Titel: | Ueber die Vortheile eines kurzen Schwingungsbogens für Pendeluhren. Von Hrn. Edward Sang vorgetragen vor der Society for the Encouragement of the useful arts in Scotland. |
Fundstelle: | Band 50, Jahrgang 1833, Nr. LI., S. 244 |
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LI.
Ueber die Vortheile eines kurzen
Schwingungsbogens fuͤr Pendeluhren. Von Hrn. Edward Sang vorgetragen vor der Society for the Encouragement of the useful arts in
Scotland.
Aus dem Edinburgh new philosophical Journal.
April-Julius 1833, S. 137.
Ueber die Vortheile eines kurzen Schwingungsbogens fuͤr
Pendeluhren.
Mein langer Umgang mit Leuten, die sich mit dem Baue von Maschinen aller Art
beschaͤftigen, machte mich mit vielen unter denselben herrschenden, irrigen
Ideen und Ansichten bekannt. Ich begnuͤgte mich anfangs damit diese
Irrthuͤmer zu widerlegen, so wie mir dieselben unterkamen, bis mir die
Erfahrung die Ueberzeugung gab, daß eine systematische und oͤffentliche
Eroͤrterung derselben den Maschinenbauern im Allgemeinen von einigem Nuzen
seyn duͤrfte. In dieser Ueberzeugung nun machte ich mich an die Ausarbeitung
mehrerer Abhandlungen, zu denen auch die gegenwaͤrtige gehoͤrt, in der
ich mir es zur Aufgabe machte, die Unzwekmaͤßigkeit der langen Pendel an den
Pendeluhren darzulegen, und die Vorliebe fuͤr dieselben unter den
Kaͤufern zu bekaͤmpfen.
Die Bemerkungen, die ich hiermit der Oeffentlichkeit uͤbergebe, sind
keineswegs fuͤr jene bestimmt, die sich mit schaͤzenswerthem Eifer
bereits eine vollkommene Kenntniß ihres Gegenstandes eigen gemacht haben, sondern
lediglich fuͤr jene, die entweder aus Unachtsamkeit von ihrer Seite oder aus
Mangel an Gelegenheit nicht gehoͤrig in denselben eingeweiht sind; sie
duͤrften daher nur in so fern die Beachtung der Eingeweihteren verdienen, als
sie dazu beitragen koͤnnten, die schroffe Scheidewand, welche zwischen den
Gelehrten und Praktikern leider noch so haͤufig besteht, niederzureißen. Da
ich bei der Aufgabe, die ich mir gesezt hatte, leider auf eine Benuzung und
Anwendung der hoͤheren und so schlagenden, neueren Analysis, und selbst auf
eine Hinweisung der Wahrheiten, die sich aus manchen anderen Wissenschaften ergeben,
Verzicht leisten mußte, so war ich leider gezwungen, den Irrthum durch bestimmte
Behauptungen zu widerlegen, und sogar oͤfters ein Vorurtheil durch ein
anderes zu bekaͤmpfen.
Es waͤre in dem gegenwaͤrtigen Falle ganz vergebene Muͤhe, wenn
ich mich auf eine Erlaͤuterung des Gesezes der Bewegung in Kreisbogen
einlassen wollte; denn kein Uhrmacher, der einer solchen Erlaͤuterung zu
folgen im Stande ist, kann ein Anhaͤnger der langen Pendel seyn. Unter jenen
Uhrmachern nun, welche dieses Gesez nicht aufzufassen im Stande ist, herrscht ein
verworrener und undeutlicher Glauben, daß die Pendelbewegungen der Berechnung
unterworfen werden koͤnnen; sie haben aber weder diese Berechnung, noch die Principien, auf
denen sie beruht, einer Untersuchung unterzogen. Die Idee der Benuzung des Pendels
zum Messen der Zeit ruͤhrt, ihrer Meinung nach, von einem in den
Wissenschaften tief Eingeweihten her; die Unruhe, die Spindel und die Compensation
fuͤr die Ausdehnung durch die Waͤrme sind gleichfalls die Resultate
wissenschaftlicher Forschungen, und es ist, wie sie sagen, nicht unmoͤglich,
daß aus dieser geheimnißvollen Quelle vielleicht auch noch eine genaue Kenntniß des
Einflusses von langen und kurzen Bogen auf den Gang einer Uhr geschoͤpft
werden kann. Obschon sie nun hiernach die Macht der theoretischen Resultate nicht
vollkommen zu schaͤzen wissen, so sind sie doch auch nicht hinreichend
vorbereitet, um denselben widersprechen zu koͤnnen. Auf Argumente dieser Art
muß ich mich stuͤzen, um meine Angaben zu begruͤnden.
Wenn nun das Pendel einer Uhr außerordentlich kleine Schwingungen macht, und wenn
dasselbe nach der wahren Zeit gerichtet ist, so wird, wenn der Bogen
verlaͤngert wird, nothwendig auch die Dauer des Schlages zunehmen. Diese
Zunahme wird anfangs sehr gering seyn; allein, so wie sich der Bogen erweitert, wird
sich auch der Zwischenraum zwischen zwei Schlaͤgen immer rascher und rascher
vergroͤßern, bis endlich die geringste Veraͤnderung an dem
Schwingungsbogen schon einen bedeutenden Einfluß auf den Gang der Uhr
ausuͤben wird. Ich habe in der beigefuͤgten Tabelle den genauen Betrag
dieser Veraͤnderungen bei den ersten 20 Hunderttheilen des Halbkreises
berechnet und zusammengestellt; mit Huͤlfe dieser Tabellen kann man leicht
die Leistungen der Pendel mit langen oder kurzen Gehaͤngen vergleichen.
Gesezt es sey eine Uhr nach der wahren Zeit regulirt, wenn deren Pendel an jeder
Seite der senkrechten Linie durch einen Bogen von 20 Centesimalgraden schwingt, und
gesezt die Kraft, welche die Bewegung unterhaͤlt, werde durch die Verdikung
des Oehles oder durch irgend eine andere Ursache um den 20sten Theil vermindert, so
wird das Pendel, den Widerstand der Luft nicht in Anschlag gebracht, nur auf jeder
Seite durch 19 Grade schwingen, so daß also der taͤgliche Gang der Uhr um
52'',235 beschleunigt werden wird.
Gesezt nun die Kraft, welche die Bewegung unterhaͤlt, werde durch eine
Vermehrung des Gewichtes des Pendels und durch die daraus folgende Reibung an der
Messerschneide gerade fuͤr eine Schwingung hinreichend, welche an jeder Seite
der senkrechten Linie nur einen Grad betraͤgt. Gesezt ferner die Uhr sey
neuerdings in ihrem Gange nach der wahren Zeit regulirt, so wird, wenn dieselbe
Verminderung in der Bewegungskraft eintritt, der Schwingungsbogen an jeder Seite nur
um 19/20 eines Grades kleiner werden, waͤhrend der taͤgliche Gang nur
eine Beschleunigung von 0''130, d.h. eine Beschleunigung erleiden wird, welche kaum den 400sten Theil
von der Beschleunigung im ersten Falle betraͤgt.
Beruͤksichtigt man also bloß die Wirkung der Schwere, so ist der Vorzug des
schweren Pendels mit kleinem Schwingungsbogen vor dem leichten Pendel mit langem
Gehaͤnge offenbar. Die Verschiedenheit in dem Zustande des Oehles, so wie die
uͤbrigen Ungleichheiten der Hemmung haben naͤmlich einen Einfluß auf
ersteres, welcher in doppeltem Verhaͤltnisse geringer ist, als jener der
Schwingungsbogen.
Jener Theil des Fehlers in dem Gange einer Uhr, der von den Verschiedenheiten in der
Schwimmkraft (buoyancy) der Luft seinen Grund hat, kommt
allen Pendeln aus gleichem Materiale zu; jener Theil hingegen, der von der
Verschiedenheit des Widerstandes der Luft herruͤhrt, ist an dem schweren
Pendel weit weniger fuͤhlbar. Kehren wir nun wieder zu unserem ersten Falle
zuruͤk, so wird die Geschwindigkeit des schweren Pendels 20 Mal geringer
seyn, als jene des leichten, so daß also der Widerstand der Luft in einem gegebenen
Flaͤchenraume 400 Mal geringer seyn wird. Dieser Flaͤchenraum ist
jedoch 7368 Mal groͤßer, waͤhrend die Entfernung, durch welche der
Widerstand wirkt, 20 Mal geringer ist, so daß also der Einfluß, den dieser
Widerstand ausuͤbt um der Bewegungskraft entgegenzuwirken, im Ganzen 1085 Mal
vermindert wird; mithin wird jene Unregelmaͤßigkeit im Gange der Uhr, die von
der Verschiedenheit des Widerstandes der Luft herruͤhrt, 400 Mal 1085, oder
beinahe 400,000 Mal geringer seyn.
In Folge der Zunahme des Gewichtes wird die Reibung an der Messerschneide 20 Mal
groͤßer werden, waͤhrend die Entfernung, durch welche sich dasselbe
bewegt, eben so oft vermindert wird, so daß die Reibung an der Schneide des Messers
die Bewegungskraft an dem schweren Pendel um eben so viel beeintraͤchtigt,
als dieß an dem leichten Pendel der Fall ist. Die Abweichungen in dieser Reibung
werden daher, wenn man sich schwerer Pendel bedient, nur den 400sten Theil der
Stoͤrung in dem Gange einer Uhr hervorbringen. Die Schneide wird jedoch in
diesem Falle etwas verstaͤrkt werden muͤssen, und dieser Umstand
duͤrfte gleichfalls einen geringen Einfluß auf diese Verhaͤltnisse
ausuͤben.
Die Verspaͤtung des Ganges einer Uhr bei einer Verlaͤngerung des
Schwingungsbogens ihres Pendels ist nicht so unbedeutend, als man allgemein glaubt;
die Tabelle, die ich hier mittheile, gibt, ich bin es uͤberzeugt, in dieser
Hinsicht Resultate, die weit groͤßer sind, als es vielleicht sogar manche von
denen, die mit diesem Gegenstande vertraut sind, vermuthen duͤrften. Ich bin bei der
Anfertigung dieser Tabelle zur Vermeidung von Irrthuͤmern mit groͤßter
Sorgfalt verfahren; ich habe, so lange ich bei der Decimaleintheilung blieb, die
Logarithmen bis auf 10 Zifferstellen gebracht, und habe mich bei dem Uebergange von
dieser Einteilung zur gewoͤhnlichen Zeiteintheilung der gewoͤhnlichen
Logarithmentafeln mit 7 Zifferstellen bedient. Die Tabelle duͤrfte daher
theils wegen dieser Umstaͤnde, theils wegen ihrer Neuheit auch fuͤr
Theoretiker und Gelehrte nicht ohne Interesse seyn.
Diese Angaben lassen sich durch einen sehr einfachen und sehr schoͤnen Versuch
bestaͤtigen. Man haͤnge eine Bleikugel an einem sehr duͤnnen
Faden auf, und gebe diesem einfachen Pendel dann eine solche Bewegung, daß die Kugel
eine Kruͤmme beschreibt, die einer Ellipse sehr aͤhnlich ist. Wenn nun
die Schwingungszeiten laͤngs der beiden Achsen dieser Kruͤmme einander
vollkommen gleich waͤren, so wuͤrde die Kugel immer denselben
Laufkreis beschreiben; diese Schwingungszeiten sind aber verschieden, und die Kugel
ist daher waͤhrend ihrer Bewegung von dem einen Ende der langen Achse zum
andern in Hinsicht auf die kurze Achse mehr als in ihre Stellung
zuruͤkgekehrt, so daß also die Achsen des Laufkreises allmaͤhlich in
der Richtung der Bewegung der Kugel ihre Stellung veraͤndern. Diese
Ortsveraͤnderung wird am raschesten Statt finden, wenn der Laufkreis groß
ist; so wie derselbe nach und nach kleiner wird, wird auch die
Ortsveraͤnderung der Achsen immer langsamer und langsamer werden, bis sie
endlich, wenn die Ausschweifungen nicht uͤber 3 bis 4 Grade betragen, ganz
unbemerkbar wird.
Ich muß diesen Bemerkungen uͤber die Vortheile der Pendel mit kurzen
Schwingungsbogen noch beifuͤgen, daß sich gegen die Anwendung sehr kleiner
Pendel in der Praxis große Schwierigkeiten erheben. Diese Schwierigkeiten und
Einwendungen beruhen hauptsaͤchlich auf der Natur der allgemein
gebraͤuchlichen Hemmungen, und werden vielleicht durch den Widerwillen, mit
dem man von herkoͤmmlichen Vorschriften abweicht, wenn sie auch noch so
unzwekmaͤßig seyn sollten, noch erhoͤht. Die schoͤne Hemmung,
fuͤr welche die Gesellschaft kuͤrzlich dem Erfinder den ersten Preis
ertheilte, duͤrfte, wenn sie mit gehoͤriger Vorsicht weit unten an der
Pendelstange angebracht wird, allen diesen Einwendungen abhelfen, so daß diese
Erfindung wirklich außerordentliche Fortschritte in der Uhrmacherkunst verspricht.
Eine nach diesem Plane verfertigte Uhr ist bereits weit gediehen, und ich werde
naͤchstens Gelegenheit haben die Resultate der mit ihr angestellten Versuche
bekannt zu machen.
Textabbildung Bd. 50, S. 248
Tägliches Zurükbleiben der Uhr;
Ueberschuß der scheinbaren Beträge über dem wahren Tage; Halber Bogen; 3te
Differenz; 2te Differenz; 1ste Differenz; Logarithmus der Schwingungszeit