Titel: | Versuche über die Beeren des Wasserholderstrauchs. Vom Professor Leo in München. |
Autor: | Leo |
Fundstelle: | Band 46, Jahrgang 1832, Nr. XXVII., S. 120 |
Download: | XML |
XXVII.
Versuche uͤber die Beeren des
Wasserholderstrauchs. Vom Professor Leo in Muͤnchen.
Leo, Versuche, uͤber die Beeren des
Wasserholderstrauchs.
Der Wasserholder (Viburnum Opulus), auch gemeiner
Schwelkenbaum, Sumpf-, Ast-, Hirsch-, Wald-,
Bach- oder Rosenholder, Gimpelholz, Schweiß oder Waldbeerenbaum genannt,
traͤgt im Herbste eine sehr große Menge rother Beeren, welche den ganzen
Winter uͤber, allem Einflusse der Witterung trozend, selbst wenn die
Fruchtstielchen schon ganz verdorrt sind, und folglich die conservirende Wirkung der
Lebenskraft aufgehoben ist, ihre schoͤne rothe Farbe beibehalten. Fallen
waͤhrend des Winters einige Beeren auf den Schnee, so faͤrbt sich
dieser schoͤn karmesinroth. Diese Haltbarkeit der rothen Farbe, sowie ihre
Schoͤnheit, veranlaßten mich einige Versuche uͤber eine
moͤgliche technische Benuzung anzustellen.
Im Februar sammelte ich eine Parthie dieser Beeren ein, und fand sie noch
unveraͤndert roth, noch gar nicht gewelkt, und von der ganz getrokneten
Stielen sehr leicht zu trennen.
Weder durch kaltes Wasser noch unter Mitwirkung des Kochens laͤßt sich der
Faͤrbestoff extrahiren, sondern waͤhrend des Kochens quellen die
Beeren sehr auf, zerplazen, scheiden ihren Kern aus und das Decoct ist nur blaß
gelbroth gefaͤrbt. Kohlensaures Kali macht die Farbe gruͤnlich braun,
und Jodtinctur zeigte gar keine Reaction. Wird das Decoct filtrit, so bleibt ein
schleimig markiger roͤthlicher Ruͤkstand, und die durchgelaufene
Fluͤssigkeit ist fast ungefaͤrbt, wornach also ihre fruͤhere
Faͤrbung nur dem suspendirt gewesenen Mark zuzuschreiben ist. Sie
roͤthet das Lakmus, und wird durch Bleizuker gruͤnlich weiß
gefaͤllt.
Der auf dem Filtrum gebliebene Ruͤkstand loͤst sich nicht in kaltem und
nicht in kochendem Wasser, wohl aber in Kalilauge auf, welche sich hierdurch roth
faͤrbt, am Licht sehr leicht ausbleicht, und durch Weingeist, Kochsalz,
Glaubersalz und durch Schwefelsaͤure gelatinoͤs gefaͤllt wird,
welchem Verhalten gemaͤß diese schleimige Substanz Gallertsaͤure zu
seyn scheint.
Weingeist veraͤndert die ganzen Beeren gar nicht, und werden sie zerquetscht,
so sondern sich weiße, gelatinoͤse Floken ab, und die Farbe ist
verschwunden.
Werden die Beeren getroknet, so nehmen sie eine braunrothe Farbe an, von 1000 Theilen
bleiben nur 237 Theile zuruͤk, und auf keine Weise ist mehr eine
schoͤne Farbe zu gewinnen.
Ich war also nur mehr auf den frischen Saft verwiesen, der durch Quetschen und
Auspressen sehr leicht zu gewinnen ist. Dieser Saft ist sehr schoͤn roth und
schleimig, wird aber durch Filtriren vollkommen klar und hinterlaͤßt einen
gallertartigen Ruͤkstand, der sich dem vorigen ganz aͤhnlich
verhaͤlt.
Der klare Saft besizt eine rothe Farbe, die noch schoͤner ist als die Beeren
selbst, laͤßt sich mehrere Wochen lang in offenen Gefaͤßen ohne die
mindeste Veraͤnderung aufbewahren, hat einen eigenthuͤmlichen Geruch
und suͤßlich sauren Geschmak. Fuͤr sich gekocht entwikelt er
Daͤmpfe, die sauer reagiren und bis zur Syrupdike abgedampft, ist die rothe
Farbe großen Theils verloren, und nur noch eine gelbe vorherrschend.
Der Saft roͤthet Lakmus sehr stark, durch Kalkwasser neutralisirt, wird die
Farbe violett, uͤberschuͤssiges Kalkwasser veraͤndert diese in
Gruͤn, dann in Braun und spaͤter scheiden sich einige Floken ab.
Barytwasser wirkt auf dieselbe Weise, nur kommt hier in groͤßerer Menge der
flokige Niederschlag, und der Geruch ist gaͤnzlich verschwunden. Wird die
uͤber dem Niederschlag stehende Fluͤssigkeit mit Schwefelsaͤure
zersezt, so entwikelt sich deutlich ein fettig saurer butterartiger Geruch. Dieser
ruͤhrt ohne Zweifel von der Delphinsaͤure her, die nach Gmelins Hdbch. d. Chemie (Bd. II. S. 249) in diesen Beeren enthalten ist.
Sie mag auch die Ursache seyn, daß die Beeren nicht von den Voͤgeln
aufgezehrt werden. Ob die saure Reaction der Fluͤssigkeit und ihrer
Daͤmpfe von dieser Saͤure allein oder von gleichzeitig vorhandener
Essigsaͤure herruͤhrt, ließ ich als technisch uninteressant,
ununtersucht.
Ammoniak erzeugt dieselbe Veraͤnderung der Farbe, aber ohne alle
Truͤbung. Salzsaurer Baryt macht die Farbe lebhafter und einen leisen
flokigen Niederschlag, der aber nicht von Schwefelsaͤure herruͤhrt.
Kleesaures Ammoniak gibt eine geringe Truͤbung und einige Entfaͤrbung.
Alaun frischt die Farbe auf und Kali faͤllt einen schmuzig grauen Lak.
Essigsaure Thonerde macht eine violette Truͤbung und Kali gibt denselben Lak.
Salzsaure Thonerde macht eine minder starke violette Truͤbung. Salpetersaures
Silber erzeugt graue Floken, die in Salpetersaͤure unaufloͤslich sind
und die Fluͤssigkeit ist zum Theil entfaͤrbt. Bleizuker macht einen
graugruͤnen, und basisch essigsaures Blei einen gruͤnen Niederschlag.
Sublimat gibt nach einiger Zeit einen fleischrothen Niederschlag und die
Fluͤssigkeit ist entfaͤrbt. Salzsaures Zinnoxydul verdunkelt etwas die
Farbe, und Kali faͤllt einen violetten Lak, wodurch die Fluͤssigkeit
entfaͤrbt wird. Zinncomposition truͤbt etwas und nuͤancirt mehr
in Karmesin, Kali faͤllt einen rosen-rothen Lak, wobei die
Fluͤssigkeit sich entfaͤrbt. Essigsaures Kupfer erzeugt einen
schoͤnen blauen Lak, wodurch aber die Fluͤssigkeit nicht
entfaͤrbt wird. Schwefelsaures Kupfer, Eisenoxydul, Eisenoxyd,
schwefel-weinsteinsaures, Eisenoxyd und essigsaures Eisenoxyd geben braune
Faͤrbungen, zum Theil in der Nuͤance sehr schon, aber ohne alle
Truͤbung.
Weingeist scheidet weiße Floken ab, die sich zu Kluͤmpchen vereinigen, und in
Wasser wieder loͤslich sind. Gallertartiges Thonerdehydrat in den Saft
eingeruͤhrt und schwach erwaͤrmt, gibt nur einen grauen Lak.
Von allen diesen Reagentien lassen also nur die Zinnsalze und das essigsaure Kupfer
eine Benuzung des Saftes hoffen.
Die vom Auspressen zuruͤkgebliebenen Huͤlsen mit Wasser ausgewaschen,
waren nur mehr gelbroth und nach dem Troknen nur noch schmuzig gelb, durch Kochen
mit Wasser werden sie nicht weiter entfaͤrbt. Das Decoct ist zwar farblos,
doch gibt Bleizuker noch einen grau gruͤnen Niederschlag damit, und Alkalien
faͤrben die Fluͤssigkeit gelblich.
Weingeist faͤrbt sich durch die Huͤlsen gelb und wird durch Wasser
milchicht getruͤbt, doch verlieren sie auch hierdurch nicht allen
Faͤrbestoff.
Obwohl die harzige Natur dieses Huͤlsenpigmentes guͤnstiger fuͤr
eine Anwendung, als des extractiven leicht zerstoͤrbaren Roths des Saftes
spricht, so ist es doch nicht schoͤn genug und in zu geringer Menge
enthalten.
Um zu erfahren, wie sich der rothe Saft gegen Zeuge verhalte, brachte ich gebleichtes
Baumwollengarn ohne allen Zusaz in den Saft, erwaͤrmte es einige Zeit, wobei
aber gar keine Fixirung Statt fand. Die Baumwolle zuvor mit essigsaurer Thonerde
gebeizt, dann noch naß oder getroknet in den Saft gelegt, reagirte wohl auf ihn,
allein weder kalt, noch warm, noch kochend sezte sich die Farbe fest, sondern beim
Kochen wurde Alles schmuzig gruͤn. Baumwolle mit essigsaurem Kupfer gekocht,
dann in den Saft gebracht, faͤrbte diesen gleich blau, nahm aber nichts davon
auf, selbst nicht, wenn neuerdings etwas essigsaures Kupfer zugesezt war. Mit
salzsaurem Zinnoxydul in der Waͤrme und eben so mit Zinncomposition
behandelte Baumwolle in erwaͤrmtem Safte ausgefaͤrbt, wurden sehr
schoͤn Lila, ohne besonderen Unterschied der Nuͤance zwischen beiden,
und die Fluͤssigkeit wurde hierdurch ganz entfaͤrbt. Allein gegen
Sonnenschein und warmes Seifenwasser war die Farbe ganz unaͤcht.
Es fehlte mir an Saft um zu pruͤfen, ob nicht auf Seide guͤnstigere
Resultate zu erhalten sind.