Titel: Einige Versuche über das Sehen. Von Samuel Sharpe, Esqu., F. G. S.
Fundstelle: Band 36, Jahrgang 1830, Nr. LXXIX., S. 377
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LXXIX. Einige Versuche uͤber das Sehen.Man scheint bei dem Gebrauche, wie bei der Verfertigung der optischen Instrumente (was manchem Optiker und optischen Instrumentenmacher sonderbar scheinen duͤrfte, und dessen ungeachtet doch wirklich so ist) zuweilen das Sehen zu vergessen; man denkt mehr an das Instrument, als an das Auge. Viele Brillenschleifer, sogar manche gelehrte Optiker, und die wenigsten Menschen uͤberhaupt wissen nicht, daß wir im Grunde alle einaͤugig sind, d.h. nur mit Einem Auge zu sehen gewohnt sind, nur auf den Ausspruch Eines Auges allein achten, und das andere Auge so zu sagen nur in Reserve haben. Indessen kann jeder sich leicht hiervon uͤberzeugen, der folgenden Versuch anstellen will, welchen der Uebersezer von dem sel. Dr. Gall (vor 40 Jahren ungefaͤhr) an sich vornehmen mußte, weil der gute Doctor ihm beweisen wollte, daß jeder Mensch, als Ebenbild der Gottheit, einaͤugig ist. Man stelle eine brennende Kerze vor sich hin. Man halte, beide Augen offen und mit denselben sehend, ein Messer mit der Hand vor beide Augen hin, die Schneide gegen die Flamme zugekehrt. Man versuche das Messer so zu stellen, daß, waͤhrend man mit beiden Augen auf den Ruͤken desselben sieht, die Flamme des Lichtes durch das Messer in zwei gleiche Theile getheilt ist. Man lasse sich nun durch irgend Jemanden, der zur Seite steht, sagen, auf welches Auge der Schatten des Messers faͤllt. Man halte nun dasjenige Auge, auf welches der Schatten des Messers nicht faͤllt, mit seiner Hand zu, waͤhrend man fortfahrt das Messer und seine Augen in derselben Lage zu halten, und man wird wahrnehmen, daß die Flamme des Lichtes noch immer, wie vorher, getheilt bleibt. Sobald aber das Auge, auf, welches der Schatten des Messers faͤllt, zugehalten wird, wird man die Flamme des Lichtes nicht mehr durch das Messer, wie ehevor, in zwei gleiche Theile getheilt sehen, sondern das Messer wird rechts, und die Flamme des Lichtes links stehen, oder umgekehrt, je nachdem das rechte oder linke Auge dasjenige ist, mit welchem man eigentlich sieht. Denn es ist offenbar, daß, waͤhrend man, mit beiden Augen sehend, die Flamme des Lichtes theilte, man dasjenige Auge gar nicht zu Rathe zog, welches, wenn man es mit der Hand zuhaͤlt, die Flamme nach wie vor getheilt laͤßt, und daß man eigentlich nur mit demjenigen Auge sah und sieht, nur dasjenige Auge braucht, welches, sobald es mit der Hand zugehalten wird, die Flamme nun nicht mehr getheilt erscheinen laͤßt. Unter Hunderttausenden wird man vielleicht nicht einen Menschen sinken, bei welchem der Schatten des Messers mitten uͤber die Stirne und Nase fiele, gleich weit von jedem Auge entfernt, und der folglich mit beiden Augen zugleich sehe. Man kann diesen Versuch auch des Tages, ohne Kerzenlicht anstellen, wenn man z.B. die Schnur einer Haͤngelampe an der Deke des Zimmers, oder irgend eine senkrechte Linie mit dem Messer auf obige Weise in zwei gleiche Theile der Laͤnge nach theilte, oder allenfalls auch nur einen senkrechten Baumstamm mit dem Finger. Aus dieser Eigenheit der Menschen, immer nur mit Einem Auge zu sehen, und nach dem Ausspruche eines Auges allein zu handeln, erklaͤrte Dr. Gall auch die bekannte Erscheinung, daß alle Fußwege uͤber Felder und Wiesen, uͤber frisch gefallenen Schnee nicht in geometrisch gerader Linie hin laufen, wie man vermuthen sollte, da der gerade Weg der kuͤrzeste ist, sondern sich abwechselnd bald rechts bald links schlaͤngeln. Es waͤre sehr der Muͤhe werth, daß unsere Optiker und Instrumentenmacher haͤufiger verschiedene Versuche uͤber die Art, wie man sieht, und uͤber die Zufaͤlligkeiten, die hierbei Statt haben, anstellen moͤchten. Rumford hat die Bahn gebrochen, auf der sie nur fortschreiten duͤrfen, um zu nuͤzlichen Resultaten zu gelangen.A. d. Ue. Von Samuel Sharpe, Esqu., F. G. S. Aus dem Philosophical Magazine and Annals of Philosophy. April 1830. S. 281. Mit Abbildungen auf Tab. VII. Sharpe, Versuche uͤber das Sehen. I. Versuch. Ich hielt eine Karte zwischen mein Auge und eine brennende Kerze, und bewegte sie nach und nach so, daß sie endlich beinahe die ganze Flamme bedekte. Die Kante der Karre erschien mir dann roth gefaͤrbt, und Gelb und Blau etc. schienen in ihrer Aufeinanderfolge weiter von der Karte entfernt. Die Ordnung der Farben beweist, daß der Lichtstrahl (wenigstens groͤßten Theils) um oder gegen die Kante zu, und nicht von der Kante weg gebrochen wird.Newton scheint sich selbst in seinen Optics und Principia zu widersprechen, indem er in einem dieser Werke sagt, daß Licht ringsum oder gegen,“ und in dem anderen, daß es von der dazwischen kommenden Kante weg gebrochen wird.A. d. O. In Fig. 4. ist A der Durchschnitt der Flamme; B, des Auges; CD, der Karte. RGV sind drei prismatische Strahlen Statt sieben: der Kurze wegen. Die rothen Strahlen sind hier haͤufiger, wegen der Farbe der Flamme. Wenn die Karte noch mehr gegen V bewegt wird, so sieht man kein Roth mehr, und Blau und Violet sind so blaß, daß man sie kaum mehr wahrnimmt. Nach einer, eben nicht sehr genauen, Messung schienen die rothen Strahlen um ungefaͤhr 28 Minuten gebrochen. Meine Messung war nicht so genau, um mit Bestimmtheit angeben zu koͤnnen, ob verschiedene Koͤrper das Licht auf verschiedene Weise brechen. Die glaͤnzendsten Strahlen schienen mehr auf der Karte, als an der Seite derselben, wie in Fig. 11., und bildeten den Saum, wie in Versuch V., und nach der daselbst angegebenen Ursache. Ein Theil der Ursache der geringeren Genauigkeit obiger Messung lag eben in diesem Saume. Wenn ich eine zweite Karte B, Fig. 12., zwischen der ersten Karte A und der Kerze in derselben Richtung anbrachte, so verschwand der Strahl, indem er nach C gebrochen wurde. Wenn ich die Karte in entgegengesezter Richtung anbrachte, wie bei D, so hatte keine scheinbare Veraͤnderung Statt, indem, wenn auch ein Strahl um D herumgebrochen wird, andere da waren, die auf A fielen. Wenn aber die zweite Karte genau A gegenuͤber angebracht wurde, wie bei E, so wurden die gefaͤrbten Strahlen nach und nach gegen E gezogen, wie es naͤher kam. II. Versuch. Ich hielt das Ocularglas eines Teleskopes mit zwei parallelen Faden eines Spinnengewebes vor mein Auge, und bewegte dasselbe so lang vor der Kerze, bis das Licht schief auf die Faden des Spinnengewebes fiel. Der Faden bei R, Fig. 4., war vollkommen roth, und so wie ich ihn gegen V bewegte, erhielt er alle nach der Ordnung des Prisma auf einander folgende Farben. Dieser Versuch erwies noch deutlicher und genuͤgender als der vorige, daß jede einem Lichtstrahle genaͤherte Kante denselben bricht; er zeigte aber nicht, ob der Lichtstrahl gegen die auffangende Kante hin oder von derselben weg gebrochen wird, und es war nicht klar, auf welcher Seite des Fadens des Spinnengewebes der Lichtstrahl hinzog. III. Versuch. Ich sah dann durch einen Spalt zwischen zwei parallelen Karten auf die Kerze, welche zuweilen 1/40 Zoll, zuweilen weniger weit von einander entfernt waren, und hier erschien mir die Kerze, wie in Fig. 5., sehr breit, und an den Kanten roth; naher gegen die Mitte hin war sie gelb, und in der Mitte etwas licht blau oder violet. Das Roth und Gelb war sehr vorwaltend wegen der Farbe der Kerze. Zugleich zeigte sich zu jeder Seite eine Reihe von kleineren Kerzen, deren aͤußerer Rand roth, der innere aber violet war. Wenn die Karten weiter von einander entfernt wurden, war die Flamme weniger verzerrt; so wie in Fig. 6., und die Spuren der Seitenflammen waren zwar haͤufiger, standen aber naͤher an einander. Wenn die Karten weniger von einander entfernt waren, war die Flamme mehr verzerrt, wie in Fig. 7., und die Seitenflammen waren breiter, aber weniger. In jedem dieser drei Faͤlle war aber die Breite der ganzen Lichterscheinung dieselbe, indem die Brechung dieselbe war: je groͤßer aber die Zahl der Lichtstrahlen war, die durch die Oeffnung durchgingen, desto großer war die Zahl der Kerzen, in welche die farbigen Lichtstrahlen sich wieder zusammen sammelten. IV. Versuch. Wenn ich durch ein rundes Loch in der Karte von ungefaͤhr demselben Durchmesser (1/40 Zoll) auf die Kerze sah, so war die Wirkung beinahe dieselbe; sie schien aber weniger regelmaͤßig, weil die Oeffnung kreisfoͤrmig war. Wenn ich aber das Loch kleiner machte, und innerhalb zwei Fuß Entfernung von der Kerze kam (denn bei dem vorigen Versuche stand ich in einer Entfernung von 10 Fuß von der Kerze), konnte ich keine Farbe mehr unterscheiden, und das Loch zeigte sich, wie in Fig. 5., mit einem deutlich leuchtenden Mittelpunkt: der aͤußere Theil war aber mit dunklen Strahlen, die von dem Mittelpunkte ausfuhren, bezeichnet. Wenn ich meine Augenlieder etwas schloß, so blieb der Mittelpunkt derselbe, aber einzelne Theile oben und unten am aͤußeren Kreise wurden dunkler, wie in Fig. 9., und wenn die Augenlieder noch mehr geschloffen wurden, so verdunkelte sich noch mehr oben wie unten an dem aͤußeren Kreise, wie in Fig. 10., zum deutlichen Beweise, daß das Licht sowohl durch die Regenbogenhaut (Iris), als durch' die Pupille in das Auge tritt. Der leuchtende Mittelpunkt wird von jenen Lichtstrahlen gebildet, die ununterbrochen durch die Pupille eintreten, und der aͤußere Strahlenkreis ist der Schatten der Iris, der auf den Hinteren Theil des Auges geworfen wird, wenn er nicht durch die Dazwischenkunft der Augenlieder, wie in Fig. 9 und 10., vermindert wird. Der glaͤnzende Reflex eines Fensters oder einer Kerze auf die Kugel eines Thermometers gibt, aus derselben Ursache, dieselben Strahlungen. V. Versuch. Wenn eine Karte so gehalten wird, daß sie einen Gegenstand nur gerade bedekt, so scheint die Karte mit dem Gegenstande eingefaßt, oder der Gegenstand erscheint so, als ob er durch die Kante der Karte (Versuch I. und Fig. 11.) gesehen wuͤrde. Dieß ruͤhrt davon her, daß die Pupille nicht ein Punkt ist, sondern ein Raum von merklicher Groͤße. Es kommt hier dasselbe znm Vorscheine, wie wann man mit beiden Augen sehend, die Kerze mittelst einer Karte nur vor Einem Auge verbirgt, wo man dann glaubt die Kerze durch die Karte zu sehen. Von diesem Saume, oder von dieser Einfassung, von der Unbestimmtheit des Umrisses entsteht die Unbehaglichkeit, die man zuweilen im Auge fuͤhlt, wenn man auf ein Stuͤk feines Nezgewebe durch ein anderes Stuͤk sieht. VI. Versuch. Wenn man das Auge mit einem durchdringenden Blike auf einen Gegenstand in einer Entfernung von 6 Fuß heftet, um kleine Theile an demselben zu unterscheiden, so verflacht sich die Krystalllinse, d.h., sie wird so vorgerichtet, daß der Brennpunkt weiter von derselben entfernt wird. Wenn man das Auge dann ploͤzlich auf einen Lichtpunkt in Entfernung von 9 Zoll kehrt, so sieht man einen dunklen Punkt in demselben, wie in Fig. 13. VII. Versuch. Wenn man ein Licht durch ein Kutschenglas sieht, das man mir dem Athem truͤb machte, so erscheint das Licht mit einem Ringe in den Farben des Prismas umgeben: Roth ist außen am Kreise, Violet an dem innersten Ringe desselben. Fig. 14. VIII. Versuch. Wenn man den glaͤnzenden Lichtpunkt an einer Thermometerkugel beobachtet, so sieht man die aͤußere Kante des Flekes, der durch die Iris in das Auge gelangt (Fig. 8, 9, 10, 13.), roth gefaͤrbt, woraus erhellt, daß das Auge nicht vollkommen achromatisch, sondern, wie die englischen Optiker sagen, unter-corrigirt (under-corrected) ist. Die Pupille scheint aber vollkommen achromatisch, obschon es vielleicht unlogisch ist, die Pupille so zu nennen, indem sie an und fuͤr sich der einzige Maßstab ist, den wir besizen, und keinen anderen haben, mit welchem wir sie vergleichen koͤnnen.

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