Titel: | Ueber eine merkwürdige neue Säure, welche aus Stikstoff, Schwefel und Sauerstoff besteht, und durch welche man sich sehr leicht das Stikstoffoxydulgas (sogenannte Luftgas) verschaffen kann. |
Fundstelle: | Band 58, Jahrgang 1835, Nr. IX., S. 75 |
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IX.
Ueber eine merkwuͤrdige neue
Saͤure, welche aus Stikstoff, Schwefel und Sauerstoff besteht, und durch welche
man sich sehr leicht das Stikstoffoxydulgas (sogenannte Luftgas) verschaffen
kann.
Ueber die Stikstoff-Schwefelsaͤure.
Wenn man bei einer Kaͤlte von 15 bis 20° C. in einer Gloke
Stikstoffoxydgas mit einer Aufloͤsung von schwefligsaurem Ammoniak in Wasser
in Beruͤhrung laͤßt, so wird das Gas absorbirt und die beiden
Koͤrper verschwinden, indem sie ein neues Salz bilden. Bringt man die beiden
Koͤrper hingegen bei 0° oder bei der gewoͤhnlichen Temperatur
zusammen, so ist der Erfolg ganz verschieden; das Stikstoffoxydgas wird zwar auch noch vollkommen
zerstoͤrt, aber durch die Haͤlfte seines Volumens Stikstoffoxydulgas
ersezt und anstatt eines neuen Salzes erhaͤlt man neutrales schwefelsaures
Ammoniak.
Laͤßt man bei dem ersten Versuche, nachdem alles Stikstoffoxydgas von dem
schwefligsauren Salze absorbirt worden ist, die Aufloͤsung bei der
gewoͤhnlichen Temperatur stehen, so zersezt sich das neue Salz
allmaͤhlich, entbindet reines Stikstoffoxydulgas und die Fluͤssigkeit
enthaͤlt nur noch schwefelsaures Ammoniak. Das freiwerdende
Stikstoffoxydulgas betraͤgt die Haͤlfte vom angewandten
Stikstoffoxydgas.
Das neue Ammoniaksalz kann man sich sehr leicht auf folgende Art verschaffen: man
vermischt eine concentrirte Aufloͤsung von schwefligsaurem Ammoniak mit ihrem
fuͤnf- oder sechsfachen Volumen fluͤssigen Ammoniaks und
laͤßt mehrere Stunden lang Stikstoffoxydgas hindurchstroͤmen; nach und
nach sezt sich eine betraͤchtliche Menge schoͤner Krystalle ab, die
ganz dasselbe Salz sind, welches man bei niedriger Temperatur mit dem neutralen
schwefligsauren Ammoniak erhaͤlt. Man waͤscht sie mit
vorlaͤufig abgekuͤhltem Ammoniak ab, welches davon weniger als reines
Wasser aufloͤst. Wenn die Krystalle ausgetroknet sind, bringt man sie in ein
gut verschließbares Stoͤpselglas; in diesem Zustande veraͤndern sie
sich nicht mehr. Auf dieselbe Art kann man sich auch die entsprechenden Kali-
und Natronsalze verschaffen.
Die Zusammensezung dieser neuen Classe von Koͤrpern wird uns durch folgenden
Versuch klar:
Wenn man eine starke Aufloͤsung von Aezkali in eine graduirte Roͤhre
bringt, welche ein Gemisch von zwei Raumtheilen Stikstoffoxydgas und einem
Raumtheile schwefliger Saͤure enthaͤlt, so verschwinden beide nach
einigen Stunden vollstaͤndig. Stand das Stikstoffoxydgas zur schwefligen
Saͤure in einem groͤßeren Verhaͤltnisse, als dem von 2 zu 1, so
bleibt der Ueberschuß frei uͤber der Fluͤssigkeit, und wenn man
andererseits weniger Salpetergas anwendet, als die angegebene Quantitaͤt, so
ist das neue Salz immer durch schwefligsaures Kali verunreinigt. Kurz, die beiden
Gasarten, Stikstoffoxydgas und schweflige Saͤure zersezen sich nie in einem
anderen Raumverhaͤltnisse, als dem von 2 zu 1.
Man kann sich leicht uͤberzeugen, daß das schwefligsaure Salz verschwindet und
durch ein anderes ersezt wird, welches eine neue Saͤure enthaͤlt.
Bringt man naͤmlich rothes schwefelsaures Mangan in die Roͤhre, worin
die Reaction Statt fand, so wird es nicht entfaͤrbt; durch schwefelsaure
Indigaufloͤsung laͤßt sich beweisen, daß die Fluͤssigkeit weder
ein salpetersaures noch ein salpetrigsaures Salz enthaͤlt; versezt man sie
endlich mit einem Barytsalze, sammelt den entstandenen Niederschlag, wischt ihn
mehrmals mit verduͤnnter Kalilauge und behandelt ihn dann mit
Salpetersaͤure, so loͤst er sich darin gaͤnzlich auf, daher
sich kein schwefelsaures Salz gebildet haben konnte.
Diese Versuche, zusammengenommen mit der Thatsache, daß das Stikstoffoxydgas durch
ein neutrales schwefligsaures Salz bei einer Kaͤlte von 15° C.
vollstaͤndig absorbirt wird, lassen keinen Zweifel mehr uͤber die
Zusammensezung dieser neuen Salze uͤbrig. Zwei Raumtheile schweflige
Saͤure mußten, indem sie auf vier Raumtheile Stikstoff und ein Atom Alkali
(Kali, Natron oder Ammoniak) reagirten, 1 Atom einer eigenthuͤmlichen
Saͤure erzeugen, die aus 2 Atomen Stikstoff, 1 Atom Schwefel und 4 Atomen
Sauerstoff besteht. Dieß bestaͤtigte auch die directe Analyse der Salze.
Hr. Pelouze, welcher diese Saͤure entdekte, nennt
sie Stikstoffschwefelsaͤure (acide nitro-sulfique) und die Salze, welche sie
bildet, stikstoffschwefelsaure (nitro-sulfates). Das stikstoffschwefelsaure Ammoniak besizt
folgende Eigenschaften. Es ist weiß, schmekt stechend und etwas bitter, reagirt
nicht auf Lakmuspapier, loͤst sich weder in der Waͤrme noch in der
Kaͤlte in Alkohol auf; in Wasser hingegen loͤst es sich leicht auf und
zersezt sich darin dann um so schneller, je hoͤher die Temperatur ist. Im
Wasser bleibt dann schwefelsaures Ammoniak aufgeloͤst, waͤhrend das
entbundene Gas die Eigenschaften und Zusammensezung des Stikstoffoxyduls hat.
Alkohol schlaͤgt dieses Salz aus seiner waͤsserigen Aufloͤsung
nieder. Es widersteht einer Temperatur von 110° C.; einige Grade
daruͤber zersezt es sich aber mit Explosion. Auf gluͤhenden Kohlen
verbrennt es mit Funkeln.
Alle Saͤuren entwikeln daraus mit Aufbrausen Stikstoffoxydulgas und verwandeln
es in schwefelsaures Ammoniak. Diese Zersezung erfolgt durch gasfoͤrmige
Kohlensaͤure langsam, aber sehr rasch durch die in Wasser
aufgeloͤste.
An freier Luft zersezt sich das stikstoffschwefelsaure Ammoniak allmaͤhlich,
entbindet Stikstoffoxydulgas, verwittert und laͤßt reines schwefelsaures
Ammoniak zuruͤk.
Die Alkalien erhoͤhen, wie wir gesehen haben, die Bestaͤndigkeit der
stikstoffschwefelsauren Salze; dieses thut aber das Ammoniak nur bis zu einem
gewissen Grade. Vermischt man naͤmlich dieses Salz mit concentrirtem
Aezammoniak, so zersezt es sich auch noch sehr merklich, obgleich viel langsamer als
in reinem Wasser und liefert uͤbrigens dieselben Producte.
Die außerordentliche Beweglichkeit der Elemente des stikstoffschwefelsauren Ammoniaks und die
Bestaͤndigkeit, welche ihm die Alkalien verleihen, brachten Hrn. Pelouze auf den Gedanken, daß dieses Salz wohl dieselben
Zersezungserscheinungen darbieten duͤrfte, wie das von Thenard entdekte oxydirte Wasser, was auch Versuche
bestaͤtigten.
Die stikstoffschwefelsauren Salze zersezen sich naͤmlich außerordentlich
schnell durch die meisten Substanzen, welche aus dem oxydirten Wasser Sauerstoffgas
entwikeln, z.B. durch Silber, Platin, Kohlenstaub etc.
In allen diesen Faͤllen verwandeln sich die neuen Salze in ein neutrales
schwefelsaures Salz und in Stikstoffoxydulgas, welches sich mit Geraͤusch
entbindet. Folgende chemische Gleichung erklaͤrt diese Verwandlungen:
HC, Az2, Az2, SO4 = HC, Az2, SO3,
Az2O.
Unter sehr verschiedenen Einfluͤssen liefert naͤmlich ein Atom
stikstoffschwefelsaures Ammoniak z.B. ein Atom neutrales schwefelsaures Ammoniak und
ein Atom Stikstoffoxydulgas.
Als Hr. Pelouze die Stikstoffschwefelsaͤure zu
isoliren versuchte, hatte er Gelegenheit sich zu uͤberzeugen, daß Luft oder
Sauerstoffgas keineswegs, wie man glaubt, unumgaͤnglich noͤthig ist,
um Schwefelsaͤure zu erzeugen. So verwandeln sich unter dem Einflusse von
reinem Wasser ein Raumtheil schweflige Saͤure und zwei Raumtheile
Stikstoffoxydgas in Schwefelsaͤure, indem sie einen gasfoͤrmigen
Ruͤkstand von Stikstoffoxydulgas hinterlassen, der einem Raumtheile
entspricht.
Die Abhandlung, welche Hr. Pelouze uͤber diesen
Gegenstand der Pariser Akademie der Wissenschaften uͤbergab, ist fuͤr
alle Chemiker von hohem Interesse. Man hatte bis jezt uͤber die gegenseitige
Wirkung der Gasarten bei niedriger Temperatur noch wenige Versuche angestellt und
diese Untersuchung wird zur Entdekung ganz neuer Verbindungen fuͤhren. Die
Wirkung des Stikstoffoxyds auf die schweflige Saͤure, ohne daß Sauerstoffgas
zugegen ist, wird wahrscheinlich auch die Theorie der Schwefelsaͤurebildung,
welche noch sehr im Dunkeln ist, aufklaͤren.
Ueber die Wirkung der stikstoffschwefelsauren Salze auf den thierischen Organismus
kann Hr. Pelouze nichts sagen; Hr. Magendie stellt aber Versuche uͤber diesen Gegenstand an. Wenn man
ein Salz, welches rasch große Quantitaͤten von reinem Stikstoffoxydulgas
entbindet, in den Magen einfuͤhrt, so wird man gewiß Resultate erhalten,
welche fuͤr die Medicin und Physiologie merkwuͤrdig sind.Le Temps No. 2103. Le
National 23. Jul. 1835.