. P. Q. R. W. Sch. meistentheils sechs und mehrere Zuͤge erheischen, wenn sie regelmaͤßig seyn sollen, von mir aber durchgehends mit dem einfachen kurzen geraden Striche bezeichnet werden. In sehr vielen Fallen wird ein ganzes Wort bei meiner Methode nicht mehr, ja oft weniger, Zuͤge erfordern, als bei der gewoͤhnlichen Schreibart ein einzelner Buchstabe in demselben. Die Belege dazu liefern die Beispiele Nr. 6. auf Tab. VI. In dieser Hinsicht wird also die neue Schreibart mit Recht zugleich als Tachygraphie benuͤzt werden koͤnnen, aber vor den uͤbrigen Tachygraphien, wegen ihrer Einfachheit, Bestimmtheit und Deutlichkeit, gewiß den Vorzug verdienen, da sie besonders das theilweise oder gaͤnzliche Auslassen der Vocale, so wie alle moͤglichen Abkuͤrzungen der Worte, ohne Schwierigkeit gestattet. Uebrigens kann jeder, wo es noͤthig scheint, noch spaͤter Selbstlauter hinzufuͤgen, Abbreviaturen aber, nach seiner Gewohnheit und seinem Geschmake, selbst bestimmen, und allenfalls durch eine hakenfoͤrmige Kruͤmmung des Striches am Ende andeuten, daß das Wort nicht ausgeschrieben sey. Als Beispiele der von mir gewaͤhlten dienen die unter Nr. 7. auf Tab. VI. vorgezeichneten. Auf diese Weise wird die neue Tachygraphie dem Concipienten und dem Nachschreiber gleich willkommen seyn. 4) Gestattet meine Methode ein großes Ersparniß an Raume, und ich glaube dasselbe wenigstens auf die Haͤlfte sezen zu koͤnnen. Sie verdient daher zugleich mit Recht den Namen der Stenographie und zwar vielleicht mehr, als manche andere. Nr. 5. auf der Steintafel kann den Beleg dazu liefern, obgleich in diesem Beispiele von den vielen anwendbaren Abbreviaturen gar kein Gebrauch gemacht worden ist. 5) Ist diese Schrift fuͤr alle Sprachen, deren Alphabet mit dem unsrigen uͤbereinkommt, anwendbar, und kann, durch den Zusaz einer Linie, auch anderen Sprachen mit viel zahlreicheren Buchstaben, z.B. der russischen, leicht angepaßt werden. 6) Eignet sie sich sogar zum Buͤcher-Druke, und koͤnnte, allgemein eingefuͤhrt, die ganze Procedur bei demselben sehr abkuͤrzen. Man wuͤrde dabei, nach vorher erlangter hinlaͤnglicher Uebung im Lesen, der Linien noch ungleich leichter entbehren koͤnnen, als bei der Handschrift, da die Regelmaͤßigkeit der Lettern die Unterscheidung der Stufen so ungemein beguͤnstigt. Wie leicht sich das Auge gewohnt, dieselben auch ohne Huͤlfsmittel zu unterscheiden, sehen wir beim Notenlesen, wenn zufaͤllig ein Theil der Linien fehlt. 7) Ist die neue Schrift gefaͤllig fuͤr das Auge, und, im Verhaͤltnisse zu ihrer Feinheit, weit weniger angreifend, als gewoͤhnliche Schrift von gleicher Groͤße, weil die Striche in gleicher Lage auch gleiche Laͤnge haben, waͤhrend bei den bisherigen Methoden die einzelnen Zuͤge in sehr verschiedenen Verhaͤltnissen stehen. Um sie fuͤr das Auge noch wohlthaͤtiger zu machen, kann man uͤbrigens die Linien, statt mit Bleistift, mit gruͤner Tinte ziehen lassen. 8) Ist das Schreiben beim Gebrauche meiner Zeichen auch fuͤr die Hand weniger ermuͤdend, weil dasselbe Pensum weit weniger Zuͤge erfordert, und weil bei diesen selbst die vielfache, oft laͤstige, Wendung der Hand, um die noͤthige Schaͤrfe der Winkel und die erforderliche Woͤlbung der Bogen hervorzubringen, wegfallt. Wer anhaltend zu schreiben hat, wird die Ermuͤdung der Hand aus Erfahrung kennen, und wer sich in die Lehrjahre zuruͤkversezt, wird wissen, welche Muͤhe und Anstrengung den Fingern gewisse Zuͤge verursachen. Uebrigens wird schon die genaue Beobachtung eines Schreibenden zeigen, wie viele Bewegungen noͤthig sind, um nur eine Zeile zu Stande zu bringen. Schreibt er schnell, so scheint die Hand in anhaltender Erschuͤtterung begriffen zu seyn. Gesezt aber, man wollte von den angegebenen Vortheilen auch nur diejenigen beiden gelten lassen, fuͤr welche der Augenschein auf den ersten Anblik spricht, erstlich naͤmlich die schnelle Erlernung der Schreibekunst, und sodann die Ersparung an Raum, so wuͤrde doch die neue Methode immer sehr nuͤzlich bleiben. Der Zeitgewinn beim Unterrichte muß dem Lehrer und Schuͤler um so willkommner seyn, je weniger die Stunden des Tages fast noch zureichen, um die in unserem Zeitalter noͤthigen Kenntnisse zu erwerben. Der Gewinn an Raum dagegen wird von Wichtigkeit, wenn man erwaͤgt, wie viel Papier jaͤhrlich beim Schreiben und Druken verbraucht wird. Laͤßt sich die Haͤlfte davon ersparen, so ist der Gewinn schon fuͤr den Schriftsteller, seine Lebenszeit hindurch, gewiß bedeutender, als man glaubt, noch mehr aber fuͤr den Kaͤufer und Vesizer von Buͤchern, wenn diese einst mit meinem Alphabete gedrukt werden sollten, da sie, abgesehen von der Erleichterung beim Sezen, wegen des verminderten Aufwandes von Papier wohlfeiler ausfallen, und beim Aufstellen weniger Plaz, der bei groͤßeren Bibliotheken der Schraͤnke wegen oft auch kostspielig genug ist, einnehmen wuͤrden. Ich fuͤrchte nicht, wegen meines Vorschlags von den Papierfabrikanten angefeindet zu werden, da ihnen die zugleich beabsichtigte Beschleunigung des Schreibens in unserem schreibseligen Zeitalter von der anderen Seite Ersaz genug gewaͤhren wuͤrde. Sollte es sich nach dieser Auseinandersezung daher wohl nicht der Muͤhe verlohnen, die Zoͤglinge einer Schule, neben der noch nicht zu verdraͤngenden gewoͤhnlichen Schreibart, auch in der meinigen zu unterrichten, um das Resultat im Großen, auf Erfahrung gestuͤzt, ziehen zu koͤnnen? Man wird mir zwar hier den Einwand machen, daß ja auf diese Weise der erste Unterricht noch um einen Gegenstand vermehrt, und also mehr Zeit versplittert werde, als bisher. Indessen ist meine Methode so leicht nebenher zu erlernen, daß dieser Zeitaufwand kaum beruͤksichtigt zu werden verdient, wo es sich um einen entscheidenden Versuch im Großen handelt, um den Werth der neuen Erfindung a posteriori zu bestimmen. Ich fuͤr meinen Theil bin uͤberzeugt, daß der in beiden Arten der Schreibekunst gleichzeitig Eingeweihte der meinigen, zum gewoͤhnlichen Gebrauche, den Vorzug geben, und ihr mithin den Triumph sichern werde. Auf jeden Fall glaube ich die hoͤchstmoͤgliche Vereinfachung unserer Kunst dargestellt zu haben, wenn ich auch nicht in Abrede stellen will, daß durch Veraͤnderung der Bedeutung meiner Zeichen vielleicht einmal eine noch bequemere Verkettung haͤufig zusammentreffender Consonanten erfunden werden koͤnne, die ich dem Nachdenken eines gluͤklichen Genies uͤberlasse. Anmerkung. Als ich mein System bereits entworfen hatte, fand ich, daß Blanc in seiner 1898 zu Paris erschienenen „Okygraphie“ zwar schon vor mir auf die Idee gekommen war, die Bedeutung der Charaktere durch eine hoͤhere oder tiefere Stellung derselben zu veraͤndern, wozu er sich vier uͤbereinander liegender Parallel-Linien bediente. Indessen zog er aus dieser Idee, unbegreiflicher Weise, fast gar keinen Vortheil, indem er die Veraͤnderung der Stellung nur bei den Anfangs-Buchstaben in Anwendung brachte, die uͤbrigen, meistens sehr vieldeutigen, und doch zugleich sehr vielfaͤltigen, Charaktere aber, ohne Ruͤksicht auf Hoͤhe und Tiefe, daran hing, um sich des Vortheils der Verkettung zu versichern; allein das Studium seiner Kunst dadurch so erschwerte, daß sie fast gar nicht in Gebrauch kam. Ein Blik auf die Kupferplatten in seinem Werke, deren es zur Erlaͤuterung nicht weniger als 15 gibt, kann jeden von der Schwierigkeit des Lesens und Schreibens, nach dieser Methode sehr bald uͤberzeugen, und ich glaube nicht, daß es bei naͤherer Untersuchung der Sache, jemanden einfallen werde, zu behaupten, ich habe mein System aus jener Schrift entlehnt.Die Redaction glaubt hier auch den Tscherokisischen Kadmus beifuͤgen zu muͤssen. Ein Tscherokih, Namens Georg Guyst, der weder Englisch spricht, noch Englisch lesen kann, gerieth, als er ein englisches ABC zu Gesicht bekam, auf den Einfall, nicht die Buchstaben, sondern die Sylben seiner Sprache durch Buchstaben zu bezeichnen. Er versuchte alle einzelnen Sylben seiner Sprache zusammenzuzaͤhlen, und fand deren nicht mehr als 32. Zur Bezeichnung dieser 32 Sylben waͤhlte er nun die Buchstaben des englischen Alphabetes, einige Modificationen derselben, und fuͤgte dem Reste noch einige Zeichen von seiner eigenen Erfindung bei. Mit diesen 82 Zeichen fing er nun an zu schreiben, lehrte einige der aͤltesten seines Volkes sein Sylben-Alphabet, und brachte so eine Verbindung zwischen den auf 555 Meilen zerstreut lebenden Stammen seines Volkes hervor. Die jungen Tscherokihs zeigen sehr vielen Eifer, diese Art von Zauberei zu lernen. In drei Tagen kann gewoͤhnlich jeder lesen, und fangt am vierten schon an zu schreiben, die jungen Leute unterrichten sich wechselseitig, ohne von einer Lancasterschen Methode etwas zu wissen. Seit den zwei Jahren, als dieses neue Alphabet im Gange ist, und sich unter allen Tscherokisischen Staͤmmen verbreitet hat, hat man nur noch 4 Sylben nachzutragen fuͤr noͤthig befunden, was um so auffallender ist, als manches Tscherokisische Wort einige Tausend Biegungen hat. – Es ist gewiß hoͤchst sonderbar, daß der Tscherokih Guy st, ohne alle Bildung, bei Einfuͤhrung einer Schriftsprache unter seinem Volke von selbst auf die weit einfachere orientalische Schreib-Methode verfiel, die nur in Sylben schreibt, und den Unsinn, der in der abendlandischen Schreik-Methode liegt, auf der Stelle erkannte und wegwarf. (New York Observer und Glasgow Mechanics' Magazine N. 128. 3 Jun. S. 224.) Geschrieben zu Dresden im Monate Mai 1826.

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