Titel: | Ueber Berlinerblau. Von Hrn. Robiquet. |
Fundstelle: | Band 36, Jahrgang 1830, Nr. LXXI., S. 307 |
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LXXI.
Ueber Berlinerblau. Von Hrn. Robiquet.
Aus dem Journal de Pharmacie. April 1830. S.
211.
Robiquet, uͤber Berlinerblau.
Es gibt wenige chemische Verbindungen, die den Scharfsinn der Chemiker so sehr in
Anspruch nahmen, als das Berlinerblau, und dessen ungeachtet haben wir es in
Hinsicht auf die eigentliche Natur desselben noch nicht weiter gebracht, als zu
Hypothesen. Berzelius selbst gesteht, daß es
aͤußerst schwer ist, die Verhaͤltnisse desselben mit vollkommener
Genauigkeit zu bestimmen, indem die Menge des hygrometrischen Wassers, welches
dieses Blau enthaͤlt, sehr wandelbar ist. Ist aber dieß wirklich der wahre
Grund? Es scheint mir nicht; ich wuͤrde ehe dafuͤr halten, daß der
Unterschied, den man bei den bisherigen Analysen fand, davon abhangt, daß diese
Zusammensezung nicht jenen Charakter von Unwandelbarkeit hat, den man ihr
zuschreibt. Proust sagte in einer seiner Abhandlungen
uͤber die blausauren Verbindungen, daß das kaͤufliche Berlinerblau,
mit einer Aufloͤsung von kaustischer Potasche behandelt, als Ruͤkstand
ein Eisenoxyd liefert, welches desto dunkler gefaͤrbt ist, je besser das Blau
war, und je weniger dasselbe Thonerde enthielt. Ich habe in meiner erstem Abhandlung
uͤber diesen Gegenstand gezeigt, daß derselbe Unterschied Statt hat, wenn man
Berlinerblau untersucht, welches gar keine Thonerde enthaͤlt, und ich fragte
schon damals, ob dieser Umstand nicht von einem verschiedenen oxydationsgrade
herruͤhrt.
Der beruͤhmte schwedische Chemiker hat wohl den Grundsaz aufgestellt, daß die
aufloͤsbaren dreifachen blausauren Verbindungen Proust's als Doppelcyanuͤre zu betrachten sind, sobald sie
getroknet wurden, und die Analogie machte geneigt zu dem Schluͤsse, daß
dieses noch weit mehr bei den unaufloͤsbaren dreifachen blausauren
Verbindungen der Fall seyn muͤßte. Indessen gibt der Typus derselben, das
Berlinerblau, durch seine Zersezung im Feuer oxygenisirte und hydrogenisirte
Producte, es mag sich uͤbrigens in was immer fuͤr einem Zustande von
Trokenheit befinden, und man blieb gezwungen, dasselbe entweder als ein Hydrat, oder
als eine wahre Wasserstoff-Eisen-Blausaure Verbindung zu betrachten,
in welcher das Eisenperoxyd die wandelbare Basis der dreifachen blausauren
Verbindungen vertritt. Berzelius
unterscheidet jezt
zweierlei Berlinerblau, wovon das eine neutral und unaufloͤslich ist, das
andere aber mit uͤberschuͤssiger Basis sowohl im Wasser als im Alkohol
aufloͤsbar ist. Ersteres erhaͤlt man mit einer neutralen
Aufloͤsung von Eisenperoxyd, das man mit dreifacher blausaurer Potasche
niederschlaͤgt. Das zweite entsteht durch Mischung einer gleichfalls
neutralen Aufloͤsung von oxydulirtem Eisen und einer
uͤberschuͤssigen Aufloͤsung von dreifacher blausaurer Potasche.
Was ferner deutlich beweiset, wie der beruͤhmte Stockholmer Akademiker sagt,
daß lezteres Basis im Überschuͤsse mit sich fuͤhrt, ist der
Umstand, daß es aus dem Weißen, wie es ehevor war, ins Blaue uͤbergeht, indem
es Sauerstoff aus der Luft einsaugt, ohne daß darob die Neutralitaͤt der
Fluͤssigkeit leidet, obschon die Capacitaͤt derselben mit der
Uebermenge des Sauerstoffes zunehmen mußte. Es ist gewiß, daß diese Art zu schließen
zu den annehmbarsten gehoͤrt; waͤre es aber nicht moͤglich, daß
diese verwikelten Verbindungen, die man noch so wenig kennt, nicht bei allen ihren
Umwandlungen dieselben Regeln befolgten, denen die gewoͤhnlichen Salze
unterworfen sind? Wir wissen, nach Proust, daß der weiße Niederschlag, den man aus
einem Salze aus Eisenprotoxyd und dreifachem blausaurem Kali erhaͤlt, Kali
enthaͤlt, und daß man folglich diesen Niederschlag als eine des dreifachen
blausauren Kali analoge Verbindung betrachten muß, in welcher das Eisen sich in
einem groͤßeren Verhaͤltnisse findet. In dem Maße, als dieser
Niederschlag sich durch Einsaugung des Sauerstoffes blau faͤrbt,
verlaͤßt ihn das Kali, aber nicht allein: es fuͤhrt sowohl das
Cyanogen als das Eisen mit sich fort, welche ihm nothwendig sind, um sich in den
Zustand eines dreifachen blausauren Salzes zu versezen, vielleicht aber in anderen
Verhaͤltnissen, als diejenigen sind, welche wir kennen. Diese Entfernung, die
bloß eine Folge der Ueberoxydirung des Metalles ist, geschieht, ohne daß man die
mindeste Veraͤnderung in der Neutralitaͤt der Fluͤssigkeit
wahrnimmt. Es wuͤrde mir ganz natuͤrlich scheinen anzunehmen, daß das
dreifache blausaure Salz, welches man durch das Auswaschen wegschafft, als
saͤttigender Koͤrper dient: so viel ist wenigstens gewiß, daß es dem
Sauerstoffe seine Stelle nur so zu sagen Schritt vor Schritt
uͤberlaͤßt, und daß dieses Verwandtschaftsspiel sich waͤhrend
der ganzen Dauer des Auswaschens oder Absuͤßens verlaͤngert, und nur
dann gaͤnzlich aufhoͤren muß, wann alles Eisen, welches bestimmt ist
als Basis zu dienen, in den Zustand eines Maximums uͤbergegangen ist, und
alles Kali gaͤnzlich beseitigt wurde. Neun man also, wie dieß
gewoͤhnlich geschieht, in dieser Arbeit vor der vollkommenen Ueberoxydirung
stehen bleibt, wird in dem Blau eine verhaͤltnißmaͤßige Menge
Potassiumcyanuͤr zuruͤkbleiben. Dieß ist, nach meiner Ansicht, die wahre Ursache der
wandelbaren Zusammensezung des im Handel vorkommenden Berlinerblau, welches, nach
meiner Meinung, nicht, wie man sich einbildet, ein reines
Wasserstoff-Eisen-Blausaures Eisenperoxyd ist: denn wenn es dieses
waͤre, so waͤre das sicherste Mittel ein schoͤnes Berlinerblau
zu erhalten, dieses, daß man es aus einer Aufloͤsung von Eisenperoxyd
bereitet. Nun ist es aber erwiesen, daß, wenn man auf diese Weise verfahrt, man nie
eine schoͤne Farbe erhaͤlt, so sehr man auch dieselbe dadurch erhalten
zu koͤnnen glaubte. Man muß daher nothwendig, wenn diese Arbeit gelingen
soll, von einem Protoxydsalze ausgehen, wornach es wahrscheinlich wird, daß die
Oxydation stehen bleibt, ehe alles Eisen vollkommen auf das Maximum der Oxydation
gelangt ist.
Da Berzelius den Grundsaz aufstellte, daß das
Berlinerblau, welches man aus einem Protoxydsalze und durch den Zutritt der
atmosphaͤrischen Luft erhaͤlt, ein basisches aufloͤsbares Salz
ist, so schloß man, daß, da das im Handel vorkommende Berlinerblau unter denselben
Umstaͤnden gebildet wird, dasselbe wahrscheinlich nur deßwegen
unaufloͤsbar ist, weil Thonerde in demselben vorhanden ist. Indessen ist
nichts ungegruͤndeter, als diese Ansicht. Wir haben taͤglich Beweise
dafuͤr in unseren Laboratorien. So oft wir naͤmlich das im Handel
vorkommende Berlinerblau mittelst rothen Queksilberoxydes zersezen wollen, um auf
diese Weise Queksilbercyanuͤr zu erhalten, fangen wir damit an, daß wir ihm
mittelst Kochsalzsaͤure die Thonerde entziehen, welche es enthaͤlt,
und suͤßen es dann aus, um die uͤberschuͤssige Saͤure
und die kochsalzsaure ThonerdeNebst dem in fast allem kaͤuflichen Berlinerblau enthaltenen
Eisenoxyde.A. d. R. zu entfernen. Indessen bleibt das Berlinerblau noch immer
unaufloͤsbar.
Bisher hat man noch nicht gesucht die Ursache dieser Aufloͤsbarkeit kennen zu
lernen; ich halte es aber fuͤr sehr wahrscheinlich, daß sie von der Gegenwart
einer gewissen Menge Potassiumcyanuͤr abhaͤngt, d.h., daß dieses Blau,
nach meiner Ansicht, noch eine dreifache blausaure Verbindung ist, oder, wenn man
will, ein Doppelcyanuͤr aus Potassium und Eisen in bestimmten
Verhaͤltnissen, insofern man wenigstens nach seiner Bestaͤndigkeit
urtheilen darf. Ich stuͤze mich hierbei auf Folgendes. Ich habe
oͤfters diese aufloͤsbare blausaure Verbindung bereitet, und obschon
ich das Auswaschen oder Aussuͤßen so weit brachte, als moͤglich,
selbst mit saͤuerlichem Wasser, erhielt ich doch immer Kali, wenn ich einen
Theil der blauen Fluͤssigkeit zur Trokenheit abrauchte, und den
Ruͤkstand calcinirte. Wir wollen hier im Vorbeigehen bemerken, daß, wenn das
aufloͤsbare Blau ein basisches Salz waͤre, man annehmet: koͤnnte, daß das
Auswaschen oder Aussuͤßen mit saͤuerlichem Wasser dasselbe auf den
Zustand eines neutralen Salzes zuruͤkfuͤhren wuͤrde; und wie
kommt es dann noch uͤberdieß, daß, da es aufloͤsbar ist, keine Wirkung
auf die Reagentienpapiere Statt hat?
Die Sache mag sich nun verhalten, wie man will, so wuͤrde nach meiner Ansicht
folgen, daß die Eisen- und Potassiumcyanuͤre sich in verschiedenen
wandelbaren Verhaͤltnissen verbinden koͤnnen, so daß also die
gewoͤhnliche gelbe dreifache blausaure Verbindung, die weiße des Proust, das
aufloͤsbare Blau des Berzelius und wahrscheinlich auch das im Handel
vorkommende Berlinerblau eben so viele verschiedene Abstufungen bildeten.
Diejenigen, welche annehmen, daß das kaͤufliche Berlinerblau seine
Unaufloͤsbarkeit nur der Gegenwart der Thonerde zu verdanken habe, glauben,
ohne Zweifel, auch, daß man immer aufloͤsbares Berlinerblau mittelst eines
Salzes aus Eisenprotoxyd und gewoͤhnlicher dreifacher blausaurer Verbindung
erhaͤlt. Es verhaͤlt sich aber nicht so. Wenn dieses Blau
aufloͤsbar seyn soll, muß das blausaure Kali im Ueberschusse vorhanden seyn,
sonst erhaͤlt man nur gewoͤhnliches Berlinerblau, d.h.,
unaufloͤsbares.
Da ich schon vor langer Zeit die Schwierigkeit wahrnahm, die so oft Statt hat, wenn
man Queksilbercyanuͤr aus kaͤuflichem Berlinerblau bereitet, selbst
nach vorlaͤufigem Aussuͤßen mit Saͤure, so gab ich dieses
Verfahren auf. Das Kali, oder vielmehr das Potassiumcyanuͤr, welches in
diesem Blau enthalten ist, vereinigt sich in den Mutterlaugen mit dem darin
befindlichen Queksilbercyanuͤr, und bildet eine dreifache Verbindung, die ich
anderswo beschrieben habe, und aus welcher man das Queksilbercyanuͤr nickt
mehr abscheiden kann. Ich zog es daher vor Berlinerblau frisch zu bereiten, und, um
schneller zu arbeiten, bediente ich mich gewoͤhnlich der Aussuͤßwasser
von Colcothar, die ich zu diesem Gebrauche bei Seite stellte: wir hatten indessen
zufaͤllig keine bei der Hand. Der Zoͤgling, der mit der Verfertigung
der Blausaͤure beauftragt war, bediente sich eines Protosulfates, und mischte
die Aufloͤsungen ohne auf irgend ein Verhaͤltniß zu achten: er meinte,
daß es noch immer Zeit waͤre, dasjenige der beiden Salze zuzusezen, von
welchem zu wenig in der Mischung vorkommen wurde. Als er aber die daruͤber
stehende Fluͤssigkeit pruͤfte, und fand, daß weder das eine noch das
andere Salz vorwaltete, glaubte er, er habe zufaͤllig das gehoͤrige
Verhaͤltniß getroffen, und schritt alsogleich zum Aussuͤßen. Er fand
sich aber in seiner Erwartung ganz sonderbar getauscht, als er nach zwei oder drei
Abgießungen wahrnahm, daß kein Niederschlag mehr erfolgte. Er erzaͤhlte mir
den Zufall, und
vermuthete, daß dieser Umstand von einem Mangel an der Oxydation des Eisens
herruͤhrte. Ich ließ einige Pinten Chloraufloͤsung zusezen, und
stellte die Mischung an die Luft. Ich ließ sie erhizen; ich wendete alle Mittel an,
die mir zwekmaͤßig schienen, um einen Niederschlag zu erzeugen: Alles
vergebens. Ich dachte nun, daß dieser Umstand davon herruͤhre, daß man nicht
die gehoͤrigen Verhaͤltnisse getroffen hat, und suchte, um
aͤhnlichen Nachtheil zu vermeiden, die vorteilhaftesten Verhaͤltnisse
zu bestimmen. Ich bereitete daher zwei Aufloͤsungen; die eine aus
Eisenprotosulfat (gruͤnen Eisenvitriol), die andere aus der dreifachen
blausauren Verbindung: in jeder dieser Aufloͤsungen war der zehnte Theil
ihres Gewichtes von diesen Salzen aufgeloͤst. Von ersterer nahm ich zehn
Theile und sezte nach und nach so lang blausaure Aufloͤsung zu, bis alles
Eisen niedergeschlagen war, ohne daß jedoch die Fluͤssigkeit einen Ueberschuß
von blausaurer Aufloͤsung enthielt. Ich fand auf diese Weise, daß zehn Theile
der ersteren zwoͤlf Theile der lezteren forderten, um eine vollkommene und
gegenseitige Zersezung zu bewirken. Nachdem nun dieses Resultat ein Mal gefunden
war, machte ich drei Mischungen; die eine war in den angefuͤhrten
Verhaͤltnissen bereitet; die andere enthielt zwoͤlf Theile blausaure
Verbindung und nur neun Theile Eisenaufloͤsung; die dritte endlich bestand
aus zwoͤlf Theilen blausaurer Verbindung und aus eilf Theilen Protosulfat.
Das Verhaͤltniß der blausauren Verbindung blieb also bestaͤndig,
waͤhrend jene des Eisenoxydsalzes in einer dieser Mischungen unter, in der
anderen uͤber dem verlangten Verhaͤltnisse stand. Es ist
uͤberfluͤssig zu bemerken, daß ich in die drei Glaser
hinlaͤnglich Wasser zugoß, damit der Niederschlag sich gehoͤrig bilden
konnte. Im ersten Augenblike hatten die drei Niederschlaͤge beinahe dasselbe
Aussehen; sie waren alle gleichfoͤrmig gruͤnlich weiß, und schattirten
sich, wenn man sie an der Luft schuͤttelte. Ich ließ sie ruhig stehen. Am
anderen Morgen pruͤfte ich die daruͤber stehenden
Fluͤssigkeiten, und war nicht wenig erstaunt, als ich keinen Unterschied an
denselben wahrnehmen konnte: keine derselben gab, weder mit Eisenaufloͤsung
noch mit der Aufloͤsung einer blausauren Verbindung, einen Niederschlag, und
alle drei waren gleich vollkommen neutral. Ganz anders verhielt es sich aber an den
darauf folgenden Tagen. In dem Maße, als die Niederschlaͤge mehr
gefaͤrbt wurden, boten die Absuͤßwasser, wenigstens zwei derselben,
neue Kennzeichen dar. Jenes aus der Mischung in dem Verhaͤltnisse von zehn zu
zwoͤlf erzeugte nie einen Niederschlag durch die beiden oben
erwaͤhnten Reagentien, bei keiner Periode des Abgießens, waͤhrend
jene, die nur neun Theile schwefelsaure Verbindung hatte, durch
Eisenaufloͤsung einen bedeutenden Niederschlag gab, und jene mit eilf
Theilen, im Gegentheile, mit Aufloͤsung von blausaurer Verbindung, wie es zu erwarten
stand. Ich bemerkte, gleich in den ersten Tagen des Versuches, daß der Niederschlag
der Mischung, in welcher die blausaure Verbindung im Ueberschusse war, sich weit
tiefer blau faͤrbte, als jener der beiden anderen; ich sah aber auch, daß
dieser Niederschlag sich weit langer schwebend erhielt, und nach acht bis
zehntaͤgigem Auswaschen war es mir nicht mehr moͤglich irgend eine
Abgießung zu erhalten. Der Niederschlag war in einem vollkommenen Zustande von
Aufloͤsung, und die Fluͤssigkeit verlor durch Filtriren nichts an der
Tiefe ihrer Farbe. Ich sezte Kochsalzsaͤure zu, um mit dem Auswaschen
fortfahren zu koͤnnen, und ich hoͤrte auf dieselbe zuzusezen, sobald
ich wahrnahm, daß die abgegossenen Fluͤssigkeiten keinen Ruͤkstand
mehr gaben. Sobald aber der Ueberschuß von Saͤure verschwand, zeigte sich
neuerdings Aufloͤsbarkeit des Ruͤkstandes. Es ist also, nach diesem
dreifachen Versuche, gewiß, daß die Aufloͤsbarkeit des Berlinerblau nur durch
Einwirkung eines Ueberschusses an alkalischem Cyanuͤr erhalten wird.
Ehe ich diese Bemerkungen schließe, will ich, gelegentlich, eine Bemerkung
uͤber die Blausaͤure beifuͤgen, und erinnern, daß ich mich
bereits gegen das Wort Blausaͤure (acide
prussique) erklaͤrt habe; eine Benennung, die
diesem Koͤrper nicht zukommt, indem er nicht im mindesten Grade die
Eigenschaft besizt sich zu saͤttigen, und die kleinsten Mengen von Basen, die
man ihm zusezt, ihren alkalischen Charakter zu behalten fortfahren. Ich denke daher,
daß man diesen Koͤrper nicht als Saͤure bezeichnen sollte, sondern als
ein Wasserstoffcyanuͤr (Cyanure d'hydrogène), und dieß stimmte dann mit einer der
Hypothesen, welche Berzelius uͤber den Bestand der
Eisencyansaͤure aufstellte. Dieser beruͤhmte Gelehrte, der Anfangs die
Existenz dieser Saͤure verwarf, oder sie nur als saures
Wasserstoff-Blausaures Eisen gelten lassen wollte, ist von dieser Idee
zuruͤkgekommen, und druͤkt sich in feiner Chemie des Eisens auf
folgende Weise aus:
„Es ist in der That eine hoͤchst merkwuͤrdige Erscheinung,
daß dieser Koͤrper weit deutlicher ausgesprochene saure Eigenschaften
besizt, als die reine Blausaͤure, waͤhrend man doch erwarten
sollte, daß die elektro-negativen Eigenschaften dieser lezteren durch
ihre Verbindung mit einem so elektro-positiven Koͤrper, wie das
Eisen, sich vermindern sollten.“ Ich will hier im Vorbeigehen
bemerken, daß dieß gerade derselbe Einwurf ist, den ich gemacht habe, und der sich
in meiner zweiten Abhandlung uͤber die blausauren Verbindungen befindet.
„Dieser Umstand,“ fuͤgt Hr. Berzelius noch bei, „hat zu vielen
Hypothesen uͤber die Natur dieses Koͤrpers Veranlassung gegeben.
Porret, und nach ihm Thompson und Robiquet, haben ihn als eine
eigene Saͤure betrachtet, in welcher das metallische Eisen einen Bestandteil derselben
bildet. Gay-Lussac betrachtet ihn als die
Saͤure eines aus Eisen und Cyanogen zusammengesezten Radikalen, das er
Cyanoferre nennt.“ Ich habe diese
Hypothese fruͤher aufgestellt: sie findet sich gleichfalls in meiner
Abhandlung. „Auf der anderen Seite,“ sagt Hr. Berzelius noch, „kann man
diesen Koͤrper fuͤr ein saures blausaures Eisenoxydul nehmen,
welches mit drei Mal so viel Blausaͤure, als im neutralen Salze,
verbunden ist, und welches, bei der Tendenz des Eisens mit anderen Salzen
Doppelsalze zu bilden, die Eigenschaft einer staͤrkeren Saure, als die
Blausaͤure nicht ist, besizt. Endlich,“ sagt er,
„kann man es noch als ein doppeltes Eisen- und
Wasserstoff-Cyanuͤr betrachten, in welchem der Wasserstoff mit
zwei Mal so viel Cyanogen, als das Eisen verbunden ist etc.“
Nun habe ich aber in meinen Untersuchungen uͤber diese Saͤure
geaͤußert, daß er auch als gebildet aus Blausaͤure und
Eisencyanuͤr betrachtet werden kann, indem er durch bloße trokene
Destillation in diese beiden Bestandtheile zerlegt wird. Wenn man nun annehmen
wollte, daß die Blausaͤure ein wahres Wasserstoffcyanuͤr ist, so
waͤre die Erfahrung hier in vollkommenem Einklange mit der Hypothese des Hrn.
Berzelius.
Es ist noch ein Punkt uͤbrig, auf welchen ich die Aufmerksamkeit der Chemiker
lenken moͤchte.
Man hat bisher nur Eine Blausaͤure aufgestellt, und es ist nicht erwiesen, daß
es nicht deren mehrere geben koͤnnte. Es ist uͤberdieß lein Beispiel
vorhanden, daß ein und dasselbe Radicale zwei Wasserstoffsaͤuren besizt. Ganz
anders verhaͤlt es sich aber mit den den Cyanuͤren analogen
Verbindungen. Wenn die Blausaͤure wirklich ein Wasserstoffcyanuͤr ist,
so ist es wahrscheinlich, daß es noch ein anderes geben muͤsse. Was mich
geneigt macht, dieß zu glauben, ist die verschiedene Wandelbarkeit dieser
Verbindung. Ich habe welche gesehen, deren voruͤbergehende Dauer kaum einige
Stunden lang anhielt, und andere, die sich beinahe eine unbestimmt lange Zeit
uͤber gut erhielten: beide wurden auf dieselbe Weise bereitet. Diese
sonderbare Anomalie scheint mir von einem Unterschiede in der Zusammensezung
herruͤhren zu muͤssen. Vielleicht daß die Erfahrung dieß eines Tages
erweisen wird.