Titel: | Ueber die Bewegung einer elastischen Flüßigkeit, die aus einem Behälter oder Gasometer ausfließt. Von Hrn. Navier. |
Fundstelle: | Band 25, Jahrgang 1827, Nr. L., S. 183 |
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L.
Ueber die Bewegung einer elastischen
Fluͤßigkeit, die aus einem Behaͤlter oder Gasometer ausfließt. Von Hrn.
Navier.
Aus den Annales de Chimie et de Physique. April 1827.
S. 401.
Navier, uͤber die Bewegung einer elastischen
Fluͤßigkeit.
Die Hypothese paralleler Durchschnitts-Schichten wurde von den
beruͤhmten Geometern, Daniel Bernouilli und d'Alembert, zur Bestimmung der Geseze des Ausflusses
unzusammendruͤkbarer Fluͤßigkeiten angewendet. Diese Hypothese
gewaͤhrte, gehoͤrig angewendet, Resultate, welche mit der Erfahrung
sowohl in Hinsicht auf Schaͤzung der waͤhrend einer bestimmten Zeit
ausgeflossenen Menge dieser Fluͤßigkeit, als auch auf Schaͤzung des
Drukes an verschiedenen Theilen der Fluͤßigkeit uͤbereinstimmten,
insofern die Laͤnge der Gefaͤße im Verhaͤltnisse zur Breite
nicht uͤbergroß war, wo dann das Anhaͤngen der Fluͤssigkeit an
den Waͤnden auf die Natur der Bewegung wenig Einfluß hat. Lagrange bemerkte uͤberdieß, daß diese Hypothese
eine erste Annaͤherung gibt, und daß man bei Anwendung derselben nur sehr
kleine Groͤßen vom zweiten Range vernachlaͤßigte, indem man die Weiten
der Gefaͤße als sehr kleine Groͤssen vom ersten Range betrachtete. Man
glaubte hiernach auch die Bedingungen, unter welchen der Ausfluß einer elastischen
Fluͤßigkeit Statt hat, auf dieselbe Weise mit Vortheile bestimmen zu
koͤnnen.
Man wird demnach die Bewegung dieser Fluͤßigkeit in einem Zustande von
Gleichfoͤrmigkeit betrachten, in welchem die Geschwindigkeit und der Druk an
jedem Puncte des Gefaͤßes stets dieselben bleiben; und daß es einen solchen
Zustand fuͤr dieselbe gibt, ist durch Erfahrung erwiesene Thatsache. Dieser
Zustand von Gleichfoͤrmigkeit kann entweder dadurch herbeigefuͤhrt
werden, daß irgend ein Zufluß von dieser elastischen Fluͤssigkeit in dem
Behaͤlter immerdar die Masse der Fluͤßigkeit ersezt, die bei der Muͤndung
ausfließt, oder daß man allmaͤhlich den Hohlraum des Behaͤlters
ununterbrochen vermindert, und dadurch den Verlust ersezt, der durch das Entweichen
der Fluͤssigkeit bei der Muͤndung Statt hat, so daß der innere Druk
ununterbrochen groͤßer bleibt, als der aͤußere. In dieser Voraussezung
sey A (Fig. 1.) ein
Gefaͤß, dessen Achse horizontal ist, so daß man den Einfluß der Schwere der
Durchschnitts-Schichten auf die Bewegung derselben vernachlaͤßigen, und
dieses Gefaͤß als Verlaͤngerung eines Gasometers betrachten kann. Man
wird zugeben, daß durch die Weise, nach welcher die Fluͤssigkeit sich
erneuert, oder der Hohlraum des Gasometers sich vermindert, der Druk in der
Durchschnitts-Schichte Ω, der als erster
Durchschnitt des Gefaͤßes gilt, in welchem man die Geseze der Bewegung der
Fluͤßigkeit kennen lernen will, immer derselbe bleibt. Ω' bildet das andere Ende dieses Gefaͤßes, und auch hier
wird der Druk immer als gleichfoͤrmig angenommen. Der Ausfluß der
Fluͤßigkeit ist das Resultat des Uebermaßes des inneren Drukes bei Ω uͤber den aͤußeren Druk bei Ω'. Unter dieser Voraussezung sey
ω die Flaͤche irgend einer
Durchschnitts-Schichte zwischen den beiden aͤußersten Durchschnitts-Schichten
Ω und Ω'.
PpP' der verschiedene Druk (als
Gewichts-Einheiten ausgedruͤkt, und auf die Einheit der Flaͤche
zuruͤkgefuͤhrt) der auf die Durchschnitts-Schichten Statt hat, deren
Flaͤchen Ω, ω, Ω' sind.
ρ die Dichtigkeit der Fluͤßigkeit in der Durchschnitts-Schichte ω.
u und U die
Geschwindigkeiten bei den Durchschnitts-Schichten ω und Ω'.
x, die Entfernung der beiden Durchschnitts-Schichten ω und Ω'.
t die Zeit.
Die Gleichung fuͤr die Bewegung was immer fuͤr einer
Durchschnitts-Schichte ergibt sich aus ρ ×
ωδx als Masse dieser Schichte; aus der
Kraft, durch welche diese Bewegung geschieht, ρ
× ωdx × du/dt; aus der Kraft, welcher sie in Folge des wechselseitigen Drukes der
Durchschnitts-Schichten unterliegt: – ωdp.
Man erhaͤlt demnach
– ωdp = ρωdx du/dt
Da aber bei einer elastischen Fluͤßigkeit die Temperatur in allen Theilen
derselben als gleichfoͤrmig angenommen wird, so wird p = kρ, wo k eine bestaͤndige Groͤße ist.Bei
atmosphaͤrischer Luft, wovon das Kubik-Meter bei 0° Temperatur
und 0,76 Meter atmosphaͤrischen Druk = 1,3 Kilogramm ist, hat mank = (0,76 × 13568)/1,3
g (1 + 0,00375. v),oderk = 7932,06.g (1 + 0,00375. v),wo g die Geschwindigkeit, die durch die Schwere
waͤhrend der Einheit der Zeit erzeugt wird, und v die Temperatur am hundertgraͤdigen
Thermometer bedeutet. Bei den uͤbrigen elastischen
Fluͤßigkeiten verhalten sich die Werthe von k wechselseitig, wie die specifischen Schweren derselben. A. d.
O. Dieß aͤndert die Gleichung in
– k dp/p = dx du/dt
Ferner fuͤhrt die Bedingung, daß die Masse einer jeden Durchschnitts-Schichte
dieselbe bleibt, wenn sie aus einer Lage in die naͤchststehende tritt, eine
Bedingung, die im Allgemeinen durch die Gleichung
Textabbildung Bd. 25, S. 185
ausgedruͤkt wird, hier auf ρωu = Const., indem man
voraussezt, daß die Dichtigkeit ρ nicht mit der
Zeit wechselt. Es wird also auch pωu = Const., und folglich die Beziehung pωu =P'Ω'U. Hieraus laͤßt sich
ableiten:
Textabbildung Bd. 25, S. 185
und wenn man unter der Voraussezung differencirt, daß U unveraͤndert bleibt, und p und ω allein durch die Wirkung der
Veraͤnderung der Lage der Durchschnitts-Schichte wechseln, so wird
Textabbildung Bd. 25, S. 185
Hiernach in der vorigen Gleichung mit der Bemerkung substituirt, daß
Textabbildung Bd. 25, S. 186
so wird
Textabbildung Bd. 25, S. 186
Diese Gleichung gibt, integrirt,
Textabbildung Bd. 25, S. 186
Die Constante ergibt sich aus der Bemerkung, daß bei der
ersten Durchschnitts-Schichte ω = Ω, p = P; woraus
Textabbildung Bd. 25, S. 186
und da, bei der lezten Durchschnitts-Schichte, ω = Ω', p =
P', so wird
Textabbildung Bd. 25, S. 186
woraus sich, als Werth der Geschwindigkeit an der
Muͤndung Ω' ergibt:
Textabbildung Bd. 25, S. 186
Hieraus folgt, daß das Volumen der waͤhrend der Einheit der Zeit
ausgeflossenen Fluͤßigkeit, unter dem Druke P im
Gasometer gemessen, folgendes ist:
Textabbildung Bd. 25, S. 186
Wenn die Oeffnung Ω' in Hinsicht auf den
Durchschnitt Ω des Gasometers klein ist, was in
der Praxis meistens der Fall ist, so ist die Geschwindigkeit und das Product des
Ausflusses wenig verschieden von den Ausdruͤken
Textabbildung Bd. 25, S. 186
Durch Beseitigung von U in den Gleichungen (1) und (2)
wird
Textabbildung Bd. 25, S. 187
woraus der Werth des Drukes p
fuͤr jeden Durchschnitt ω der
Roͤhre sich ableiten laßt. Wenn die Oeffnung Ω' in Hinsicht auf Ω sehr klein
ist, so kommt die Gleichung zuruͤk auf
Textabbildung Bd. 25, S. 187
Wenn man die Gleichung (5) untersucht, lassen sich folgende Resultate ableiten: 1)
wenn der Durchschnitt der Roͤhre von Ω
gegen Ω' immer abnimmt (Fig. 2.), so nimmt der
Druk p vom Druke P an, der
bei dem Durchschnitte Ω Statt hat, immer langsam
ab, so daß bei dem Durchschnitte, der unmittelbar vor Ω, vorausgeht, der Werth von p wenig
unter jenem von P steht. 2) Wenn der Durchschnitt des
Gefaͤßes (Fig. 3.) von Ω, bis auf einen
Durchschnitt m, der kleiner als Ω ist, abnaͤhme, und in dem Zwischenraume mB die Durchschnitte gleich Ω' waͤren, oder kleiner als Ω'; so waͤren die
inneren Druke p etwas kleiner als P, in dem Theile Am, und gleich P', oder etwas groͤßer als P' in dem Theile mB. 3) Wenn endlich die
Durchschnitte (Fig.
4.), nachdem sie von Ω an bis zu dem
Durchschnitte m, der gleich Ω', oder kleiner als Ω' ist,
wieder bis zum Durchschnitte, n, zunehmen, der
groͤßer ist als Ω', und dann neuerdings
abnehmen, so wuͤrden die inneren Druke p etwas
kleiner als P in dem Theile Am seyn. In dem Theile mnB wuͤrde
der Druk den aͤußeren Druk P' in allen
Durchschnitten, die kleiner sind, als Ω', etwas
uͤbersteigen; in den Durchschnitten aber, die groͤßer sind als Ω' wuͤrde der Druk p kleiner seyn als der aͤußere Druk P'.
Im Allgemeinen wuͤrde der innere Druk nie kleiner seyn, als der Druk des
Mittels, in welchem die Fluͤßigkeit ausfließt, außer bei einem Durchschnitte,
der groͤßer waͤre, als der aͤußerste Durchschnitt des
Gefaͤßes, durch welches der Ausfluß bewirkt wird.
Aus der Formel (4) ergibt sich, daß, alles Uebrige gleich gesezt, die Volumen der
verschiedenen Fluͤßigkeiten, die aus einem Behaͤlter
ausstroͤmten, sich gegen einander verhalten, wie die Quadrat-Wurzeln der
specifischen Schweren dieser Fluͤßigkeiten, wie die Erfahrung es auch
bestaͤtigt. Bei Anwendung dieser Formel, wie der folgenden, darf man
uͤbrigens nicht vergessen, daß der Widerstand, der von der Reibung der
Fluͤssigkeit an den Wanden entsteht, nicht in Betracht gezogen wurde, und
diese Resultate folglich nur auf Gefaͤße passen, deren Laͤnge die
Weite nur wenig uͤbertrifft, und vorzuͤglich auf solche, wo der
Ausfluß durch die Waͤnde der Gefaͤße selbst Statt hat. Wenn die
Oeffnung sich in einer duͤnnen und ebenen Wand befindet, so zieht der Strom
der ausstroͤmenden Fluͤßigkeit sich jenseits der Oeffnung zusammen,
und Ω' gilt dann fuͤr jenen Durchschnitt,
wo die Zusammenziehung oder Verengerung des Stromes am Groͤßten ist. Eben
dieß gilt auch, wenn die Fluͤssigkeit durch einen kegelfoͤrmigen, sich
verengenden Vorstoß ausfließt, nur daß die aͤußere Zusammenziehung dann viel
geringer ist. Wenn die Fluͤßigkeit durch einen walzenfoͤrmigen Vorstoß
ausstroͤmt, hat keine aͤußere Zusammenziehung Statt, und das Product
des Ausflusses wird wenig unter demjenigen stehen, das man nach der Formel 4
berechnen kann.
Wir wollen endlich noch bemerken, daß die Gleichungen 3 und 4 unendliche oder
imaginaͤre Groͤßen waͤren, wenn P'Ω' = oder > PΩ waͤre.
Hieraus laͤßt sich schließen, daß ein gleichfoͤrmiger Ausfluß
wesentlich voraussezt, daß Ω' kleiner ist als PΩ/P'. Wo diese
Bedingung nicht erfuͤllt ist, stroͤmte die Fluͤßigkeit in einem
Strome aus dem Behaͤlter, der den lezten Durchschnitt Ω' nicht ganz ausfuͤllte.