| Titel: | Ueber die wahre Methode der Bereitung des Sauerteiges zu dem berühmten Debrecziner Weizenbrote. | 
| Autor: | Georg Karl Rumy | 
| Fundstelle: | Band 36, Jahrgang 1830, Nr. XCIV., S. 465 | 
| Download: | XML | 
                     
                        XCIV.
                        Ueber die wahre Methode der Bereitung des
                           Sauerteiges zu dem beruͤhmten Debrecziner Weizenbrote.Die Redaction hat dem Mitarbeiter, welcher ihr den Artikel uͤber den
                                 Debrecziner Prof. Rumy zugesandt, und dieser hat einige Noten beigeschrieben,
                                 die der gelehrte Hr. Professor nicht unguͤtig aufnehmen wird. Wir haben
                                 im zweiten Aprilhefte unseres Polytechn. Journales S.
                                 114. einen (uns sehr schaͤzbaren) Aufsaz eines ehemaligen
                                 Baͤkermeisters zu Wien uͤber den Debrecziner Sauerteig
                                 mitgetheilt, der unsere fruͤhere Notiz uͤber denselben im Polytechn. Journ. erstes Jaͤnnerheft S. 66. theils bestaͤtigt, theils berichtigt.
                                 Eben dieß ist der Fall mit der gegenwaͤrtigen Mittheilung des gelehrten
                                 Hrn. Professors. Wir glauben, daß man dem Brote, so viel auch der edle
                                 unsterbliche Parmentier fuͤr die Verbesserung
                                 desselben that, noch nicht jene Aufmerksamkeit schenkte, die es, als erster und
                                 vorzuͤglichster Nahrungsartikel aller europaͤischen
                                 Voͤlkerstaͤmme (mit Ausnahme der im hoͤchsten Norden
                                 wohnenden) in so mannigfaltiger Ruͤksicht verdient. Wir scheinen alle
                                 vergessen zu haben, daß Lingnet schon vor 60 Jahren
                                 erwiesen hat, daß Tausende und Tausende jaͤhrlich bloß durch den Genuß
                                 von schlechtem Brote (saurem naͤmlich, nicht gehoͤrig gegohrenem,
                                 nicht gehoͤrig gebakenem, schimmeligem, selbst wenn es aus dem besten
                                 Mehle ist) vor der Zeit dahin sterben Brot ist, nach Luft und Wasser, das erste
                                 und Wichtigste Lebensbeduͤrfniß. Die Herren Schreiber, die mit der
                                 Aufsicht auf das Brot beschaͤftigt sind, bedenken nicht, daß der
                                 Buͤrger und Bauer eben so nothwendig ein gesundes, nahrhaftes Brot haben
                                 muß, wenn er leben, d.h. arbeiten und dafuͤr Steuern bezahlen soll, als
                                 sie ihre muͤrben Brezchen und Wekchen zum
                                 Fruͤhstuͤke, ihre Mundsemmeln zum Mittags- und Abendtische
                                 haben muͤssen, wenn sie leben, d.h.
                                 muͤssig gehen und nichts arbeiten sollen. Ihre Aufsicht
                                 beschraͤnkt sich hoͤchstens auf den unseligen Brotsaz: sie
                                 bestimmen, zum Nachtheile des Publikums und des Baͤkers zugleich, die
                                 Quantitaͤt, nicht aber die Qualitaͤt. Das Militaͤr ist
                                 beinahe der einzige Stand eines jeden Landes, in welchem (weil beinahe allein in
                                 diesem Stande strenge und puͤnktliche Ordnung ist, und Maͤnner,
                                 keine Federnfuchser, die Aufsicht in demselben fuͤhren) fuͤr gutes
                                 und gesundes Brot gesorgt wird Selbst in diesem ehrenwerthen Stande
                                 koͤnnte das Brot noch besser und gesuͤnder und wohlfeiler seyn,
                                 wenn nicht die Schreiberzunft, unter welcher leider auch die
                                 Volksbildungsanstalten, die Unterrichtsanstalten stehen, die physischen und
                                 mathematischen Wissenschaften absichtlich unterdruͤkte, damit ihr Geld
                                 zur Maͤstung der Lehrer der Leute ihrer Kaste uͤbrig bleibt.A. d. R.
                           
                        Eingesendet von Dr. Georg Karl Rumy,
                        Rumy, uͤber Bereitung des Debrecziner
                           Sauerteiges.
                        
                     
                        
                           Professor der ungarischen Rechte und Custos der
                              Primatial-Bibliothek zu Gran in Ungarn, ehemals Professor der Oekonomie,
                              Guͤterverwaltungslehre, Technologie, Chemie, Physiologie und
                              oͤkonomisch-technologischen Naturgeschichte in dem
                              landwirthschaftlichen Institute Georgikon zu Keßthely in Ungarn.
                              An den Herausgeber des polytechnischen Journales.
                           Ew. Wohlgeboren wuͤnschen in Ihrem, auch in meinem Vaterlande nach Verdienst
                              geschaͤzten, wahrhaft gemeinnuͤzigen polytechnischem Journal, Januar
                              1830. S. 66., bei Gelegenheit der Mittheilung uͤber die Bereitung des ganz
                              eigenthuͤmlichen Ferments zu dem beruͤhmten Debrecziner Weizenbrote
                              aus dem Industriel belge, dem Journal des connaissances usuelles und dem Bulletin
                                 des sciences technologiques (Ihre Mittheilung wurde auch in ungarische
                              Zeitschriften, namentlich in die Ofner gemeinnuͤzigen Blaͤtter, in die
                              Ofner Handlungszeitung
                              fuͤr Ungarn Nr. 15. und in die Pesther Biene Nr. 13., und zwar mit Angabe der Quelle, aufgenommen),
                              „daß irgend ein achtbarer Buͤrger des ungarischen Athen (fuͤr welches Debreczin mit Recht gilt, denn
                                 es sind und waren an dem dortigen LyceumRichtiger Collegium, denn die Reformirten in
                                       Ungarn und Siebenbuͤrgen nennen ihre Hochschulen, die
                                       fuͤglich mit Akademien und Universitaͤten verglichen
                                       werden koͤnnen, da in ihnen Philosophie, die mathematischen,
                                       physikalischen, historischen, philologischen, theologischen
                                       Wissenschaften, die Politik und die vaterlaͤndischen Rechte
                                       docirt werden, nach dem Beispiel der Englaͤnder, Collegien.R–y. immer ausgezeichnete Gelehrte) eine bessere und
                                    die wahre Methode angeben moͤchte, nach welcher der Sauerteig zu
                                 dem koͤstlichen Debrecziner Brote bereitet wird,“ und
                              fuͤgen sehr schmeichelhaftOhne alle Schmeichelei, mein Hr. Professor. Der Mitarbeiter, der den Artikel
                                    uͤber Debrecziner Sauerteig in das Jaͤnnerheft einschikte, ist
                                    ein Bayer, ein Alt-Bayer, ein grober Boar, und folglich zu jeder
                                    Schmeichelei von Mutterleib aus unfaͤhig. Wenn der Bayer etwas lobt,
                                    so geht sein Lob von Herzen aus, weil er in diesem das als gut
                                    fuͤhlt, was er lobt: und wenn er etwas tadelt, so spricht er aus
                                    freier Brust und scheuet Niemanden. Da man nun dieß in der feinen Welt grob
                                    seyn nennt, und da es, vorzuͤglich in der feinen Welt, vieles zu
                                    tadeln gibt, so hat der Bayer sich das Epithetum des Groben so allgemein erworben, wie die feinen Griechen das des Falschen: von den goldenen Zeiten der lezteren an
                                    bis auf den heutigen Tag ist graeca fides die
                                    Aufschrift des griechischen Wappenschildes geblieben, und selbst die edleren
                                    unter den alten Griechen, die Zeitgenossen des Aristoteles, sangen laut von
                                    ihren lieben Landsleuten: „ἀει
                                          ψεῦδες,
                                          κακοδαιμονες,
                                          γαζἐρες
                                          ἀργαι.“ Ein Bayer wird nie schmeicheln, aus dem natuͤrlichen Grunde,
                                    weil er es nicht kann, und wahrscheinlich ist es diese Ungeschiklichkeit,
                                    die den Bayer auch bei dem Ungar etwas gelten laͤßt, obschon er ein
                                    foto, Nimeth ist. Wenigstens lernten wir
                                    mehrere edle Magyaren kennen, die den geraden Bayer lieber in ihrer Nahe
                                    haben, als den kriechenden, schleichenden Razen. Der Ungar kann auch nicht
                                    kriechen, so wie der Bayer es nicht kann.A d. M. (aber zugleich mit vollem Rechte) fuͤr mein Vaterland und meine
                              Landsleute hinzu: „die europaͤische Industrie koͤnnte noch
                                 manches aus der ungarischen lernen, die man, so wie das edle ungarische Volk
                                 selbst, in Europa noch zu wenig kennt, und nicht nach voller Wuͤrde zu
                                 schaͤzen weiß.“ (Leider!)Leider machen sich die sonst so sprachlustigen Deutschen, die ganz
                                    kosmopolitisch das Gute, Gemeinnuͤzige, Schoͤne und bewahrte
                                    Neue von jeder Nation, bei der sie es finden, dankbar annehmen und sich
                                    aneignen, mit der magyarischen Sprache (und doch ist diese sonor, wie die
                                    spanische, stark und energisch, wie die deutsche und englische, feierlich,
                                    imponirend und majestaͤtisch, wie die lateinische, anmuthig und
                                    leicht, wie die griechische und franzoͤsische, suͤß im Gesang,
                                    wie die italienische) und Literatur nicht vertraut, und doch wuͤrden
                                    sie nicht nur in der lyrischen, epischen und dramatischen Poesie der
                                    Magyaren zur Uebertragung in's Deutsche so viel werthvolle Ausbeute finden,
                                    als in der spanischen,Alle Achtung vor der Literatur der Spanier im Osten von Europa (wir
                                          meinen naͤmlich hier die Magyar
                                             Ember. die so viele, viele Aehnlichkeit mit den Spaniern
                                          besizen, und die, wie diese, Jahrhunderte lang mit und unter den
                                          Orientalen lebten); indessen wird uns der Hr. Professor erlauben,
                                          daß die spanische Literatur der ungarischen weit voraus steht nicht
                                          bloß in Anciennitaͤt, sondern auch im Umfange und in der
                                          Masse, wenn wir ihm auch gern zugeben, daß, in Hinsicht auf Gehalt,
                                          viele, sehr viel, Werke ungarischer Gelehrten und Dichter mit den
                                          besten Werken der spanischen Literatur auf der Goldwage der Kritik
                                          gewogen gleich schwer wie, gen. Das heutige Europa kennt das alte
                                          Spanien, seine Literatur, seinen Einfluß auf die heutige Bildung
                                          aller Laͤnder Europens zu wenig; es hat vergessen, daß
                                          Deutschland sammt den Niederlanden und Italien einst spanische
                                          Provinzen waren; es hat vergessen, daß Spanien, welches die Araber
                                          so weise und so gluͤklich Jahrhunderte lang beherrschten,
                                          deren Kalifen alle Schaͤze des klassischen Alterthumes, der
                                          Griechen wie der Lateiner, in ihren Bibliotheken, freilich nur in
                                          arabischen Uebersezungen, sammeln ließen,*) im Lichtglanze aller
                                          Wissenschaften und Kuͤnste strahlte,
                                          waͤhrend ganz Europa noch in gothischer und roͤmischer
                                          Finsterniß begraben lag; daß die Fuͤrsten, die Koͤnige
                                          und Kaiser, die Paͤpste selbst, ihre Leibaͤrzte
                                          (meistens arabische Juden) aus Spanien kommen ließen, da alle ihre
                                          Moͤnchskloͤster sammt der Scola
                                             Salernitana ihnen nur Leute lieferten, die wohl fuͤr
                                          das Heil ihrer Seele, aber nicht fuͤr das ihres
                                          Koͤrpers zu sorgen wußten; daß eben diese Fuͤrsten
                                          etc. ihre Baumeister, ihre Geometer, ihre Astronomen, ihre Juweliere
                                          und Goldarbeiter, ihre Waffenschmiede, Faͤrber, Gerber etc.
                                          aus Spanien von den Mauren kommen ließen; daß, als die armen,
                                          hochgebildeten Saracenen und Mauren nach und nach der ungeheueren
                                          Masse der brutalen Menge, die, raubbegierig, uͤber sie
                                          herfiel, weichen mußten,„Mauria capta ferum victorem
                                                   cepit
                                                et artes*
                                                )
                                                Intulit agresti
                                                   Europae;“daß, ferner, Italien, aus welchem so viele
                                          glauben, daß das Licht der Welt ausgegangen sey, weil es die ersten
                                          Universitaͤten hatte, seinen literarischen Impuls durch die
                                          spanischen Paͤpste,
                                          Cardinaͤle, Juris Consulti etc.
                                          erhielt (man sehe wie dankbar die heutigen Gelehrten Italiens in der
                                          Biblioteca italiana bei jeder
                                          Gelegenheit auf Spanien, als die Wiege ihrer Cultur, uns Undankbare
                                          hinweisen, denen Alles, was wir vergessen haben oder noch nicht
                                          kennen, spanisch vorkommt); daß kein Fach
                                          des menschlichen Wissens, vor der sogenannten Restauration der
                                          Wissenschaften, in der Literargeschichte vorkommt, in welcher nicht
                                          der Name eines spanischen Mauren oder Christen oben an
                                          stuͤnde; daß Spanien, bis zur Einfuͤhrung der
                                          Jesuiten, auch als ganz christliches Spanien, noch immer Koryphaͤen in jedem Fache des
                                          menschlichen Wissens hatte, und selbst in den schoͤnen
                                          Kuͤnsten (die spanische Schule in der Malerei); daß
                                          die heutige Taktik in allen ihren Zweigen spanischen Ursprunges ist,
                                          und Spuren der Regierung Karls V. sich noch heute zu Tage in den
                                          Werkstaͤtten der Schuster so gut, als auf der Lehrkanzeln der
                                          Universitaͤten in Valsalva und der hochnothpeinlichen
                                          Halsgerichtsordnung, und selbst in der Etiquette aller Hoͤfe
                                          finden: denn das Wort Etiquèta
                                          selbst ist spanischen Ursprunges, (und es ist uͤberhaupt in
                                          der ganzen Welt wirklich mehr spanisch, als auch demjenigen spanisch
                                          vorkommt, der nicht uͤberall spanische Schloͤsser
                                          siebt); daß der alte, selbst den Roͤmern furchtbare, große,
                                          erhabene spanische Geist selbst noch unter den ausgearteten
                                          Nachkommen Karls in den Fesseln der Jesuiten, fortstrebte
                                          unaufhaltbar zu Allem Schoͤnen und Großen; daß, selbst
                                          nachdem die Bourbons den legitimen Thronerben Spaniens zugleich mit
                                          der alten spanischen Sitte und mit dem alten spanischen
                                          Geiste- auf eine gute Art, wie es in der bourbonischen
                                          Sprache heißt- aus der Welt zu schaffen wußten, in den
                                          neuesten Zeiten noch Spanier uͤbrig blieben, die, fuͤr
                                          ihr Vaterland, dem großen Manne gegen uͤber im Kampfe zu
                                          sterben, und was noch mehr ist, dem kleinsten Manne der Halbinsel
                                          gegenuͤber, auf jenem Eylande, das sie retten halfen, vor
                                          Hunger zu verschmachten wissen. Matthias Corvinus hatte allerdings
                                          einige Jahrzehende fruͤher als Karl V. Europa mit dem Glanze
                                          seiner unsterblichen Groͤße erleuchtet, und die undankbare
                                          Nachwelt hat zu fruͤhe vergessen, wie viel sie ihm an ihrer
                                          heutigen Bildung schuldet: allein, das Schiksal, das das Leben eines
                                          leuchtenden Johanniswuͤrmchens mit derselben
                                          Gleichguͤltigkeit zu beherrschen scheint, mit welcher es
                                          uͤber die Leuchtsterne der Menschheit waltet, ließ den Stern
                                          des Hunyader nicht so lang in der Nacht der Nachwelt leuchten, als
                                          jenen Karls. Geschichte, Erdbeschreibung, Statistik ist in der
                                          spanischen Literatur mehr bearbeitet, als man glaubt; selbst
                                          Naturgeschichte, Physik, Oekonomie, Technologie und besonders
                                          angewandte Mathematik in allen Theilen: der Hr. Professor beliebe
                                          nur die Ocios espagnoles. die die armen
                                          exitirten Spanier zu London herausgeben, und die jeder
                                          Menschenfreund sich halten sollte, um das Elend dieser
                                          ungluͤklichen hochverdienten Maͤnner lindern zu
                                          helfen, nachzusehen, und er wird sich von der Wahrheit unserer
                                          Bemerkungen uͤberzeugen. Spanien wuͤrde durch Sennor
                                          Don Lagasca eine Flora erhalten haben,
                                          wie kein anderes Land eine aufzuweisen haͤtte; er schmachtet
                                          jezt zu London mit hundert anderen eben so geistreichen
                                          Maͤnnern, wie er selbst ist.Allerdings hat Hr. Prof. Rumy sehr Recht, wenn er den Deutschen, ungeachtet
                                          ihrer „Sprachlustigkeit,“ die er billig
                                          anerkennt, vorwirft, das; sie die ungarische Sprache und Literatur
                                          zu sehr vernachlaͤssigen; sie wuͤrde ihnen viele
                                          Belehrung und hohen Genuß verschaffen. Der junge Mann, der
                                          orientalische Sprachen erlernen will, wuͤrde in Erlernung der
                                          ungarischen eine Vorschule, eine wahre Propaͤdeutik zu
                                          denselben finden; denn das Schema der Magyaren-Sprache ist
                                          beinahe ganz orientalisch. Er haͤtte ferner den Vortheil, daß
                                          er sich mir einem hoͤchst edlen Volke, das jeder Ehrenmann
                                          hochachten, jeder gute Mensch lieben muß wegen der Vortrefflichkeit
                                          seines Charakters, muͤndlich unterhalten koͤnnte, wenn
                                          sein Schiksal ihm das Gluͤk zugedacht hat unter dasselbe zu
                                          kommen. Allein, so sprachlustig wir Deutsche auch sind, und so
                                          sprechlustig noch weit mehrere unter uns sind, so
                                          vernachlaͤssigen wir doch auf eine straͤfliche Weise
                                          die Erlernung der Sprachen unserer naͤchsten Nachbarn, und
                                          berauben uns muthwillig der nicht zu berechnenden Vortheile, die wir
                                          davon haben wuͤrden, wenn wir mit unseren lieben guten
                                          Nachbarn sprechen koͤnnten. Wir entwuͤrdigen uns
                                          selbst. Wenn der Ungar aus einem guten Hause nach Wien in ein gutes
                                          Haus kommt, so sprich: er so gut deutsch, wie der Wiener, so gut wie
                                          dieser, franzoͤsisch, italiaͤnisch, englisch, und, mit
                                          Erlaubniß der sehr ehrenwerthen Wiener, er spricht alle diese
                                          Sprachen noch besser, reiner, wie sie. Seine vieltoͤnige
                                          Sprache hat seine Zunge gebrochen, und er articulirt alle
                                          Doppellauter und Mitlauter der Auslaͤnder mit einer Reinheit
                                          und Praͤcision, die dem Londoner und Pariser Bewunderung
                                          abnoͤthigt. Nirgendwo in der Welt, selbst nicht zu Meißen und
                                          Dresden, wird die deutsche Sprache so rein und schoͤn
                                          gesprochen, als dort, wo man es am wenigsten vermuthen sollte, dicht
                                          an der tuͤrkischen Grenze, in Siebenbuͤrgen: der
                                          Siebenbuͤrger, der immer auch ungarisch und walachisch
                                          spricht, hat seine Zunge brechen gelernt, und articulirt jeden
                                          Buchstaben genau. Wir wollen nun fragen: wer ist der Gebildeter: der
                                          Ungar und Siebenbuͤrger. der alle die Sprachen spricht,
                                          welche der Wiener spricht, und der sie sogar noch besser spricht,
                                          der noch uͤberdieß sein schoͤnes Ungarisch als
                                          Muttersprache spricht, und vielleicht auch noch slavisch, und durch
                                          diese leztere Sprache auch alle Werke der Polen und Russen
                                          benuͤzen kann; oder der Wiener, der sein
                                          Wiener-Deutsch, sein Wiener-Franzoͤsisch etc.
                                          spricht, und seinen lieben Nachbar, der nur 7 Stunden weit von ihm
                                          wohnt, nicht versteht? Der gebildete Ungar liest Alles, was alle
                                          Deutsche von der Zeit an, als sie Deutsch schreiben lernten, bis
                                          jezt geschrieben haben; warum soll fuͤr seinen deutschen
                                          Nachbar der Schaz der Kenntnisse, den die ungarische Nation sich
                                          seit den Jahrhunderten, in welchen sie mit so vieler Ehre bestand,
                                          erworben hat, warum sollen die Ideen der geistreichen
                                          Maͤnner, die Bilder der Genies dieser Nation fuͤr ihn
                                          unzugaͤngig und verloren seyn? Es waͤre sehr zu
                                          wuͤnschen, daß die Erziehung der Deutschen (wenigstens in
                                          Oesterreich) der Erziehung der Ungarn gleich gestellt wuͤrde,
                                          und daß, so wie der Ungar Deutsch lernt, so der Deutsche Ungarisch
                                          lernte. Wert groͤßer vielleicht, als in literarischer
                                          Hinsicht, waͤre der Nuzen fuͤr das buͤrgerliche
                                          Leben. Der deutsche Geschaͤftsmann, der Geschaͤfte in
                                          Ungarn hat, wird dieselben mit weit groͤßerem Vortheile
                                          betreiben, wenn er ungarisch kann, als wenn er sich eines
                                          Dragomanen, eines Dolmetschers bedienen muß, und Ungarn hat
                                          Schaͤze auf der einen und Beduͤrfnisse auf der anderen
                                          Seite genug, die es der Muͤhe werth machen, in diesem Lande
                                          Geschaͤfte zu treiben. Kaiser Joseph, unsterblichen
                                          Andenkens, befahl, daß, da bei den oͤsterreichischen
                                          Regimentern so viele Boͤhmen und Polen sind, die kein Deutsch
                                          verstehen, jeder Cadett im Cadettenhause, als der Pflanzschule
                                          kuͤnftiger Officiere, boͤhmisch lernen sollte, damit er mit seinem Manne
                                          sprechen koͤnne. Dieß war, so viel wir wissen, der Rath
                                          seines treuen Freundes, des vortrefflichen Boͤhmen, Grafens
                                          Kinsky. Wuͤrde der Kaiser
                                          laͤnger gelebt, und die bloß durch den Clerus gegen ihn
                                          aufgereizten Ungarn endlich besaͤnftigt haben, er
                                          wuͤrde seine Cadetten sicher auch haben ungarisch lernen
                                          lassen, so wie er mit der Idee umging, daß alle seine Beamten
                                          boͤhmisch, polnisch und ungarisch lernen sollten. Er hatte
                                          sich fruͤhe uͤberzeugt, daß es mit dem Germanisiren
                                          der Slaven und Magyaren ewig nicht gelingen wird; die Deutschen, die
                                          unter diese Voͤlker kommen, vergessen ehe ihr Deutsch, als
                                          daß jene von ihnen Deutsch lernen, und die Kinder der Deutschen
                                          verlernen oͤfters schon in der ersten Generation in Polen,
                                          Boͤhmen und Ungarn ihre deutsche Muttersprache, wenn die
                                          Kindsmaͤgde Polinnen, Boͤhminnen oder Ungarinnen sind.
                                          Wenn in den unteren Schulen mehr auf lebende Sprachen, als auf
                                          Griechisch und Latein Ruͤksicht genommen wuͤrde, das
                                          nur fuͤr Gelehrte nothwendig ist, so wuͤrde nicht bloß
                                          mehr Lebendigkeit in das Leben gebracht werden; sondern die
                                          Voͤlker wuͤrden sich auch gegenseitig mehr achten und
                                          lieben lernen. So, wie es gegenwaͤrtig ist, stehen sie sich
                                          wie Stumme einander gegenuͤber, und verstaͤndigen sich
                                          leider nur zu oft durch Stoͤße. Sieht es doch sogar jezt das
                                          unmoͤgliche Ministerium in Frankreich mitten in der Nacht der
                                          Congregation ein, daß es sich mit seinen Nachbarn
                                          verstaͤndigen muͤsse, und befiehlt, daß auf allen
                                          Gymnasien in Frankreich Deutsch und Englisch gelehrt werde!*) Jeder Literator weiß, daß wir manches Buch und manches
                                          Bruchstuͤk eines Buches der griechischen und
                                          roͤmischen classischen Literatur
                                          nur aus Uebersezungen arabischer Handschriften in spanischen
                                          Bibliotheken kennen gelernt haben; jeder Literator weiß, daß
                                          Tausende und Tausende arabischer Handschriften in den Bibliotheken
                                          der Staͤdte, Universitaͤten und Kloͤster
                                          Spaniens vergraben liegen, und mit jeder Stunde mehr und mehr von
                                          Motten und Moder zerfressen werden (wie viel enthaͤlt nicht
                                          das Escurial allein von diesen Schaͤzen!); jeder Mensch, der
                                          sich um die Fortschritte des menschlichen Geistes kuͤmmert,
                                          weiß, daß Hundert-Tausende arabischer Manuscripte in Spanien
                                          bei und nach Vertreibung der Araber (Saracenen, Mauren) verbrannt
                                          wurden, und das; man heute zu Tage noch, wie zur Zeit der
                                          Einfuͤhrung der Inquisition, in Spanien alles ehe
                                          erhaͤlt, als Zutritt zu diesen „Werken des Teufels
                                             und der Hoͤlle!“ („obras del xefe de los Demonios y dei
                                                infierno.“)A. d. M.*) Diese Artes waren allerdings nicht die
                                          beaux arts et belles lettres, die
                                          schoͤnen Kuͤnste, auf
                                          welche der Araber, wie der Ungar, nicht den hoͤchsten Werth
                                          legt: denn dem Araber, wie dem Ungar, ist nichts schoͤn, was
                                          nicht wahr ist („rien n'est beau
                                                que le vrai, le vrai seul est aimable“); es
                                          waren aber die nuͤzlichen Kuͤnste und Wissenschaften
                                          die Landwirthschaft in allen ihren Zweigen; die Mathematik, reine
                                          und angewandte, in ihren feinsten Zeraͤstlungen; Physik,
                                          Chemie, und die auf alle diese sich gruͤndende
                                          Technologie.A. d. M. sondern auch vorzuͤglich im Fache der Geschichte,
                                    Erdbeschreibung, Statistik Ungarns und dessen
                                    Nebenlaͤnder, in der Naturgeschichte, Physik, Oekonomie, Technologie,
                                    angewandten Mathematik (besonders Mechanik, Architectur, Hydraulik und
                                    Hydrotechnik), Medicin, Philologie, Jurisprudenz und Staatswissenschaften,
                                    ja selbst in der Theorie der schoͤnen Kuͤnste, in der
                                    Philosophie und Theologie viel Neues lernen koͤnnen (in jedem Fall
                                    mehr als aus der spanischen und portugiesischen Literatur in diesen
                                    Faͤchern). Mehr Gerechtigkeit lassen der magyarischen Sprache und
                                    Literatur jezt die Englaͤnder
                                    wiederfahren, wie man aus dem neuen trefflichen Werk von John Bowring in
                                    London „Poetry of the Magyars, preceded by
                                          a sketch of the language and literature of Hungary and Transylvania.
                                          By John Bowring. London 1830“ (es ist dem kais.
                                    oͤsterreichischen Gesandten am großbritannischen Hofe, dem
                                    Fuͤrsten Paul Eszterházy gewidmet, und unter den vielen
                                    angesehenen Praͤnumeranten in England findet man auch die Namen der
                                    englischen beruͤhmten Dichter Thomas Moore und Walter Scott) ersehen
                                    kann. Auch die Franzosen benuzen bereits die magyarischen Zeitschriften
                                    fuͤr ihre Journale, was die Deutschen noch nicht thun. Der
                                    erwaͤhnte Englaͤnder John Bowring wurde auf den Werth der
                                    magyarischen Literatur durch die Uebersezung einiger magyarischen lyrischen
                                    Gedichte, die ihm vor einigen Jahren in die Haͤnde fielen,
                                    aufmerksam, und beschloß die magyarische Sprache zu lernen und sich mit der
                                    magyarischen Dichtkunst vertraut zu machen. Er wandte sich an einen
                                    gelehrten Freund in Wien (den kais. Bibliotheks-Custos Kopitar), ihm
                                    Jemanden anzurathen, durch den er die literarischen Huͤlfsmittel
                                    erhalten koͤnnte. Dieser verwies ihn an mich. Ich verschaffte ihm nun
                                    vor drei Jahren magyarische Grammatiken, Woͤrterbuͤcher, die
                                    Werke der vorzuͤglichsten magyarischen Dichter u.s.w., und die Frucht
                                    seines Studiums der magyarischen Sprache und Literatur ist jenes Werk.R–y. – Ich hoffte bisher, daß einer der Buͤrger dieses „ungarischen
                                 Athens“
                              Erlauben Sie, daß ich en passant, sine ira et
                                       studio, bemerke, daß das Praͤdicat
                                    „ungarisches Athen“ fuͤr die gute Stadt
                                    Debreczin nicht recht paßt. Abgesehen davon, daß die in einer beinahe
                                    wasserlosen Ebene liegende offene Stadt Debreczin mit dem alten und heutigen
                                    Athen, das eine auf einer Anhoͤhe liegende Burg (die Akropolis)
                                    und einen beruͤhmten Hafen hat, an und fuͤr sich nicht
                                    verglichen werden kann, so kann Debreczin selbst wegen seines
                                    bluͤhenden reformirten Collegiums, das allerdings seit jeher
                                    gruͤndliche Gelehrte und Schriftsteller unter seinen Professoren
                                    zahlte, nicht fuͤglich das ungarische Athen genannt werden, weil
                                    unter den Einwohnern von Debreczin die Geistescultur und der
                                    aͤsthetische Kunstgeschmak nicht so allgemein verbreitet ist, wie
                                    unter den alten Athenern. Aus demselben Grunde koͤnnte manDer Mitarbeiter, der Debreczin das „ungarische
                                             Athen“ nannte, wußte sehr wohl, daß Debreczin auf
                                          einer ungeheueren Puszta liegt, kein Wasser hat, und keine Akropolis
                                          besizt, sondern ein großer offener Ort ist. Er nannte Debreczin nur
                                          in der Hinsicht das „ungarische Athen,“ weil
                                          daselbst die Wissenschaften seit Errichtung des dortigen reformirten
                                          Collegiums mit einem Eifer und einer Thaͤtigkeit betrieben
                                          wurden, wie es an anderen Lehranstalten Ungarns nicht immer der Fall
                                          war, und weil er (obgleich Auslaͤnder) sehr wohl weiß, daß
                                          viele der ausgezeichnetesten Gelehrten Ungarn's fruͤherer und
                                          neuerer Zeiten aus dieser achtbaren Lehranstalt hervortraten;
                                          wenigstens ausgezeichnetere, als aus der ehemaligen
                                          Jesuiten-Universitaͤt zu Tyrnau, wo der unsterbliche
                                          Wintert beinahe lebendig verbrannt worden waͤre, wenn Joseph
                                          ihn nicht gerettet und sammt dem besseren Theile dieser
                                          beklagenswerthen Universitaͤt nach Pesth versezt
                                          haͤtte.
                                    Goͤttingen und Jena, troz ihrer beruͤhmten Universitaͤten, nicht
                                    ein „deutsches Athen“ nennen, weil auch in diesen
                                    Staͤdten die geistige Bildung und der aͤsthetische Geschmak
                                    nicht unter der gesammten Bevoͤlkerung hinlaͤnglich verbreitet
                                    ist (ich spreche aus Erfahrung, in der Voraussezung, daß seit 1803 in der
                                    Philisterwelt dieser zwei Universitaͤtsstaͤdte keim große
                                    Veraͤnderung in's Bessere vor sich ging –), wohl aber hat man
                                    das schoͤne, ehrende Praͤdicat „deutsches
                                       Athen“ mit mehr Recht der saͤchsischen Stadt Weimar
                                    Alle Verehrung vor Weimar, das, so lang der sel. Großherzog mit
                                          seiner Unsterblichen daselbst lebte, der Lichtpunkt am deutschen
                                          Himmel gewesen ist; indessen kann ich dem gelehrten Herrn Professor
                                          nicht zugeben, daß Weimar das
                                          „deutsche Athen“ ist; nicht allenfalls um
                                          dadurch zu trozen, daß er mir in mein ungarisches Athen Bresche
                                          schoß; sondern weil das „deutsche Athen“ ganz
                                          anderswo gelegen ist, wie ich alsogleich so gelehrt als
                                          moͤglich, graece et latine so gut
                                          ich es kann, beweisen werde. Der „beruͤhmte Hafen
                                             Athen's,“ von welchem der Herr Professor oben sprach,
                                          half mir zur Entdekung der wahren Lage des „deutschen
                                             Athens.“ Wie hieß dieser Hafen? MOYNYXIA, auch
                                          MYNYXIA;*) also Muͤnchen:
                                          Muͤnchen ergo. das selbst der
                                          bayersche Bauer besser griechisch ausspricht, indem er sagt Muͤnichen, als die Gelehrten die
                                          Muͤnchen schreiben,
                                          Muͤnichen ist das „deutsche Athen,“ denn
                                          es heißt, wie sie hier etymologisch griechisch, und gleich unten ex poëtis, latinè erwiesen
                                          sehen werden, genau so, wie der Hafen des alten Athen. Bei uns an
                                          der Isar in Bayern sind die „Arces Munychiae“
                                          i.e. Athenae ipsae; nur bei uns werden
                                          Sie die „rura
                                                munychia“ wieder finden. Fliegen Sie herauf zu
                                          uns mit Mercur's Fluͤgeln, wie der Caducifer in Ovid's Metamorphosen,Munychiosque volans agros, gratamque
                                                MinervaeDespectabis humum, cultique arbusta,
                                                Lycaei,Grajugenos pueros lepidos et dulce
                                                loquentes.A. d. M.*) Sie sehen daher, wie omnes Grammatici et
                                             Geographi longe halucinantur et toto coelo aberrant, wenn
                                          sie Muͤnichen (Mynychia) in
                                          lateinischer Sprache Monachium
                                          nennen, und sich einbilden, es kaͤme von dem altdeutschen
                                          Worte Muͤnch (d. j. Moͤnch) her, als ob es von
                                          Moͤnchen in die Welt gesezt worden waͤre; eine
                                          Moͤnchsstadt waͤre u. dergl. Nein, nein! Muͤnichen ist Athen; ist sogar der
                                          wichtigste Theil von Athen; der Hafen von Athen, und in diesen
                                          muͤssen alle Griechen nach und nach einlaufen.A. d. M. gegeben, ungeachtet sie keine Universitaͤt hat, weil in ihr
                                    Cultur
                                    und Geschmak mehr allgemein verbreitet ist, und in ihrer Mitte seit
                                    laͤngerer Zeit viele Dichter, Kuͤnstler und Schriftsteller
                                    lebten und Weimars Regenten gleich dem atheniensischen Pisistratus die Musen
                                    vaͤterlich schuͤzen und foͤrdern. Mit mehr Recht
                                    koͤnnte man Pesth
                                    Pesth ist nicht das Athen Ungarn's,
                                          sondern Ungarn's Korinth, „Ungariae caput atque
                                                decus“ wie die Alten von Korinth in Bezug auf
                                          Griechenland sagten.A. d. M.das ungarische Athen nennen, da es nicht
                                    nur eine Universitaͤt besizt, sondern daselbst auch im Mittelstande
                                    Cultur und Geschmak, wie auch atheniensische Lebenslust, Unterhaltungssucht
                                    und Geselligkeit mehr verbreitet sind als zu Debreczin. Ich will jedoch auch
                                    diese Vergleichung nicht strenge urgiren, denn omne
                                       simile claudicat.R–y., namentlich ein Professor des dasigen reformirten Collegiums (vor allen der
                              Professor der Mathematik
                              und Physik, Paul Sárvári, oder der
                              Professor der Naturgeschichte, Chemie und Technologie, Franz Kerekes, oder der Professor der Statistik, Politik und Philosophie, Daniel
                              Ertsei, saͤmmtlich gruͤndliche Gelehrte
                              und von mir geschaͤzte Freunde), Ihrem Wunsch und Ihrer Aufforderung entsprechen wuͤrde,
                              zumal da Ihre Aufforderung in drei ungarischen Zeitschriften abgedrukt wurde, wenn
                              auch vielleicht das polytechnische Journal nicht in Debreczin gelesen werden sollte:
                              da jedoch bisher aus Debreczin keine Antwort weder im polytechnischen Journale, noch
                              in einer ungarischen Zeitschrift erfolgte, so habe ich mich entschlossen, Ihren
                              gerechten Wunsch zu erfuͤllen, und glaube dazu berufen zu seyn, indem ich
                              zwar kein Buͤrger des „ungarischen Athen's“ bin, wohl
                              aber vor 30 Jahren, in dem Schuljahre 1799/1800 in dem beruͤhmten und
                              bluͤhenden Debrecziner Athenaͤum, dem dasigen reformirten Collegium,
                              ehe ich mich auf die Goͤttinger Universitaͤt verfuͤgte, die
                              griechische, roͤmische, hebraͤische, franzoͤsische und
                              magyarische Philologie und Literatur studierte,Mit Vergnuͤgen und Dank erinnere ich mich noch stets an die
                                    geistreiche Interpretation der griechischen und roͤmischen Classiker
                                    vom Professor Budoi (jezt Superintendent), an die gruͤndliche und
                                    freimuͤthige Exegese vom Professor Kotsi (jezt Prof. der Theologie am
                                    reform. Collegium zu Pápa), an den geschmakvollen Unterricht in der
                                    franzoͤsischen Sprache in außerordentlichen Stunden vom Professor
                                    Sárvári (noch am Leben), und an die wissenschaftlichen
                                    Vorlesungen in der kraftvollen magyarischen Nationalsprache.R–y. uͤber neun Monate taͤglich Debrecziner Weizenbrot aß, auch
                              mich an Ort und Stelle um die Art der Bereitung des Debrecziner Ferments zu dem
                              schoͤnen großen Weizenbrote erkundigte, aus welcher meines Wissens die
                              Debrecziner Hausfrauen und Baͤkerinnen (denn das große schoͤne
                              Debrecziner Weizenbrot wird nur von weiblichen Haͤnden, nicht von
                              Baͤkern gebaken) kein Geheimniß machen.Auch die redseligen Debrecziner Brotverkaͤuferinnen (Kofák genannt) koͤnnten sich nicht
                                    enthalten, darum befragt, das Geheimniß, wenn es eines waͤre, zu
                                    verrathen.R–y.
                              
                           Die mir bekannt gewordene wahre Methode, das Debrecziner Ferment zu bereiten, die in
                              manchen, zum Theil wesentlichen Stuͤken von der in den franzoͤsischen
                              Journalen und in dem polytechnischen Journal angegebenen Methode abweicht, ist
                              folgende.
                           Man nimmt 1/4 Preßburger MezenDer Preßburger Mezen (Kila) ist = 75 Preßburger
                                    Halben Regenwasser, die Halbe Regenwasser = 1 1/2 Pfund und 100 Gran Wiener
                                    Gewicht, = 46 Kubikzoll, mithin der ganze Preßburger Mezen = 2 Kubikfuß Wiener
                                    Maß, mithin ungefaͤhr einem Wiener Mezen gleich. Zwar bestimmte das
                                    ungarische Reichstagsgesez vom Jahre 1807 im 22sten Artikel, daß der
                                    Preßburger Mezen nicht mehr als 64 ungarische Halben fassen soll, und so
                                    wuͤrde der neue, gesezlich eingefuͤhrte Mezen um 11 Halben
                                    Wasser kleiner, als er fruͤher war: allein sehr bald kehrte man im
                                    gemeinen Leben wieder zu dem vorigen Preßburger Mezen von 75 Halben
                                    zuruͤk. Der Pesther Mezen enthaͤlt 96 Halben. – Der
                                    Wiener Eimer enthaͤlt (nach dem 7ten Paragraph der k. k. Instruction
                                    uͤber Maße und Gewichte) 41 Maß (82 Halben) destillirten Wassers von
                                    16° des Reaumurschen Thermometers, welche 13 551 279
                                    Richtpfenningstheilen der Wiener Mark an Wasserschwere gleichen. Die Wiener
                                    Matz ist = 350 519 Richtpfenningstheilen. Die ungarische Halbe (ieze) ist im 2 1/4 + 1/8 oͤsterr. Seitel
                                    circa (weil das Achtel nicht voll wird). Eine Halbe destillirten Wassers ist
                                    = 194 688 Richtpfenningstheilen.R–y. Weizenkleien (buzakorpa) und vermischt sie wohl mit einer
                              Pinte (einem Maaß, oder zwei ungarischen Halben, ieze)
                              Hopfen (Komló).Nach der Angabe im polytechnischen Journal laͤßt man zwei starke
                                    Handvoll Hopfen in vier Pinten Wasser kochen und gießt die Abkochung
                                    uͤber so viel Weizenkleie, als von derselben vollkommen befeuchtet
                                    werden kann. Die Abkochung des Hopfens ist aber nicht nothwendig.R–y. Dann loͤst man eine kleine Quantitaͤt gewoͤhnlichen
                              Sauerteig (Kovász)Nach jener Angabe nimmt man 4 Pfund Sauerteig, was zu viel ist. warmem Wasser auf, gießt diese Aufloͤsung uͤber die mit dem
                              Hopfen gemischten Weizenkleien und knetet diese Masse so, wie der Brotteig geknetet
                              wird. Die geknetete Masse laͤßt man an einem temperirten Orte zwei Stunden
                              langNach jener Angabe 24 Stunden lang, was uͤberfluͤssig ist. stehen, waͤhrend welcher Zeit sie in Waͤhrung
                              uͤbergeht. Dann bildet man aus dieser fermentirten Masse Kugeln oder
                              Kloͤse (gombócz), welche man in frischen
                              Kleien umherwaͤlzt, damit sie nicht an einander haͤngen,Dieser wesentliche Umstand wird in jener Angabe nicht angefuͤhrt. und legt sie dann uͤber ein Sieb oder uͤber eine ausgespannte
                              Leinwand,Nicht auf ein Brett, wie in jener Angabe gesagt wird, denn auf einem Brette
                                    wuͤrde das Troknen schwieriger seyn. um sie im Sommer in der warmen Luft im Freien, im Winter in der Nahe des
                              warmen Ofens zu troknen.Jene Angabe erwaͤhnt nicht des Troknens am warmen Ofen im Winter. Wenn die Ferment-Kugeln oder Kloͤse von außen genug getroknet
                              sind, so zerbricht man sie in 4 bis 6 Fragmente, damit sie auch inwendig ganz
                              austroknen.Dieses wichtigen Umstandes geschieht in jener Angabe keine
                                    Erwaͤhnung. Nachdem sie vollkommen getroknet sind, legt man sie in SaͤkchenDieser wird in jener Angabe nicht erwaͤhnt. und haͤngt diese an einem trokenen Orte auf, wo man sie ein ganzes
                              Jahr langNicht bloß ein halbes Jahr lang, wie in jener Angabe gesagt wird.R–y. zum Gebrauch aufbewahren kann.
                           Die Anwendung dieses Sauerteiges zu den großen Debrecziner Brotlaiben von 1 1/2
                              Kubikfuß und daruͤber ist in den franzoͤsischen Journalen und im
                              polytechnischen Journal richtig und umstaͤndlich genug angegeben: nur haͤtte
                              bemerkt werden sollen, daß man zu Debreczin die Bakoͤfen nicht mit Holz
                              (woran Debreczin bekanntlich Mangel leidet), sondern mit Stroh, Rohr oder
                              getroknetem Rindermist (nach orientalischer Weise) heizt, wodurch ohne Zweifel
                              sicherer der noͤthige gleichfoͤrmige Waͤrmegrad erreicht wird,
                              als wenn man mit Holz heizen wuͤrde.
                           Uebrigens wird in Ungarn nicht bloß zu Debreczin mit einem solchen Ferment so
                              schoͤnes großes Weizenbrot gebaken, sondern auch zu Mischkolcz, Rimaszombat,
                              Komorn, Raab, und zu Scharnowitz (Zsarnova,
                                 Žarnovicza)Das magyarische zs und slawische Ž wird so sanft wie das
                                    franzoͤsische j in jardin, jour u.s.w. ausgesprochen. – Aus Zsarnova
                                    fuͤhrt man vorzuͤglich nach Schemnitz und Kremnitz viel
                                    Weizenbrot. in dem Barscher Comitat.Auch das Weizenbrot zu Kecskemét und Eperjes steht in gutem Ruf. Ich zweifle nicht, daß man auch in Deutschland und Frankreich mit Ferment
                              nach Debrecziner Art und durch gleiche Anwendung desselben beim Baken, eben so
                              schoͤnes und schmakhaftes Weizenbrot baten konnte, wenn man (dieß ist conditio sine qua non) eben so guten Weizen, wie der
                              ungarische (besonders der Banaler) ist, dazu nehmen wuͤrde, welchen man ja,
                              im Nothfall, leicht aus Ungarn beziehen koͤnnte. Das weiche Wasser zu
                              Debreczin scheint keinen besondern Einfluß auf die gute Qualitaͤt des
                              Weizenbrotes zu haben, da es auch an andern Orten, da wo hartes Wasser ist, eben so
                              gut geraͤth. Die unzuͤnftigen Baͤkerinnen zu Debreczin,
                              Mischkolcz u.s.w. verdienen aber nicht bloß wegen der Schmakhaftigkeit ihres
                              schoͤnen Brotes belobt zu werden, sondern auch deßwegen, weil sie ihre großen
                              Brotlaibe von 1 1/2 Kubikfuß und daruͤber durchaus gehoͤrig und
                              vollkommen auszuhaken verstehen, was den zuͤnftigen Baͤkern so oft bei
                              kleinen Brotlaiben mißlingt.Wenn der magyarische Bauer Weizenbrot, Gulyás-Fleisch mit
                                    tuͤrkischem Pfeffer (paprika, Capsicum annuum
                                       Linn.), Zwiebeln und Kuͤmmel bereitet, Spek und einen Trunk
                                    Wein hat, nothduͤrftig bekleidet ist, und von seinem Gutsherrn und
                                    dessen Beamten human behandelt wird, wie es die ungarischen Geseze und das
                                    Urbarium (Bauernrecht) fordern, ist er mit
                                    feinem Loos vollkommen zufrieden.
                              
                           Gran, am 22. Mai 1830.