Titel: | Ueber den gegenwärtigen Zustand der Leuchtgasfabrikation in London und die Benuzung der Nebenproducte, welche man dabei erhält; von Hrn. Brande. |
Fundstelle: | Band 52, Jahrgang 1834, Nr. XI., S. 58 |
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XI.
Ueber den
gegenwaͤrtigen Zustand der Leuchtgasfabrikation in London und
die Benuzung der Nebenproducte, welche man dabei erhaͤlt; von
Hrn. Brande.
Aus der Literary
Gazette, No. 895, S. 193.
Gegenwaͤrtiger Zustand der
Leuchtgasfabrikation in London etc.
Hr. Brande las der Royal
Society zu London am 28.
Febr. eine Abhandlung uͤber den gegenwaͤrtigen
Zustand der Gasfabrikation in London vor. Nach einer kurzen
geschichtlichen Einleitung uͤber die Anwendung und
Bereitung des Leuchtgases machte er zuerst auf die
merkwuͤrdigen und verwikelten Producte aufmerksam, welche
man bei der Destillation der Steinkohlen erhaͤlt; die
Grundstoffe derselben sind Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff
und Stikstoff, in Verbindung mit Schwefel und Eisen (leztere
beide ruͤhren hauptsaͤchlich von den
Schwefelkiesen her); diese Substanzen erzeugen durch ihre
gegenseitige Wirkung, wenn die Steinkohlen einer
allmaͤhlich bis zur Rothgluͤhhize gesteigerten
Temperatur ausgesezt werden, oͤhlbildendes Gas,
Kohlenwasserstoffgas, Kohlenwasserstoffdaͤmpfe, Naphtha,
Naphthalin, Theer, Kohlensaͤure, Kohlenoxyd, Cyan, Blausaͤure und Schwefelblausaͤure,
Schwefelwasserstoff, Ammoniak und verschiedene Ammoniaksalze,
Wasser und gewisse andere Producte; die relativen
Quantitaͤten von Gas, verdichtbaren Producten und Kohks,
welche man mit den drei Steinkohlenarten erhaͤlt, hatte
Hr. Brande in einer Tabelle
zusammengestellt. Er beschrieb dann die verschiedenen Arten, die
Retorten einzusezen, von welchen aus das Gas in die cylindrische
Vorlage gelangt, wo es hauptsaͤchlich Theer, Wasser und
eine ammoniakalische Fluͤssigkeit absezt, dann in die
Condensatoren, Reinigungsapparate und Gasometer. Es wurden
hierauf einige Bemerkungen uͤber die Anwendung und
Eigenschaften der mannigfaltigen Producte in folgender Ordnung
mitgetheilt:
1. Ammoniakalische
Fluͤssigkeit. – Dieselbe ist nach Hrn. Brande eine sehr verwikelte
Aufloͤsung von Ammoniaksalzen und Cyanverbindungen in
Wasser. Sie wird im Großen zur Bereitung von salzsaurem Ammoniak
benuzt; man erhaͤlt dasselbe, ins dem man sie mit
Salzsaͤure saͤttigt, abdampft, krystallisirt, das
krystallisirte Salz sorgfaͤltig troknet, und dann in
große bleierne Recipienten sublimirt. Es wurde ein ausgezeichnet
schoͤnes und zwei Centner schweres Stuͤk des auf
diese Art von Hrn. Leeson zu
Greenwich fabricirten Salzes vorgezeigt. Auch schwefelsaures
Ammoniak wird aus der Fluͤssigkeit bereitet; dieses
vermengt man in trokenem krystallisirtem Zustande mit
kohlensaurem Kalk, wodurch man kohlensaures Ammoniak
erhaͤlt; hievon wurde ebenfalls ein Muster aus Hrn. Leeson's Fabrik vorgezeigt. Um sich
von dem Vorkommen der Schwefelblausaͤure und
Blausaͤure in der ammoniakalischen Fluͤssigkeit zu
uͤberzeugen, saͤttigt man sie mit
Salzsaͤure, und versezt sie mit schwefelsaurem Eisenoxyd:
die Entdekung dieser Verbindungen und ihre Anwendung zur
Fabrikation von Berlinerblau verdankt man Hrn. Lowe.Wir haben das Patent, welches Hr. Lowe auf diese Fabrikation in England nahm, im
Polyt. Journ. Bd.
XLIX. S. 424 mitgetheilt. A. d. R. Die ammoniakalische Fluͤssigkeit, welche man bei
der Gasbereitung erhaͤlt, und die ehemals als
unnuͤz betrachtet wurde, liefert also viele
nuͤzliche Producte, und hat den chemischen Fabriken ein
neues Feld eroͤffnet.
2. Theer. – Dieses Product wird
zum Anstreichen verschiedener Gegenstaͤnde, besonders
aber zum Theeren und Kalfatern der Schiffe benuzt: auch kann es
als Brennmaterial in den Gaswerken gebraucht werden, wo man es,
mit Wasser vermischt, in das Feuer troͤpfeln
laͤßt;Der Verfasser spielt hier auf Rutters neue Heizmethode an, woruͤber
man im Polyt. Journ. Bd. L. S. 77, 174, 253 das
Naͤhere findet. A. d. R. drei Gallons dieses Gemisches reichen hin, um
fuͤnf Retorten eine Stunde lang zu erhizen. Wenn man ihn
destillirt, erhaͤlt man daraus Naphtha, eine sehr
fluͤchtige und entzuͤndbare Fluͤssigkeit,
die theils in Lampen an Statt Weingeist gebrannt, theils als
Aufloͤsungsmittel bei der Bereitung gewisser Firnisse
benuzt wird.Diese Fluͤssigkeit wird besonders auch zum
Ausloͤsen des Kautschuks benuzt. A. d. R.
3. Kalkfluͤssigkeit. –
Sie ist ein Gemisch von Kalk und Wasser, durch welches man das
Gas streichen ließ, hauptsaͤchlich um es von
Kohlensaͤure und Schwefelwasserstoff zu befreien: von
Zeit zu Zeit zieht man es aus den Reinigungsapparaten ab, und
laͤßt es sich sezen. Der Saz oder dike Theil wird
entweder wieder zu Kalk gebrannt, oder zum Verkitten der
Retortendekel gebraucht; der klare Theil wird in
niedere Gefaͤße, die sich in den Aschenraͤumen der
Retortenoͤfen befinden, gepumpt, wo er verdunstet und
dazu dient, die Roststangen zu erhalten, wahrscheinlich indem er
sie immer abkuͤhlt. Gegenwaͤrtig macht man aber
auch noch folgende Anwendung von demselben: Man versezt ihn mit
saurem schwefelsaurem Eisenoxyd
(Kupferwasserfluͤssigkeit), wodurch man einen
gruͤnen Niederschlag erhaͤlt, der geradezu als
Malerfarbe gebraucht werden kann, oder wenn man ihn mit
Kaliaufloͤsung digerirt, ein eisenblausaures Kali
liefert, welches rein genug ist, um aus einer
Eisenvitriolaufloͤsung Berlinerblau niederzuschlagen.
4. Gas. – Das specifische
Gewicht des gereinigten Gases, und folglich seine
Zusammensezung, welchen in verschiedenen Perioden der
Destillation betraͤchtlich ab; im Durchschnitte hat es in
den Gasometern ein specifisches Gewicht von 0,410; jeder
Kubikfuß wiegt naͤmlich 240 Gran.
Der Verbrauch an Leuchtgas in London ist uͤbrigens
außerordentlich. Die Chartered
Gas-Company hat allein 750 Retorten, welche
ungefaͤhr den vierten Theil der in London angewandten
Anzahl ausmachen, so daß sie sich im Ganzen auf 3000 belaufen,
wovon jede ungefaͤhr 15 Centner wiegt; das Gewicht an
Gußeisen betraͤgt also bei den Retorten allein, abgesehen
von der ungeheuren Quantitaͤt, welche davon bei den
Gasroͤhren und anderen Apparaten verwandt wird, 2240
Tonnen. Das Volumen des Gases in den Gasometern der Chartered Company schaͤzte
Hr. Brande auf 820,000 Kubikfuß, oder
fuͤr London auf 3,280,000 Kubikfuß. Die Anzahl der
Brenner, welche durch diese Compagnie gespeist werden,
belaͤuft sich auf ungefaͤhr 42,000 oder
fuͤr ganz London auf 168,000; und nimmt man den
Gasverbrauch jedes Brenners zu fuͤnf Kubikfuß in der
Stunde an, so wuͤrde sich der stuͤndliche
Gasverbrauch im Durchschnitte auf 840,000 Kubikfuß belaufen, und
da man annehmen kann, daß sie taͤglich im Durchschnitte
fuͤnf Stunden lang brennen, so ergibt sich der
taͤgliche Gasverbrauch zu 4,200,000 Kubikfuß. Um das Gas,
welches waͤhrend eines Jahres in der Hauptstadt
verbraucht wird, zu erzeugen, sind 200,000 Chaldrons Kohle
noͤthig, welche 2400,000,000 Kubikfuß Gas liefern, die
75,000,000 Pfund wiegen. Das Licht, welches dadurch
hervorgebracht wird, entspricht 160,000,000 Pfund gegossenen
Kerzen, wovon 6 auf das Pfd. gehen; die Kohlen nehmen den Raum
von 10,800,000 Kubikfuß oder 400,000 Kubikyards, oder eines
Wuͤrfels, dessen Seite 222 Fuß oder 74 Yards mißt,
ein.