Titel: | Ueber die Hize, welche das Wasser in rothglühenden metallnen Gefäßen annimmt; von V. Lechevalier, Artillerie-Lieutenant. |
Fundstelle: | Band 39, Jahrgang 1831, Nr. LXXXIX., S. 371 |
Download: | XML |
LXXXIX.
Ueber die Hize, welche das Wasser in
rothgluͤhenden metallnen Gefaͤßen annimmt; von V. Lechevalier,
Artillerie-Lieutenant.
(Der Académie des
sciences vorgelesen im August 1830. – Aus dem Journal de Pharmacie, Novbr.
1830, S. 666.)
Lechevalier, uͤber die Hize, welche das Wasser in
rothgluͤhenden metallnen Gefaͤßen annimmt.
Man weiß seit langer Zeit, daß wenn man Wassertropfen auf ein weißgluͤhendes
Metall fallen laͤßt, diese Tropfen an Statt sogleich zu verdampfen, wie man
es erwarten sollte, auf dem Metall nur fast unmerklich verdunsten, und daß sie zu
gleicher Zeit an Statt sich auszudehnen, wie es bei der gewoͤhnlichen
Temperatur geschehen wuͤrde, eine kugelfoͤrmige Gestalt annehmen, wie
das Queksilber auf dem Glase. Man weiß außerdem, daß wenn das Metall sich nach und
nach bis unter die Braunrothgluͤhhize abgekuͤhlt hat, die
Wassertropfen sich auf seiner Oberflaͤche abplatten und augenbliklich unter
lebhaftem Sieden verdampfen. Dieselben Erscheinungen wurden bei einer sehr
betraͤchtlichen Wassermenge beobachtet. Man fand, daß wenn man das Wasser
tropfenweise in einen weißgluͤhenden Platintiegel fallen laͤßt, man
ihn fast ganz anfuͤllen und lange Zeit in diesem Zustande ohne
betraͤchtliche Verdampfung erhalten kann; daß aber, wenn man den Tiegel vom
Feuer nimmt und abkuͤhlen laͤßt, das Wasser, sobald er unter die
Braunrothgluͤhhize kommt, in heftiges Sieden geraͤth und sich sehr
schnell in Dampf verwandelt. Man hat diese Thatsachen durch die Annahme
erklaͤrt, daß das Wasser bei der Rothgluͤhhize die Waͤnde des
Gefaͤßes nicht beruͤhrt und daß alsdann der strahlende
Waͤrmestoff, welcher es allein durchdringt, fast ganz durch dasselbe
hindurchgeht, ohne es zu erhizen, so daß die geringe Temperaturerhoͤhung,
welche durch den wenigen gebundenen Waͤrmestoff entstuͤnde, durch die
Verdunstung auf der Oberflaͤche der Fluͤssigkeit mehr als compensirt
wird.
Seitdem hat Hr. Perkins beobachtet, daß wenn man in den
Generator der Dampfmaschine ein kleines Loch bohrt und denselben sodann erhizt, der
Dampf aus demselben durch das kleine Loch so lange austritt, bis das Gefaͤß
rothgluͤht, worauf alles Ausstroͤmen aufhoͤrt. Diese Thatsache
wurde auf die vorhergehende Erklaͤrung zuruͤkgefuͤhrt. Zu
diesem Ende nahm man an, daß der Ausfluß des Dampfes, welcher durch das kleine Loch
des Generators Statt fand, hinreichte, um das Wasser zu verhindern, waͤhrend
des Erhizens zum Rothgluͤhen, auf 100° C. zu steigen; alsdann ist es
klar, daß bei jener Temperatur die geringe Menge strahlender Waͤrmestoff,
welche von demselben gebunden wurde, den durch die Verdunstung verlorenen Waͤrmestoff nicht
compensiren kann und daß, die Fluͤssigkeit sich bis zu einer gewissen
Graͤnze abkuͤhlen muß.
Ich suchte nun zu ermitteln, was geschieht, wenn man den Kessel an Statt ihn
waͤhrend des Erhizens Dampf verlieren zu lassen, geschlossen haͤlt und
erst dann oͤffnet, wenn er rothgluͤhend geworden ist. Zu diesem Ende
ließ ich einen kleinen cylindrischen Kessel aus Kupfer verfertigen, welcher sechs
Zoll lang war, einen Zoll im Durchmesser und zwei Linien dike Seitenwaͤnde
hatte; an einem Ende war er mit einem cylindrischen Loche von zwei Linien
Durchmesser durchbohrt. Nachdem ich ihn mit Wasser gefuͤllt hatte, schloß ich
ihn mit einem hoͤlzernen Pfropf und trieb ihn in einen eisernen
Buͤgel, welcher den Pfropf festhielt. Ich ließ sodann den Pfropf vier und
zwanzig Stunden umgekehrt, damit lezterer sich aufblaͤhen und die Oeffnung
genau ausfuͤllen konnte. Nach Verlauf dieser Zeit brachte ich den Kessel
durch ein gutes Essenfeuer zum Rothgluͤhen; ich nahm sodann den
hoͤlzernen Pfropf heraus und es trat kein Dampf aus dem Kessel. Um mich zu
versichern, daß er Wasser enthielt, faßte ich ihn mit einer Zange und ließ, indem
ich ihn geschikt umkehrte, eine gewisse Quantitaͤt Fluͤssigkeit aus
ihm auslaufen. Man darf dieses Umkehren nur vornehmen, waͤhrend der Kessel
rothgluͤht und muß rasch verfahren, denn wenn er unter die
Rothgluͤhhize abkuͤhlt, verwandelt sich die darin bleibende
Fluͤssigkeit schnell in Daͤmpfe, wobei eine Detonation Statt findet
und der Kessel mit betraͤchtlicher Kraft zuruͤkgestoßen wird. Bei
einem Versuche, wo die Abkuͤhlung auf dem Eisenbleche der Esse Statt fand,
war die Detonation einem Pistolenschuß vergleichbar und der Kessel wurde mit Gewalt
gegen die Mauer des Gebaͤudes geworfen, welche mehr als vier Fuß davon
entfernt war.
Ich habe diesen Versuch sehr oft wiederholt; manchmal bahnte sich der Dampf einen
Ausweg durch irgend einen Spalt des Pfropfs und trat mit Zischen waͤhrend des
Erhizens aus; bei anderen Versuchen fand hingegen wieder kein betraͤchtlicher
Verlust Statt.
Wenn man folglich annimmt, daß die Temperatur des in einem rothgluͤhenden
Gefaͤße enthaltenen Wassers weniger als 100° C. betraͤgt, so
muß man auch annehmen, daß bei dem vorhergehenden Versuche das Wasser, welches, ehe
der Kessel rothgluͤhend wurde, eine hohe Temperatur erlangt hatte, sich
sodann unter 100° abkuͤhlte als der Kessel die Rothgluͤhhize
erlangte, obgleich bei diesem Umstande kein bemerkenswerther Verlust an
Daͤmpfen Statt fand.
Es war nun noͤthig durch Versuche auszumitteln, ob das Wasser in einem
weißgluͤhenden Gefaͤße, wie man allgemein annimmt, wirklich nur eine Temperatur
unter 100° annimmt. Zu diesem Ende erhizte ich
1) Wasser in einem weißgluͤhenden Gefaͤße und ließ einige Tropfen davon
in die hohle Hand fallen, wobei ich eine geringere Waͤrme fuͤhlte, als
von einer gleichen Anzahl Tropfen siedenden Wassers.
2) Ich ließ Wasser in einem Platintiegel kochen, nahm ihn sodann vom Feuer, so daß es
abkuͤhlen konnte und verglich in verschiedenen Zeitraͤumen die
Temperatur dieses Wassers mit derjenigen von Wasser aus einem weißgluͤhenden
Tiegel; nach meinem Gefuͤhl schienen sie gleiche Temperatur zu haben als das
Wasser, welches gekocht hatte, auf 95° abgekuͤhlt war. Diese beiden
Versuche wurden von mehreren Personen stets mit gleichem Resultate wiederholt.
3) Ich goß Wasser, welches in einem weißgluͤhenden Tiegel erhizt worden war,
in ein Gefaͤß, welches 40 Grammen Wasser von 9,4° C. enthielt; das
Gemisch hatte eine Temperatur von 11,3°; das Gewicht des Gemisches betrug
45,2 Gr., so daß das Gewicht des weißgluͤhenden Wassers 5,2 Gr. war. Ich
stellte nun denselben Versuch an Statt mit weißgluͤhendem, mit kochendem
Wasser an; ich maß davon genau 5,2 Gr., indem ich es in einer an einem Ende
verschlossenen Roͤhre kochen ließ, wo das 5,2 Gr. Wasser entsprechende Volum
mit einem Striche bezeichnet war und fand auch, daß die Temperatur der 40 Gr.
Wasser, in welche man das kochende Wasser goß, von 9,4 auf 11,7° an Statt
11,3° stieg, welche das in einem weißgluͤhenden Tiegel erhizte Wasser
ergibt.
4) Ich brachte Wasser in einem Arzneiglase zum Kochen, goß davon einige Tropfen in
einen rothgluͤhenden Tiegel und als ich sie wenige Augenblike hernach
untersuchte, fand ich, daß sie sich nicht nur in dem rothgluͤhenden Tiegel
abgekuͤhlt hatten, sondern auch schon kaͤlter waren als das Wasser,
welches waͤhrend dieser Zeit fern vom Feuer in dem Arzneiglase gelassen
worden war.
5) Endlich brachte ich auch Wasser in einen weißgluͤhenden Platintiegel und
verschloß ihn vollkommen mit einem Dekel aus demselben Metall; als ich ihn nach
einer gewissen Zeit oͤffnete, fand ich, daß die innere Tension des
Wasserdampfes nicht zugenommen hatte; hieraus kann man schließen, daß die Temperatur
der Fluͤssigkeit nicht gestiegen war, obgleich waͤhrend dieser Zeit
kein Dampfverlust Statt fand.
Aus diesen Thatsachen muß man folgern, daß die Temperatur des in einem
weißgluͤhenden Gefaͤße erhizten Wassers in jedem Falle geringer als
100° ist, daß folglich das Princip des Gleichgewichts der Temperatur in einem
geschlossenen Raume, welches bisher als Basis bei der Waͤrmetheorie
angenommen wurde, nicht mehr zulaͤssig ist und daß dieses Princip unter
gewissen Umstaͤnden Ausnahmen erleidet, ein Resultat, welches sowohl nach dem
Emanations- als nach dem Vibrationssysteme, so wie man sie
gegenwaͤrtig betrachtet, unerklaͤrbar scheint.Die in dieser Abhandlung angefuͤhrten Versuche scheinen unwiderlegbar
zu beweisen, daß das zum Rothgluͤhen erhizte Wasser weniger
Waͤrmestoff als Wasser von der Temperatur von 100° C.
enthaͤlt; so sonderbar dieses Resultat auch scheinen mag, so muß man
es doch zugestehen; sehr wahrscheinlich wird man spaͤter
aͤhnliche Anomalien bei anderen fluͤssigen und selbst festen
Koͤrpern beobachten. Dieses Beispiel lehrt uns uͤbrigens auf
eine augenscheinlichere Weise als jedes andere, daß in der Physik oft die
wahrscheinlichsten Folgerungen nicht immer richtig sind und daß die Analogie
manchmal eine sehr schlechte Fuͤhrerin ist. Wer haͤtte in der
That voraussehen koͤnnen, daß das einer bestaͤndigen Quelle
von Waͤrme ausgesezte Wasser sich abkuͤhlen wuͤrde,
nachdem es sich vorher erhizt hat; es ist dieß eine Thatsache, welche wir
ungeachtet ihrer Evidenz nur ungern zugestehen, so schwer wird es unserm
schwachen Verstande sich der Taͤuschungen zu entledigen, welche er
sich im Vertrauen auf die truͤgerische Analogie gemacht. A. B.(A. d. O.)