Titel: | Ueber die Brodbereitung aus Kartoffelstärkmehl und aus Kartoffeln selbst. Von Hrn. Dr. Bouchardat und dem Hrn. Herzoge de Luynes . |
Fundstelle: | Band 57, Jahrgang 1835, Nr. XXVIII., S. 134 |
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XXVIII.
Ueber die Brodbereitung aus
Kartoffelstaͤrkmehl und aus Kartoffeln selbst. Von Hrn. Dr. Bouchardat und dem Hrn. Herzoge de Luynes
Der Recueil industriel bringt diese Abhandlung in
einer laͤngeren Reihe von Artikeln mit dem Aufsaze d'Arcet's uͤber die animalisirten Zwiebake, mit einer von
demselben Verfasser erschienenen Notiz uͤber die Brodbereitung aus den
Kartoffeln, mit der Abhandlung des Hrn. Braconnot
uͤber den Kaͤsestoff; mit einer neueren Notiz des Hrn. d'Arcet, mit den praktischen Bemerkungen des Hrn. Quest, der im Jahr 1834 Kartoffelbrod zur
Industrieausstellung zu Paris brachte, in Verbindung, und will dann am Schlusse
auch noch seine eigenen Bemerkungen beifuͤgen. Wir werden aus allen
diesen Abhandlungen das Neue fuͤr unsere Leser ausziehen, waͤhrend
wir auf das Aeltere, bereits in unserem Journale enthaltene lediglich verweisen
muͤssen. Dieß gilt namentlich von den drei ersten Aufsaͤzen d'Arcet's und Braconnot's.
A. d.h..
Aus dem Recueil
industriel. Januar, Februar, Maͤrz 1835.
Ueber die Brodbereitung aus Kartoffelstaͤrkmehl und aus
Kartoffeln selbst.
Der Getreidebau ist unstreitig eine jener Erfindungen, die der Menschheit den
groͤßten Nuzen gebracht haben; und doch bringt er bei den außerordentlichen
Vortheilen die er gewaͤhrt, auch einige Maͤngel mit sich, die sich
vorzuͤglich in Frankreich beurkunden. Er erfordert naͤmlich
ausgedehnte Streken Akerlandes; seine zu haͤufige Wiederholung steht mit
einer guten Bewirthschaftung des Bodens im Widerspruch; er hindert, daß man nicht
genug Boden auf Viehzucht verwenden kann, und bewirkt, daß man nicht genug
Duͤnger zu erzeugen im Stande ist. Bei der unermeßlichen Streke Landes, die
jaͤhrlich mit Getreide bebaut wird, genießt die aͤrmere Classe und
selbst das Militaͤr in vielen Gegenden noch fortwaͤhrend ein Brod,
welches so schlecht ist, daß es nur als eine schlechte und ungesunde Nahrung gelten
kann. Endlich ist das Getreide auch noch so vielen atmosphaͤrischen
Einfluͤssen ausgesezt, daß seine Ernte durchaus keine Sicherheit
gewaͤhrt, und daß man bald großem Ueberflusse, bald hartem Mangel dabei
ausgesezt ist.
Der Kartoffelbau, der in England eine so hohe Stufe erreicht hat, hat zwar auch in
Frankreich bereits eine solche Ausdehnung erlangt, daß er mehreren der eben
beruͤhrten Maͤngel steuert; allein viel ist noch zu thun
uͤbrig, wenn er, wie dieß unserer Ansicht nach nicht so schwer ist, sie
saͤmmtlich beseitigen soll.
Ein mit Kartoffeln bestelltes Stuͤk Land gibt in einem mittleren Jahrgange 7
Mal mehr Nahrungsstoff, als ein gleich großes Feld, welches mit Getreide
besaͤet worden ist. Die Kartoffeln gedeihen beinahe uͤberall, und ihr
Bau vertraͤgt sich mit allen moͤglichen Verbesserungen in der
Bewirthschaftung des Bodens. Sie geben eine vortreffliche und gesunde Nahrung;
allein sie lassen sich in rohem Zustande nicht ein Jahr lang aufbewahren. Wechsel in
der Temperatur richtet sie mehr oder minder schnell zu Grunde; und eine sehr
bedeutende Summe wuͤrde sich ergeben, wenn man berechnen wollte, wie viele
Kartoffel jaͤhrlich nur die Froͤste allein verwuͤsten. Man kann
daher keine Kartoffelvorraͤthe fuͤr Zeiten der Noth anlegen. Das
groͤßte Hinderniß fuͤr den Kartoffelbau ist und bleibt jedoch das, daß
die große Masse ein Mal gewohnt ist, einen großen Theil ihrer Nahrung im Brode zu
suchen, wenn dasselbe auch von schlechter Beschaffenheit ist.
Man hat daher auch schon mannigfache Versuche gemacht, um aus den Kartoffeln oder aus
dem Hauptproducte derselben, dem Staͤrkmehle, Brod zu bereiten; und von
diesen wollen wir die vorzuͤglicheren hier kurz beleuchten. In vielen
Gegenden vermengt man die gekochten und zerquetschten Kartoffeln mit dem zur
Brodbereitung bestimmten Mehle, und das auf diese Weise erzeugte Mehl ist auch ganz gut, so lange
die beigemengten Kartoffeln nur den vierten Theil betragen. So wie man aber den
Zusaz bis auf die Haͤlfte erhoͤht, – und dieß ist bei dem
großen Wassergehalte dieser Knollen doch nicht viel, – so wird das Brod fest,
schwer, unangenehm und schwer verdaulich. So mangelhaft jedoch dieses Verfahren ist,
so leistete es doch in den Jahren der Noth, die auf das Jahr 1815 folgten,
vortreffliche Dienste. Im Jahr 1816 mengten mehrere Baͤker zu Paris frisches
Kartoffelsazmehl unter das Mehl, und erhielten durch Anwendung mechanischer Mittel
auch ein ziemlich vollkommenes Gemisch. Die Regierung duldete dieß stillschweigend,
und die Consumenten klagten nicht im Geringsten. Hr. Labiche, einer der gewandtesten Administrativbeamten, versicherte uns, daß
er Paris damals auf diese Weise vor einer Hungersnoth bewahrte. In den Jahren vor
1832, wo der Preis des Mehles der großen Einfuhr ungeachtet auch sehr hoch stand,
nahmen die Baͤker gleichfalls wieder ihre Zuflucht zu dem
Kartoffelstaͤrkmehle; sie versezten das Mehl nur mit 5 bis 10 Proc. trokenen
Sazmehles und Niemand klagte daruͤber. Sobald die Muͤller dieß
erfuhren, mengten nun diese so viel Sazmehl als ihnen moͤglich unter das
Mehl, und nun erhoben die Baͤker, die nicht mehr genug Gewinn dabei fanden,
lebhafte Klagen. Nach diesem einfachen Verfahren konnte man jedoch nicht mehr als 20
Proc. Sazmehl unter das Mehl mengen, und selbst diese Quantitaͤt sezt sich
oͤfter wegen seiner groͤßeren Schwere und wegen seiner
Unaufloͤslichkeit im Wasser in Klumpen zusammen. Der lezten gesegneten Ernten
ungeachtet kam nun die Brodbereitung aus Kartoffeln in lezter Zeit neuerdings in
Anregung; und da auch wir uns laͤngere Zeit mit diesem Gegenstande
beschaͤftigten, und dabei einige wie uns scheint bisher noch unbekannte
Wahrnehmungen machten, so erlauben wir uns der koͤnigl. Akademie Folgendes
als das Resultat unserer Arbeit vorzulegen.
Hr. Cannal vervollkommnete den einfachen
Vermengungsproceß; er incorporirte dem Mehle 50 Proc. Sazmehl, und erhielt durch
Zusaz von Zuker und Hefen ein Brod, welches gehoͤrig gegangen war. Allein bei
aller Sorgfalt war es ihm unmoͤglich die Bildung von Sazmehlkluͤmpchen
in seinem Brode zu vermeiden; auch gab der Zusaz von Zuker und Hefen dem Brod einen
Geschmak, der sein Unangenehmes hatte. Die HH. Persoz und
Payen benuzten die von Hrn. Dubrunfaut gemachte Entdekung Sazmehl durch gekeimte Gerste in
fluͤssigen Zustand zu verwandeln. Lezterer sowohl, als einer von uns machte
mehrere Versuche hieruͤber, deren Resultate in eigenen Abhandlungen
niedergelegt wurden. Die HH. Payen und Persoz mengten dem Mehle ein Drittheil Dextrin bei, und
bewirkten dadurch
eine gute BroderzeugungMan vergleiche hieruͤber Polyt. Journ. Bd. L. S. 195. A. d. R.. Wir erlauben uns nach unseren zahlreichen Versuchen hieruͤber
Folgendes zu bemerken.
Die Wirkung der gekeimten Gerste oder des Malzes beschraͤnkt sich nicht auf
eine Abscheidung des Dextrins von den Baͤlgen oder Haͤuten des
Sazmehles; sondern sie verwandelt dieses Dextrin auch in Traubenzuker. Je nachdem
der Keimungsproceß mehr oder weniger weit fortgeschritten; je nachdem das Malz alt
oder neu ist, je nach der Temperatur des Wassers, wird man entweder eine
unvollkommene Scheidung des Dextrins von den Haͤuten oder die Verwandlung des
Dextrins in Zuker erzielen. Wir waren nie im Stande uns zu vollkommenen Herren des
Ganges der Operation zu machen, und nie erhaͤlt man ganz gleiche Resultate.
Darf man daher hoffen eine mit so vielen Schwierigkeiten verbundene Methode
allgemein anwendbar zu machen?
Hr. Lebaillif legte der Akademie ein lediglich aus Sazmehl
bereitetes Brod vor, welches weiß und leicht war, und den Anforderungen, die man in
Hinsicht auf die aͤußere Beschaffenheit des Brodes zu machen pflegt,
vollkommen entsprach; allein es enthielt durchaus keine animalisirten Bestandtheile,
und hatte daher auch einen von dem gewoͤhnlichen Brode so verschiedenen
Geschmak, daß man sich wohl schwerlich daran gewoͤhnen duͤrfte. Die
Versuche des Hrn. Magendie haben uͤberdieß die
Nuͤzlichkeit des stikstoffhaltigen Bestandtheiles in Hinsicht auf
Ernaͤhrung so sehr außer allen Zweifel gesezt, daß wir glauben, daß ein Brod
ohne Stikstoffgehalt nur nach vorhergegangenen entscheidenden Versuchen ohne Gefahr
fuͤr die Gesundheit verkauft werden koͤnnte.
Indem wir die Substanzen, welche in ihrem Verhalten am meisten Aehnlichkeit mit dem
Kleber haben, und die man sich in hinreichender Menge verschaffen koͤnnte,
durchmusterten, richteten wir unser Augenmerk auf den Kaͤsestoff, dessen
freiwillige Zersezung schon nach Proust, Fourcroy und Vauquelin große Aehnlichkeit mit der Gaͤhrung des
Klebers hat. Dieß laͤßt sich auch sehr leicht erklaͤren, wenn man
bedenkt, daß sich unter den unmittelbaren Bestandtheilen des Klebers, als
vorherrschendes Princip vegetabilischer Eiweißstoff oder die Glutine von Proust findet, die in innigster Beziehung zu dem
Kaͤsestoff steht. Es handelte sich daher darum, den Kaͤsestoff rein zu
erhalten und ihn mit dem Sazmehle zu verkoͤrpern; das von Hrn. Braconnot angegebene Verfahren den Kaͤsestoff
aufloͤslich zu machen, wonach man auf 200 Theile unausgewaschenen Topfen oder
Schotten ein Theil
Kali-Bicarbonat zu nehmen hat, schien uns das passendsteMan vergleiche Polyt. Journ. Bd. XXXVIII. S. 136. A. d. R..
Wir bereiten uns nun den aufloͤslichen Kaͤsestoff auf folgende Weise.
Wir geben den weißen Kaͤse oder den Topfen, so wie er uns geliefert wird, in
ein Faß, in welchem wir ihn unmittelbar so lange mit siedendem Wasser auswaschen,
bis das Abwaschwasser geschmaklos ist. Der ausgewaschene Kaͤse wird
ausgedruͤkt, und in diesem Zustande schaͤzen wir die Quantitaͤt
Kaͤsestoff, welche dem Sazmehle zugesezt werden soll. Dann loͤsen wir
dem Gewichte nach den fuͤnfzigsten Theil dieses ausgewaschenen
Kaͤsestoffes krystallisirtes Natron-Bicarbonat auf, und bereiten uns
damit den aufloͤslichen Kaͤsestoff von Milchrahmconsistenz. Reicht
diese Quantitaͤt des Natron-Bicarbonates nicht hin, so sezen wir nach
und nach so viel davon zu, als noͤthig ist, um der Masse den
gehoͤrigen Grad von Fluͤssigkeit zu geben; auch muß das Ganze
sorgfaͤltig vermengt werden, damit man eine vollkommen gleichmaͤßige
Fluͤssigkeit erhaͤlt.
Wir bereiteten mit 20 Theilen des auf diese Weise behandelten Kaͤsestoffes,
100 Theilen Sazmehl und einer gehoͤrigen Quantitaͤt Hefen einen Teig;
allein die Masse gaͤhrte nicht, und das daraus gebakene Brod wurde spekig und
sehr schlecht. Dieser Versuch brachte uns auf die Idee, daß an dem
gewoͤhnlichen Getreidemehle die Baͤlge oder Haͤute der
Sazmehlkoͤrner durch das Mahlen zerrissen werden, so daß das Wasser hier
besser auf den aufloͤslichen Bestandtheil zu wirken vermag. Wir dachten
daher, daß das Sazmehl unter gleiche Verhaͤltnisse gebracht werden
muͤsse, vermengten 20 Theile aufloͤslich gemachten Kaͤsestoff
mit 100 Theilen Sazmehl, und brachten das pulverfoͤrmige Gemenge, nachdem es
zwei Tage lang der Sonne ausgesezt gewesen, auf die Muͤhle des Hrn. Guinard, der uns bei unseren Versuchen mit
groͤßtem Eifer beistand. Das Mehl, welches wir auf diese Weise erhielten, und
welches wir mit Nr. 1 bezeichnen wollen, war weiß, und hatte weder dem Geschmake
noch dem Geruche nach etwas Ungewoͤhnliches oder Unangenehmes. Bei dessen
Verwandlung in Teig zeigte sich dieser jedoch sehr kurz; denn es fehlte dem Mehle an
jener klebrigen Substanz, jener vegetabilischen Gallerte oder Gliadine, die einen
Bestandtheil des Klebers bildet, und die dem aus Getreidemehl bereiteten Teigs die
schaͤzbare Zaͤhigkeit verleiht, welche die Brodbereitung sicher und
leicht macht.
Wenn man nun mir diesem Mehle Nr. 1 ein gut gegangenes Brod bereiten will, so muß man
etwas dicht kneten, den Teig mit Kraft abarbeiten, kein zu heißes Wasser anwenden,
nur eine ziemlich geringe Menge Hefen zusezen, das Brod in den Ofen schießen, bevor es noch
vollkommen gegangen ist, und die Teigkoͤrbchen mit reinem Weizenmehle
auskleiden. Bei diesen Vorsichtsmaßregeln erhaͤlt man ein leichtes, lokeres
Brod, welches zwar nicht ganz wie gewoͤhnliches Brod schmekt, welches aber
auch nichts Unangenehmes hat, so daß man sich leicht daran gewoͤhnen
koͤnnte.
Allein auch dieses Verfahren ist noch zu schwierig, und erfuͤllt man nicht
alle die angegebenen Bedingungen, so erhaͤlt man ein schlechtes Product. Bei
dem gegenwaͤrtigen Zustande der Landwirthschaft, und bei dem geringen
Viehstande in einigen Gegenden Frankreichs duͤrfte die Anwendung des
Kaͤsestoffes zur Brodbereitung nicht einmal vortheilhaft seyn. Diese
Einwendung duͤrfte jedoch wegfallen, wenn mehr Kartoffeln als Getreide gebaut
wuͤrden, und wenn hiedurch ein groͤßerer Viehstand moͤglich
gemacht waͤre; denn dann wuͤrde leicht mehr Topfen erzeugt werden, als
gewoͤhnlich verbraucht werden kann.
Wir haben bei einigen unserer Versuche auch Gallerte angewendet; allein diese kommt
viel zu theuer, wenn man sie ohne fremdartigen Geschmak haben will; und wenn wir uns
die Aufloͤsungen direct mit thierischen Substanzen bereiteten, und diese dann
zugleich mit dem Kaͤsestoffe mit dem Sazmehle verkoͤrperten, so ging
das Troknen so langsam von Statten, daß die Masse einen so unangenehmen Geruch und
Geschmak annahm, daß wir diesem Verfahren zu entsagen gezwungen waren. Vortheilhaft
duͤrfte es vielleicht seyn, dem Gemenge, nachdem es getroknet worden ist,
trokene, geruchlose, zerstoßene Knochen zuzusezen, und das Ganze endlich auf der
Muͤhle zu mahlen; ein solcher geringer Zusaz von phosphorsaurer und
kohlensaurer Kalkerde, wie er durch das Beimengen von Knochen bedingt waͤre,
wuͤrde die Zusammensezung des ganzen Gemisches jener des Getreidemehles nur
noch aͤhnlicher machen.
Das Mahlen erzeugt eine so innige Vermischung des Kaͤsestoffes mit den
Sazmehltheilchen, wie sie auf keine andere Weise zu erzielen ist. Wir haben
versucht, Sazmehl welches vorher einzeln fuͤr sich gemahlen worden, mit
aufloͤslich gemachtem Kaͤsestoffe zu vermengen und dann Brod daraus zu
bereiten; der Teig ging jedoch schlecht, und das Brod ward spekig und
unangenehm.
Wenn auch die Bereitung von Brod ohne alle Anwendung von Getreide von hohem Interesse
ist, so waͤre es doch von eben so großer Wichtigkeit, wenn sich ein Verfahren
angeben ließe, nach welchem man bei Vermengung des Sazmehles mit dem vierten oder
selbst mit dem dritten Theile Getreidemehles gutes Brod bereiten koͤnnte;
denn gegen den Getreidebau laͤßt sich wie gesagt nur deßwegen eine Einwendung machen, weil er
zu wenig ergiebig ist, und zu wenig Sicherheit gewaͤhrt. In Hinsicht auf
Gesundheit unterliegt es keinem Zweifel, daß das Verhaͤltniß des
Klebergehaltes bedeutend vermindert werden kann, ohne daß fuͤr die
Ernaͤhrung ein Nachtheil daraus erwuͤchse; es genuͤgt als
Beispiel anzufuͤhren, daß sich die Bewohner von Morvan im Jahr 1815 beinahe
ausschließlich von Erdaͤpfeln naͤhrten, ohne daß deren Gesundheit auch
nur im Geringsten Schaden dabei gelitten haͤtte.
Nachdem uns diese vorlaͤufigen Versuche den Nuzen des Mahlens des Sazmehles
auf eine unbestreitbare Weise erwiesen, war uns die Bahn, auf der wir
fortzuschreiten hatten, gebrochen. Es handelte sich nur mehr darum, das Sazmehl mit
dem Getreide zu vermengen, bevor dieses auf die Muͤhle gebracht wurde; und da
die Quantitaͤt Mehl, welche eine bestimmte Menge Weizen gibt, bekannt war, so
ließ sich das Verhaͤltniß, in welchem die Vermengung zu geschehen hatte,
leicht ermitteln. Nach mehreren Versuchen, welche wir anstellten, indem wir Sazmehl,
welches fuͤr sich allein gemahlen worden war, in verschiedenem
Verhaͤltnisse mit Weizenmehl vermengten, blieben wir bei dem
Verhaͤltnisse Nr. 3 stehen, nach welchem 50 Theile Weizenmehl auf 50 Theile
Sazmehl kommen, und um ein Mehl dieser Art zu erlangen, vermengen wir 25 Theile
Sazmehl mit 32 Theilen Weizen. Das auf diese Weise erzielte Mehl ist sehr
schoͤn, und leicht zu bearbeiten; auch gibt es ohne einer besonderen
Behandlung zu beduͤrfen ein gutes Brod.
Mit Nr. 4 bezeichnen wir ein Gemenge aus 2/3 Sazmehl und 1/3 Weizenmehl, wozu wir 33
Theile Sazmehl mit 21 3/4 Theilen Weizen vermengen. Auch dieses Mehl ist
schoͤn, und wenn es gleich etwas weniger Zaͤhigkeit besizt, als das
gewoͤhnliche Mehl, so laͤßt es sich doch leicht, und ganz auf dieselbe
Weise behandeln; es gibt, ohne daß besondere Sorgfalt darauf zu wenden waͤre,
ein Brod von gutem Aussehen und guter Beschaffenheit.
Da man in mehreren Gegenden statt des Weizens einen sogenannten Mischling, oder ein
Gemenge aus Weizen und Roggen verwendet, so bereiteten wir auch ein Mehl, welches zu
1/4 aus Weizen, zu 1/4 aus Roggen und zur Haͤlfte aus Sazmehl bestand. Wir
vermengten zu diesem Behufe 25 Theile Sazmehl, 15 3/4 Weizen und 15 3/4 Roggen.
Dieses Mehl ist nicht so weiß; der damit bereitete Teig ist kuͤrzer; allein
er gaͤhrt gut und gibt ein Brod von ziemlich angenehmem Geschmake.
Wir glauben demnach, daß das Vermengen des Sazmehles mit dem Getreide, bevor dasselbe
gemahlen worden, allen wesentlichen Bedingungen entspricht; denn die Brodbereitung
ist leicht und weicht in
nichts von der gewoͤhnlichen Methode ab; sie ist wohlfeil, indem das Mahlen
kaum auf einen Centime per Pfund zu stehen kommt; sie
gibt immer ein gleiches Product.Obschon man in mittleren Jahren die 100 Kilogr. Kartoffelsazmehl zu 10 Fr. zu
liefern im Stande ist, wenn man sichere Absazwege dafuͤr hat; und
obschon dessen Bereitung sehr einfach ist, so bedarf man dazu doch eigener
Apparate; auch geht immer eine merkliche Quantitaͤt vegetabilischen
Eiweißstoffes und anderer Nahrungsstoffe dabei verloren, so daß uns die Idee
kam, ob es denn doch nicht vortheilhafter waͤre aus den Kartoffeln
direct Brod zu bereiten. Unsere ersten Versuche versprechen uns auch in
dieser Hinsicht guͤnstige Resultate. Wir schlugen hiebei folgende
Methoden ein. Erster Versuch. Wir sotten
Kartoffeln in Wasser, schaͤlten sie, und trokneten das Mark schnell.
50 Theile dieses getrokneten Markes, welche 200 Theile Kartoffeln
repraͤsentirten, wurden mit so viel Weizen vermengt, als zur
Erzeugung von 50 Theilen Mehl erforderlich war, und das Ganze dann auf die
Muͤhle gebracht. – Zweiter Versuch.
Rohe, in Scheiben geschnittene Kartoffeln wurden getroknet, zermalmt, mit
Weizen vermengt, und wie oben gemahlen. – Dritter Versuch. Gefrorene Kartoffeln wurden wie bei dem zweiten
Versuche behandelt, mit Weizen vermengt und gemahlen. Da wir bisher nur mit
kleinen Quantitaͤten arbeiteten, so wollen wir unser Urtheil
uͤber diese Methoden bis zur naͤchsten Ernte verschieben, wo
wir sie mit groͤßeren Quantitaͤten wiederholen werden. Wir
bemerken nur noch daß, wenn man die Kartoffeln mit Dampf kocht, oder wenn
man sie einige Zeit einem Dampfstrome oder einer Hize aussezt, welche
uͤber 100° betraͤgt, man sie von dem groͤßten
Theile jenes fluͤchtigen Oehles befreit, welches dem Brode den
unangenehmen Geschmak gibt. A. d. O. Unser Verfahren beugt ferner jeder Hungersnoth vor, indem sich das Sazmehl
leicht eine unbestimmt lange Zeit aufbewahren laͤßt, ohne eine
Veraͤnderung zu erleiden; die Einfuhr von Getreide, welche bei uns
jaͤhrlich 20 Mill. Franken betraͤgt, wird dadurch unnoͤthig;
dafuͤr wird endlich der Getreidebau an Ausdehnung verlieren, und der
Kartoffelbau zunehmen, woraus eine eben so vollkommene als gluͤkliche
Umwandlung des Betriebes der Landwirthschaft erfolgen wird.
Nachtraͤgliche im Oktober 1833 angestellte
Versuche.
Wenn man mit Kartoffelsazmehl eine Gallerte bereitet, so entwikelt sich ein
eigenthuͤmlicher Geruch, der durch Zusaz von Wasser, welches mit etwas
Schwefelsaure gesaͤuert worden, noch weit staͤrker wird. Erhizt man
dasselbe in einer Retorte, und sammelt man das Product der Destillation, so
erhaͤlt man ein aromatisches Wasser, dessen Geruch an jenen der Melonen
erinnert. Diesem Bestandtheile scheint das mit Sazmehl bereitete Brod auch jenen
eigenen Geschmak zu verdanken, der manchen Leuten unangenehm ist.
Erhizt man das Sazmehl auf Metallplatten, so entweicht dieser Bestandtheil zugleich
mit waͤsseriger Feuchtigkeit unter Verbreitung eines merklichen Geruches. Wir
ließen eine 2 Zoll dike Schichte Sazmehl eine halbe Stunde lang auf einem
Eisenbleche einer Temperatur von 150 bis 200° ausgesezt; und dieses gab dann,
nachdem es zugleich mit
Weizenmehl gemahlen worden, ein Brod, an welchem nichts von dem
ungewoͤhnlichen Geschmake bemerklich war.
Wir haben die oben in einer Note zu unserer Abhandlung erwaͤhnten Versuche
Heuer mit frischen Kartoffeln in groͤßerem Maaßstabe wiederholt. Das Mehl der
mit Dampf gekochten Kartoffeln ist gelblich, und gibt ein ziemlich festes,
gefaͤrbtes Brod, dessen Geschmak jedoch nicht sehr unangenehm ist. Das aus
rohen, getrokneten Kartoffeln bereitete Mehl ist graulich, und gibt einen Teig, der
etwas besser gaͤhrt, als der mit dem vorhergehenden Mehle angemachte.
Dafuͤr hat aber das damit gebakene Brod mehr jenen eigenthuͤmlichen
Kartoffelgeschmak.
Wir erinnern hier am Schlusse noch an die Bemerkungen, welche Proust im Jahre 1816 uͤber die Unannehmlichkeiten der Brodbereitung
aus Kartoffeln machte, und in denen er hauptsaͤchlich auf die
Schwierigkeiten, mit denen die nach einander empfohlenen Methoden fuͤr den
Landmann verbunden waren, aufmerksam machte. Wir muͤssen gestehen, daß die
Zeit, die man beim Reiben der Kartoffeln mit kleinen Reibeisen vergeudete, sehr
schlecht angewendet war; allein seither wurden auch die Apparate so wesentlich
verbessert, daß wir ohne alle Uebertreibung behaupten zu koͤnnen glauben, man
koͤnne gegenwaͤrtig die 100 Kilogr. Sazmehl bei bestimmtem Absaze
fuͤr 10 Fr. liefern. Proust sagte ferner, und dieß
ist richtig, daß, wenn man das Weizenmehl mit 50 Proc. Kartoffelsazmehl vermengt,
man ein eben so schweres als unangenehmes Brod erhaͤlt. Dagegen
muͤssen wir aber erinnern, daß das Brod so leicht wird, als man es nur
wuͤnschen kann, wenn man die Masse auf die Muͤhle bringt. Eine
maͤßige Roͤstung benimmt dem Sazmehle den unangenehmen Geschmak, den
es dem Brode mittheilt; und dieses Roͤsten kann sehr leicht in
Bakoͤfen geschehen, nachdem das Brod darin gebaken worden. Man kann gleiche
Theile Weizenmehl und geroͤstetes Sazmehl vermengen; und laͤßt man
dieses Gemenge auf der Muͤhle mahlen, so erhaͤlt man ein Mehl, welches
bei der gewoͤhnlichen Behandlung ein sehr gutes Brod gibt. Diese leztere
Methode scheint uns Guͤte des Productes und Leichtigkeit und Sicherheit der
Fabrikation in sich zu vereinen.
Anhang. Notiz uͤber die
Anwendung des Kaͤsestoffes bei der Brodbereitung aus Kartoffeln, aus Sazmehl
und anderen an Kleber armen Mehlen, so wie auch bei der Bereitung von
Schiffszwiebak. Von Hrn. d'Arcet.Diese Notiz ward im Jahre 1850, unmittelbar nach der Bekanntmachung der
Abhandlung des Hrn. Braconnot niedergeschrieben;
ich behielt sie jedoch in meinem Portefeuille zuruͤk, was ich nun
bedauere, indem sie den HH. Bouchardat und de Luynes bei ihrer merkwuͤrdigen, im
Jahre 1833 bekannt gemachten Arbeit von Nuzen haͤtte seyn
koͤnnen. A. d. O.
Die interessante Abhandlung des Hrn. Braconnot
Diese Abhandlung, welche in den Annales de Chimie et
de Physique, Bd. XLIII. S. 337 zuerst erschien, ist aus dem Polyt.
Journ. Bd. XXXVIII. S. 136 bekannt. A. d. R. hat mich nicht nur in meinen Ansichten uͤber den Nuzen, den man noch
aus dem Kaͤsestoffe ziehen koͤnnte, bestaͤrkt, sondern sie
bestimmte mich auch zur Bekanntmachung einer Arbeit, die ich im Jahre 1828 in dieser
Hinsicht unternahm.Man findet eine Notiz hieruͤber im Recueil
industriel, Februar 1829, S. 531 und aus diesem im Polyt. Journale
Bd. XXXI. S. 451. A. d. R. Folgende Notiz soll Einiges in der Arbeit des Hrn. Braconnot ergaͤnzen, und wie ich hoffe, Einiges zu der
Veraͤnderung in der Ernaͤhrungsweise der Menschen, die durch die
Anwendung des Kaͤsestoffes bedingt seyn duͤrfte, beitragen.
Der Kaͤsestoff ist bekanntlich eine jener thierischen Substanzen, die am
reichsten an Stikstoff sind, und eben so bekannt ist, daß das Brod, welches in
Frankreich wenigstens die Basis der Nahrung der arbeitenden Classe bildet,
groͤßten Theils mit einem Mehle bereitet wird, in welchem nur wenig Kleber
und folglich wenig Nahrungsstoff enthalten ist. Seit langer Zeit ist man daher auch
daruͤber einig, daß es sehr vortheilhaft waͤre, wenn man die
Kartoffeln oder das aus denselben gewonnene Sazmehl in eben so hohem Grade
animalisiren koͤnnte, als dieß bei dem Weizenmehle der Fall ist. Diese
Betrachtungen riefen in mir die Idee der Anwendung des Kaͤsestoffes zur
Brodbereitung hervor, und diese Idee suchte ich auf folgende Weise ins Leben zu
bringen.
Ich habe ermittelt, daß man um 100 Theile Kaͤsestoff, so wie man ihn
gewoͤhnlich als weißen Kaͤse oder Topfen trifft, in fluͤssigen
Zustand zu verwandeln, nach alkalimetrischen Graden 6 Grade 810 kohlensaures Natron,
oder 1 Grad 710 reines Natron, oder 0 Grad 872 reines Kali beduͤrfe.Unter einem alkalimetrischen Grade eines Alkali versteht man eine solche
Quantitaͤt Alkali als noͤthig ist, um ein gleiches Gewicht
Schwefelsaͤure von 66° nach Baumé's Araͤometer oder von 1,844 specifischem
Gewichte zu saͤttigen. A. d. O.
Ich fand außerdem, daß der Kaͤsestoff bloß ausgepreßt, und so wie man ihn auf dem Markte
verkauft, in 100 Theilen 29 Kaͤsestoff und 71 Wasser enthaͤlt.
Die Schwierigkeit den Kaͤsestoff gehoͤrig mit den Kartoffeln oder mit
dem Mehle zu vermengen, und andererseits die Nothwendigkeit so wenig Alkali als
moͤglich in das Brod zu bringen, veranlaßten mich, statt der kohlensauren
Alkalien lieber Aezkali zur Aufloͤsung des Kaͤsestoffes, womit die
Kartoffeln animalisirt werden sollten, anzuwenden.
Das Mehl, welches in Paris von den Baͤkern verbaken wird, enthaͤlt
bekanntlich im mittleren Durchschnitte per Centner 10
Kleber, worin 1,479 Stikstoff enthalten sind. Um nun bei der Ersezung des Klebers
durch Kaͤsestoff eine gleiche Menge Stikstoff zu erhalten, muß man 6,92
getrokneten Kaͤsestoff anwenden, der beilaͤufig 24 nassen
Kaͤsestoffes entspricht. Ueberdieß enthaͤlt das Mehl bekanntlich
wenigstens 4 Procent Zukerstoff. Hienach ergaben sich folgende
Verhaͤltnisse.
Zu einem Brode, welches aus Kartoffelmehl, Sazmehl oder einem anderen an Kleber und
Sazmehl armen Mehle bereitet wird, soll man nehmen:
Mehl oder Sazmehl
90
Frischen feuchten Kaͤsestoff
24
Zukerstoff, wie Cassonade,
Staͤrkmehl oder Traubenzuker
4
Aezkali
0°,21 Waͤre man uͤber die Abschaͤzung dieser
Quantitaͤt Alkali in Verlegenheit, so koͤnnte man dieß
Geschaͤft auch von einem Apotheker vollbringen lassen.
Uebrigens koͤnnte man sich auch damit begnuͤgen, daß
man nach und nach so viel Aezkaliaufloͤsung zusezte, als
noͤthig ist, um den Kaͤsestoff mit der moͤglich
geringsten Menge Alkali gehoͤrig zu verfluͤssigen. A.
d. O.
Man loͤst den Kaͤsestoff auf, indem man ihn mit der
Aezkaliaufloͤsung abreibt; dann sezt man den Zukerstoff zu, den man mit so
viel Wasser verduͤnnt hat, als zum Kneten des Gemenges erforderlich ist. Das
uͤbrige Verfahren ist ganz dasselbe, welches die Baͤker zu befolgen
pflegen.
Wollte man aus den Kartoffeln direct Brod bereiten, so waͤre folgendes Gemenge
zu versuchen:
In Wasser oder besser in Dampf gekochte und
abgeschaͤlte Kartoffeln
300
Frischer feuchter Kaͤsestoff
24
Aezkali
0°,21
Zukerstoff
4
Die gekochten Kartoffeln muͤssen heiß geschaͤlt und zermalmt werden,
worauf man ihnen den Zukerstoff und den mit dem Aezkali verfluͤssigten
Kaͤsestoff beizusezen haͤtte. Dann muͤßte man das Ganze durch
Zusaz von einer gehoͤrigen Quantitaͤt Mehl in einen guten Teig
verwandeln, und hiemit nach dem gewoͤhnlichen Gebrauche der Baͤker
verfahren. Wollte man zur Verdikung der Masse statt des Mehles auch noch
Kartoffelmehl oder Sazmehl anwenden, so muͤßte dieses vorher auf die eben
angegebene Weise animalisirt worden seyn.
Nach diesem Verfahren wird man nicht bloß aus Kartoffeln, sondern auch aus
Roggen-, Gersten-, Hafer-, Mais-, Reiß- und
anderen Mehlarten nahrhaftes Brod zu bereiten im Stande seyn. Die zahlreichen
Versuche, die ich hieruͤber anstellte, haben mich zwar noch nicht an das Ziel
meiner Wuͤnsche gefuͤhrt; allein sie gaben mir doch wenigstens so
genuͤgende Resultate, daß ich mich veranlaßt fuͤhle, andere, die
besser als ich im Stande sind, sie ans endliche Ziel zu fuͤhren, darauf
aufmerksam zu machen. Ich bemerke nur noch, daß die dieser Notiz zum Grunde liegende
Idee das Kriegsministerium veranlaßte fuͤr die Armee in Algier 400,000
animalisirte Zwiebake bereiten zu lassen; und daß dieser im Großen angestellte
Versuch gewiß nicht verloren gehen wird.