Titel: | Neue Versuche über die Schuzmittel gegen den Brand oder die Fäule des Weizens. Von Hrn. C. A. J. Matthieu de Dombasle. |
Fundstelle: | Band 59, Jahrgang 1836, Nr. XXI., S. 114 |
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XXI.
Neue Versuche uͤber die Schuzmittel gegen
den Brand oder die Faͤule des Weizens. Von Hrn. C. A. J. Matthieu de Dombasle.
Aus dem Journal des connaissances usuelles. Oktober 1835,
S. 148.
Ueber die Schuzmittel gegen den Brand des Weizens.
Ich begann schon im Herbste 1831 eine Reihe von Versuchen uͤber die besten
Mittel gegen den Brand oder auch die sogenannte Faͤule (carie) des Weizens, der den Landwirthen bekanntlich
große Verluste verursacht, und den Werth ihrer Producte bedeutend vermindert. Ich
habe nun seit vier Jahren alle als vorzuͤglich wirksam empfohlenen
Schuzmittel und noch manche andere meinen Versuchen unterzogen, und trachtete in
jedem Jahre die Zweifel, die mir die Versuche des vorhergehenden Jahres ließen,
aufzuklaͤren und zu beseitigen. Ich glaube hiedurch zu einer
genuͤgenden Loͤsung dieser Frage gelangt zu seyn, und versichern zu
koͤnnen, daß es nunmehr einem jeden Landwirthe ein Leichtes seyn
duͤrfte, durch ein sehr einfaches Verfahren seine Saaten vor dem Brande zu
schuͤzen. Ich habe zwar die Resultate meiner in den beiden ersten Jahren
angestellten Versuche bereits bekannt gemacht, so daß ich gegenwaͤrtig nur
jene der Jahre 1834 und 1835 anzugeben brauche; der groͤßeren
Vollstaͤndigkeit wegen und um verstaͤndlicher zu werden, will ich
jedoch einen summarischen Ueberblik der ersteren vorausschiken.
Die wesentlichen Resultate meiner im Jahre 1832 angestellten Versuche lassen sich in
Folgendem zusammenfassen. Der Kalk und das Kochsalz sind einzeln angewendet nur sehr
schwach wirkende Schuzmittel; verbindet man sie jedoch beide miteinander, so wirken
sie weit zerstoͤrender auf die Keime des Brandes. Ihre Wirkung ist in diesem
Falle selbst kraͤftiger, als jene des schwefelsauren Kupfers oder des blauen
Vitrioles, der theils fuͤr sich allein, theils in Verbindung mit Kochsalz
haͤufig angewendet wird. Da dem schwefelsauren Kupfer nach den Versuchen des
Hrn. Bened. Prévot bisher die groͤßte
Schuzkraft zugeschrieben wurde, so war schon viel gewonnen, wenn sich meinen
Versuchen gemaͤß in solchen Substanzen, die ohne Gefahr in die Haͤnde
des Landwirths gegeben werden koͤnnen, eine noch groͤßere Wirksamkeit
beurkundete. Denn wenn man die Sorglosigkeit des Landvolkes kennt, so kann man nur
mit Schreken daran denken, wie die Dienstleute auf dem Lande mit so großen Massen
einer Substanz, die so giftig ist, wie der Kupfervitriol, umzugehen haben.
Abgesehen von dem Kalke, dem schwefelsauren Kupfer und dem Kochsalze stellte ich in
demselben Jahre auch noch mit der Potasche, dem Eisenvitriole und der schwefligen
Saͤure Versuche an, indem ich diese Substanzen theils fuͤr sich
allein, theils in Verbindung mit verschiedenen Substanzen und in verschiedenen Dosen
in Anwendung brachte. Einige dieser Praͤparate zeigten sich jedoch ganz
unwirksam, waͤhrend andere die Keimkraft des Getreides mehr oder weniger
beeintraͤchtigten, und jene, die sich als Schuzmittel gegen den Brand
beurkundeten, die Anwendung in Form eines Bades erforderten, um sich wirksam zu
bezeugen. Daß diese Anwendungsweise, gemaͤß welcher man das inficirte
Getreide in die Aufloͤsungen verschiedener Substanzen einweichen, und mehr
oder minder lange Zeit darin maceriren lassen muß, die Kraft der Schuzmittel
bedeutend erhoͤht, ist laͤngst bekannt. Arthur Young hielt es nach seinen Beobachtungen fuͤr noͤthig, den
Getreidesamen 24 Stunden lang in Kalkwasser einzuweichen; und Bosc gibt unter dem Artikel Carie in seinem
Handbuche des Akerbaues nach Hrn. Tissier's Versuchen
denselben Rath. Bemerken muß ich uͤbrigens, daß Bosc an demselben Orte der Potasche der Analogie nach eine eben so große
Schuzkraft zuschreibt, wie sie dem Kalke eigen ist; waͤhrend nach meinen
Versuchen die gewoͤhnliche kaͤufliche Potasche gar keine Wirkung auf
den Brand hat. Lediglich auf die Theorie gestuͤzt verwirft Bosc auch die Vermengung des Kochsalzes oder irgend eines
anderen Salzes mit dem Kalke als uͤberfluͤssig, waͤhrend der
Erfahrung und Thatsache gemaͤß ein solches Gemenge eine ohne Vergleich
groͤßere Wirkung hat, als jede einzelne der erwaͤhnten Substanzen
fuͤr sich allein: zum neuen Beweise, daß man sich in Allem, was die
organischen Koͤrper betrifft, lediglich nach der Erfahrung und nicht nach
Theorien und Analogien zu richten hat.
Im naͤchstfolgenden Jahre unterwarf ich in 27 Versuchen verschiedene
Verbindungen von Kalk und Kochsalz der Probe; so wie auch verschiedene Gemische von
kohlensaurem Natron und Kochsalz, einfache Aufloͤsungen von Chlorkalk und
salzsaurem Kalke in verschiedenem Verhaͤltnisse. Die Resultate, zu denen ich
hiebei gelangte, stimmten in Hinsicht auf die Wirksamkeit des Gemenges aus Kalk und
Kochsalz, in Form eines Bades angewendet, vollkommen mit jenen des vorhergehenden
Jahres uͤberein; sie zeigten zugleich aber auch neuerdings, daß der Kalk
fuͤr sich allein aufgestreut beinahe gar keine Wirkung hat, und daß dieß eben
so von dem salzsauren Kalke und dem Chlorkalke gilt. Uebrigens gab mir keines dieser
Schuzmittel die gehoͤrige Wirkung, ausgenommen ich wendete es in Form eines
Bades an; und da ich sehr danach trachtete, eines ausfindig zu machen, welches auf
die einfachste Weise, naͤmlich als Bestreuung, angewendet werden koͤnnte, so
beschloß ich, meine Versuche im naͤchsten Jahre fortzusezen. Wer
naͤmlich immer die Anwendung des Kalkens in Badform empfohlen hat, scheint
kaum aus der Erfahrung zu wissen, welche große Plagen und Schwierigkeiten dieses
Verfahren im Großen mit sich bringt. Diese Muͤhseligkeiten sind auch wirklich
so groß, daß es ungeachtet der anerkannt groͤßeren Wirksamkeit des Kalkbades
unter 1000 Oekonomien kaum eine gibt, in der der Kalk anders denn als Bestreuung
benuzt wird. Die Versuche, welche ich im Jahre 1833/34 anstellte, waren hienach
hauptsaͤchlich auf Ermittelung der Wirksamkeit gerichtet, die man von
verschiedenen, als Aufstreuung angewendeten Schuzmitteln erwarten koͤnnte.
Ich unterwarf den Kalk, das kohlensaure, das salzsaure und das schwefelsaure Natron
diesen Versuchen, und wendete den Kalk fuͤr sich allein, in verschiedenen
Verhaͤltnissen und unter verschiedenen Manipulationen an, so wie ich ihn auch
in verschiedenen Verhaͤltnissen mit diesen drei Salzen vermengte. Die Zahl
der brandigen Aehren betrug bei einer kuͤnstlich mit Brand inficirten Aussaat
570 auf 1000. Durch Besprengen des Saatkornes mit Kalkmilch, wobei ich selbst bis
auf ungeheuere Dosen stieg, war ich kaum im Stande diese große Anzahl brandiger
Aehren um die Haͤlfte zu vermindern. Bei jenen Aussaaten, die ich mit Kalk,
welcher mit einem der drei erwaͤhnten Salze behandelt worden ist, vermengte,
blieb die Anzahl der brandigen Aehren immer noch 2–300 auf 1000. Eine
uͤberraschende Ausnahme hievon machte jedoch eine mit Kalk und schwefelsaurem
Natron (Glaubersalz) behandelte Aussaat, in der auch nicht eine einzige brandige
Aehre zu entdeken war; denn es war dieß bei meinen vielen Versuchen das erste Mal,
daß es mir gelungen ist, die Brandkeime in einem in so hohem Grade inficirten
Saatkorne, wie ich es zu meinen Versuchen anwendete, zu zerstoͤren. Als ich
naͤmlich ein solcher Maßen inficirtes Saatkorn bei fruͤheren Versuchen
laͤngere Zeit fort in einem Kupfervitriol- oder Kalkbade behandelte,
blieben unter 1000 immer noch 8 bis 20 brandige Aehren; und selbst bei dessen
Behandlung in einem mit Kochsalz und Kalk zusammengesezten Bade kamen, obschon sich
dieses Gemisch bisher als das wirksamste bewaͤhrt hatte, auf 1000 Aehren
dennoch immer 2 brandige. Woher konnte es ruͤhren, daß auf einem Quadrate,
welches mit Weizen, der mit dem angegebenen Gemenge behandelt worden ist, bestellt
war, unter 20,000 Aehren auch nicht eine einzige brandige zu finden war;
waͤhrend auf den benachbarten Quadraten, die mit denselben Substanzen beinahe
in gleichem Verhaͤltnisse behandelt worden sind, auf 1000 Aehren immer
2–300 brandige kamen? Da ich mir's zum Geseze machte, bei allen Versuchen dieser Art
selbst uͤber die kleinsten Details ein genaues Tagebuch zu fuͤhren, so
forschte ich hierin nach der wahrscheinlichen Ursache, und fand, daß das vom Brande
befreite Quadrat zwar allerdings mit denselben Substanzen behandelt worden ist, wie
die uͤbrigen; daß jedoch eine etwas andere Manipulation dabei befolgt ward.
Bei allen Operationen, welche mit dem Kalke und einer Aufloͤsung der einen
der drei erwaͤhnten Salze vorgenommen wurden, ward der inficirte Weizen
zuerst mit einer bestimmten Dosis geloͤschten Kalkes uͤberstreut, dann
sorgfaͤltig damit vermengt, und hierauf mit der Aufloͤsung, womit der
Versuch angestellt werden sollte, uͤbergossen und abermals vermengt. Bei
diesem Verfahren konnten die Koͤrner eine groͤßere Menge
Aufloͤsung einsaugen. Bei einer einzigen dieser Operationen ward das
Verfahren aus irgend einem geringfuͤgigen Grunde in umgekehrter Ordnung in
Anwendung gebracht; d.h. die Koͤrner wurden zuerst mit der
Salzaufloͤsung uͤbergossen, und dann erst mit eben so viel Kalk
bestreut, als dieß sonst der Fall war. Ich dachte gar nicht daran, daß dieser
scheinbar unbedeutende Unterschied in der Behandlungsweise einen Unterschied in den
Resultaten herbeifuͤhren koͤnnte, und doch blieb gerade dieß Quadrat
gaͤnzlich vom Brande verschont. Bei weiterem Nachsinnen hieruͤber
dachte ich, daß wenn man den Kalk oder ein Gemenge aus Kalk und
Salzaufloͤsung zuerst anwendet, der Kalk die Koͤrner vielleicht so
incrustiren koͤnnte, daß die Einwirkung der uͤbrigen Stoffe nothwendig
dadurch geschwaͤcht werden muͤßte; daß hingegen, wenn man die
Oberflaͤche der Getreides koͤrner und folglich auch den Brandstaub
zuerst mit der Aufloͤsung befeuchtet, die Koͤrner besser davon
durchdrungen werden, so daß der spaͤter aufgetragene Kalk dann die
Aufloͤsung mit groͤßerer Sicherheit zersezt. Diese Erklaͤrung
war mir jedoch immer nur eine Vermuthung, die durch neue Versuche bestaͤtigt
werden mußte; ich machte daher auch nichts daruͤber bekannt, sondern
veranstaltete im naͤchstfolgenden Herbste mehrere, nach demselben Verfahren
behandelte Aussaaten.
Ich befolgte bei diesen Versuchen denselben Gang, wie bei jenen in den vorhergehenden
Jahren; d.h. ich inficirte zuerst einen doppelten Decaliter (20 Maaß)Unter Maaß verstehen wir im Folgenden den Raum,
welchen 2 Pfd. Wasser einnehmen.A. d. R. Saatweizen mit Brand, theilte ein Stuͤk Land so gleichmaͤßig
als moͤglich in Quadrate von 25 Meter (beinahe 77 Fuß) im Gevierte, welche
durch Wege von einem Meter (3 Fuß 11 Linien) Breite von einander getrennt waren, und
besaͤete jedes
dieser Quadrate unter Befolgung der kleinlichsten Vorsichtsmaßregeln mit einem
halben Liter (halben Maaß) des inficirten Weizens, nachdem dieser vorher zum Behufe
der Desinfection mit verschiedenen Substanzen behandelt worden. Um jedoch den
Umstaͤnden, unter denen man sich gewoͤhnlich befindet, naͤher
zu kommen, trieb ich die Infection nicht gar so weit als in den fruͤheren
Jahren, wo die Koͤrner ganz mit Brandkeimen geschwaͤrzt wurden;
sondern bloß so weit, daß ihre Farbe merklich veraͤndert und nur die bartige
Spize schwarz gefaͤrbt war. Uebrigens war selbst dieser kuͤnstlich
angestekte Saatweizen dennoch in einem weit hoͤheren Grade inficirt, als man
ihn je auf dem Markte, wo ein Product dieser Art keinen Kaͤufer finden
wuͤrde, trifft. Ein auf diese Weise inficirter Saatweizen gab fuͤr
sich und ohne alle Schuzmittel ausgesaͤet unter 1000 Aehren 143 brandige;
waͤhrend in den fruͤheren Jahren, wo die Inficirung auf einen
hoͤheren Grad getrieben worden war, auf eine gleiche Anzahl Aehren 5 bis 700
brandige kamen. Alle Schuzmittel wurden in diesem Jahre in Form von Besprengung
angewendet, und dabei, wie dieß oben angedeutet wurde, zuerst die
Fluͤssigkeit und dann der Kalk unter die Koͤrner gemengt.
Wurde Kalk fuͤr sich allein auf solche Weise angewendet, daß man die
Koͤrner zuerst mit reinem Wasser befeuchtete, oder daß man den Kalk zu
Kalkmilch anruͤhrte, so zeigten sich, wenn man 1 und 2 Kil. (2 Pfd. und 4
Pfd.) Kalk auf einen Hectoliter (100 Maaß) Weizen anwendete, unter 1000 Aehren 2, 7
bis 24 brandige.
Bei der Anwendung von Kalk in einer Dosis von 2 Kil. (4 Pfd.) per Hectoliter (100 Maaß), welcher vorher mit einer Aufloͤsung von
1/2 Kil. (1 Pfd.) Kochsalz zu einer Kalkmilch angeruͤhrt worden ist, kamen
auf 1000 Aehren zwei brandige.
Wenn auf einen Hectoliter Weizen 2 Kil. Kalk, und Kochsalz von 50 Hectogrammen (10
Pfd.) bis zu 2 Kil. (4 Pfd.) wechselnd angewendet wurden, und wenn man den Weizen
zuerst mit der Salzaufloͤsung befeuchtete, so zeigten sich in einem Falle gar
keine brandigen Aehren, und in einem anderen nur 1 bis 3 auf 1000.
Wenn Kalk in derselben Quantitaͤt, anstatt des Kochsalzes aber eine gleiche
Menge schwefelsaures Natron (Glaubersalz) angewendet, und uͤbrigens ganz
dasselbe Verfahren befolgt wurde, so war in drei Quadraten, welche mit dem auf diese
Weise behandelten Weizen bestellt worden, auch nicht eine einzige brandige Aehre zu
entdeken.
Das Resultat dieser Versuche bestaͤtigte also vollkommen jenes der
vorjaͤhrigen; und wir besizen demnach in der Anwendung des schwefelsauren
Natrons in Verbindung mit Kalk ein Schuzmittel gegen den Brand, welches nicht nur
alle uͤbrigen bisher bekannt gewordenen an Wirksamkeit uͤbertrifft; sondern welches man
sogar als absolut betrachten kann, indem in zwei Jahren hinter einander auf zwei
damit behandelten Quadraten, welche zusammen uͤber 24,000 Aehren enthielten,
auch nicht eine einzige brandige zu finden war, ungeachtet der im Jahre 1833
ausgesaͤete Weizen im hoͤchsten Grade inficirt worden war. Dieses
kraͤftige Mittel ist um so schaͤzbarer, als es in Substanzen beruht,
welche sehr wohlfeil sind, aus deren Benuzung weder fuͤr Menschen noch
fuͤr Thiere irgend eine Gefahr erwachsen kann, und deren Anwendung eben so
leicht als einfach ist.
Die Angabe des Verfahrens bei diesem Kalken nach den von mir gemachten Erfahrungen
bis zum Ende verschiebend, erlaube ich mir hier noch einige, wie mir scheint,
wichtige Bemerkungen beizufuͤgen. Ich hatte gleich bei meinen ersten
Versuchen erkannt, daß gewisse Praͤparate nicht nur auf die Brandkeime eine
zerstoͤrende Wirkung ausuͤben, sondern zugleich auch die Keimkraft des
Weizens mehr oder weniger angreifen und sogar aufheben: ein Punkt, den man bisher
noch nicht gehoͤrig beachtet hat, und den man, so viel ich weiß, in keiner
der uͤber den fraglichen Gegenstand erschienenen Schriften abgehandelt
findet. Gleichwohl ist es wahrscheinlich, daß gar manche Weizensaaten nur deßwegen
so duͤnn standen und einen so geringen Ertrag abwarfen, weil man den
Saatweizen ohne es zu wissen, einem fehlerhaften Kalkungsprocesse unterworfen hatte.
Ich bemerkte bei meinen Versuchen, daß hauptsaͤchlich die Behandlung mit
schwefliger Saͤure, und mit kohlensaurem Natron (dieses mochte einzeln
fuͤr sich oder in Verbindung mit Kalk, als Bad oder zum Besprengen angewendet
worden seyn) nachtheilig auf die Keimkraft des Weizens wirkte. Dieselbe Beobachtung
machte ich bei der Behandlung des Weizens mit salzsaurem Natron (Kochsalz) und Kalk,
wenn ich in der Absicht die Wirksamkeit dieser Substanzen zu erhoͤhen, die
auf diese Weise behandelten Samen innerhalb 24 Stunden zu wiederholten Malen mit
Wasser befeuchtete. Diese Beobachtungen bestimmten mich bei meinen Versuchen
uͤber die Wirksamkeit der Schuzmittel gegen den Brand namentlich auch auf
diese Nebenwirkung derselben Acht zu haben, und jaͤhrlich sorgfaͤltig
zu bemerken, welche Wirkungen ein jedes der angewendeten Praͤparate in dieser
Hinsicht aͤußert.
In einer im vorigen Jahre erschienenen Abhandlung zeigte ein ausgezeichneter in der
Umgebung von Paris wohnender Oekonom an, daß ihm seine bedeutenden Weizenarten in
großen Streken gaͤnzlich verungluͤkt seyen, weil er den zum Kalken
verwendeten Kalk mit Kuhharn, und nicht wie bisher mit Duͤngerbruͤhe
angeruͤhrt hatte. Viele andere dergleichen Thatsachen blieben wahrscheinlich
unbeobachtet, oder
wurden nur wenigen bekannt, weil die meisten Oekonomen einen Widerwillen gegen das
Schreiben haben. Was den eben erwaͤhnten Fall betrifft, so muß ich bemerken,
daß man den Kalk oder die sonstigen zum Kalken bestimmten Mineralsubstanzen mit
verschiedenen sehr kraͤftigen Duͤngerarten, wie z.B. mit den
angegebenen Fluͤssigkeiten, mit Tauben- oder Huͤhnerkoth etc.
vermengen sieht. Es geschieht dieß offenbar in der Absicht, durch diesen Zusaz die
Keimkraft des Weizens zu erhoͤhen, waͤhrend die Brandkeime zugleich
durch den Kalk etc. zerstoͤrt werden sollen. Denn Niemand duͤrfte wohl
bisher geglaubt haben, daß schon manche Duͤngmittel an und fuͤr sich
das dem Brande zum Grunde liegende Princip zu zerstoͤren im Stande sind. Die
Absicht, welche man hiebei hatte, beruht jedoch, was die Ernaͤhrung der
Pflanzen selbst betrifft, auf ganz irrigen Ideen. Der Samen liefert in den ersten
auf die Entwikelung des Keimes folgenden Tagen die einzige Nahrung, die den Keim zu
erhalten im Stande ist; und diese Nahrung besteht in eigenthuͤmlichen
Stoffen, welche die Natur zu diesem Behufe in den Samen niedergelegt hat. Die Kunst
hat bisher noch keine Substanz ausfindig gemacht, welche jene Art von Milch, die
sich waͤhrend des Keimens im Samen entwikelt, zu ersezen vermochte; und
unterwirft man alle Substanzen, von denen bisher angegeben wurde, als ertheilten sie
der Vegetation in dieser Periode eine groͤßere Lebhaftigkeit und Kraft,
unparteiischen Versuchen, so wird man finden, daß sie saͤmmtlich unwirksam
oder gar schaͤdlich sind. Das Wuͤrzelchen entwikelt sich zuerst im
Samen, und hat bereits ein nicht unbedeutendes Wachsthum erreicht, bevor noch das
Federchen an die Oberflaͤche der Erde gelangt, und daselbst eine neue
Entwikelung, die es zum Einathmen der atmosphaͤrischen Luft geeignet macht,
erfahrt. Bis zu diesem Zeitpunkte war das Leben der Pflanze ein inneres, gleich dem
Kuͤchelchen im Eie; und gleichwie Lezteres nicht fruͤher eine Nahrung
von Außen aufnehmen kann, als bis seine Respirationsorgane mit der
atmosphaͤrischen Luft in Beziehung kamen, eben so verhaͤlt es sich
auch mit dem Keime der Pflanzen. Erst dann, wann die Samenlappen so weit entwikelt
sind, daß sie atmosphaͤrische Luft einsaugen koͤnnen; d.h. wenn sie
ein Mal die gruͤne Farbe der Blaͤtter angenommen haben, kann das
Wuͤrzelchen einige Nahrung aus dem umgebenden Boden an sich saugen. Allein um
diese Zeit ist das Wuͤrzelchen schon sehr lang und einen oder zwei Zoll tief
unter den Punkt, an welchem der Samen in den Boden gelegt worden ist, gedrungen; wie
koͤnnte also dann noch die aͤußerst geringe Menge Duͤnger,
womit man den Samen saͤttigte, von dem Wuͤrzelchen aufgesogen werden,
da dieses nur mit seinen aͤußersten Enden einzusaugen vermag? Andererseits ist die
junge Pflanze waͤhrend dieser Zeit ihres ersten Wachsthumes auch so zart, daß
sie leicht von Substanzen, die ihr spaͤter als ein kraͤftiges
Nahrungsmittel dienen koͤnnten, zerstoͤrt wird. So geht z.B., wie ich
mich aus wiederholten Versuchen uͤberzeugte, beinahe nicht ein
Pflaͤnzchen auf, wenn man Weizen, Runkelruͤben- oder
Buchweizensamen mit gepuͤlverten Repskuchen in eine Furche streut, und das
Ganze mit Erde bedekt. Auf eine aͤhnliche Weise wirkte wahrscheinlich der
Kuhharn in dem oben erzaͤhlten, ungluͤklich abgelaufenen Falle; und
wenn derselbe Oekonom fruͤher ohne Nachtheil die Duͤngerbruͤhe
zum Anruͤhren des Kalkes anwendete, so ruͤhrt dieß davon her, daß die
Natur dieser lezteren je nach dem Alter des Duͤngers, je nach dem Thiere, von
welchem er herruͤhrt, und je nach seiner groͤßeren oder geringeren
Verduͤnnung sehr verschieden ist, so daß er ein Mal gar nicht und ein ander
Mal sehr nachtheilig wirken kann. Da uͤbrigens alle diese Beimengungen auf
keinerlei Weise einen Nuzen gewaͤhren koͤnnen, so muß ich rathen, sie
unter allen Umstaͤnden wegzulassen und zur Aufloͤsung der Schuzmittel
gegen den Brand nur reines Wasser anzuwenden.
Ich gehe nunmehr zur detaillirten Beschreibung des wirksamsten Verfahrens beim
Kalken, so wie sich dasselbe aus meinen Versuchen ergab, uͤber. Ich wendete
bei meinen Operationen das schwefelsaure Natron in verschiedenen
Verhaͤltnissen, welche von 1 zu 4 wechselten, an; da jedoch sowohl die schwaͤchste als die staͤrkste Dosis die Brandkeime eines im hoͤchsten Grade
inficirten Weizens vollkommen zerstoͤrte, so werde ich die schwaͤchere
als fuͤr alle Faͤlle genuͤgend angeben. Ich bemerke daher
vorlaͤufig nur noch, daß selbst die staͤrkste Dosis meinen Erfahrungen
gemaͤß keinen nachtheiligen Einfluß auf die Keimkraft des Weizens
uͤbt.
Das schwefelsaure Natron oder das Glaubersalz, welches bei der Sodabereitung in
großen Massen gewonnen wird, ist uͤberall um hoͤchst geringen Preis zu
haben; es ist nicht giftig; seine Aufloͤsung in Wasser laͤßt sich sehr
lange aufbewahren, und man kann sie daher fuͤr die ganze Dauer der Aussaat im
Voraus bereiten.
Was den Kalk betrifft, so soll man denselben aͤzend in ganzen Steinen kaufen,
und ihn durch Zusaz einer geringen Quantitaͤt Wasser in Pulver verwandeln und
abloͤschen. Er muß frisch geloͤscht angewendet werden; und sollte man
ja gezwungen seyn ihn aufzubewahren, so muͤßte er gegen den Zutritt der Luft
geschuͤzt werden, indem man ihn in einem Fasse mit einem Tuche bedekt, und
dann beilaͤufig einen Zoll hoch irgend ein trokenes Pulver, wie z.B. Asche,
trokenen Sand etc. darauf schuͤttete. Wollte man sich dieser
Vorsichtsmaßregel nicht unterziehen, so muͤßte man immer nur so viel Kalk
abloͤschen, als
man eben bedarf, und den Kalk, der bereits 2 oder 3 Tage geloͤscht ist,
jederzeit wegwerfen. Gewoͤhnlich vernachlaͤssigt man diese wohl zu
beachtenden Ruͤksichten, weil man glaubt, der Kalk habe sich nicht
veraͤndert, indem sein aͤußeres Aussehen dasselbe blieb; allein der
geloͤschte Kalk zieht aus der atmosphaͤrischen Luft ziemlich schnell
Kohlensaͤure an; und in dem Maaße, als er von dieser aufnimmt, verliert er
seinen alkalischen Charakter, so daß er am Ende so unwirksam wird, wie
Kreidepulver.
Man loͤst zuerst das schwefelsaure Natron oder Glaubersalz in reinem Wasser
auf, indem man auf einen Liter (2 Pfd.) Wasser 80 Gramm (5 1/3 Loth), oder auf einen
Hectoliter (100 Maaß) 8 Kil. (16 Pfd.) nimmt. Da die Aufloͤsung langsam von
Statten geht, so ist es gut sie den Tag vorher zu veranstalten, und die
Fluͤssigkeit mehrmals umzuruͤhren, bis das Salz vollkommen
aufgeloͤst ist. Dann richtet man den Weizen, welcher gekalkt werden soll, auf
einer Tenne aus Cement, aus Dielen oder aus einem ebenen Boden, in Haufen, und
begießt ihn mittelst eines Sprizkruges mit der Aufloͤsung, waͤhrend
Personen, die mit Kellen oder Schaufeln versehen sind, das Getreide dabei
bestaͤndig umwenden. Mit diesem Begießen und Umwenden faͤhrt man so
lange fort, bis die Weizenkoͤrner an ihrer ganzen Oberflaͤche
gehoͤrig befeuchtet sind, und bis die Fluͤssigkeit von dem
aufgeschuͤtteten Haufen abzufließen beginnt. Man braucht hiezu auf jeden
Hectoliter Weizen beilaͤufig 8 Liter (8 Maaß) Salzaufloͤsung; allein
wenn man die eben empfohlene Methode befolgt, so ist alles Messen
uͤberfluͤssig. Unmittelbar nach dem Begießen, und waͤhrend die
Koͤrner noch ganz naß sind, streut man unter bestaͤndigem
Umruͤhren das Kalkpulver auf, und faͤhrt damit so lange fort, bis man
auf den Hectoliter (100 Maaß) Weizen beilaͤufig 2 Kil. (4 Pfd.) Kalk zugesezt
hat. Wenn Alles gehoͤrig vermengt, und jedes Weizenkorn auf seiner ganzen
Oberflaͤche gehoͤrig mit Kalk gesaͤttigt ist, so ist die
Operation beendigt, und man kann den auf diese Weise behandelten Saatweizen entweder
sogleich ausbauen oder auch einige Tage lang aufbewahren. Da er bei dieser
Behandlung nicht so viel Fluͤssigkeit aufnimmt, wie bei der Behandlung im
Kalkbade, so ist es nicht nothwendig ihn in duͤnne Schichten auszubreiten;
sondern man kann ihn in Haufen aufgeschichtet lassen, ohne daß man zu
befuͤrchten hat, daß er sich erhize. Zur Vorsorge ist es jedoch auch hier
besser die Haufen alle 3 oder 4 Tage umzuwenden.
Es ist bei der hier angegebenen Quantitaͤt Kalk keine so große Genauigkeit
erforderlich, so daß man die anzuwendenden Mengen nicht immer abzuwaͤgen
braucht. Es genuͤgt, das erste Mal die Quantitaͤt abzuwaͤgen,
welche ein Gefaͤß, dessen man sich eben bedienen will, faßt, um dann dieses
Gefaͤß in der Folge immer und ohne weiteres Wagen, als Maaß zu benuzen. Diese
Probe muß jedoch im Voraus angestellt werden, und der Kalk vollkommen zubereitet zur
Hand seyn; denn es kommt sehr darauf an, daß der Kalk unmittelbar nach Benezung der
Oberflaͤche der Weizenkoͤrner aufgestreut werde. Wuͤrde man
einige Minuten hiemit zoͤgern, so wuͤrde die Aufloͤsung von der
Substanz der Koͤrner eingesogen werden, so daß der Kalk nicht mehr auf
dieselbe Weise wirken koͤnnte.
Wenn man das von mir angegebene Verfahren genau befolgt hat, so kann man kek Weizen,
welcher auch noch so sehr mit Brand angestekt ist, aussaͤen, und es wird
wenigstens durch die Anstekung vom Samen aus auch nicht eine einzige brandige Aehre
zum Vorscheine kommen. Einige sind der Ansicht, daß der Brand auch noch durch andere
Ursachen, als durch das Saatkorn in die Saaten gelangen koͤnne; ich
meinerseits muß jedoch gestehen, daß mir weder bei meinem Oekonomiebetriebe, noch
bei meinen vielen Versuchen irgend eine Thatsache bekannt wurde, die mich zu einer
solchen Annahme berechtigt haͤtte; so daß ich vielmehr glaube, daß alle die
Thatsachen, aus denen man hierauf schließen zu koͤnnen glaubte, lediglich der
Unvollstaͤndigkeit der bisher beim Kalken befolgten Methoden zuzuschreiben
sind.