Titel: | Ueber das Ventiliren der Schiffe. Von Aristide Vincent. |
Fundstelle: | Band 44, Jahrgang 1832, Nr. XI., S. 61 |
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XI.
Ueber das Ventiliren der Schiffe. Von Aristide
Vincent.
Aus den Annales maritimes et coloniales im
Bulletin d. Scienc.
technol. Juni 1831, S. 81.
Vincent, uͤber das Ventiliren der Schiffe.
Das Schiffs-Sanitaͤtswesen wurde bisher, ungeachtet seiner großen
Wichtigkeit, noch viel zu wenig beruͤksichtigt, wie man bei der Expedition
nach Algier mit Bedauern zu beobachten Gelegenheit hatte. Die Soldaten sind auf den
Kriegsschiffen wegen der großen Menge der zur vollkommenen Ausruͤstung und
Bewaffnung noͤthigen Gegenstaͤnde, und wegen der großen Bemannung in
den Batterieen und Zwischendeken so zusammengehaͤuft, daß sie sich kaum regen
koͤnnen. Diese Zusammenhaͤufung wird erst recht fuͤhlbar und
druͤkend, wenn die See etwas hoch geht, so daß die Stuͤkpforten
sorgfaͤltig verschlossen werden muͤssen, wo dann Licht und Luft nur
mehr durch die Luken Zutritt erhalten! Und sogar diese lezteren muͤssen
zuweilen verschlossen werden. – Die Bemannung eines Schiffes von 74 Kanonen
besteht aus 600 Mann, von denen die Haͤlfte immer auf dem Verdeke ist: es
muͤssen mithin 300 Mann und 5–600 Soldaten in den Batterieen liegen
koͤnnen!
Sezen wir nun, daß alle Stuͤkpforten und alle Luken verschlossen seyn
muͤssen, und berechnen wir, daß jeder von den 900, in den Batterieen
befindlichen Menschen in einer Stunde 800 Liter Sauerstoff verbraucht, die ein
Aequivalent fuͤr 3,80 Cub. Meter Luft sind, so wuͤrde, da in den
Batterieen nur 3 Cub. Meter auf den Mann kommen, nach Verlauf dieser Zeit alle Luft
verzehrt seyn. Da aber der Mensch in einer Luft, von welcher bloß der dritte Theil verbraucht ist, nicht
mehr leben kann, so muͤßten nach einem Aufenthalte von 7 bis 8 Stunden alle
Menschen erstiken: vorausgesezt, daß die Luft bloß durch das Athmen allein verdorben
wird. Allein außerdem duͤnstet unser Koͤrper bestaͤndig
thierische Stoffe aus, welche bald in Faͤulniß uͤbergehen, die Luft
verpesten, sich an die Waͤnde des Schiffes anlegen und dadurch in demselben
einen Geruch unterhalten, der selbst durch das Oeffnen der Stuͤkpforten nicht
mehr ganz entfernt werden kann. Der Geruch des von dem Seewasser angegriffenen
Ballastes, des Theeres, des erwaͤrmten Holzes und vorzuͤglich des
eingesalzenen Fleisches und anderer Nahrungsmittel verpestet die Luft noch vollends
so, daß kein Mensch im Stande ist, dieselbe einige Tage lang einzuathmen, ohne
nothwendig krank zu werden; vorzuͤglich wenn zugleich noch
Veraͤnderung der Nahrung, Mangel an Bewegung, die Seekrankheit und die daraus
folgende Gemuͤths-Verstimmung mitwirken.
Man wird zwar diese Schilderung uͤbertrieben finden, und sagen, daß das Wetter
selten so schlecht ist, daß man gezwungen waͤre, die Truppen in das hier
beschriebene Grab einzuschließen, und daß endlich diese Einschließung selbst in
diesem Falle nicht so hermetisch geschehe, als ich sie hier angenommen habe. Dagegen
kann ich aber sagen, daß dieser Fall eintreten koͤnne, und auch wirklich bei
der Expedition gegen Algier eingetreten sey. Ueberdieß darf ich auch sagen, daß wenn
auch die Stuͤkpforten geoͤffnet sind, dadurch in heißen
Laͤndern die Luft doch noch nicht von allen widrigen Ausduͤnstungen
befreit wird.
Da ich nun nirgendwo gehoͤrige Vorsichtsmaßregeln getroffen sehe, um die
Gesundheit der zahlreichen Mannschaft oder der Reisenden zu sichern, so
duͤrfte es nicht schaden, die Aufmerksamkeit der Seeleute auf die beste Art
der Ventilation und Desinfection der Schiffe zu lenken.
Man fing an, das Chlor hierzu zu benuzen; allein die Gefahr des Einathmens desselben
in groͤßerer Menge verbannte die Anwendung desselben um so mehr, als das
Kalk-Chloruͤr dieselben Wirkungen hervorbringt, ohne dabei die
Gesundheit der Mannschaft einer Gefahr auszusezen, oder irgend eine Unbequemlichkeit
im Schiffe zu veranlassen. Jedermann weiß sich uͤberdieß des Chlorkalkes
gehoͤrig zu bedienen. Nur ein einziges Hinderniß steht demselben im Wege, und
dieß liegt in seinem, noch immer hohen Preise! Aus diesem Grunde muß die Anwendung
dieses vortrefflichen Mittels noch immer fuͤr außerordentliche Faͤlle,
wie bei Einschiffung von Truppen und Thieren, bei epidemischen Krankheiten
aufbehalten, fuͤr die gewoͤhnlichen Faͤlle aber fuͤr
eine bessere Ventilirung gesorgt werden.
Die gegenwaͤrtig bei der Marine gebraͤuchlichen Ventilirmittel sind
sehr unvollkommen, weil sie nicht bestaͤndig fortwirken koͤnnen. Sie
bestehen im Oeffnen der Stuͤkpforten, wodurch zwar ein fuͤr die
Erneuerung der Luft sehr vortheilhafter, allein fuͤr die Entstehung von
Catarrhen, Rheumatismen und anderen Krankheiten auch sehr guͤnstiger Zug
bewirkt wird. Die getauchten Theile des Schiffes werden durch lange zeugene
Saͤke, welche unter dem Namen Luft-Aermel oder
Luft-Saͤke bekannt sind, mit Luft versehen; in diesen
Schlaͤuchen soll naͤmlich, wie man glaubt, die Luft bis auf den Grund
des Schiffes dringen. Wie aber die verdorbene Luft austreten soll, dafuͤr ist
nirgendwo gesorgt. Wenn der Wind sehr stark ist, kann man sich dieser
Schlaͤuche nicht bedienen, und wenn kein Wind geht, wo sie am
nuͤzlichsten waͤren, helfen sie zu nichts.
Ich habe daher vorgeschlagen Desaguillier's Ventilator auf
den Schiffen anzuwenden, eine Vorrichtung, die unter den Muͤllern schon lange
unter dem Namen Puzmuͤhle (tarare) bekannt ist,
und von denselben zum Reinigen des Getreides angewendet wird. Diese Vorrichtung
besteht aus einem cylindrischen Kasten, den ich fuͤr ein Schiff von 2 Meter
im Durchmesser bei 0,66 Meter Dike annehmen moͤchte, und der an einem seiner
Boden, so wie an seinem Umfange mit einem Loche von 0,66 Meter versehen ist. Die
Achse dieses Kastens traͤgt Fluͤgel aus Eisenblech oder aus Holz, und
an dem einen Ende einen Triebstok, in welchen ein Zahnrad eingreift, so daß, wenn
dieses von einem Menschen getrieben wird, die Fluͤgel in eine drehende
Bewegung gerathen, und die in dem Ventilator enthaltene Luft durch eine Oeffnung
desselben hinausjagen, waͤhrend sie bei der anderen eintritt. Es bedarf wohl
keiner Erwaͤhnung, daß wenn der Durchmesser des Zahnrades 1, 2, 3, 4 etc. Mal
groͤßer ist, als jener des Triebstokes, dieses dann 1, 2, 3, 4 etc.
Umdrehungen machen wird, bis das Rad eine macht, so daß die Fluͤgel auf diese
Weise eine sehr große Schnelligkeit erhalten werden.
Mit diesem Apparate kann man nun bei der einen Oeffnung die Luft aus dem Schiffe
auspumpen, waͤhrend man bei der anderen Oeffnung frische Luft eintreibt, so
daß dadurch eine bestaͤndige Stroͤmung in der Luft unterhalten wird.
Mit einem Ventilator von der Groͤße des oben beschriebenen kann man, wenn
derselbe von einem starken Menschen so getrieben wird, daß das Rad in einer Minute
30 Umdrehungen macht, die Luft der Batterieen oder 3000 Cub. Meter in 6 Minuten
beinahe ganz erneuern; macht das Rad nur 10 Umdrehungen in einer Minute, so kann die
Luft in 20 Minuten, und jene des ganzen Schiffes in einer halben Stunde erneuert
werden. Diese Operation koͤnnte, um einer Verunreinigung der Luft
vorzubeugen, Morgens nach
dem Aufstehen und Abends vor dem Schlafengehen geschehen.
Ich habe diesen Apparat zwar noch an keinem Schiffe, allein bei einer sehr
verpesteten Kloake, deren Ventilation noch weit groͤßere Schwierigkeiten, als
jene eines Schiffes darbietet, versucht, und zwar mit gutem Erfolge. Man darf
uͤbrigens auch hier nicht vergessen, daß man, wenn man dem Ventilator mehr
Schnelligkeit geben will, eine staͤrkere Bewegungskraft anwenden muß; und daß
man umgekehrt mehr Zeit daran wenden muß, wenn die Kraft geringer ist.
Jedermann wird selbst ermessen, von welcher Wichtigkeit solche Apparate bei dem
Transporte der Truppen nach Algier gewesen seyn muͤßten, da diese 25 volle
Tage in den Schiffen zusammengepreßt bleiben mußten; wie viel Gutes man von
denselben bei dem Transporte der Truppen in die Colonieen, bei den Reisen um die
Welt, und auf allen Seereisen in heißen Klimaten erwarten duͤrfte. Sie sind
wenig kostspielig, nehmen keinen großen Raum ein, sind leicht zu bedienen, und
erfuͤllen ihren Zwek vollkommen, so daß ich nicht zweifle, daß man sich
derselben, wenn man ein Mal einen Versuch damit gemacht hat, allgemein bedienen
wird.