Titel: | Beschreibung der neuen Corsetten oder Schnürleibe des Hrn. Josselin zu Paris, rue du Ponceau Nr. 2. |
Fundstelle: | Band 44, Jahrgang 1832, Nr. LXXXII., S. 347 |
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LXXXII.
Beschreibung der neuen Corsetten oder
Schnuͤrleibe des Hrn. Josselin zu Paris, rue du
Ponceau Nr. 2.
Aus dem Bulletin de la Société
d'encouragement. November 1831, S. 503.
Mit Abbildungen auf Tab.
V.
Josselin, uͤber die neuen Corsetten oder
Schnuͤrleibe.
Die neu erfundenen Corsetten oder Schnuͤrbruͤste oder
Schnuͤrmieder des Hrn. Josselin zerfallen in drei
verschiedene Arten. Die erste Art sieht man in Fig. 17 und 18; es sind
dieß die Schnuͤrleibe mit sogenannter augenbliklicher
Aufschnuͤrung (à
dèlaçage instantané), d. h, der Schnuͤrriemen
wird durch das Ausziehen eines staͤhlernen oder fischbeinernen Stiftes oder Staͤbchens mit
einem Male von selbst frei gemacht.
Die zweite Art bilden die Schnuͤrleibe mit allmaͤhlicher Aufschnuͤrung (à
délaçage progressif), welche man in Fig. 19 sieht, und welche
nicht nur, wie die Schnuͤrleibe der ersten Art, ploͤzlich
ausgeschnuͤrt werden koͤnnen, sondern die auch noch den Vortheil
gewaͤhren, daß man den Schnuͤrriemen nachlassen kann, ohne ihn
loszumachen.
Die dritte Art endlich, welche man in Fig. 21, 23 und 25 sieht, unterscheidet
sich von den beiden vorhergehenden Arten dadurch, daß man sich, ohne der
Huͤlfe von irgend Jemand zu beduͤrfen, selbst zu- und
aufschnuͤren, und die Schnuͤrung nachlassen oder vermehren kann, und
zwar sowohl von Oben herab, als von Unten hinauf. Es geschieht dieß mittelst einer
sehr sinnreichen Vorrichtung, so zwar, daß man zu diesem Behufe nur ein seidenes
Schnuͤrchen anzuziehen oder nachzulassen braucht.
Das Planschett der beiden ersten Arten besteht aus zwei auf einander gelegten
duͤnnen und biegsamen Stahlplatten, die man durch kleine Knoͤpfchen,
welche gedreht werden, feststellen kann. Ein solches Planschett sieht man in Fig. 20. Das
Planschen des mechanischen Schnuͤrleibes ist weit complicirter. Es besteht
aus zwei Stahlplatten Fig. 22, wovon die eine
in gewissen Entfernungen durch mehrere Charnier-Gelenke gebrochen, und
uͤberdieß mit kleinen Haken besezt ist, die unter kleinen, an der anderen
Platte angebrachten Bruͤken durchgehen, und die durch Federn an dieser
lezteren fest gehalten werden. Man braucht nur an einem Riegel, Fig. 24 zu ziehen, um
dadurch alle Federn auf ein Mal, und in Folge davon die Haken frei zu machen, so daß
der Schnuͤrleib dann sogleich aufgelassen ist.
Fig. 17 zeigt
den Ruͤken des einfachen Schnuͤrleibes mir augenbliklicher
Aufschnuͤrung.
aa sind Fischbeinblaͤtter, die an jeder
Seite der Schnuͤrloͤcher angebracht sind, und die den
Schnuͤrleib in seiner Form erhalten.
bb sind die Staͤbchen oder Stifte aus Stahl
oder Fischbein, welche in eine Scheide, die der Laͤnge nach durch den
Schnuͤrleib laͤuft, gestekt werden, und welche die
Schnuͤrloͤcher durchkreuzen. Der Schnuͤrriemen geht hinter
diesen Staͤbchen durch. Damit diese Staͤbchen ihren gehoͤrigen
Plaz nicht verlassen, werden sie durch die Feder d'
zuruͤkgehalten.
cc sind die Schnuͤrloͤcher, durch
welche die Staͤbchen gehen.
d ist der Schnuͤrriemen, welcher auf die
gewoͤhnliche Weise hinter den Staͤbchen durch die
Schnuͤrloͤcher gezogen wird.
Fig. 18 zeigt
einen solchen Ruͤken, wie er eben beschrieben worden, an einem
Schnuͤrleibe angebracht.
Fig. 19 ist
der Ruͤken eines Schnuͤrleibes, an dem man den Schnuͤrriemen
sowohl schnell nachlassen, als ganz befreien kann.
e, e sind die Schnuͤrloͤcher, die hier
tiefer sind, als an dem Schnuͤrleibe Fig. 17, und die
uͤberdieß zwei Scheiden haben, in deren jede ein aͤhnliches
staͤhlernes oder fischbeinernes Staͤbchen fg gestekt wird. Der Schnuͤrriemen wird um das Staͤbchen g gezogen; will man die Schnuͤrung nachlassen, so
zieht man dieses Staͤbchen g aus, wo dann der
Riemen noch von dem Staͤbchen f
zuruͤkgehalten werden wird. Auf diese Weise wird sich daher der
Schnuͤrleib leicht um den zwischen den beiden Staͤbchen befindlichen
Raum weiter machen lassen. Will man den Schnuͤrleib ganz aufschnuͤren,
so braucht man zulezt nur auch das Staͤbchen f
auszuziehen.
Fig. 20 zeigt
ein einfaches Planschett, welches aus zwei Stahlplatten hh besteht. An der einen dieser Platten befinden sich Haͤkchen ii, an der anderen Loͤcher, die zur
Aufnahme dieser Haͤkchen dienen. Um nun diese beiden Platten mit einander zu
vereinigen, braucht man dieselben nur so auf einander zu legen, daß die
Haͤkchen in die Loͤcher passen; in dieser Stellung werden sie dann
durch die beiden Knoͤpfe oder Stifte jj
erhalten.
In Fig. 21
sieht man den Ruͤken des mechanischen Schnuͤrleibes, mit welchem man
sich ohne irgend einer Huͤlfe zu beduͤrfen, ein- und
ausschnuͤren kann.
kk sind duͤnne staͤhlerne Platten,
welche durch die Stifte ll an dem Leibe des
Corsettes befestigt werden.
mm sind kleine Rollen, welche laͤngs der
Platten ll angebracht werden, und uͤber die
die seidene Schnur no laͤuft.
pp kleine Ringe zur Aufnahme dieser Schnur.
r, r zeigt ein kleines, auf der Schraube e' bewegliches Gesperre. Am Rande dieses Stuͤkes
befinden sich Zaͤhne, welche in die Zaͤhne der Rollen qq eingreifen, und welche zugleich auch die Schnur
einzwaͤngen, so daß dieselbe fest gehalten wird.
ss sind Knoͤpfe, welche an dem
Stuͤke rr befestigt werden, und mittelst
welchen dieses Stuͤk bewegt wird.
t ist eine Feder, welche auf das Stuͤk r druͤkt.
Dieser ganze Mechanismus ist in Fig. 23 in
groͤßerem Maßstabe dargestellt.
Fig. 22 zeigt
das Planschett eines mechanischen Schnuͤrleibes.
uu' sind die Stahlplatten, aus denen das Planschett
besteht; die Platte zur Linken ist stellenweise gebrochen und mit
Charnier-Gelenken versehen; sie traͤgt uͤberdieß 8 kleine Haken
xx. An der Platte zur rechten Hand befinden
sich kleine Bruͤken yy
, unter denen die Haken xx durchgehen. Unter diesen Bruͤken gehen uͤberdieß auch die
Federn c', welche die Haken zuruͤkhalten, durch.
Die Federn c' sind an dem Riegel zz befestigt, der mittelst einer in der
Buͤchse a' enthaltenen Feder b' bestaͤndig emporgehoben gehalten wird. Wird
nun dieser Riegel nach Abwaͤrts gezogen, so steigen saͤmmtliche Federn
mit einem Male herab, und lassen dadurch die Federn los, die dann sogleich unter den
Bruͤken hervortreten. Auf diese Weise wird der Schnuͤrleib von Vorne
geoͤffnet, so daß man denselben ohne Muͤhe ablegen kann.
Fig. 24 zeigt
diesen Mechanismus von Vorne und im Durchschnitte.
Fig. 25
stellt einen ganz fertigen mechanischen Schnuͤrleib vor. Der Mechanismus ist
unter dem Zeuge verborgen, und macht denselben nichts weniger als dik und plump.
Die Art und Weise, auf welche man sich des mechanischen Schnuͤrleibes bedient,
ist nun folgende. Wenn das Planschett offen ist, so zieht man das Corsett wie ein
Nachtleibchen an, und bringt dann die beiden Platten uu zusammen, indem man die kleinen Haken paar und paarweise unter die
Bruͤken bringt. Dann ergreift man die beiden seidenen Schnuͤre n und o, welche
laͤngs des Ruͤkens herabhaͤngen, und zieht sie horizontal so
lang an, bis man sich hinlaͤnglich fest geschnuͤrt fuͤhlt. Ist
dieß der Fall, so schiebt man die Knoͤpfe ss so, daß sich dieselben so nahe als moͤglich an dem inneren Rande
der Platten kk befinden. Hierdurch wird der
Schnuͤrriemen so fest von dem Gesperre ergriffen, daß derselbe, welche
Anstrengung man auch machen mag, nicht mehr nachgeben kann. Zulezt wird der
Schnuͤrriemen vorne zusammengebunden.
Findet man, daß man z.B. oben zu fest geschnuͤrt ist, so schiebt man den Knopf
n zuruͤk, und laͤßt die Schnur n nach; will man hingegen nach Unten die
Schnuͤrung vermindern, so schiebt man den Knopf des linken Gesperres s zuruͤk. Ist dieß geschehen, so schiebt man die
Knoͤpfe wieder vorwaͤrts, damit die Schnur unveraͤnderlich fest
gehalten wird. Fig.
26 stellt eine Guͤrtelschnalle von der Erfindung des Hrn. Josselin vor. Diese Schnalle besteht aus einer Zahnstange
h', die an der Platte f'
befestigt ist, und durch eine einen Haken bildende Feder i' an der Platte g' fest gehalten wird. Die
Feder stemmt sich gegen das Ende eines kleinen Hebels, an dessen entgegengeseztem
Ende sich der Knopf k' befindet, welcher mit der Platte in einer Ebene liegt. Auf
diesen Knopf druͤkt man nun, um die Feder zu heben, und die Zahnstange frei
zu machen, damit man den Gurret fester spannen oder nachlassen kann.
Gewoͤhnlich tragen die Damen uͤber den Kleidern breite Baͤnder,
welche durch mehr
oder weniger reiche Schnallen befestigt werden. Diese Schnallen haben meistens
4–6 Dornen, welche nicht nur die Finger verlezen, sondern auch die
Baͤnder bald zerreißen. Hr. Josselin hat auch
solche Schnallen ohne Dornen erfunden, die sehr bequem sind, und die sich durch den
Druk auf zwei Federknoͤpfe fester oder lokerer machen lassen.
Die Schnuͤrleibe der ersten Art, d.h. jene, welche man augenbliklich
ausschnuͤren kann, liefert Hr. Josselin
gegenwaͤrtig um denselben Preis, um welchen die gewoͤhnlichen
Corsetten zu haben sind. Die mechanischen Schnuͤrleibe kommen aber im Großen
auf 20–25 Franken zu stehen. Der Mechanismus ist aber so dauerhaft, daß man
denselben, wenn der Schnuͤrleib abgenuͤzt ist, leicht wieder an einem
neuen Schnuͤrleibe anbringen kann. Man darf auch nicht befuͤrchten,
daß derselbe bei den Bewegungen des Koͤrpers leide, oder daß die Gesperre den
Schnuͤrriemen auslassen; denn nach den Versuchen, welche angestellt wurden,
kann man einen Zug von 70 Kilogrammen anbringen, ohne daß die Zahne den Riemen
ausgleiten lassen, und ohne daß der Mechanismus dadurch auf irgend eine Weise
beschaͤdigt wird.Hr. Vallot hat im Bulletin
de la Société d'encouragement einen sehr
vortheilhaften Bericht uͤber die Schnuͤrleibe des Hrn. Josselin erstattet, den wir den unverbesserlichen
Vertheidigern und Vertheidigerinnen der Schnuͤrleibe zur eigenen
Nachlese uͤberlassen. Nach unserer Ueberzeugung sind die neuen
Schnuͤrleibe des Hrn. Josselin nicht
weniger nachtheilig, als alle uͤbrigen, so daß ihnen
hoͤchstens der Vortheil einer leichteren Anziehung und Ablegung zu
Gute kommt. Dagegen haben sie aber den Nachtheil, den ein ploͤzliches
Aufschnuͤren in sehr vielen Faͤllen, besonders wenn die
Schnuͤrung sehr fest war, mehr oder weniger der Gesundheit Nachtheil
bringen wird. Der Vortheil der Moͤglichkeit des
Selbsteinschnuͤrens wird, so weit wir das weibliche Geschlecht
kennen, gewiß durch noch groͤßere Nachtheile ersezt werden: wir sind
naͤmlich der Ueberzeugung, daß die Damen, wenn sie sich selbst
einschnuͤren koͤnnen, gar kein Maß mehr finden, und wo
moͤglich noch geschnuͤrter erscheinen werden, als man sie
gegenwaͤrtig sieht. – Wir ergreifen diese Gelegenheit, um
diejenigen unserer Leser, welche Toͤchter besizen, neuerdings gegen
den Gebrauch der Schnuͤrleibe zu warnen, indem diese widersinnigen
Stuͤke unserer gegenwaͤrtigen Frauenzimmerkleidung nicht nur
keinen einzigen erweislichen Vortheil haben, sondern nur ein Heer von
Nachtheilen mit sich bringen, die leider nur zu oft zu spaͤt erkannt
werden. Wir sind uͤberzeugt (und jeder, der hieruͤber einen
verstaͤndigen Arzt zu Rath zieht, wird es von diesem
bestaͤtigt hoͤren), daß die Haͤlfte der
Frauenzimmer-Krankheiten von deren unzwekmaͤßiger Kleidung,
und wenigstens die Haͤlfte dieser Haͤlfte lediglich von den
Schnuͤrleiden herruͤhrt. Wenn wir daher heut zu Tage
erwachsene Damen in eine Form gezwaͤngt sehen, die der Koͤrper
nicht hat, und die der Gesundheit hoͤchst nachtheilig ist, so
koͤnnen wir uns damit troͤsten, daß diese Damen entweder nicht
Verstand genug besizen, um dieß einzusehen, oder daß ihre Eitelkeit
groͤßer ist, als ihr Verstand; daß mithin an solchen
Geschoͤpfen nicht viel verloren ist. Wenn wir aber sehen, wie
Muͤtter bemuͤht sind, den Koͤrper ihrer Toͤchter
schon von zarten Kindesjahren an zu verderben, und zu Leiden ohne Ende
vorzubereiten, so koͤnnen wir jene Familienvaͤter, die dieß
dulden, nur bedauern: sie theilen entweder die Unwissenheit ihrer
Ehehaͤlften, oder opfern die Gesundheit ihrer Kinder ihrer eigenen
Ruhe, dem sogenannten Hausfrieden! – Da wir leider aus
vielfaͤltiger Erfahrung die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die
Damen in Betreff der Schnuͤrleibe durch nichts auf
andere Ansichten zu bringen sind, als hoͤchstens durch das Interesse
der Eitelkeit, so bleibt uns nichts Anderes uͤbrig, als unsere
Ehemaͤnner zu ersuchen, ihre Hausrechte zu brauchen, und unsere
maͤnnliche Jugend aufzufordern, keine Weiber zu seyn, und an einer
Form Gefallen zu finden, die der Koͤrper nicht hat und nicht haben
kann, und die daher als etwas Widernatuͤrliches eben so wenig
schoͤn als zutraͤglich seyn kann.A. d. Ueb.