Titel: | Ueber die Wirkung der Salpetersäure auf das Eisen; von Hrn. J. F. W. Herschel. |
Fundstelle: | Band 51, Jahrgang 1834, Nr. LXXXIV., S. 370 |
Download: | XML |
LXXXIV.
Ueber die Wirkung der Salpetersaͤure auf
das Eisen; von Hrn. J. F. W.
Herschel.
Aus den Annales de Chimie et de Physique. September 1833Wir empfingen dieses Heft mit direkter Post den 10. Maͤrz 1834. A. d.
R., S. 87.
Ueber die Wirkung der Salpetersaͤure auf das
Eisen.
Das Maͤrzheft der Annales de Chimie
enthaͤlt eine Bemerkung des Hrn. Braconnot
uͤber die Wirkung der concentrirten Salpetersaͤure auf das EisenPolytechn. Journal Bd. XLIX. S. 296.
A. d. R., welche mich an einige Versuche erinnert, die ich vor mehreren Jahren
uͤber denselben Gegenstand anstellte; die sonderbaren Resultate, welche ich
dabei erhielt, verdienen eine umfassendere Untersuchung, und da ich
gegenwaͤrtig verhindert bin, meine Versuche wieder aufzunehmen, so theile ich
dieselben hier mit, weil sie fuͤr viele ein Interesse haben und einen
Chemiker, vielleicht Hrn. Braconnot selbst veranlassen
duͤrften, das sehr merkwuͤrdige Verhalten der Salpetersaͤure
zum Eisen zum Gegenstande einer besonderen Untersuchung zu machen.
Hr. Braconnot sagt: „wenn man Eisenfeile oder
auch Eisenblech in concentrirte Salpetersaͤure taucht, so behaͤlt
sie darin, ohne die geringste Veraͤnderung zu erleiden, ihren Metallglanz
ganz bei, so daß sie also dadurch gegen den Rost geschuͤzt wird. Kocht
man dieselbe Saͤure uͤber dem Blech, und
uͤbersaͤttigt sie dann mit Ammoniak, so sezen sich kaum einige
unbedeutende Floken von Eisenoxyd ab.“ Ich will nun die
Beobachtungen, die ich meinerseits (im August 1825) machte, angeben.
Wenn man in Salpetersaͤure von 1,399 spec. Gewicht ein gut gereinigtes
Stuͤk Draht, aus weichem Eisen taucht, so wird das Eisen auf der Stelle braun
und verursacht ein mehr oder weniger lebhaftes Aufbrausen, mit Entbindung rother
Daͤmpfe; dieses Aufbrausen dauert aber nur einige Augenblike. Bald
laͤßt es nach, und wenn es aufhoͤrt, nimmt das Eisen augenbliklich
seinen Metallglanz wieder an und bleibt dann ruhig und unversehrt auf dem Boden der
Saͤure, so lange man es aufbewahren will.
Das so behandelte Eisen (welches ich der Kuͤrze wegen im Folgenden vorbereitetes Eisen nennen werde) kann aus der
Saͤure genommen und der Luft ausgesezt oder in reines Wasser oder in Ammoniak
getaucht werden, ohne daß es dadurch die Eigenschaft, durch Salpetersaͤure
angegriffen zu werden, wieder erlangen wuͤrde. In seinem vorbereiteten
Zustande kann man es sowohl in der Luft als in der Saͤure mit Gold, Silber,
Platin, Queksilber, Glas und mehreren anderen Substanzen (sanft) beruͤhren,
ohne diesen Zustand zu zerstoͤren. Wenn man aber die Oberflaͤche
heftig reibt, so daß eine innige Beruͤhrung hergestellt wird z.B. mit der
Schneide eines Glasstuͤkes auf einer Glasplatte, so wird der
eigenthuͤmliche Zustand desselben vernichtet, und wenn man es neuerdings in
die Saͤure taucht, so zeigt sich wieder ein Aufbrausen, auf welches eine
gaͤnzliche Unwirksamkeit folgt, wobei der Metallglanz wieder erscheint; mit
einem Worte, der vorbereitete Zustand wird wieder ganz hergestellt.
Andererseits wird, wenn man vorbereitetes Eisen entweder mit Kupfer, Zink, Zinn,
Wismuth, Antimon, Blei, oder mit nicht vorbereitetem Eisen, in der Luft, im Wasser,
oder in der Saͤure beruͤhrt, sein eigenthuͤmlicher Zustand vernichtet, und die
Wirkung der Saͤure beginnt neuerdings mit Aufbrausen und wie
gewoͤhnlich.
Wenn man ein etwas langes Stuͤk Eisendraht, das vorbereitet und mit
Saͤure befeuchtet ist, an einem seiner Enden mit Kupfer beruͤhrt,
indem man es an einer Glasplatte in der Luft haͤngend erhaͤlt, so wird
seine Oberflaͤche wieder braun, aber nicht augenbliklich und allenthalben,
sondern nach und nach und durch eine Bewegung, die sich sehr schnell vom
beruͤhrten Ende zum andern fortpflanzt. Wenn waͤhrend des
Fortschreitens dieser wieder erfolgenden Braͤunung die Graͤnze der
braunen Farbe einen an einem Einbug des Drahtes haͤngenden
Saͤuretropfen erreicht, entsteht daselbst Aufbrausen mit gaͤnzlicher
Zersezung des Tropfens. Wenn man aber den Draht, waͤhrend er in die
Saͤure getaucht ist, beruͤhrt, so faͤngt die Wirkung
augenbliklich auf seiner ganzen Laͤnge an.
Stellt man den Versuch in einer Schale an, welche ein wenig Saͤure
enthaͤlt, und wiederholt ihn oͤfters, so wird die Saͤure
unfaͤhig das Eisen in den vorbereiteten Zustand zu versezen. Diese Wirkung
scheint zum Theil der entbundenen Waͤrme, zum Theil der Gegenwart des
Salpetergases zugeschrieben werden zu muͤssen; denn als ich in reine
Saͤure so lange Salpetergas leitete, bis sie eine gruͤne Farbe annahm,
wurde sie unfaͤhig, dem Eisen den vorbereiteten Zustand mitzutheilen. Ein
Stuͤk Eisen, welches in solche Saͤure getaucht wurde, fuhr fort ein
lebhaftes Aufbrausen hervorzubringen, bis es sich ganz aufgeloͤst hatte.
Ein Stuͤk vorbereitetes Eisen wurde in eine Aufloͤsung von
salpetersaurem Kupfer getaucht. Es schlug daraus nichts nieder; als man es aber in
der Aufloͤsung mit einem Stuͤk Kupfer beruͤhrte,
uͤberzog sich die Oberflaͤche auf der Stelle mit einer diken Schichte
metallischen Kupfers.
Zwischen dem Zustand der Saͤure, welche faͤhig und derjenigen, die
unfaͤhig ist, das Eisen vorzubereiten, gibt es Zwischenzustaͤnde, wo
sie es immer schwieriger vorbereitet und wo das Aufbrausen immer laͤnger
fortwaͤhrt. Folgende merkwuͤrdige Erscheinung stellt sich bei diesen
Zwischenzustaͤnden manchmal ein: die Wirkung hoͤrt einen Augenblik auf
und faͤngt dann wieder an, und dieses oͤfters nach einander, mit
konvulsivischen Unterbrechungen, die sich bisweilen sehr langsam in
Zwischenraͤumen von 1/2 bis 3/5 Secunden folgen; manchmal aber auch sehr
rasch, so daß man sie nicht mehr zaͤhlen kann. Wenn sie langsam sind, sieht
man wohl, daß das Aufhoͤren der Wirkung sich von einem Ende des Drahtes zum
andern fortpflanzt, ohne daß man jedoch sagen koͤnnte, warum es an einem Ende
eher aufhoͤrt als am anderen.
Oft geschieht es, daß das Eisen, ohne mit Lebhaftigkeit zu wirken, nicht
aufhoͤrt, seine Oberflaͤche braun zu haben, die Saͤure ringsum
zu faͤrben, und Gasblasen zu geben; diese langsame Wirkung kann augenbliklich
auf eine sonderbare Art gehemmt werden. Man nimmt das Eisen aus der Saͤure,
haͤlt es einen Augenblik in der Luft und laͤßt es ploͤzlich mit
einem kleinen Stoße fallen. Eine halbe Secunde darauf ist es fast immer ganz
metallisch glaͤnzend.
Dieselbe Wirkung erfolgt noch sicherer, wenn man, ohne das Eisen aus der
Saͤure zu nehmen, es in derselben mit einem Stuͤk duͤnnen
Platinbleches beruͤhrt. Die Beruͤhrung mit Platin (und unter gewissen
Umstaͤnden auch mit Silber) wirkt umgekehrt wie die mit Zink etc.; durch sie
wird der vorbereitete Zustand hervorgebracht, oder wenn er schon vorhanden ist,
erhalten. Stellt man zum Beispiel den Versuch in einer Platinschale oder auf einem
am Boden einer Porcellanschale liegenden Platinblech an, so gelingt die Vorbereitung
des Eisens nicht nur mit der concentrirten Saͤure, sondern auch noch, wenn
dieselbe mit ihrem gleichen Volumen Wasser verduͤnnt ist. Wenn das Wasser
aber in groͤßerer Menge angewandt wird, so ist die Vorbereitung des Eisens
nicht mehr moͤglich, selbst bei inniger Beruͤhrung mit Platin; wird
jedoch Saͤure zugesezt, so erhaͤlt das Eisen wieder seinen Glanz und
wird vorbereitet.
Das einmal vorbereitete Eisen widersteht vollkommen der Wirkung einer Saͤure
auf demselben Grade der Verduͤnnung und sogar einer noch schwaͤcheren;
ein Beweis, daß diese Erscheinungen nicht bloß daher ruͤhren, daß das Wasser
mangelt, welches noͤthig ist, um das erzeugte salpetersaure Eisen in
Aufloͤsung zu halten, sondern vielmehr von einem gewissen permanenten elektrischen Zustande der Oberflaͤche des
Metalles. Diese Ansicht wird durch folgende Versuche bestaͤtigt:
Ein Stuͤk Eisendraht wurde erhizt und um seine Mitte eine kleine Zone Wachs
angebracht, um ihn in zwei Theile zu theilen. Nachdem dieser Draht in die
concentrirte Saͤure getaucht worden war, hoͤrte die Wirkung in
demselben Augenblike auf jeder Haͤlfte auf; – und als man ein Ende mit
Kupfer beruͤhrte, erneuerte sie sich auch ploͤzlich bei beiden. Als
der vorbereitete Zustand noch hergestellt war, nahm man das Eisen mittelst eines am
Wachs angebrachten glaͤsernen Rings heraus und beruͤhrte in der Luft eines seiner Enden. Die Wirkung sing wie
gewoͤhnlich am beruͤhrten Ende wieder an und durchlief die ganze
Haͤlfte des Drahtes, wurde aber durch das Wachs aufgehalten, so daß man die
eine Haͤlfte braun, die andere metallisch glaͤnzend hatte.
Ein bogenfoͤrmig gekruͤmmtes Stuͤk Eisen, welches auf die
angegebene Art getheilt
war, wurde vorbereitet und dann bis auf zwei Drittel seiner Laͤnge aus der
Saͤure gezogen, so daß man den groͤßten Theil einer seiner
Haͤlften (A) in dieselbe getaucht ließ. In dieser
Lage wurde die andere Haͤlfte (B) in der Luft mit
Kupfer beruͤhrt. Die Wirkung pflanzte sich bis zum Wachse fort, wo sie
aufhoͤrte. Alsdann ließ man schnell das andere Ende B herunter, bis es die Oberflaͤche der Saͤure
beruͤhrte. Die Wirkung fing auf der Stelle bei dem Theil A an, den man untergetaucht hielt und welcher seinen
Metallglanz bis zu diesem Augenblik behalten hatte.
Das vorbereitete Eisen widersteht der Wirkung der Saͤure, wenn dieselbe auch
auf eine der Hand unertraͤgliche Temperatur erhizt wurde, keineswegs aber der
kochenden Saͤure. Laͤßt man es in sehr heiße Saͤure fallen, so
widersteht es ihr einige Augenblike und entwikelt dann ein lebhaftes Aufbrausen. Ich
habe niemals gefunden, daß man das Eisen mit kochender Salpetersaͤure
behandeln kann, ohne es zu oxydiren, wie dieß Hr. Braconnot angibt. Vielleicht war seine Saͤure aber concentrirter
als die meinige. Andererseits fand ich es auch unmoͤglich, die Saͤure
von 1,399 spec. Gew. auf angelassenen Stahl oder auch nur
auf staͤhlerne Uhrfedern wirken zu lassen, sey es in der Kaͤlte oder
bei der Siedhize. Man kann die Saͤure uͤber diesen Stahlblattern
kochen, so lange man will, ohne die geringste Wirkung hervorzubringen. Sehr
sonderbar ist es aber, daß Stahl, welcher so gehaͤrtet wurde, daß er der
Feile vollkommen widersteht, sich ganz anders verhaͤlt. Er wird von der
heißen Saͤure außerordentlich heftig angegriffen und selbst von der kalten
Saͤure sehr leicht. Wenn die Saͤure aber kalt ist, bereitet er sich
leicht vor und wird eben so wie das Eisen bei Beruͤhrung mit Zink wieder
braun, jedoch langsam, und so zu sagen mit Widerstand. Wenn man ihn mehrmals nach
einander abwechselnd vorbereitet und beruͤhrt, so erhizt er sich am Ende und
entwikelt heftig Gas, ohne daß es moͤglich ist, das Aufbrausen zu
beruhigen.
Seitdem diese Versuche angestellt wurden, fand ich in den Verhandlungen der
koͤniglichen Gesellschaft zu London vom Jahre 1790 eine sehr
merkwuͤrdige Abhandlung von Keir: Versuche und
Beobachtungen uͤber die Aufloͤsung der Metalle in Sauren, und ihre
Faͤllungen; worin mehrere Thatsachen dieser Art angegeben sind. Keir
entdekte den vorbereiteten Zustand des Eisens, als er Versuche uͤber die
Faͤllung des Silbers durch dieses Metall anstellte, worin Bergmann vor ihm Anomalien gefunden hatte. Er fand sogar,
daß dieser sonderbare Zustand durch die Einwirkung der salpeterigen Saͤure
hervorgebracht werden kann. Die merkwuͤrdigen Wirkungen des Contactes mit
anderen Metallen, wodurch diese Thatsachen in die Classe der elektrochemischen Erscheinungen
eingereiht werden, entgingen ihm aber. Daß die Beruͤhrung eines Metalles ein
anderes Metall gegen die Einwirkung eines chemischen Agens so lange schuͤzen
kann, als die Beruͤhrung dauert, ist heut zu Tage nichts Auffallendes mehr;
dieß geschieht z.B., wenn man ein Stuͤk Kupfer auf Platin legt, und
Salpetersaͤure darauf gießt. Was mir aber bei den oben beschriebenen
Versuchen auffallend ist, ist dieses, daß die Wirkung eine unbestimmte Zeit
uͤber fortwaͤhren kann, nachdem die Beruͤhrung aufgehoben
wurde; und daß ein permanenter elektrischer Zustand auf der Oberflaͤche des
Metalles Statt finden und sich von selbst erhalten kann, im Gegensaz mit demjenigen,
welcher gewoͤhnlich in diesem Metalle enthalten ist und welcher selbst bei
diesem erzwungenen Zustande der Oberflaͤche in der geringsten Tiefe seines
Innern zu existiren fortfaͤhrt.