Titel: | Die Dampfmaschine, der größte Wohlthäter der Baumwollspinner. Aus Hrn. Tuffnell's Bericht über die Baumwollspinnereien in England. |
Fundstelle: | Band 53, Jahrgang 1834, Nr. LXVIII., S. 404 |
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LXVIII.
Die Dampfmaschine, der groͤßte
Wohlthaͤter der Baumwollspinner. Aus Hrn. Tuffnell's Bericht uͤber die
Baumwollspinnereien in England.
Aus dem Mechanics' Magazine, No. 563, S.
121.
Die Dampfmaschine, der groͤßte Wohlthaͤter der
Baumwollspinner
Unter allen den Vorurtheilen, welche in Betreff der Arbeit in den Baumwollspinnereien
verbreitet sind, scheint mir keines so grundlos, wie jenes, gemaͤß welchem
das Laͤstige und Beschwerliche der Arbeit in denselben, im Vergleiche mit
anderen Arbeiten hauptsaͤchlich dem Umstande zugeschrieben wird, daß die
Arbeit in ihnen in Verbindung mit der ununterbrochen fortwaͤhrenden
Thaͤtigkeit der Dampfmaschine betrieben wird. In den Baumwoll- und
Wollenspinnereien wird alle harte und schwere Arbeit lediglich von der Dampfmaschine
vollbracht, so daß sich die Beschaͤftigung der Arbeiter beinahe einzig darauf
beschraͤnkt, uͤber den Gang der Maschine im Allgemeinen zu wachen, die
gerissenen Faden wieder anzuknuͤpfen, die vollen Spulen von den Spindeln
abzunehmen u. dergl. Es gibt daher nicht leicht etwas weniger Irriges, als die
Behauptung, daß die Arbeit in einer derlei Fabrik eine ununterbrochene ist, weil
auch die Bewegung der Dampfmaschine, die als Triebkraft dient, eine
unaufhoͤrliche ist. Im Gegentheile sind in allen Fabriken gerade jene
Arbeiten die beschwerlichsten und anstrengendsten, welche nicht mit Beihuͤlfe
von Dampfmaschinen betrieben werden, und das sicherste Mittel eine Arbeit leichter
und weniger anhaltend zu machen, liegt gerade in der Einfuͤhrung der
Dampfmaschine. Diese Bemerkungen beziehen sich nicht nur auf die Arbeit der
Erwachsenen, sondern wie sonderbar diese Behauptung auch erscheinen mag,
hauptsaͤchlich auf die Arbeiten, denen sich die Kinder in den Baumwollspinnereien unterziehen
muͤssen. Drei Viertheile der in diesen Spinnereien beschaͤftigten
Kinder haben nichts Anderes zu thun, als das Stuͤkeln in den Mules zu
versehen; und diese Mules lassen, wenn sie sich 1 1/2 bis 2 Fuß von dem Gestelle
entfernt haben, gar nichts zu thun uͤbrig: ja weder der Spinner, noch der
Stuͤkler brauchen irgend eine Aufsicht zu fuͤhren, sondern beide
stehen eine Zeit lang muͤßig – eine Zeit, welche beim Spinnen feiner
Nummern im Allgemeinen 3/4 Minute und laͤnger dauert. Wenn daher auch ein
Kind in einer derlei Fabrik 12 Stunden lang beschaͤftigt ist, so vollbringt
es doch waͤhrend 9 Stunden keine wirkliche Arbeit; und wenn auch ein
Stuͤkler im Allgemeinen 2 Mules, deren Bewegung eine abwechselnde ist,
bedient, so ist er doch im Laufe von 12 Stunden 6 Stunden lang
unbeschaͤftigt. Die Spinner pflegen waͤhrend dieser
Zwischenraͤume haͤufig zu lesen, und mehrere versicherten mich, daß
sie auf diese Weise schon mehrere Buͤcher gelesen haͤtten. Die
Stuͤkler, welche nach den Aussagen anderer bestaͤndig angestrengt und
in Angst und Schreken sind, und welche jeden Augenblik, den sie gewinnen
koͤnnen, der ganzen Laͤnge nach von Schweiß triefend auf dem Boden
liegen sollen, sah ich oft 4 Minuten lang unbeschaͤftigt, und nichts weniger,
als in dem eben angefuͤhrten Zustande.
Will man Beschaͤftigungen finden, welche wahrhaft muͤhsam,
beschwerlich, und mit unaufhoͤrlicher Anstrengung verbunden sind, so hat man
dieselben gerade in jenen Gewerben zu suchen, in welchen keine Dampfmaschinen und
uͤberhaupt keine Maschinen angewendet werden. Die bei den
Modehaͤndlerinnen arbeitenden Maͤdchen z.B. sind eine weit
laͤngere Zeit uͤber beschaͤftigt, als die Kinder in den
Spinnereien, und die Aerzte sind beinahe einstimmig damit verstanden, daß die
Beschaͤftigung der ersteren der Gesundheit weit nachtheiliger ist, als jene
der lezteren. Sechszehn Stunden des Tages uͤber in sizender gebogener
Stellung die Nadel zu fuͤhren ist gewiß in hohem Grade laͤstig und
beschwerlich. Das auffallendste Beispiel gegen die Absurditaͤt des Principes,
nach welchem bloß gegen jene Gewerbe, die mit Dampfmaschinen betrieben werden, das
Schwert geschwungen werden soll, gibt jedoch das Nadlergewerbe, und
hauptsaͤchlich jener Theil desselben, in welchem es sich um das Aufsezen der
Koͤpfe handelt. Die ungluͤklichen Kinder, welche hiezu verwendet
werden, und die gewoͤhnlich kaum 6 Jahre alt, also noch juͤnger, als
die in den Baumwollspinnereien verwendeten sind, muͤssen taͤglich 12
Stunden an einem Tische sizen, wobei ihr Koͤrper bestaͤndig wie ein
C gebogen, ihre Augen ununterbrochen auf die
Nadelkoͤpfe geheftet, und sowohl Haͤnde als Fuͤße in
fortwaͤhrender Bewegung sind.
In Derby ist eine ganz ausgezeichnete Tull- oder Bobbinnetfabrik, in der alle
Maschinen durch Dampf betrieben werden. In Nottingham bedient man sich derselben
Maschinen, mit dem Unterschiede jedoch, daß sie daselbst meistens durch
Menschenhaͤnde in Bewegung gesezt werden, und folglich eine weit schwerere
Arbeit bedingen. In der Fabrik zu Derby ist die Arbeit so leicht und so wenig
anhaltend, und die Maschine arbeitet mit solcher Genauigkeit, daß ich,
waͤhrend ich die Fabrik besuchte, mehrere Arbeiter buchstaͤblich
schlafend fand, und doch wuͤrden diese Arbeiter in die vorgeschlagene 10
Stundenbill fallen, waͤhrend die mit weit haͤrterer Arbeit belasteten
Arbeiter in Nottingham nicht in derselben begriffen waͤren. Beklagt sich der
Eigenthuͤmer dieser Fabrik daher wohl mit Unrecht uͤber die
Nachtheile, welche diese Bill fuͤr ihn haben wuͤrde?
Die beschwerlichste Beschaͤftigung in der ganzen Baumwollspinnerei ist das
sogenannte Auszupfen der Baumwolle, welche fuͤr feine Fabrikate bestimmt ist;
denn diese Operation wird gewoͤhnlich von den juͤngsten Kindern, und
zwar auf folgende Weise vollbracht. Die Baumwollfließe werden vor Fenstern
aufgehaͤngt, und die Kinder, welche sich 6 Zoll davor in bestaͤndig
stehender Stellung auf einem und demselben Fleke befinden, muͤssen alle darin
bemerkbaren Staubtheilchen oder sonstigen Unreinigkeiten auszupfen. Die
Beschwerlichkeit dieser Arbeit ist ohne allen Vergleich groͤßer, als jene der
Stuͤkler, indem sich das Kind nicht von der Stelle bewegen darf, und immer
aufmerksam und angestrengt auf das Baumwollfließ bliken muß; und doch
koͤnnten diese Kinder, da bei ihrer Arbeit keine Dampfmaschine mithilft, der
Bill des Lord Asley zu Folge eine beliebige Anzahl von
Stunden zur Arbeit angehalten werden. In den Grobspinnereien wird diese Arbeit von
Dampfmaschinen vollbracht, und hier, wo die Kinder doch gewiß nicht den zehnten
Theil jener Arbeit zu leisten haben, die wir oben erwaͤhnten, waͤren
sie durch diese Bill geschuͤzt!
Die Arbeiten, welche durch die Dampfkraft unterstuͤzt werden, erfordern
groͤßten Theils einen hoͤheren Grad von Mitwirkung, als solche, bei
denen dieß nicht der Fall ist; denn an die Stelle der Muskelthaͤtigkeit tritt
wenigstens zum Theil die Thaͤtigkeit des Kopfes oder Verstandes. Aus diesem
Grunde wird der Arbeiter auch hier, so wie uͤberhaupt uͤberall, wo
seine Arbeit mehr Gewandtheit und Verstand voraussezt, besser bezahlt. Nur auf diese
Weise laͤßt sich auch der verhaͤltnißmaͤßig hohe Lohn, den die
Arbeiter in den Manufacturen verdienen, sie moͤgen Erwachsene oder Kinder
seyn, erklaͤren. Das Schlagen oder Klopfen der Baumwolle scheint bei Weitem
die muͤhseligste Arbeit in einer Spinnerei; sie wird beinahe durchaus von Weibern ohne alle
Mitwirkung der Dampfmaschine vollbracht, und ist wenigstens eben so hart als das
Dreschen, womit sie große Aehnlichkeit hat; und doch verdienen sich die damit
beschaͤftigten Individuen nicht mehr, als woͤchentlich 6 Schill. 6
Den., waͤhrend man hart neben denselben Weiber und selbst Kinder von 14
Jahren sehen kann, die bei einer nicht zum vierten Theile so angestrengten Arbeit
das Drei- und Vierfache verdienen. Beim Weben mit dem Kunstwebestuhle
besonders ist die Handarbeit beinahe fuͤr gar nichts zu rechnen, und nicht
selten folgen die damit beschaͤftigten Arbeiter bloß um Bewegung zu machen,
der Bewegung der Lade, indem sie sich mit den Armen auf dieselbe stuͤzen.
Waͤren diese Fabrikarbeiten von ernstlichem Nachtheile fuͤr die
Gesundheit, so ließe sich hieraus der hohe Lohn, der in denselben bezahlt wird,
erklaͤren; allein die Erfahrung zeigt so sehr, daß dieß nicht der Fall ist,
daß man zu einer anderen Erklaͤrung seine Zuflucht nehmen muß.
Ich selbst war einige Zeit uͤber von dem allgemein verbreiteten Vorurtheile
eingenommen, daß die Dampfmaschinen den Menschen zur Maschine herabwuͤrdigen,
und alle die Kraͤfte des Geistes in ihm toͤdten. Die große
Aufmerksamkeit, mit der ich jedoch diesen Gegenstand in allen seinen Details
verfolgte, hat mich uͤberzeugt, daß diese Ansicht ganz falsch und
ungegruͤndet ist: ja daß in den meisten Fallen gerade das Gegentheil Statt
findet. Beschaͤftigungen, die den Menschen zu degradiren trachten, findet man
nur in solchen Gewerben, auf welche die Mechanik noch keine Anwendung fand; zur
Behandlung der zarten und complicirten Maschinen ist immer ein Arbeiter
hoͤherer Classe erforderlich. Von einem Kinde von 9 Jahren kann man bei den
Arbeiten, die es verrichtet, nicht sehr viel Verstand erwarten oder fordern; allein
seine Erziehung fuͤr die Manufacturen muß in diesen Jahren beginnen, wenn je
ein gewandter und geschikter Arbeiter daraus werden soll. Individuen, die erst mit
16 oder 17 Jahren eintreten, sind immer in großem Nachtheile, und verdienen
verhaͤltnißmaͤßig weniger Lohn, weil sie nicht so viel Tact und
Geschik erlangen, als die juͤnger eintretenden.
Die groͤßten Ubertreibungen in Hinsicht auf die Ueberlastung der Arbeiter
scheinen mir bei den Feinspinnmuͤhlen gemacht worden zu seyn; ich wenigstens
nehme keinen Anstand zu behaupten, daß de Arbeit in den Feinspinnmuͤhlen zu
Manchester leichter, angenehmer und durchaus nicht nachtheiliger fuͤr die
Gesundheit ist, als in irgend einer anderen Muͤhle. Die Leichtigkeit der
Arbeit ergibt sich aus der Langsamkeit, mit welcher sich die Maschine beim Spinnen
feiner Nummern bewegt. Beim Spinnen von Nr. 30 oder 40 macht die Mule in der Minute
gewoͤhnlich 3 Auslaͤufe, beim Spinnen hoher Nummern nur einen oder noch weniger, wie ich
wich durch oͤftere Beobachtungen, die ich mit der Uhr in der Hand anstellte,
uͤberzeugte. Waͤhrend 3/4 dieser Minute haben nun die Stuͤkler,
deren gewoͤhnlich 5 an zwei Mulen von 360 Spindeln beschaͤftigt sind,
buchstaͤblich gar nichts zu thun, sondern sie stehen muͤßig, oder
verwenden ihre Aufmerksamkeit auf irgend etwas Anderes, bis die Mule wieder
zuruͤkkehrt, wo sie dann alsogleich hervorspringen, um die gebrochenen Faden
anzustuͤkeln, oder um jene Faden, in denen sich ein Knoten befindet,
absichtlich abzureißen und dann zu stuͤkeln. Dieses Anstuͤkeln kann
nicht lange dauern; denn kaum ist die Mule in dem Gestelle angelangt, so beginnt sie
auch schon wieder auszulaufen; und ist sie bis auf 1 1/2, oder 2 Fuß von dem
Gestelle vorgeschritten, so ist es unmoͤglich an die Walzen zu gelangen, und
die Muͤßigkeit der Stuͤkler tritt von Neuem ein. Die Stuͤkler
haben also in den Feinspinnmuͤhlen weit weniger zu thun, als in den
Grobspinnmuͤhlen, und sind auch schon deßhalb besser daran, weil sich in
ersteren nicht so viel Staub erzeugt. Ich war daher auch ganz uͤberrascht von
dem guten Aussehen der Arbeiter in den Anstalten dieser Art; ja einer der diksten
Menschen, den ich zu Manchester sah, spann schon seit 17 Jahren in Hrn. Houldoworth's Spinnmuͤhle Garn von Nr. 180; ein
anderer sehr ruͤstiger Spinner, den ich sah und befragte, spann schon 36
Jahre lang, und zwar zulezt Garn von Nr. 200. Eines jener Individuen, die sich unter
denen, die ich examinirte, am heftigsten fuͤr die 10 Stundenbill aussprachen,
versicherte mich, daß es, wenn es in einer Feinspinnmuͤhle arbeite, immer
gesuͤnder sey, als wenn es in einer Grobspinnmuͤhle
beschaͤftigt ist. Kurz die Feinspinnmuͤhlen, die der Gegenstand einer
so toͤdtlichen Feindschaft wurden, sind in der That der groͤßte Ruhm
von Manchester, und nichts geht uͤber die Schoͤnheit, Zartheit und
uͤber das Sinnreiche dieser Maschinen, uͤber die Ordnung und
Regelmaͤßigkeit, mit der sie sich bewegen, und uͤber die
außerordentlichen Resultate, welche man mit ihnen zu erzielen im Stande ist. Ich sah
mit denselben Baumwolle von Nr. 350 spinnen, d.h. ein Pfund Baumwolle wird in ihnen
auf die ungeheure Laͤnge von 294,000 Yards oder 167 engl. Meilen ausgezogen,
und in diesem Zustande fuͤr 5 Guineen verkauft, waͤhrend das Material
dazu nur 3 Schill. 8 Den. kostete. Dieser Zweig der Baumwollenfabrikation ist es
auch allein, in welchem England noch unerreicht dasteht; denn, mit Ausnahme einiger
Versuche, die in neuerer Zeit in Frankreich gemacht wurden, kann keine andere Nation
sich hierin mit uns zu messen wagen. Die Ausfuhr von feinem Garne steigt weit
schneller, als die Ausfuhr irgend eines anderen Baumwollfabrikates. Die
Grobspinnmuͤhlen koͤnnen wegen des Staubes, der sich bei ihrer
Arbeit erzeugt, und weil ihre Maschinerie nicht so zart zu seyn braucht,
unmoͤglich immer eben so in Ordnung gehalten werden, wie die
Feinspinnmuͤhlen; sie besizen aber dafuͤr andere
Eigenthuͤmlichkeiten, wegen welcher sie eben so sehr unsere Aufmerksamkeit
verdienen. Sie stehen z.B. nicht selten mit einer Anstalt, in welcher
Kunstwebestuͤhle arbeiten, in Verbindung, und diese gehoͤren gewiß zu
den außerordentlichsten Maschinen, die es gibt. Ich stand laͤngere Zeit bei
einem solchen Webestuhle, verfolgte dessen Operationen mit der Uhr in der Hand, und
fand, daß derselbe in einer Minute 72 Quadratzoll Zeug webte, und zwar ohne alle
Beihuͤlfe von Menschenhaͤnden! In diese Fabriken kommt nun das
Material in rohem Zustande, um als Zeug wieder aus denselben abgeliefert zu werden;
und unter den zahlreichen Maschinen, durch welche es hiebei zu gehen hat, und welche
saͤmmtlich durch die Dampfmaschine betrieben werden, befindet sich auch nicht
eine, welche nicht offenbar die hoͤchste Anstrengung des menschlichen Geistes
erfordert haͤtte, um sie auf ihren gegenwaͤrtigen Zustand von
Vollkommenheit zu bringen, – nicht eine, welche nicht das Resultat von
wenigstens 100 Patenten in sich faßt, oder welche nicht den vereinten
Kraͤften von wenigstens 100 talentvollen Koͤpfen ihre große Ausbildung
zu verdanken haͤtte!