Titel: | Ueber die Nothwendigkeit, die Mittel der Analyse zu verbessern, deren die Praktiker sich bei ihren Versuchen über Kalk und Mörtel bedienen. Von Hrn. Oberst Raucourt de Charleville, Ingenieur beim Brüken- und Straßenbaue. |
Fundstelle: | Band 32, Jahrgang 1829, Nr. XCVIII., S. 426 |
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XCVIII.
Ueber die Nothwendigkeit, die Mittel der Analyse
zu verbessern, deren die Praktiker sich bei ihren Versuchen uͤber Kalk und
Moͤrtel bedienen. Von Hrn. Oberst Raucourt de Charleville, Ingenieur beim Bruͤken- und
Straßenbaue.
Aus den Annales de Chimie et de Physique. Bd. 37. S.
92.
Raucourt de Charleville, über die Nothwendigkeit, die Mittel der
Analyse zu verbessern etc.
Ein Schuͤler Vicat's hatte ich in Bezug auf den
Moͤrtel Gelegenheit im Großen haͤufige und nuͤzliche
Anwendungen von dem geistreichen Verfahren dieses wuͤrdigen Mannes zu machen. waͤhrend
ich gezwungen war in Rußland seine Entdekungen zu verbreiten, gerieth ich auf neue,
die ich im Jahre 1822 zu St. Petersburg in meinem Traité sur l'art de faire de bons mortiers bekannt machte.
Diese Schrift enthaͤlt, außer einer Menge fuͤr den Baumeister
unentbehrlicher Aufschluͤsse uͤber viele Zweifel, eine praktische
Methode zur Moͤrtelbereitung, die das Resultat reiner Erfahrung ist. Diese
Methode wird, bei allen Fortschritten, die die Wissenschaft machen kann, dieselbe
bleiben, und in der Praxis keine Zweifel mehr uͤbrig lassen; sie wird
uͤberall, wo man Kalk, Thon und Sand findet, auf der Stelle guten
Moͤrtel auf die wohlfeilste Weise erzeugen.
Da die Ausgabe meines Werkes in Rußland sich vergriffen hat, bin ich wegen der
haͤufigen Nachfragen gezwungen eine zweite, etwas abgekuͤrzte Ausgabe
desselben zu veranstalten, und da dieses Werk in Frankreich beinahe ganz unbekannt
geblieben ist, so wird diese neue Ausgabe vielleicht nicht ohne Nuzen fuͤr
diejenigen meiner Landsleute seyn, die sich uͤber diesen Gegenstand
verstaͤndigen, oder eine zuverlaͤssige und einzige Methode kennen
lernen wollen, guten Moͤrtel zu verfertigen.
Hr. Hassenfratz, der meine Arbeiten haͤufig anfuͤhrte, hat sie in
seinem gelehrten und voluminoͤsen Werke so verschmolzen, daß man sich
allerdings unterrichtet haben wird, wenn man dasselbe gelesen hat, aber auch mehr
als jemals unentschieden uͤber die Wahl der Mittel bleiben wird, welche man
in der Anwendung vorzuziehen hat.
Schriftsteller, bei welchen Theorie und Praxis Hand in Hand geht, und die meine
Abhandlung wahrscheinlich nur oberflaͤchlich durchgingen, uͤbersahen
die Hauptsache. Waͤhrend ich an Ort und Stelle ohne allen Anstand jede Art
von Moͤrtel bereite, waͤhrend eine praktische Analyse der Elemente
desselben mich zu bestimmten Mischungen fuͤhrt, und kein Zweifel mich in der
Anwendung stoͤrt, ziehen sie in ihren Werken wieder alles in neue Zweifel,
und bedienen sich einer so verworrenen Sprache, daß ihre Behauptungen, ihre
Schluͤsse keinen bestimmten Sinn darbieten, und alle ihre Bemuͤhungen,
weit entfernt die Wissenschaft aufzuklaͤren, dieselbe vielmehr in die alte
Verwirrung zuruͤkstuͤrzen.
Um zu zeigen, wie wichtig es ist, auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, daß man
sich gehoͤrig verstehe, will ich hier nur einen Aufsaz eines unserer
verdientesten Ingenieurs, des Hm. Generals Treussart, im
XXXI. Bd. der Annales de Chimie
Polyt. Journ. Bd. XXI. S. 40. A. d. U. S. 243. anfuͤhren, indem er mir Gelegenheit darbietet, einige Fehler
zu verbessern, die,
wahrscheinlich ohne alle Absicht, durch Anfuͤhrung meines Werkes entstanden
sind.
Hr. Treussart sagt z.B., daß er der Erste war, der den
Einfluß des Zutrittes der Luft und des Sauerstoffes bei dem Brennen des Thones
beachtete, und versichert, ich sage S. 161. meines
Werkes: „daß der Sauerstoff ohne Wirkung auf die
erdigen Oxyde ist; woraus man schließt, daß dieses Gas keinen Einfluß auf
die hydraulischen Eigenschaften des Kalkes hat.“
Nun muß aber „man sagt“ Statt
„ich sage“ in dem so eben
angefuͤhrten Gaze geschrieben werden, und dann wird er so lauten:
„man sagt, daß der Sauerstoff keinen Einfluß
auf die erdigen Oxyde hat; ich bin aber der entgegengesezten
Meinung.“
Ich habe also den Vorwurf der Inconsequenz, den man mir machte, abgelehnt. S. 244.
heißt es in der Note:
1) Daß ich keinen einzigen Versuch anfuͤhrte, um den Einfluß der Luft bei
Bereitung kuͤnstlicher Puzzolanen zu beweisen.
2) Daß ich bei den von mir uͤber das Brennen des kuͤnstlichen
hydraulischen Kalkes angestellten Versuchen nicht untersuchte, ob der
kuͤnftige Widerstand des Moͤrtels groͤßer ist. Meine Antwort
auf diese Anschuldigungen ist folgende.
Die Entdekung des Einflusses der Luft auf den gebrannten Thon gehoͤrt Hrn. Vicat an (siehe S. 43. meines Traité). Er hat sie mir im J. 1821 unmittelbar mitgetheilt. Ich
habe seine Versuche mehrere Male wiederholt (siehe Art. 173, 213. meines Traité) und daraus geschlossen, daß der
Sauerstoff der Luft eine große Rolle bei den bewirkten Veraͤnderungen spielen
muͤsse. Der ganze zweite Theil meines Werkes ist voll von dieser Idee.
Ich habe keine Details uͤber diese Erfahrungen angegeben, weil ich dieselben
bloß auf meine eigenen Entdekungen versparte.
Ich habe das von Hrn. Vicat angegebene Verfahren bei dem
Brennen des Thones auf den kuͤnstlichen hydraulischen Kalk angewendet: Hr.
Vicat hat eine tabellarische Uebersicht seiner
Resultate in den Annales de Chimie gegeben. Wenn ich den
Widerstand der gebildeten Moͤrtel nicht angab, so geschah dieß nicht, weil
ich, wie Hr. Treussart meint, denselben nicht
beobachtete, sondern weil es uͤberfluͤssig ist davon zu sprechen,
indem es allgemein, nach Vicat's Ansicht, angenommen ist,
daß bei gutem Moͤrtel der Augenblik des Erhaͤrtens fuͤr den
kuͤnftigen Widerstand entscheidet.
In Hinsicht auf Theorie bedauern wir sehr, mit Hrn. Treussart nicht einerlei Meinung seyn zu koͤnnen, dessen
unmittelbare Versuche erwiesen haben, daß Bittererde und Metall-Oxyde nicht dazu beitragen, dem
Kalke eine hydraulische Eigenschaft zu geben, da seine Versuche auch beweisen
koͤnnen, daß er die Metall-Oxyde nicht unter Umstaͤnde
versezte, unter welchen sie diese Eigenschaften entwikeln konnten. Denn wir haben
bemerkt, daß die Beruͤhrung der Luft oder der Kohle denselben Elementen
entgegengesezte Eigenschaften mittheilt.
Ohne auf den von mir aufgestellten Hypothesen beharren zu wollen, will ich die Leser
meines Werkes nur daran erinnern, daß meine Induktionen auf Thatsachen beruhen. Da
ich bei mehr als 5000 Versuchen bemerkte, daß die hydraulischen Kalke wenigstens ein
Drittel fremdartige Koͤrper enthalten, die in reinem Kalke nicht vorkommen,
und da ich durch chemische Analyse in mehreren dieser Kalke, die nur ein Drittel
enthielten, die Haͤlfte desselben und selbst noch mehr Bittererde und
Metall-Oxyde fand, so wird man mir erlauben, diese Oxyde wenigstens so lang
mitwirkend zu betrachten, bis man mir hoͤchst hydraulische Kalke gezeigt hat,
die eine bedeutend geringere Menge dieser Mischung enthalten.
Wir sehen uͤbrigens nicht ein, wie der Hr. General Treussart durch seine Note
irgend einen Nuzen erzielen konnte. Wenn er meine Erfahrungen pruͤfen wollte,
um sie mit dem vollen Gewichte seiner Meinung bestaͤtigen zu koͤnnen,
so haͤtte er gleichzeitig die ganze Reihe durchmachen muͤssen, und
dann wuͤrde er. Statt auf Zweifel uͤber die Vortheile gerathen zu
seyn, welche Thon, in Beruͤhrung mit atmosphaͤrischer Luft gebrannt,
hervorzubringen vermag und Statt des Bedauerns uͤber die
Unmoͤglichkeit die Versuche fortzufuͤhren, mit Hrn. Vicat geschlossen
haben, daß dieser Thon die besten Puzzolanen gibt, die man haben kann, und mit mir
behauptet haben, daß zu viel oder zu wenig Feuer in dieser Hinsicht gleich
schaͤdlich ist.
Wenn endlich sein Aufsaz beweisen soll, daß man den besten und wohlfeilsten
Moͤrtel aus gemeinem Kalke, aus gebrannter Erde und aus Sand macht, so
wuͤrde er nicht bloß dort Zweifel aussaͤen, wo man bereits Gewißheit
hat, sondern zugleich einen groben Irrthum verbreiten; denn diese Arten von
Moͤrtel sind gewoͤhnlich die theuersten und die schlechtesten (siehe
S. 316. meines Traité). Sie sind die theuersten,
weil die hydraulischen Kalke, kalt zusammengesezt, mehr Theile im Zustande von Sand
enthalten, als die natuͤrlichen oder kuͤnstlichen hydraulischen Kalke;
folglich sie deßwegen theurer werden muͤssen, weil man sie nur mit einer
geringeren Menge Sandes anmachen kann. Sie sind die schlechtesten, weil die
koͤrnigen Theile, die hier aus gebranntem Thone sind, nicht so viel
Widerstand leisten, als die Koͤrner aus Kiesel-Sand.
Wenn man durch diesen Aufsaz zu einem nuͤzlichen Moͤrtel-Rezepte
gelangen sollte, weil es darin heißt, daß man zu Straßburg einen sehr guten Moͤrtel aus Einem
Theile Kalk im Teig-Zustande gemessen, aus 1 1/2 Theilen Sand und aus 1 1/2
Theilen gebranntem Thone gemacht hat, so hat man diesen Zwek nicht minder verfehlt;
denn der Ausdruk, dessen Man sich bei diesem Rezepte bediente, ist hoͤchst
unbestimmt. Kann man z.B. glauben, daß man in metallurgischer Hinsicht etwas gesagt
hat, wenn man von einer Composition aus Kupfer, Gold und Silber spricht, ohne die
Feinheit dieser Metalle anzugeben? Wer immer in dieser Sache gehoͤrig
unterrichtet ist, der weiß, daß alle solche Rezepte nur fuͤr einen Fall
berechnet sind, der vielleicht nie wieder kehrt, und Niemanden mehr nuͤzlich
seyn kann.
Wenn es der Raum gestattete, so koͤnnte ich leicht erweisen, nicht daß auch
dieses Rezept keinen guten Moͤrtel gibt, was nicht viel sagen wollte, sondern
daß man aus denselben Bestandtheilen in anderen Verhaͤltnissen noch einen
besseren und wohlfeileren Moͤrtel verfertigen kann.
Um die mir vorgestekte Graͤnze nicht zu uͤberschreiten, will ich damit
schließen, daß ich auf die Nothwendigkeit dringe, die Elemente genauer zu bestimmen,
wenn man den Staͤmpel wahrer Nuͤzlichkeit den Erfahrungen
ausbruͤten will, die man bekannt macht. Diejenigen, die mein Werk zu Rathe
ziehen wollen, werden sehen, in wiefern meine Beobachtungen gegruͤndet sind,
und wie unerlaͤßlich es ist, die elenden herkoͤmmlichen
Rezept-Formeln: so viel Kalk, so viel Erde, so viel
Sand – gibt einen guten Moͤrtel, endlich einmal und
fuͤr immer zu verbannen. Sie nuͤzen nichts, und koͤnnen nichts
nuͤzen, denn die Natur schafft nirgendwo zwei vollkommen gleiche Dinge. Wenn
man methodisch zu Werke gehen will, muß man damit anfangen, daß man die
Bestandteile, aus welchen man den Moͤrtel zusammensezt, studirt und
analysirt.
Man kann diese Bestandtheile in chemische, das feine staubaͤhnliche Pulver,
und in physische, den Sand, zerlegen, welcher leztere die chemischen Eigenschaften
des Pulvers nie zu veraͤndern vermag.
Die chemischen Bestandtheile des Moͤrtels bilden, mit Wasser gemengt, die
einhuͤllenden Theile des Moͤrtels.
Die physischen Bestandtheile sind die eingehuͤllten Theile desselben.
Die ersteren, die Pulver, zerfallen wieder in zwei Abtheilungen, wovon die der
ersteren auf den reinen Kalk chemisch wirken, und ihn hydraulisch machen; die der
zweiten aber auf den Kalk gar keine chemische Wirkung aͤußern.
Jene vereinigen sich mit dem Kalke und bilden den einhuͤllenden Theil
desselben; diese haͤngen sich an den Sand an, und umhuͤllen
diesen.
Das Minimum der einhuͤllenden Theile muß wenigstens dem leeren Raume gleich
seyn, den die einzuhuͤllenden Theile bilden. Wenn sie gar keinen leeren Raum bilden,
wie z.B. die Pulver, so braucht man gleiche Theile.
Wenn man also den Kalk, die Erden, den Sand genau bestimmen will, so muß man sehen,
was sie an physischen und chemischen, wirkenden und nicht wirkenden Bestandtheilen
enthalten, und dieß kann der Praktiker in seiner Werkstaͤtte auf der Stelle
finden. Es braucht dann nur gesunden Menschenverstand, um die Verhaͤltnisse
dieser Bestandtheile zur Erzeugung irgend eines verlangten Moͤrtels zu
bestimmen. Zwei gemeine Kalke, zwei Erden, zwei Sandarten, die man ohne weitere
Untersuchung fuͤr aͤhnlich haͤlt, koͤnnen immer sehr
verschiedene physische und chemische Bestandtheile enthalten, die man dann nie in
denselben Verhaͤltnissen nehmen darf, wenn man eine gute Mischung erzeugen
will.
So viel scheint hinreichend, um zu beweisen, daß es kein allgemein guͤltiges
Moͤrtel-Rezept geben kann, aus dem unwiderlegbaren Grunde, daß die
Natur selbst es nicht gestattet. Man erweist der Wissenschaft, in Bezug auf
Moͤrtel-Bildung, einen schlechten Dienst, und macht dieselbe gewisser
Maßen zuruͤkschreiten, wenn man Rezepte gibt. Diese Rezepte, die nie einen
aͤhnlichen Fall zu ihrer Anwendbarkeit finden koͤnnen, sind desto
gefaͤhrlicher, je mehr derjenige, der sie mittheilt, Anspruch auf Zutrauen
verdient. Aus diesem Grunde bestreite ich die Schluͤsse des Hrn. Treussart.
Aus der besonderen Hochachtung, die ich fuͤr seinen Beifall habe, habe ich
dasjenige zuruͤkgewiesen, was er uͤber mein Traité des Mortiers sagte, indem ich gezeigt habe, daß es
ungegruͤndet ist. Wenn man den Entdekungen des Hrn. Vicat und meinen
Erfahrungen noch etwas beifuͤgen will, muß man sich der Analyse bedienen,
oder irgend eines anderen besseren und vollkommneren Mittels, als dasjenige ist,
dessen man sich gewoͤhnlich bedient.