Titel: | Ueber das Vorkommen des Stikstoffs in allen Samen; von Hrn. Gay-Lussac. |
Fundstelle: | Band 50, Jahrgang 1833, Nr. LXIII., S. 294 |
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LXIII.
Ueber das Vorkommen des Stikstoffs in allen
Samen; von Hrn. Gay-Lussac.
Aus den Annales de Chimie et de Physique. Mai 1833, S.
110.
Ueber das Vorkommen des Stikstoffs in allen Samen.
Man wußte bisher wohl, daß einige Samen Stikstoff enthalten, weil man aus ihnen
Substanzen von animalischer Natur ausziehen kann, wie z.B. Kleber aus dem
Weizenmehl; ich erinnere mich aber nicht in irgend einem Werke gelesen zu haben, daß
jeder Same eine animalisirte Substanz enthaͤlt.
Um sich von dieser Wahrheit zu uͤberzeugen, braucht man nur irgend einen Samen
in seinem natuͤrlichen Zustande, oder besser, nachdem man ihn von seiner
holzigen Huͤlse befreit hat, der Destillation zu unterwerfen. Bei der
Destillation erhaͤlt man jedoch nicht immer direct ammoniakalische Producte.
Der Reiß z.B. gibt ein sehr saures Destillat, worin man aber durch Zusaz von Kalk
die Gegenwart des Ammoniaks leicht nachweisen kann. Die Schminkbohnen und viele
andere Huͤlsenfruͤchte liefern hingegen ein sehr ammoniakalisches
Product. Im Allgemeinen kann man annehmen, daß jeder Same, abgesehen von seiner
Huͤlse, aus zwei Theilen besteht, einem vegetabilischen, welcher bei der
Destillation ein saures Produkt liefert, und einem animalischen, der ein
ammoniakalisches Produkt gibt, so daß also die saure oder alkalische Beschaffenheit
des Destillats von dem Vorwalten eines dieser beiden Stoffe abhaͤngt. Ich habe alle Samen, die
mir vorkamen, der Destillation unterworfen, und keinen gefunden, der nicht Ammoniak
lieferte, entweder unmittelbar, was in der Regel der Fall war, oder auf Zusaz von
Kalk. Ich glaube daher den Saz aufstellen zu koͤnnen, daß alle Samen ohne
Ausnahme eine sehr stikstoffreiche Substanz enthalten.
Dadurch erklaͤrt es sich, daß die Samen so naͤhrend sind und daß die
Ruͤkstaͤnde, welche sie nach Absonderung ihres Oehlgehaltes
hinterlassen (die Oehlkuchen) als Duͤnger so außerordentlich befruchten, und
umgekehrt wieder, warum der Duͤnger nothwendig einen animalischen Stoff
enthalten muß. Je mehr der Duͤnger von lezterem enthaͤlt, desto
kraͤftiger wirkt er, besonders in Bezug auf Pflanzen, deren Samen und
bisweilen auch Blaͤtter, sich wie bei dem Tabak, eine große Menge thierischer
Substanz aneignen. Endlich begreift man nach meiner Beobachtung leicht, warum der
Boden durch gewisse Pflanzen mehr als durch andere erschoͤpft wird, warum es
vortheilhaft ist, unnuͤze Samen nicht aufkommen zu lassen u.s.w.
Die Gegenwart einer stikstoffhaltigen Substanz in den Samen ist ohne Zweifel eine
wesentliche Bedingung ihrer Fruchtbarkeit und ihrer Entwikelung, was also
fuͤr jeden organisirten Koͤrper gilt.