Titel: | Ueber die Ableitung übelriechender und für die Gesundheit nachtheiliger Flüssigkeiten in unterirdische Wasserströmungen. |
Fundstelle: | Band 60, Jahrgang 1836, Nr. XVII., S. 59 |
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XVII.
Ueber die Ableitung uͤbelriechender und
fuͤr die Gesundheit nachtheiliger Fluͤssigkeiten in unterirdische
Wasserstroͤmungen.
Aus dem Journal des connaissances usuelles. December
1835, S. 277.
Chevallier, uͤber die Ableitung uͤbelriechender
Fluͤssigkeiten.
Ein in mehreren Journalen erschienener Artikel uͤber die Anwendung der
artesischen Brunnen zur Beseitigung mancher schaͤdlichen, inficirenden
Fluͤssigkeiten, die sich an verschiedenen Orten in bedeutender Menge
ansammeln und ungesunde Duͤnste ausstoßen, veranlaßt mich zu einigen
Bemerkungen, theils um mir einige neue Anwendungen dieser Methode zu sichern, theils
aber auch um mich gegen den Tadel zu schuͤzen, der mir wegen meiner
fruͤher uͤber diesen Gegenstand geaͤußerten Meinung zu Theil
wurde. Der fragliche Artikel lautet folgender Maßen:
„Schon seit langer Zeit bestehen in Paris in Folge herkoͤmmlicher
Gewohnheiten oder industrieller Beduͤrfnisse an verschiedenen Punkten
bedeutende Anhaͤufungen verdorbener schaͤdlicher
Fluͤssigkeiten, welche die Behoͤrden ungeachtet aller
Nothwendigkeit, die sie wohl einsahen, wegen der hiezu erforderlichen Arbeiten
und Kosten nicht wegzuschaffen im Stande waren. Die haͤufigere Anwendung
der artesischen Brunnen fuͤhrte jedoch auf die Idee, daß es nicht bloß
moͤglich seyn duͤrfte, durch Bohren unterirdisches Wasser an die
Oberflaͤche empor zu schaffen, sondern daß man durch noch tieferes Bohren
wahrscheinlich Abzugscanaͤle fuͤr mancherlei
Fluͤssigkeiten, von denen man sich zu entledigen wuͤnscht,
eroͤffnen koͤnnte. Man erkannte jedoch bald, daß die zu lezterem
Behufe bestimmten artesischen Brunnen um Vieles unter die der
Erdoberflaͤche zunaͤchst gelegenen Wasserschichten hinabreichen
muͤßten, damit die benachbarten Brunnen nicht dadurch inficirt werden
koͤnnten; und daß die absorbirenden Brunnen uͤberdieß mit
gußeisernen Roͤhren ausgekleidet seyn muͤßten, damit alle
Beruͤhrung der Fluͤssigkeiten mit den verschiedenen Schichten,
durch welche sie zu gehen haͤtten, verhuͤtet wuͤrdeIch habe in einer niedergesezten Sanitaͤtscommission nicht bloß
diese gußeisernen Roͤhren verlangt, sondern auch gezeigt, wie
nothwendig es ist, diese Roͤhren vor ihrer Anwendung in
geschmolzenes Fett zu tauchen, und hierauf mit einer Schichte Theer zu
uͤberziehen.A. d. O.“
„Mehrere Versuche wurden in dieser Hinsicht in Villetaneuse, an dem
Schindanger in Bondy, in Saint-Mandé und in Bicêtre
angestellt, und zwar mit guͤnstigem Erfolge. In Bondy reicht der
absorbirende Brunnen auf eine Tiefe von 300 Fuß hinab; er ist im Stande
innerhalb 24 Stunden 100 Cubikmeter Wasser zu verschlingen. In Bicetre erhielt
man dieselben Resultate, und zugleich uͤberzeugte man sich beim Graben
dieses Brunnens, daß sich in der Nachbarschaft von Bicetre unterirdische
Waͤsser befinden, welche sich uͤber das Niveau der Biévre
erheben, und durch welche also die Wassermasse dieses Fluͤßchens
bedeutend vermehrt werden koͤnnte.
„Das Gelingen dieser Versuche veranlaßte die Staatsverwaltung auch an
anderen Orten solche absorbirende Brunnen zu errichten. So wurde einer derselben
an der Barriere du Combat gebohrt, und an diesem stellte man am 15. November v.
J. Versuche mit 24 großen Faͤssern Kothjauche an, die von Montfaucon
dahin gebracht worden waren. Paris liegt 80 Meter uͤber der
Meeresflaͤche; die absorbirenden Brunnen und namentlich jener an der
Barriere du Combat haben angeblich 120 Meter Tiefe. Die 24 Faͤsser
Kothjauche waren in weniger als 25 Minuten verschlungen, so daß also auf 24
Stunden 1440 Kubikmeter kommen.
„Diese neue Erfindung kann zwar allerdings Nachtheile haben, welche die
Erfahrung ausmitteln und ans Tageslicht bringen wird; da es jedoch
wahrscheinlich ist, daß dieselbe auch der Gegenstand von Privatspeculationen
werden duͤrfte, bei denen man nicht immer die gehoͤrige Vorsicht
erwarten darf, so werden wohl eigene Verordnungen hieruͤber erscheinen.
Einstweilen ist gewiß, daß sie schon gegenwaͤrtig außerordentliche
Vortheile gewaͤhrt.“
Der fragliche Gegenstand wurde bereits schon fruͤher bei Gelegenheit des
Vorschlages zur Errichtung eines artesischen Brunnens, der die Gewaͤsser der
Waschhaͤuser von Thiais verschlingen sollte, vor einer
Sanitaͤtscommission zur Sprache gebracht. Ich druͤkte mich damals im
Maͤrz 1834 mit folgenden Worten aus.
„Man hat als sanitaͤtspolizeiliche Maßregel vorgeschlagen zwischen
Choisy und Thiais einen Brunnen zu bohren, der die große Masse der in lezterer
Gemeinde erzeugten schmuzigen Waͤsser in eine unterirdische
Wasserschichte ableiten soll. Nach meiner Ansicht kann jedoch dieses Verfahren so große
Nachtheile mit sich bringen, daß dasselbe allerdings einer sorgfaͤltigen
Pruͤfung bedarf. Das Bohren eines Brunnens ist naͤmlich
kostspielig und gelingt nicht immer; angenommen aber auch es gelaͤnge, so
werden auf diese Weise Wasserschichten verunreinigt, welche sich wahrscheinlich
an anderen Punkten als Quellen erheben, und welche folglich nicht mehr
laͤnger zu denselben Zweken verwendet werden koͤnnen, zu denen sie
bisher dienten. Ich halte daher diese Maßregel fuͤr, nachtheilig und
fuͤr eine mit den Sanitaͤtspolizeigesezen im Widerspruche
stehende, wobei ich mich auf Folgendes stuͤze: 1) auf eine in Bicetre
beobachtete Erscheinung, wo man schaͤdliche Waͤsser in einen
großen in aufgelassenen Steinbruͤchen erbauten Brunnen leitete, und wo
diese Waͤsser sich endlich nach Außen Luft machten, und einen Theil der
Brunnen der Gemeinde von Gentilly verpesteten; und 2) auf die Erscheinungen,
welche sich im Jahre 1831 beim Graben eines artesischen Brunnens kund gaben,
indem aus demselben die Wurzeln und Ueberreste mehrerer Sumpfpflanzen zum
Vorscheine kamen; zum Beweise, daß diese Waͤsser nicht durch Filtration
unter die Erde gekommen waren. Wuͤrde man in allen Gemeinden, in denen
man keine anderen leichten Abflußcanaͤle fuͤr die verunreinigten
schaͤdlichen Fluͤssigkeiten hat, solche absorbirende Brunnen
graben, so wuͤrde man dadurch hoͤchst wahrscheinlich viele andere
Quellen und anderwaͤrts gebohrte artesische Brunnen
verunreinigen.“
Diese meine Meinung wurde damals von einem meiner Collegen, den ich sehr
hochschaͤze, bekaͤmpft; allein alle von ihm angefuͤhrten
Gruͤnde konnten mich nicht uͤberzeugen. Denn, woher koͤmmt die
Wasserschichte, in welche man die unreinen Fluͤssigkeiten leiten will? welche
Quantitaͤt Wasser liefert sie? was wird aus ihr, da sie doch nothwendig einen
Ausweg haben muß, indem sie sich bewegt? Alle diese Fragen sind noch unbeantwortet,
und doch scheint es mir, daß sie nothwendig erledigt seyn muͤssen, bevor man
eine groͤßere Menge solcher Abzugsbrunnen graͤbt; und daß man sich
nothwendig durch die Erfahrung uͤberzeugt haben muß, ob nicht einige Quellen
oder neuere artesische Brunnen in Folge solcher Abzugsbrunnen verunreinigt
wurden.
Meine Meinung ist offen die, daß die artesischen Brunnen, wenn keine von den eben
erwaͤhnten Nachtheilen zu befuͤrchten sind, in Hauptstaͤdten
und uͤberhaupt in groͤßeren Staͤdten, mit großem Vortheile
fuͤr die Gesundheit, fuͤr die Hausbesizer und fuͤr die
Landwirthschaft als Abzugscanaͤle benuzt werden koͤnnen. Fuͤr
die Gesundheit koͤnnte ein großer Vortheil daraus erwachsen; denn man
koͤnnte 1) in groͤßeren Anstalten, wie z.B. in Casernen,
Spitaͤlern, Invalidenhaͤusern etc., sogenannte Abtritte á la Gourlier errichten, und den Urin, der sich von den festen
Substanzen abscheidet, durch einen gebohrten Brunnen in eine unterirdische
Wasserschichte ableiten. 2) koͤnnte man in den einzelnen Stadtquartieren auf
aͤhnliche Weise verfahren, und fuͤr je eine bestimmte
Haͤusergruppe gleichfalls einen Abzugsbrunnen fuͤr den Urin und andere
inficirende Fluͤssigkeiten herstellenMan koͤnnte zwar hiegegen einwenden, daß diese Maßregel in
gegenwaͤrtigem Augenblike unthunlich seyn wuͤrde; allein
dagegen erinnern wir, daß man bei Sanitaͤtsmaßregeln in einer
groͤßeren Stadt nicht bloß auf das, was sogleich geschehen kann,
sondern auch auf das, was sich in der Folge ausfuͤhren laͤßt,
Ruͤksicht nehmen muͤsse. Uebrigens werden ja von Zeit zu Zeit
auch ganze Straßen neu gebaut, und in solchen Faͤllen waͤre
das fragliche Verfahren in Anwendung zu bringen, indem man die
Hauseigenthuͤmer aufforderte so zu bauen, daß die aus den
Schwindgruben ablaufenden Fluͤssigkeiten sich in einen in der Mitte
anzubringenden Brunnen verloͤren. Die Eigenthuͤmer
wuͤrden sich einer solchen Weisung gern unterziehen, indem es
erwiesen ist, daß in den Schwindgruben auf eine sehr geringe Menge fester
Substanzen eine große Menge Fluͤssigkeiten enthalten ist, und indem
der Eigenthuͤmer mithin eine weit geringere Ausgabe fuͤr
Reinigung zu bestreiten haͤtte.. 3) endlich ließen sich auf diesem Wege die Kloaken beseitigen, welche der
Gesundheit oft so nachtheilig werden. Fuͤr die Hauseigenthuͤmer
wuͤrde sich der Vortheil daraus ergeben, daß die Reinigungskosten geringer
wuͤrden, indem in den Schwindgruben nur feste Substanzen blieben, die sich
leicht in diesen selbst in Duͤnger verwandeln ließen, oder die von den
Duͤngerfabrikanten sicher zu guten Preisen aufgekauft werden wuͤrden.
Fuͤr die Landwirthschaft endlich wuͤrde ein bedeutender Vortheil
daraus erwachsen, daß sich schnell und ohne alle schaͤdliche Verpestung der
Luft ein Duͤnger bereiten ließe, der bisher nicht selten großen Theils
verloren geht.
Auf dieses Wenige beschraͤnke ich mich in gegenwaͤrtigem Augenblike;
denn meine Absicht hiebei ist hauptsaͤchlich nur die, die allgemeine
Aufmerksamkeit auf eine Methode zu lenken, welche meiner Ansicht nach von großem
Nuzen werden duͤrfte, die aber doch nicht eher in Ausfuͤhrung gebracht
werden darf, als bis faktisch erwiesen ist, daß keiner der von mir oben
angefuͤhrten Nachtheile daraus entstehen kann. Waͤre dieß der Fall, so
wuͤrde dieß den Staͤrk- und Sazmehlfabriken, den
Schlachthaͤusern, Waͤschereien, Faͤrbereien,
Branntweinbrennereien und vielen anderen Fabriken, in denen man der unreinen
Ablaufwasser schwer loszuwerden weiß, und gegen deren Errichtung gewoͤhnlich
die ganze Nachbarschaft Klagen erhebt, großen Vorschub leisten. Eben so
wuͤrden die permanenten Kloaken, welche gegenwaͤrtig ganze Gemeinden
verpesten, und denen dermalen doch nicht leicht abgeholfen werden kann, auf diesem
Wege leicht zu beseitigen seyn.