Titel: | Ueber das Naphthalin des Hrn. Laurent und das Paranaphthalin des Herrn Dumas; von Dr. Reichenbach zu Blansko in Mähren. |
Fundstelle: | Band 49, Jahrgang 1833, Nr. XL., S. 203 |
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XL.
Ueber das Naphthalin des Hrn. Laurent und das Paranaphthalin des
Herrn Dumas; von Dr.
Reichenbach zu
Blansko in Maͤhren.
Dr. Reichenbach uͤber das Naphthalin und
Paranaphthalin.
In mehrere deutsche Zeitschriften, darunter auch in dieses polytechnische Journal,
erstes Februarheft 1833, ist eine Abhandlung von Herrn Dumas uͤber das Naphthalin aus dem Journ. de Chimie et de Physique uͤbergegangen,
worin sich dieser mehrere Male auf einen Aufsaz von mir uͤber denselben
Gegenstand bezieht, den ich im Band LXI. p. 175 des
Schweigger'schen Jahrbuchs der Chemie bekannt gemacht habe.
Unsere beiderseitigen Untersuchungen haben uns uͤber einige Punkte zu
verschiedenen Ansichten gefuͤhrt, und indem Herr Dumas die Seinige entwikelt, druͤkt er
sich uͤber die Meinige mit folgenden Worten aus:
„Reichenbach hat aus seinen eigenen
Untersuchungen einen ganz entgegengesezten Schluß gezogen; man erkennt aber bei Pruͤfung seiner Arbeit, daß die meisten
der von ihm erhaltenen Resultate einer Revision beduͤrfen, da ihm die
Mittel zur Entdekung der Gegenwart des Naphthalins, in den von ihm vergebens
darauf gepruͤften, oͤhliger Fluͤssigkeiten unbekannt
waren.“
Daß Herr Dumas meine Arbeit
wirklich einer Pruͤfung unterworfen habe, wie er
sich ausdruͤkt, muß ich bei aller großen Achtung, die ich fuͤr die
Verdienste dieses ausgezeichneten Naturforschers hege, in der That bezweifeln; sie
muͤßte denn mit jener liebenswuͤrdigen franzoͤsischen
Leichtigkeit vollzogen worden seyn, die der deutschen Literatur nicht selten bei
unsern westlichen Nachbarn zu Theil wird, und die es ihnen haͤufig nicht
zulaͤßt, bis zu dem eigentlichen Sinn unserer Schriften einzudringen; denn
sonst wuͤrde Herr
Dumas schwerlich oͤffentlich in versammelter
Akademie mir Unwissenheiten zur Last gelegt haben, die dießmal wenigstens, in der
That schwerlich auf meiner, sondern eher auf seiner Seite sich zeigen
duͤrften, wie man sogleich sehen wird.
Die Meinungsverschiedenheit, durch welche er mich auf die Defensive sezt, besteht
wesentlich darin, daß Herr Dumas das Naphtalin fuͤr einen in der Steinkohle
praͤexistirenden Stoff ansieht, ich dagegen es fuͤr ein Product der
trokenen Destillation etc. halte.
Den Beleg fuͤr die Wahrscheinlichkeit, daß die Steinkohlen Naphthalin
enthalten, entnimmt er aus einer Arbeit des Herrn Laurent, seines Eleven, bei welcher dieser
Naphthalin im Steinkohlentheer gefunden hat, waͤhrend ich unter bestimmten Umstaͤnden keines darin gewahr
werden koͤnnte. Der Grund soll nun darin liegen, daß ich mit den Mitteln zur
Entdekung des Naphthalins unbekannt gewesen, und meine Angaben einer Revision
beduͤrftig seyen. Ich habe mich keiner anderen Mittel bedient, als der einzig
bisher bekannten, welche die Englaͤnder angeben, und einiger von mir
ausgefundenen. Frage ich nun aber, welches denn jene mir unbekannten Mittel zur
Darstellung des Naphthalins aus Steinkohlentheer eigentlich seyen, so bestehen sie
saͤmmtlich: 1) in Anwendung von 10° C. Kaͤlte; 2) in einigem
Alter des Theers, um der Einwirkung atmosphaͤrischen Sauerstoffes Zeit zu
gewaͤhren, und 3) Durchfuͤhrung von Chlorgas durch das
Theeroͤhl.
Was die beiden ersten betrifft, so habe ich Steinkohlentheeroͤhl, das im
Winter 1830 zu diesen Untersuchungen mit besonderer Sorgfalt bereitet worden, jezt 2
1/2, Jahre altern, und den ganzen Winter 1832 der Kaͤlte ausgesezt seyn
lassen, die nicht bloß auf – 10°, sondern oftmals unter –
20° fiel. Naphthalin aber hat sich keines darin
auskrystallisirt, und der Inhalt der Flaschen, den ich oͤfters
untersuchte, blieb zu allen Zeiten vollkommen klar und fluͤssig.
Dann habe ich Chlorgas durch dasselbe Theeroͤhl streichen lassen, wie es die
franzoͤsische Vorschrift angibt, naͤmlich 4 Tage lang hinfort, darauf
habe ich es mit Wasser mehrere Male ausgewaschen, dann destillirt und das Destillat
in zwei Haͤlften abgenommen; den Theer habe ich zwar sich verdunkeln und
verdiken sehen, aber die Bildung von Naphthalin ist vollkommen
ausgeblieben. Ich habe dann beide in eine Kaͤltemischung gebracht,
wobei nach Herrn Laurent schon
bei + 5° C. sich Naphthalin haͤtte auskrystallisiren sollen; dieß
geschah aber nicht nur nicht in dieser Temperatur, sondern auch nicht bei den
angegebenen – 10° C. Um Alles zu erschoͤpfen, steigerte ich die
Kaͤlte bis auf – 22° C., die mehrere Stunden andauerte; aber
auch dieß vergeblich, das Oehl blieb durchaus frei von Naphthalinkrystallen. Die Angaben der Herren Dumas und Laurent haben sich
auf allen diesen Wegen nicht bestaͤtigt. Es hat sich im Theere weder
praͤexistirendes Naphthalin, von dem Steinkohlen abstammend, noch auch durch
Oxydation oder Decomposition des Theeres mittelst Chlor erzeugtes Naphthalin darin
ergeben. In demjenigen Steinkohlentheer also, den ich
anwandte, ist auch mit den angeblich neuen Mitteln des Herrn
Dumas kein Naphthalin zu finden. Wie aber ist es moͤglich, daß ein
so tiefer Kenner der Chemie, wie Herr Dumas, es uͤber sich nehmen kann, unter die einfachen
Zerlegungsmittel des Theeres maͤchtige Agentien wie Jahre lang einwirkenden
Sauerstoff und das Chlor aufzunehmen, Stoffe, die direct nur als die
staͤrksten Zersezungsmittel eingreifen? Wie kann man Zerlegung und Zersezung
fuͤr gleichbedeutend, und in solcher Verwechselung zur Waffe in einer
Controverse gebrauchen? Und zwar nicht etwa um einen schon anerkannten vorhandenen
Koͤrper abzuscheiden, sondern um erst fuͤr sein bestrittenes und
unwahrscheinliches Vorhandenseyn in der Theermischung einen Beweis aufzustellen.
Gesezt, Sauerstoff und Chlorgasanwendung lieferte aus Theer wirklich Naphthalin (wie
sie es aber nicht thun), koͤnnte Herr Dumas dasselbe wirklich im Ernste und mit gutem
Gewissen mir, ohne andere empyrische Stuͤze, als Educte entgegen halten
wollen?
Zum Gluͤk bedarf es dessen allen nicht. Ich habe, um Herrn Dumas zu widerlegen, gar nicht ein
Mal noͤthig, an der Richtigkeit seiner Beobachtung zu zweifeln, daß er in der
That Naphthalin aus seinem Steinkohlentheer unmittelbar
gezogen habe, selbst ohne Anwendung von Chlor etc. Aber was war dieß fuͤr ein
Theer? Haͤtte der geniale Franzose meine Abhandlung wirklich gelesen, gepruͤft wie er sagt, haͤtte er weniger von
seinem Talente sich fortreißen als von der Geduld sich fesseln lassen, so
wuͤrde er gefunden haben, daß zwischen Theer und Theer ein Unterschied ist,
und daß Heere, je nachdem sie aus gluͤhenden Gefaͤßen oder aus nicht
gluͤhenden mit bloßer Verkohlungshize kommen, eine himmelweit verschiedene
chemische Zusammensezung haben. Und diese Verschiedenheit betrifft gerade am
allerstaͤrksten den Gehalt an Naphthalin, der auf der einen Seite
uͤberaus groß ausfallen, auf der anderen Seite bis auf Nichts herabsinken
kann. Hieruͤber sagt Herr Laurent wie Herr Dumas kein Wort. Man erfahrt aus Ihren Aufsaͤzen mit keiner
Andeutung, ob der Theer eigens und rein bereitet worden, oder ob es Steinkohlentheer
von den gewoͤhnlichen Gasbeleuchtungen sey. Ist er von den großen
Etablissements bei den Abbattoirs du Faubourg
Montmartre, die ich selbst sah, so schließt er alle Bedingungen zu einem reichlichen
Naphthalingehalt ein. Die Frage uͤber die Beschaffenheit seines Theeres
laͤßt sich indessen mit ziemlicher Zuverlaͤssigkeit voraus
beantworten. Waͤre es Theer, der mit allen den Vorrichtungen und Cautelen
besonders bereitet worden waͤre, um ihn und seine Daͤmpfe aus der
Retorte so herauszubringen, daß er nirgends gluͤhende Waͤnde
beruͤhrt, in keinem Stadium seiner Bildung die eigentliche Verkohlungshize
uͤberschritten, nirgends Verrußungseinwirkung erlitten haͤtte, mit
Einem Worte, ein reines unversehrtes Product der trokenen Destillation constituirte,
wie ich dieß in meiner erwaͤhnten Abhandlung umstaͤndlich auseinander
gesezt habe, so haͤtte dieses Veranstaltungen und Umstaͤndlichkeiten
erfordert, von denen die Verfasser gewißlich Meldung gemacht, und die sie nicht
stillschweigend uͤbergangen haben wuͤrden, auch nicht haͤtten
uͤbergehen koͤnnen, weil sie in diesem Falle gewußt haͤtten,
daß sie wesentlich zur Sache gehoͤren und dabei von entscheidendem Einflusse
sind. Sie sagen aber kein Wort davon, und beweisen eben damit, daß sie meine
Abhandlung nicht nur nicht gepruͤft, sondern daß
sie sie nicht ein Mal recht gelesen haben, aber doch, auf
gut Franzoͤsisch, genug davon zu wissen glauben, um sie fuͤr
unbrauchbar zu erklaͤren. Waͤhrend nun das Gesagte einen negativen
Beweis abgibt, so fehlt es andererseits auch nicht an einem positiven, denn es
findet sich in Herrn Laurent's
eigenen Angaben schon ein Schluͤssel, der aufmacht. Er sagt naͤmlich
(Poggendorff's Annal. 1832, Heft VI, Seite 377 u.
378), daß er aus seinem Theer bei der Destillation nicht ganz die Haͤlfte
Theeroͤhl gewonnen habe, das Uebrige fester Ruͤkstand geblieben sey,
den er unter einer Steigerung der Hize bis zum fast jedesmaligen Zerspringen des
Retortenhalses ausdestillirt habe. Ein reiner Verkohlungstheer gibt aber nicht
weniger als die Haͤlfte, sondern weit mehr als die Haͤlfte
Theeroͤhl, naͤmlich ungefaͤhr 70 Proc. und kaum 30 Proc. festen
Ruͤkstand; solcher Theer aber, welcher in hoher Gluͤhhize, wie bei den
Gaslichtanstalten, in immerfort gluͤhenden eisernen Roͤhren erzeugt
wird, enthaͤlt eine große Ueberladung von schwarzem Pech und Ruß, und gibt deßhalb bei der Destillation kaum die
Haͤlfte Theeroͤhl. Offenbar war also Herrn Laurent's Theer, in Uebereinstimmung mit seinen
eigenen Angaben, solches unreines Material, und folglich ganz natuͤrlich
reich an bei der Verkohlung durch Verrußung gebildeten Naphthalin, wie ich dieß
ebenfalls in meiner Abhandlung im Schweigger'schen
Jahrbuche 1831, Heft II. das Naͤhere auseinander gesezt habe. Der Grund,
warum es Herrn Laurent nach
seinem eigenen Gestaͤndnisse (a. a. O. S. 378) nicht immer gelungen, aus jedem Steinkohlentheer durch Erkaͤltung Naphthalin darzustellen,
liegt nicht, wie er meint, darin, daß der Theer nicht alt genug, nicht lange genug
der Luft ausgesezt gewesen ist, sondern in dem ungleichen Gange der Verkohlungen in
den Gaslichtretorten, die bald staͤrker, bald schwaͤcher
gluͤhen, je nachdem geheizt, je nachdem gefuͤllt und ausgeleert, oder
ruhig fortgefeuert wird. Die dabei obwaltende ungleiche Temperatur, der verschiedene
Feuchtigkeitszustand der angewandten Steinkohle, der Unterschied der Arbeiter, deren
jeder seine Retorten mehr oder minder stark in Gluth erhaͤlt, schneller oder
langsamer arbeitet etc., sind lauter Umstaͤnde, die einen sehr verschiedenen
Naphthalingehalt bedingen. Dazu kommt dann noch, daß die verschieden
zusammengesezten Oehle, nach ihren ebenso verschiedenen specifischen Gewichten in
den Vorlagen sich ablagern, und der obere Theer immer eine andere Zusammensezung
hat, als der unten liegende. Wir haben uns demnach gar nicht zu wundern, und ich
habe es nicht zu bestreiten, daß Herr Laurent und Dumas Naphthalin in ihrem Theer gefunden,
es ist darin vielmehr eine ganz normale Erscheinung. Es beweist fuͤr die
Behauptung, daß Naphthalin in Steinkohlen praͤexistire, nicht nur nichts,
sondern die Unwahrscheinlichkeit davon besteht ungeschwaͤcht mit derselben
Staͤrke, mit der ich sie aufgestellt habe, fort. Unbekanntschaft mit der
Sache faͤllt mir nicht nur nicht zur Last, sondern sie faͤllt vielmehr
dieß Mal auf Herrn Dumas
selbst zuruͤk, der meinen Aufsaz uͤber diesen Gegenstand nicht
gruͤndlich kannte. Und eine Revision meiner Arbeit kann nach dem, was Herr
Dumas Neues, aber Irriges,
aufgestellt, so wenig Statt finden, daß vielmehr umgekehrt seine Arbeit einer
Revision, und zwar nach meinen Erlaͤuterungen, noͤthig hat. Sie muß
darin bestehen, daß er sich erst einen reinen Theer verschafft, der mit
sorgfaͤltiger und gewissenhafter Abhaltung aller
die bloße Verkohlung uͤberschreitende Hize erzeugt worden ist, und dann erst
seine Versuche von Vorn beginnt. Wird er hiebei nur Wahrheit suchen, so wird er sich
leicht von der Genauigkeit meiner Angaben uͤberzeugen; wird er aber Recht haben wollen, so braucht er bloß die
Verkohlungshize etwas uͤber die noͤthigen Graͤnzen zu steigern,
und die Bildung neuen Naphthalins wird ihm nicht ausbleiben. Dann waͤre jeder
weitere Streit hieruͤber unnuͤz und zweklos.
––––––––––
Fassen wir nun die Frage, ob Naphthalin in den Steinkohlen fertig gebunden vorhanden
sey oder nicht, fuͤr sich in's Auge, so hat Herr Dumas vielleicht Recht, wenn er sagt:
„daß sie im absoluten Sinne schwerlich geloͤst werden
koͤnne;“ so lange wenigstens, als es noch an einem directen
Reagens auf Naphthalin fehlen wird. Nichts desto weniger berechtigen uns die Erfahrungen, zu
dem Besiz wir bis jezt vorgeruͤkt sind, zu Aufstellung von großen
Wahrscheinlichkeiten, die den Ansichten des Herrn Dumas durchaus nicht guͤnstig sind. Wenn
man Steinkohlentheer erlangen will, welches frei von solchem Naphthalin seyn soll,
das ein Product der Verkohlung und der Verrußung ist, so muß man mit vieler Vorsicht
zu Werke gehen. Die Verkohlungsgefaͤße duͤrfen durchaus nicht in's
Gluͤhen kommen, und da dieß, um die Ladung der Retorte bis in die Mitte
hinein zu verkohlen, bei Steinkohlen am Ende doch unvermeidlich ist, so muß man den
uͤberdestillirten Theer unterbrochen auffangen, so daß man naͤmlich
die Vorlagen von Zeit zu Zeit wechselt und nur jenes Theeres sich bedient, der
sicherlich fruͤher uͤberging, als die Retorte zu gluͤhen
anfing. Gegen das Ende, wo Gluͤhhize eintritt, bildet sich dann immer einiges
Naphthalin, und zwar meist in der Verlarvung des sogenannten Paranaphthalins, das
sich dann unter den saͤmmtlichen Theer mischt, und ihn ohne Unterschied
naphthalinhaltig macht, wenn man nicht zuvor die naphthalinfreien Theerabtheilungen
geborgen haͤtte. Ich ging dabei immer so zu Werke, daß ich Steinkohlen in
einer geraͤumigen Glasretorte in ein Sandbad sezte, und dann aus einer
gußeisernen Kapelle destillirte, die ich nie gluͤhend werden ließ. So lange
ich so verfuhr, erhielt ich immer Theer, der aus Eupion, Kreosot, Pikamar, Paraffie,
Moder, Schwefel u.s.w. zusammengesezt war, aber lediglich kein Naphthalin enthielt;
sobald ich aber uͤber diese Schranken hinausging, koͤnnte ich im
Theere das Auftreten des Naphthalins nachweisen, das sich dann spaͤter durch
feine Blumen im Retortenhals zu erkennen gibt. – Man koͤnnte hier
vielleicht einwenden, daß das Naphthalin erst in jener hoͤheren Hize Gasform
annehme, folglich fruͤher nicht habe uͤbergehen koͤnnen,
sondern sich nur in der Retorte angehaͤuft habe, um bei eintretender
Gluͤhhize uͤberzugehen. Dieß ist aber keineswegs der Fall. Denn
erstens ist das Naphthalin fluͤchtig genug, um nach Herrn Dumas's eigenen Ansichten gleich
– „mit der ersten Fraction der Theerdestillation rein
uͤberzugehen,“ – wobei natuͤrlich noch bei
weitem von keiner Gluͤhhize die Rede seyn kann, welche uͤberhaupt bei
der Theerdestillation auch in dem lezten Stadium nicht in Anwendung kommt, folglich
kein Grund vorhanden, an dem Uebergange desselben mit dem Theere aus der Verkohlung
vor Eintritt des Gluͤhens zu zweifeln; zweitens ist die Steigerung der Hize
bis zum Gluͤhen der Gefaͤße bekanntlich nicht eben der Verkohlung an
sich wegen nothwendig, da diese noch ein ziemliches unterhalb der Gluͤhhize
schon eintritt, sondern darum, weil die sich in der Beruͤhrung mit der
Retorte zuerst verkohlenden Steinkohlen zerschmelzen, zusammenbaken, und dann eitle feste Kruste
um die uͤbrige noch unverkohlte Steinkohlenmasse bilden, welche ein so
schlechter Waͤrmeleiter ist, daß die Hize in das Innere der Masse nicht
hineinzudringen vermag, wenn man die aͤußeren Umhuͤllungen nicht auf
einen solchen Grad der Hize hinauftreibt, daß nicht nur die Retorte, sondern auch
die Kohlenkruste, welche die Anhaͤufung der Hize in den
Retortenwaͤnden verursacht, selbst bis zum Gluͤhen gebracht wird. Dann
aber ist die Periode da, und die Umstaͤnde sind gegeben, wo sich nicht sowohl
Naphthalin entwikelt als vielmehr erst bildet, und zwar aus den Daͤmpfen der
inneren eingehuͤllten, nun erst zur Verkohlung gelangenden Steinkohle.
Waͤre das Naphthalin, wie Herr Dumas es ansieht, in den Steinkohlen praͤexistent, oder
waͤre es auch nur ein Product der rein verstandenen Verkohlung fuͤr
sich; so muͤßte es gleich mit den ersten Theerdaͤmpfen, dem Product
der Verkohlung der außen lagernden Steinkohle, die lange vor Eintritt der
Gluͤhhize verkohlte, uͤbergehen, kraft der Fluͤssigkeit des
Naphthalins, und in Uebereinstimmung mit der eigenen Erfahrung des Herrn Dumas am Theeroͤhl, zu Folge
welcher es ja bei der bloßen Destillationshize des Theeroͤhls willig
uͤbergeht, die sogar weit unter der Verkohlungshize liegt, von der
Gluͤhhize aber in großer Ferne absteht.
Es gibt aber noch eine andere Betrachtung, welche die Wahrscheinlichkeit, daß das
Naphthalin in der Steinkohle praͤexistire, tief herabstimmt und weit in
Hintergrund ruͤkt. Die Steinkohle kann man naͤmlich, wenn sie gleich
Kohle heißt, durchaus nicht als eine Kohle betrachten. Sie ist eine
Kohlen-Wasserstoffverbindung, und als solche dem Gagat, Asphalt, Bernstein,
sofort den Harzen, dem Holze, der Fleischfaser, ohne allen Vergleich naͤher
gelegen, als der ihrer chemischen Constitution nach weit davon entfernten
eigentlichen Kohle. Sie vertraͤgt so wenig einige Hize, daß sie darin
vielmehr gewoͤhnlich zerschmilzt, dann baͤkt u.s.w., und hat mit
dieser nichts gemein als die schwarze Farbe. Haͤtte man sie neu zu benennen,
so wuͤrde man sie gewiß statt Steinkohle eher Steinholz heißen, mit dem sie
ungefaͤhr auf gleicher Stufe chemischer Constitution steht. In meiner
fruͤhern Abhandlung habe ich gezeigt, daß man aus Holztheer und aus
Thiertheer Naphthalin eben so leicht bereiten koͤnne, wie aus
Steinkohlentheer, so wie man ihre Daͤmpfe durch gluͤhende
Roͤhren leitet. Nun wird aber Niemand versucht seyn, anzunehmen, daß dieses
Naphthalin im Buchenholz oder im Pferdefleisch praͤexistent sey, welche doch
in Beziehung auf dieses auf derselben Stufe stehen, wie die Steinkohle. Ich habe
ferner dort auseinander gesezt, wie man aus Alkohol, Aether, Steinoͤhl direct
zu Naphthalin durch
Verrußung gelangt, und neuerlich eine Bestaͤtigung meiner Ansichten aus
Gelegenheit meiner Abhandlung uͤber das Kreosot mitgetheilt, – Stoffe,
welche doch wohl alle frei von Naphthalin angenommen werden muͤssen, und
wovon die beiden ersteren wenigstens uͤber allen Verdacht erhaben sind.
– In allen diesen Faͤllen aber ohne Ausnahme, war zu Bildung des
Naphthalins die Einwirkung einer bedeutend hohen
Temperatur nothwendig, welche stets das Muͤhen ersteigen mußte, wobei das
Rothgluͤhen nur schwache und erst das Weißgluͤhen eine kraͤftig
produktive Wirkung that. Erwaͤgt man nun, daß die Steinkohle, eine durch
Waͤrme so leicht veraͤnderliche Kohlen-Wasserstoffverbindung,
durchaus eine hohe Temperatur ohne Veraͤnderung nicht vertraͤgt, so
kann man mit Sicherheit annehmen, daß sie im Schooße der Erde weder waͤhrend
ihrer Entstehung noch die lange Zeit ihres Bestandes uͤber jemals in irgend
einer bedeutend hohen Temperatur sich befunden habe, geschweige in einer solchen
Hize, wie wir sie nach unseren jezigen Erfahrungen zur Bildung des Naphthalins
nothwendig wissen. Die Muthmaßung also daß die Steinkohle fertiges Naphthalin
enthalte, ist nach dem jezigen Stande der Wissenschaft, und so lange keine anderen
bessere Beweise aufgefunden worden, nicht nur ohne alle Wahrscheinlichkeit ohne
allen Halt, sondern auch gegen alle Analogie.
––––––––––
Herr Dumas aͤußert, daß
die Frage der Praͤexistenz des Naphthalins fuͤr die Geologie ein hohes
Interesse habe, und glaubt, da man daraus Licht zur Schaͤzung des Drukes und
der urspruͤngliche Temperatur der verschiedenen bituminoͤsen Produkte
schoͤpfen werde druͤkt aber nicht naͤher aus, in welcher Art.
Handelte es sich nun um den Gewinn einer neuen Mineralspezies, so sezen die
Geognosten in den Besiz einiger Fossilien mehr oder weniger, vordersamt bekanntlich
sehr wenig Werth. Handelte es sich aber um den Waͤrmegrad, den die
Steinkohlen muthmaßlich bei ihrer Bildung besessen haben, so sieht man aus meinen
Zusammenstellungen, daß die Meinung des Herrn Dumas in diagonalem Widerspruch mit de
chemischen Constitution der Kohlen-Wasserstoffverbindung steht, die wir
Steinkohle nennen. In dem Maße der Waͤrme, das diese Verbindung
vertraͤgt, und das wir kennen, besizen die Geologen eine festen Anhaltpunkt
zu einer Folgerung, zu der naͤmlich, daß jene urspruͤngliche
Temperatur keine sehr hohe gewesen seyn koͤnne; selbst wenn man auch einen
bedeutend hoͤhern Luftdruk zulassen will, was mit ihrer vegetabilen Abkunft
jedoch bis auf einen gewissen Grad unvereinbar ist. Bei der von mir dargethanen
Thatsache aber, daß das Naphthalin zu seiner Bildung einer weit hoͤheren
Temperatur bedarf, als
die Existenz der Steinkohle als solche zulaͤßt, wuͤrden die Geologen,
weit entfernt, Licht aus der Annahme von der Praͤexistenz des Naphthalins in
ihr mit Herrn Dumas zu
schoͤpfen, vielmehr in Widerspruͤche zwischen der Natur und dem
Experiment gerathen. Denn augenscheinlich kann die Steinkohle nicht zugleich mit
einer hohen Temperatur unvertraͤglich, dann aber wieder aus Erzeugnissen
einer solchen wesentlich zusammengesezt seyn. Die Geologen wuͤrden also in
Verwirrung kommen, und nicht Licht, sondern Verfinsterung schoͤpfen.
––––––––––
Die Abhandlung des Herrn Laurent fangt gleich in der ersten Linie mit einer Unrichtigkeit an.
Er sagt darin, daß Kidd der Entdeker des Naphthalins sey.
Die Gerechtigkeit gebietet aber, daß man Garden in dieser
Ehre schuͤze, die ihm gebuͤhrt. Im Jahre 1820 legte dieser die ersten
Nachrichten davon im XV. Bd. der philosophischen Annalen S. 74 nieder. Thomson beschaͤftigte sich dann damit, und machte
Mittheilungen davon im XVI. Band S. 85. Erst im Jahre 1821 stellte Dr. Kidd Versuche damit an, die er in dem Philos. Transact. von demselben Jahre P. 2 bekannt machte. Es ist also ganz ungenau, lezteren
als Entdeker zu bezeichnen, welcher vielmehr Garden ist,
wie alle Englaͤnder anerkennen, und auch Berzelius
in seinem Lehrbuche und L. Gmelin in seinem Handbuche
angeben.
––––––––––
In dem Eding. new philos. Journ. Octbr. 1832, und aus
diesem im Schweigger'schen Jahrbuche Bd. LXVI. Heft 1 und
2, E. 104 von 1832 findet sich eine Notiz uͤber das Naphthalin von A. Connel, welche hieher einigen Bezug hat. Man
haͤtte ihm aus einer langen eisernen Roͤhre, die fruͤher zu
einem Oehlgasapparat gehoͤrte, nun aber einige Jahre unbenuzt an der Luft
gelegen haͤtte, weiße Krystalle mit einer schwarzen pechartigen Masse
vermengt gebracht. Die Roͤhre haͤtte fruͤher zu Verbindung des
Gasometers mit der Retorte gedient, in welcher abwechselnd Fischthran und
Palmoͤhl verkohlt worden. Die weißen Krystalle wiesen sich als Naphthalin
aus. – Dieß waͤre eine Bestaͤtigung meiner Angaben, daß
Naphthalin nicht bloß aus Steinkohlen bereitet werden koͤnne, sondern auch
aus andern Kohlen-Wasserstoffverbindungen, und zwar hier aus Fischthran und
Palmoͤhl. Herr Connel
geht nun auf Muthmaßungen uͤber die Entstehungsweise dieses Naphthalins
uͤber, und entscheidet sich fuͤr die Meinung, daß es nicht waͤhrend der Destillation gebildet, sondern
erst spaͤter durch freiwillige Zersezung des Oehltheeres unter Mitwirkung der
Luft entstanden sey. Er schließt sich hierin der Ansicht des Herrn Laurent an, und glaubt, daß ich in meinen
Versuchen aus Steinkohlentheer darum kein Naphthalin erhalten habe, weil mein Theer
zu jung gewesen sey.
Dieser Ansicht kann ich nicht beitreten. Denn erstens ist mein Theer inzwischen alt
geworden, naͤmlich fast drittehalb Jahr alt, und hat in dieser Zeit, obwohl
ein Theil nur mit Papier bedekt war, kein Naphthalin gewonnen. Zweitens ist die
Erscheinung von Naphthalin aus einer gluͤhenden Retorte, worein Fett gebracht
worden, nicht nur nichts Befremdendes, sondern sie ist nach dem, was ich vom
Thieroͤhl, Holzoͤhl u.s.w. dargethan habe, chemisch gesezlich und
nothwendig, und koͤnnte nicht ausbleiben. Endlich aber ist auch der Umstand,
daß man diese Krystalle nach mehreren Jahren, wo sie als Naphthalin laͤngst
haͤtten sollen verdunstet seyn, vorfand, nicht so raͤthselhaft, als es
auf den ersten Anblik scheinen moͤchte. In einer langen Roͤhre
naͤmlich stagnirt die Luft ganz ungemein, wenn sie nicht durch besondere
Sollicitationen zum Zuge bestimmt wird. Ein Beispiel habe ich so eben vor Augen; es
sind jezt neun Monate verflossen, seit ich Kreosot durch gluͤhende
Roͤhren geleitet habe, wobei sie sich innen mit Naphthalinkrystallen
auskleideten, und obgleich die Roͤhren von Porcellan ganz kurz sind, und an
offener Luft liegen, so sind gleichwohl die Krystalle zur Stunde noch nicht alle verschwunden, was gewiß uͤber
Nacht vollbracht gewesen waͤre, waͤren sie auf einer flachen Schale
gelegen. Einen anderen Fall habe ich beobachtet, der noch naͤher liegt. Ich
ließ in ein offenes sogenanntes Zukerglas, mit 4 Zoll weiter Muͤndung,
unreines Naphthalin sammeln, um es nachher durch Sublimation zu reinigen.
Zufaͤllig gerieth es in Vergessenheit, und blieb 3 Jahre lang bloß mit einem
einfachen Papier zugedekt stehen. Als man es wieder aufnahm, war zu meiner
Verwunderung nur ein kleiner Theil des Naphthalins verdunstet, die groͤßere
Menge aber unter dem Schuze einer schwachen etwas fettigen Staubdeke ruhig im Glase
geblieben. Offenbar haͤtte sich ganz auf gleiche Weise das Naphthalin des
Hrn. Connel erhalten, und die
ganze Erscheinung schließt also nichts in sich, was nach dem, was wir bereits
uͤber diesen Gegenstand wissen, noch problematisch waͤre, oder was zur
Unterstuͤzung der Ansichten der HH. Dumas und Laurent dienen koͤnnte.
––––––––––
Was endlich das Paranaphthalin des Hrn. Dumas betrifft, so thut es mir leid, das Bekenntniß ablegen zu
muͤssen, daß ich auch hierin seinen Ansichten nicht voͤllig
beipflichten kann. Ich besize diesen Stoff schon seit 1829, und obwohl an ihm
Verschiedenheiten vom
Naphthalin mir auffielen, so vermochte ich doch keine solchen darunter zu erkennen,
die bei der uͤbrigen großen Uebereinstimmung desselben mit dem
gewoͤhnlichen Naphthalin mir entscheidend genug erschienen waͤren, um
mich zu einer Trennung des Erstem von Lezterm fuͤr genugsam berechtigt zu
halten. Die Elementar-Analyse, die Herr Dumas nun damit vorgenommen, und bei der er
Naphthalin und Paranaphthalin qualitativ und quantitativ aus gleichen Bestandtheilen
zusammengesezt gefunden hat, kann der Zuruͤkhaltung nur einen
Rechtfertigungsgrund weiter zufuͤgen, vermoͤge deren ich es nicht
uͤber mich gewinnen konnte, das Auftreten damit als mit einem neuen Stoffe zu
wagen, was ich mehrere Jahre vor Hrn. Dumas haͤtte thun koͤnnen. Es ist sehr leicht und
geschwind geschehen, nach einigen schnellen Versuchen die Wissenschaft mit einem
angeblich neuen Stoffe zu beladen; sie aber wieder davon zu reinigen eben so schwer,
und man sollte daher sehr mit Vorsicht und Umsicht zu Werke gehen, ehe man der
ganzen menschlichen Gesellschaft einen moͤglichen Irrthum hingibt. Doch der
Leser mag nach dem, was ich hieruͤber zu bemerken habe, selbst urtheilen.
Das Paranaphthalin erscheint bei der trokenen Destillation immer erst dann, wenn die
Retorte ein Mal im Gluͤhen sich befindet, anfangs schwach, wenn aber das
Gluͤhen voll und die Verkohlung der Steinkohlenladung im lezten Stadium ist,
in reichlicher Menge. Es erscheint in Gemeinschaft mit einem fettigen Stoffe, mit
einem gelben Stoffe, mit einem dikfluͤssigen Oehle und mit Paraffin, und
bildet eine griesige, citronengelbe Masse, die schon im Retortenhalse haͤngen
bleibt, ja ihn, wenn man sie nicht schmilzt, bisweilen zustopft. Das Oehl kann man
theils schon durchs Filter, leicht aber durch scharfes Auspressen zwischen
Fließpapier entfernen. Die weitere Behandlung habe ich weniger schwierig gefunden,
als Hr. D. sie beschreibt. Es loͤst sich naͤmlich die ganze trokene
Masse ohne Anstand in siedendem Alkohol, selbst in bloßem siedendem Weingeist von
0,82, nur muß man nicht zu wenig dazu nehmen, die Substanz vorher moͤglichst
zerkleinern und namentlich das Sieden laͤngere Zeit und unter
bestaͤndigem Umruͤhren fortsezen. Bei der Abkuͤhlung
faͤllt das sogenannte Paranaphthalin groͤßten Theils krystallinisch
wieder nieder, dagegen nicht bloß der Rest von Oehl, sondern auch die
groͤßere Menge des gelben Stoffes geloͤst bleibt. Das Niederfallende
ist bedeutend blaͤsser gelb und der Alkohol goldgelb geworden. Wiederholt man
diese Aufloͤsung einige Mal mit frischem Alkohol, oder destillirt man nach
Hrn. Dumas den Koͤrper
fuͤr sich, so wird er bald ganz farblos, erscheint aus Alkohol in weißen,
blaͤtterig federigen Krystallen, bei der Sublimation in durchsichtigen
Tafeln, und in der Retorte bleibt ein schwacher rothbrauner Ruͤkstand.
Was nun hiebei nicht fehlen kann, das erraͤth man leicht, wenn man sich meiner
Angaben uͤber das Paraffin erinnert. Es kann naͤmlich nicht
ausbleiben, daß, falls man sich auch auf diesem Wege des gelben Stoffes
gaͤnzlich entledigt haͤtte, dennoch das Paraffin auf der ganzen Fahrt
der stete Begleiter des sogenannten Paranaphthalins hat seyn und bleiben
muͤssen. Denn die Farbe, Krystallisirbarkeit, die Schwerloͤslichkeit
in Alkohol etc. theilt es alle ganz so, wie Hr. Dumas es in seinem neuen Stoffe angibt. Allein
damit hat es noch nicht sein Bewenden; auch der gelbe Stoff, wenn gleich er auf
seine Farbe verzichtete, weicht auf diesem Wege noch nicht vollstaͤndig. Ich
haͤtte eine Abtheilung davon im September v. J. mit mir nach Wien genommen,
und sie verschiedenen Personen, namentlich Hrn. Heinrich Rose gezeigt, ohne jedoch der
Naturforscherversammlung daselbst daruͤber einen Vortrag zu machen. Sie war
damals schneeweiß, als ich sie aber nachher einige Monate am Lichte haͤtte
stehen lassen, war sie im verschlossenen Glase allmaͤhlich wieder gelb
geworden. Dem gelben Stoffe kommt naͤmlich die Eigenschaft zu mit der Zeit zu
dunkeln. Seitdem habe ich sie noch mehrere Male in Alkohol aufgeloͤst, die
gelbe Farbe blieb so gaͤnzlich in diesem zuruͤk, daß die Krystalle
blaͤulichweiß niederfielen; dennoch, an die Sonnenstrahlen gebracht, gelbten
sie in Kurzem wieder auf der ganzen Oberflaͤche. Es war also sichtbarlich
außer dem Paraffin auch das Princip des gelben Stoffes noch in der Substanz des
Paranaphthalins eingewoben, und zwar in einer Weise, in welcher seine gelbe Farbe
verlarvt war, also in einer chemischen Verbindung. Meine Untersuchungen uͤber
diesen gelben Stoff, mit dem ich mich schon verschiedentlich beschaͤftigt
habe, sind noch nicht vollendet, ich kann also damit noch nicht hervortreten, werde
es aber spaͤterhin thun, falls nicht die Thaͤtigkeit eines Anderen mir
hierin zuvorkommt. Aber so viel kann ich hier schon aussprechen, was auch jeder
bereits sehen muß, daß Hrn. Dumas's Paranaphthalin dem vollen Verdacht bloß steht, ein
zusammengesezter Koͤrper zu seyn, aus gelbem Stoffe, Paraffin und einer
dritten Substanz, – von welch lezterer meines Dafuͤrhaltens wenig
Hoffnung uͤbrig ist, daß sie etwas anderes sey, als gewoͤhnliches
Naphthalin, wie aus dem Folgenden erhellen wird.
Hr. Dumas sagt selbst, daß er
sich bis jezt von seinem Paranaphthalin eine so geringe Menge zu verschaffen im
Stande gewesen sey, daß sie ihm nicht erlaubt habe, sein Atomengewicht zu bestimmen.
In einer so heikligen, gar so leicht zu Selbsttaͤuschung fuͤhrenden
Sache, fehlte es ihm also schon vor Allem an der zu einer seltsamen Pruͤfung
und gruͤndlichen Untersuchung unentbehrlichen Menge. Sie ist aber nicht sehr
schwer zu erlangen, denn sie bildet sich bei der Steinkohlenverkohlung ziemlich reichlich; ich besaß
davon wohl schon ein ganzes Pfund; dann sagt er an einer anderen Stelle
woͤrtlich:
„Concentrirte Schwefelsaͤure bildet damit eine
schmuziggruͤne Farbe, die wahrscheinlich von geringen Spuren der
orangefarbenen Materie herruͤhrt, welche das Paranaphthalin stets begleitet.“
Er raͤumt eine innige Verbindung mit dem gelben Stoffe selbst ein, und hat
also niemals einen reinen Koͤrper behandelt, ihn aber gleichwohl isomer mit
dem Naphthalin gefunden. Brachte ich die Substanz in Schwefelsaͤure, so wurde
sie davon unter Faͤrbung der Saͤure, wenn es wenig war, ganz
aufgenommen; brachte ich aber viel hinein, und erwaͤrmte die Saͤure,
so entwikelte sie eine Oehlhaut und beim Erkalten koͤnnte ich einen gestokten
Reif abnehmen, der sich bei naͤherer Untersuchung als reines weißes Paraffin
auswies. Zu dieser Beobachtung koͤnnte Hr. Dumas nicht gelangen, einerseits weil ihm, wie
es scheint, die Existenz des Paraffins noch unbekannt geblieben, andererseits weil
er eine zu geringe Menge Substanz sich verschafft haͤtte, um zur Abscheidung
des Paraffins mittelst Schwefelsaͤure genug zu haben. – Die Gegenwart
des Paraffins folgt also nicht bloß aus der Theorie, sondern sie ist auch
experimental nachgewiesen; die Gegenwart des gelben Stoffes hat Hr. Dumas selbst eingeraͤumt; die
Beweise fuͤr die Nichteinfachheit sind also vollstaͤndig.
In ihren physischen Eigenschaften fand ich die Substanz,
je laͤnger ich mit ihr umging, desto mehr sich dem Naphthalin naͤhern.
Anfaͤnglich haͤtte ich eine Freude an ihr und bearbeitete sie mit
Liebhaberei, weil ich mir die Ehre einer huͤbschen neuen Entdekung davon
versprach. Ihre Krystalle waren prachtvoll citronengelb mit einem ganz herrlichen
Schimmer; sie war viel schwerloͤslicher im Weingeist als Naphthalin, viel
strengfluͤssiger, verkohlte sich statt zu sublimiren u.s.w. Allein als ich
sie mehrere Male durch Alkohol genommen, verschwand die gelbe Farbe stufenweise, sie
ward allmaͤhlich weiß, die Loͤslichkeit in Alkohol nahm zu, die
Strengfluͤssigkeit ab, die Siedhize naͤherte sich immer mehr der des
Naphthalins, und zur Verkohlung auf dem Platinloͤffel, die nun immer kleinere
Kohlreste lieferte, gesellte sich endlich ein Sublimat von glaͤnzend weißen
Flitterchen, die wie ein Schnee in der Luft umherflogen, und an dargebotene kalte
Koͤrper sich krystallinisch anlegten, – ganz die Erscheinungen, die
das gewoͤhnliche Naphthalin charakterisiren. Schmolz ich die Substanz, so
irisirte sie mit derselben Lebhaftigkeit, die das Naphthalin in diesem Zustande
auszeichnet; beim Erstarren befolgte sie ganz dieselben Geseze der starken
Zusammenziehung, der krystallinisch blaͤtterigen Textur, einer gewissen
eigenthuͤmlichen Raschheit der Verbreitung der Krystallisation im Beginn
ihres Eintrittes durch die ganze Masse, des Glanzes der Oberflaͤchen, der auffallenden
Porositaͤt, uͤber die sich schon Thomson
1821 beklagte, des Grades der Haͤrte, Geschmaklosigkeit, Durchsichtigkeit
u.s.w., kurz Alles wie gemeines Naphthalin, ausgenommen den starken Geruch und die
Farblosigkeit. Das allerreinste Paranaphthalin, das schneeweiß auskrystallisirt war,
ward beim Einschmelzen wieder etwas schmuzig farbig, und der Geruch war bei reinen
Proben sehr schwach – aber entschieden naphthalinig, bei unreineren fast
verschwunden. Hr. Dumas thut
des Geruches, des Geschmakes und der Farbe in seiner Abhandlung keiner
Erwaͤhnung (warum nun wohl?). Als ich endlich das specifische Gewicht zu
Rathe zog, koͤnnte ich durchaus zu keinem Unterschied zwischen Naphthalin und
Paranaphthalin gelangen. Beide waren schwerer als Wasser. Das Naphthalin hat Ure mit einem spec. Gewicht von 1,048 angegeben. Die
Waͤgungen, auf denen diese Angabe beruht, sind aber sicherlich mangelhaft,
und ruͤhren her von den zahllosen Rissen und innerlichen Hoͤhlungen,
welche dasselbe beim Erstarren unvermeidlich annimmt. Nach einigen
sorgfaͤltigen Waͤgungen, die ich damit auf einem Nicholson vorgenommen habe, fand ich ein reines, durchsichtiges und
farblos geschmolzenes Naphthalin, das ich selbst aus Buchenholztheer bereitet, und
worin ich die Hoͤhlungen alle so ausgebohrt habe, daß ich sie mit Wasser
fuͤllen koͤnnte, im spec. Gewicht = 1,153. Diese Zahl wird der
Wahrheit ziemlich nahe kommen, dennoch ist auch sie noch nicht gaͤnzlich
genau, und wird mit der Zeit in der zweiten und dritten Decimale vielleicht noch
Berichtigungen erleiden. Das angebliche Paranaphthalin aus Steinkohle aber ergab mir
ein Gewicht von 1,147, beide bei 18° C. gemessen. Hr. Dumas gibt auch kein spec. Gewicht an. Hier ist
der Unterschied in den Eigengewichten zwischen beiden Naphthalinen ganz gewiß
kleiner, als der Unterschied der beiderseitigen Reinheiten und Porositaͤten
von der Erstarrung, und kann also mit vollem Rechte außer Betracht gelassen werden,
so daß also auch das specifische Gewicht fuͤr die Identitaͤt beider
Substanzen nur einen Beweis mehr aufstellt.
Eine Pruͤfung der chemischen Eigenschaften gibt
keine guͤnstigeren Resultate. Krystalle von sogenanntem Paranaphthalin,
welche ich durch oftmalige Aufloͤsung im Alkohol ganz weiß bekommen, dann
aber sublimirt in schoͤnen Blattchen aus dem Retortenhalse gezogen, also
einer doppelten Reinigung unterzogen haͤtte und die meines Erachtens ziemlich
ihres Paraffins entledigt seyn mochten, da sie schon die einem reinen Naphthalin
eigene Sproͤdigkeit zeigten – unterwarf ich neben reinem Naphthalin,
das ich aus Holztheer mittelst Verrußung dargestellt haͤtte, einer Anzahl
vergleichender Versuche, wovon ich hier einige anfuͤhren will.
Schwefelsaͤure von 1,850 greift kalt reines
Naphthalin nicht sogleich an; ich haͤtte es schon eine Stunde lang darin
liegen lassen, ehe ich eine schwache Braͤunung der Saͤure gewahr ward,
waͤhrend das Naphthalin ganz weiß darin umherschwamm. Nach einigen Tagen aber
ward es allmaͤhlich aufgezehrt und die Saͤure schwarzbraun. –
Paranaphthalin, welches mit Alkohol gereinigt worden, wurde hellgruͤn beim
Einbringen der Saͤure; die Farbe ging aber nach mehreren Stunden in
Dunkelgruͤn uns zulezt in Schwarz uͤber. Paranaphthalin von der
Sublimation ward sogleich schmuziggruͤn, wie dieß auch Hr. Dumas angibt, nach einigen Stunden
aber ebenfalls und eben so schwarz wie jene beiden. Gruͤn entsteht
bekanntlich nicht bloß aus Blau und Gelb, sondern in manchen Faͤllen auch aus
Schwarz und Gelb, und ist die gruͤne Erscheinung hiebei ganz klar, indem die
Schwefelsaͤure durch vermittelnde Oxydation in dem Paranaphthalin das gelbe
Princip gelb, das Naphthalin schwarz macht, und so die temporaͤre
gruͤne Erscheinung bewirkt.
Salpetersaͤure greift kalt das reine Naphthalin
gar nicht an. – Paranaphthalin aus Alkohol ebenfalls nicht. –
Paranaphthalin von der Sublimation aber entwikelte damit schnell rothes Oehl, das
erst mit rother Farbe aufgeloͤst wurde, dann aber ins Gruͤnliche
uͤberging, das Paranaphthalin außerdem blieb aber unangegriffen, wie das
reine Naphthalin. Es wurde also von der Saͤure bloß eine anhaͤngende
oͤhlige Substanz angegriffen und aufgeloͤst, das darin enthaltene
Naphthalin aber unversehrt gelassen.
Salzsaͤure wirkte weder auf das Naphthalin noch
auf das Paranaphthalin.
Essigsaͤure und Kleesaͤure, beide concentrirt, loͤsen kalt weder das Eine
noch das Andere.
Kalilauge in concentrirtem Zustande, wirkt weder kalt
noch siedend auf beide.
Weingeist loͤst kalt beide langsam und
gleichzeitig auf.
Aether loͤst beide rapid auf.
Kohlensulfurid ebenfalls beide mit großer Raschheit.
Olivenoͤhl kalt beide, Paranaphthalin etwas
langsam.
Terpenthinoͤhl loͤst kalt beide.
Eupion beide ziemlich gleich schnell.
Kreosot beide allmaͤhlich.
Pikamar beide gleich langsam.
Kurz es fand ein bestaͤndiger Parallelismus Statt, und wo die geringste
Divergenz eintrat, lenkten beide Stoffe durch Beweise von dem Zusammengeseztseyn des
Paranaphthalins alsbald wieder in die gemeinschaftliche Bahn ein.
Der Umstand, daß Hr. Dumas aus
den ersten Fractionen seines Theeroͤhls Naphthalin, aus den lezten aber
Paranaphthalin zog, eignet sich zu keiner Einwendung gegen die aus meinen
Betrachtungen hervorgehenden Folgerungen. Denn die Bestandtheile des Theers sind
nach meinen Untersuchungen ungleich fluͤchtig; Eupion u.a. ist
leichtfluͤchtig, Paraffin aber schwerfluͤchtig, der gelbe Stoff aber
am schwerfluͤchtigsten. Das Naphthalin, das theilweise mit den erstem
uͤberging, war noch frei von den lezteren, und koͤnnte als solches
leicht rein dargestellt werden, wogegen das mit den lezteren uͤbergehende die
zu Taͤuschungen fuͤhrende Verbindung mit ihnen einging.
Unter solchen Umstaͤnden, ich bekenne es, verlor ich den Muth, die Substanz
als einen neuen Stoff auf die Schaubuͤhne der Welt zu stellen. Wenn ihm
gleich noch einige schwache Unterschiede von dem gewoͤhnlichen Naphthalin
uͤbrig bleiben, naͤmlich ungleich geringere Fluͤchtigkeit an
offener Luft, und was davon unmittelbar herruͤhrt, also damit Eins ist, sehr
schwacher Geruch, etwas hoͤhere Schmelz- und
Verfluͤchtigungshize; so erklaͤren sich nicht nur diese einfach aus
der gemischten Natur der Substanz und den Beschaffenheiten der sie constituirenden
Stoffe, sondern ich sah sie auch mit jedem Reinigungsschritte mehr schwinden, und
wenn ich gleich bis an jene Graͤnze, an welcher voͤllige Coincidenz
eintritt, mich nicht fortschleppte, weil sie meiner Muͤhe keinen Lohn mehr
bot; so sah ich sie doch mit solcher Ueberzeugung nahe vor mir liegen, haͤtte
der Beweisgruͤnde fuͤr die Identitaͤt des neugeglaubten mit dem
alten Stoffe so viele und so sprechende, daß ich, selbst uͤberwunden, meine
Hoffnungen aufgab.
Das Paranaphthalin des Hrn. Dumas ist demnach, so weit wenigstens meine geringe Kenntniß der
empyreumatischen Stoffe reicht, nichts anderes, als gewoͤhnliches Naphthalin,
verunreinigt bald durch Verbindung mit einer kleinen Menge Paraffin, bald mit einer
Wenigkeit eines anderen sproͤden, an der Luft und dem Lichte gelb werdenden
Koͤrpers von ganz abweichenden Eigenschaften bald mit beiden zugleich, von
deren jedem aber eine geringe Quantitaͤt hinreicht, in den Charakter des
Naphthalins solche scheinbare Abaͤnderungen zu bringen, daß man in die
Taͤuschung fallen kann, die Verbindung fuͤr einen einfach neuen
Grundstoff zu halten.
Sollte ich aber gleichwohl Unrecht haben, sollte ich mich in allen meinen
Beobachtungen vergriffen haben und in meinen Folgerungen fehlgegangen seyn, was ich
nicht verhoffe, sollte wirklich ein Paranaphthalin existiren, das als ein einfach
naͤherer Bestandtheil der Producte der trokenen Destillation gegen mich
erwiesen werden koͤnnte; so hin ich schließlich zur Aufrechthaltung der Ehre
meiner Landsleute gezwungen, dem Hrn. Dumas
die wenig erfreuliche Nachricht zu geben, daß er dennoch nicht der Entdeker
desselben waͤre, sondern diese Ehre einem Deutschen zukaͤme. Er
schlage in Gehlen's neuem
allgemeinen Journal der Chemie Bd. V. S. 272 bis 287 nach. Dort wird er einen Aufsaz
von unserem trefflichen F. C. Vogel zu Baireuth finden,
woselbst unter den Producten der trokenen Destillation des Bernsteins des Langen und
des Breiten alle jene Stoffe beschrieben sind, namentlich das fettige Oehl, den
gelben Stoff und unter dem Namen fluͤchtiges Harz
genau dieselbe Substanz mit allen den Eigenschaften und
Verwandtschaftsverhaͤltnissen, wie er sie unter dem Namen Paranaphthalin uns
vorlegt. Er wird ersehen, daß wir schon seit 1805, also bereits 28 Jahren her, in
Deutschland diese zusammengesezte Substanz kennen. Sie ist auch schon in unseren
Lehrbuͤchern unter dem Namen fluͤchtiges Harz des Bernsteins
aufgezaͤhlt, ist weder im Bernsteine, noch in der Steinkohle und ihren
Theeren allein enthalten, sondern erscheint nach meinen Erfahrungen ebenso am Ende
der Ratifikation des Holztheeres, des Thiertheeres aus Fleisch, Horn,
Lederabfaͤllen etc., sobald man nur die erste Verkohlung selbst am Ende stark
genug in die Hize trieb, und ist somit uͤberhaupt nichts Neues, sondern
laͤngst eine allgemein bekannte Sache.
Wenn ich nun durch alles Dieses dargethan haben duͤrfte, daß sich Hr.
Dumas sowohl in der
Pruͤfung seines Gegenstandes uͤbereilt, als in dessen Beurtheilung
getauscht habe, so wie mit der Geschichte desselben unbekannt gewesen sey, so ist
dieß im Uebrigen ein Versehen, dem von den ruhmvollsten der Naturforscher noch
keiner entgangen ist; und wenn ihm jemals diese Zeilen zu Gesicht kommen sollten, so
moͤchte ich ihn bitten, darum die Huldigung nicht zu mißkennen, die ich dem
seltenen Reichthume seiner Kenntnisse, der Ueberlegenheit seines Talentes und seinen
vielfachen und ausgezeichneten Verdiensten um die schoͤnste der
Naturwissenschaften, die Chemie, aufrichtig zolle.Wir werden demnaͤchst einen von Hrn. Dr.
Reichenbach selbst verfaßten Auszug aus den bisher von ihm
erschienenen Abhandlungen uͤber die Resultate seiner Untersuchungen,
die trokene Destillation betreffend, nachtragen. Die von Hrn. Dr. Reichenbach entdekten Substanzen, das Eupion
und Kreosot, werden ohne Zweifel in der Folge in mannigfaltiger Beziehung
sehr nuͤzliche Anwendungen gestatten.A. d. R.
Blansko, im Junius 1833.