Titel: | Ueber das Schwinden der Metalle beim Gießen. Von Karl Karmarsch, erstem Direktor der höheren Gewerbsschule in Hannover. |
Fundstelle: | Band 67, Jahrgang 1838, Nr. LVI., S. 199 |
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LVI.
Ueber das Schwinden der Metalle beim Gießen. Von
Karl Karmarsch,
erstem Direktor der hoͤheren Gewerbsschule in Hannover.
Aus den Jahrbuͤchern des polytechnischen
Instituts in Wien. Bd. XIX. S. 94.
Karmarsch, uͤber das Schwinden der Metalle beim
Gießen.
Wenn ein geschmolzenes Metall in eine Form gegossen wird, so fuͤllt es
dieselbe aus, so lange es im fluͤssigen Zustande bleibt. Beim Erstarren, d.h.
bei dem Uebergange aus dem fluͤssigen Zustande in den festen, erfolgt eine
Veraͤnderung des Volumens, meist eine Zusammenziehung, bei einigen Metallen jedoch (z.B. Gußeisen, Wismuth) eine
Ausdehnung. Durch die fernere Abkuͤhlung
verkleinert sich das Volumen der Gußstuͤke noch um einen gewissen Theil, und
im ganz abgekuͤhlten Zustande ist daher der Guß merklich kleiner, als die
Hoͤhlung der Gießform war. Man nennt diese Verkleinerung das Schwinden, den Betrag derselben das Schwindmaaß
Gußstuͤke von einiger Dike schwinden nicht immer in allen ihren
Theilen gleichfoͤrmig, sondern sinken oft an einer Stelle
vorzugsweise bemerkbar ein, wodurch eine Vertiefung entsteht. In der
Kunstsprache der Gießer heißt diese Erscheinung das Saugen. Einen aͤhnlichen Ursprung haben die
Hoͤhlungen im Inneren mancher Gußstuͤke (z.B. der bleiernen
Gewehrkugeln), welche entstehen, wenn das Innere erstarrt und sich dabei
zusammenzieht, nachdem die Oberflaͤche schon fest geworden ist. und muß darauf bei der Anfertigung von Gußmodellen Ruͤksicht nehmen,
wenn es auf genaue Groͤße eines gegossenen Stuͤks ankommt, wie es z.B.
der Fall ist beim Gießen solcher Koͤrper, welche an sich ein bestimmtes Maaß
haben, oder mit anderen Stuͤken von festgesezter Groͤße zusammenpassen
sollen. Die Modelle muͤssen in solchen Faͤllen um einen entsprechenden
Theil groͤßer gemacht werden, als man den Guß zu erhalten wuͤnscht.
Eine genaue Kenntniß der Groͤße, um welche ein Gußstuͤk schwindet, ist
dann am unentbehrlichsten, wenn die Guͤsse (wie so haͤufig beim Eisen)
keine weitere Bearbeitung erhalten, und also mit dem voͤllig richtigen Maaße
aus der Form kommen muͤssen. Wenn sie dagegen noch befeilt oder abgedreht
werden, so reicht eine annaͤhernde Bestimmung des Schwindmaaßes allerdings
hin, da der Groͤße ohnehin etwas zugegeben werden muß, um jene Bearbeitung zu
gestatten. Es muß in solchen Faͤllen nur darauf gesehen werden, daß der Guß
nicht gar zu groß ausfaͤllt, weil sonst unnoͤthiger Aufwand von Zeit,
Muͤhe und Werkzeugen bei der Ausarbeitung erforderlich wuͤrde.
Die Groͤße des Schwindens haͤngt von folgenden Umstaͤnden
ab:
1) Von der Beschaffenheit des Metalls. Nicht nur jedes Metall beobachtet
in dieser Beziehung ein eigenthuͤmliches Verhalten, sondern die
groͤßeren oder geringeren Verschiedenheiten, welche so oft bei dem
naͤmlichen Metalle vorkommen, sind hier von merklichem Einflusse, wie z.B.
die verschiedenen Sorten des Gußeisens. Bei Metallmischungen ist natuͤrlich
das Mengenverhaͤltniß der Bestandteile von großer Bedeutung.
2) Von der Temperatur des Metalles beim Gießen. Wenn das
Metall bedeutend uͤber seinen Schmelzpunkt erhizt ist, so zieht es sich schon
durch die Abkuͤhlung im fluͤssigen Zustande zusammen, hierauf durch
das Erstarren, und endlich noch durch das Ab kuͤhlen im festen Zustande. Je
heißer demnach gegossen wird, desto groͤßer ist das Schwinden. Dieser Umstand
kann durch den Kopf oder Anguß selten verhindert werden, weil dieser wegen seiner
geringen Dike gewoͤhnlich fruͤher erstarrt, und dann nicht durch
Nachsinken die entstehende Leere auszufuͤllen vermag.
3) Von der Gestalt der Gußstuͤke.
Gegenstaͤnde, welche vermoͤge ihrer Gestalt mehr freien Raum haben,
sich zusammen zu ziehen, schwinden mehr als andere; so ein Ring mehr als eine
massive Scheibe von gleichem Durchmesser (vorausgesezt, daß das Material der Form
etwas nachgeben kann, wie dieß beim Sande der Fall ist). Diese Erscheinung hat
offenbar darin ihren Grund, daß der aͤußerste Umfang, welcher uͤberall
mit der Form in Beruͤhrung ist, zuerst, und zwar in einem Augenblike
erstarrt, wo die inneren Theile noch fluͤssig sind, und daher die
Zusammenziehung der aͤußeren erschweren, ja zum Theile verhindern.
4) Von der Beschaffenheit der Gießform. Ist diese einiger
Maßen weich und nachgiebig, so dehnt der Druk des Metalls ihre Hoͤhlung
leicht ein wenig aus, und der Guß faͤllt – ohne, streng genommen,
weniger zu schwinden – groͤßer aus. So werden Guͤsse in
feuchtem Sande etwas groͤßer als (nach den naͤmlichen Modellen) in
getroknetem Sande oder in Lehm. Formen aus lezteren beiden Materialien liefern auch
schon darum kleinere Guͤsse, weil sie selbst beim Troknen in gewissem Grade
schwinden, und die Hoͤhlung kleiner zuruͤklassen als das Modell war.
Hohle Stuͤke, welche uͤber einem Kern gegossen werden, schwinden
weniger als massive, weil der Kern sich der Zusammenziehung widersezt.
Ueber das Schwindmaaß der verschiedenen Metalle sind Zahlenangaben nicht bekannt,
ausgenommen in Beziehung auf das Gußeisen. Fuͤr einige andere Metalle habe
ich durch Versuche eine wenigstens annaͤhernde Bestimmung zu erlangen
gesucht.
1) Gußeisen. Nach Karsten
betraͤgt das Schwinden des Gußeisens zwischen 1/95 und 1/98 der linearen
Abmessungen, und kann im
Mittel fuͤr gutes graues Eisen auf 1/96 angenommen werden, wiewohl jede
Gießerei das Schwindmaaß nach eigenen Beobachtungen an ihrem Eisen auszumitteln hat.
Weißes Eisen schwindet mehr als graues. Bei der Anfertigung von Gußmodellen nach
Zeichnungen bedient man sich eines eigenen Maaßstabes, welcher auf einer Seite das
gewoͤhnliche Maaß, auf der anderen Seite das um die Schwindung
vergroͤßerte Maaß enthaͤlt; mit ersterem wird die Zeichnung, mit
lezterem das Modell gemessen. Betraͤgt z.B. das Schwinden 1/97, so nimmt man,
um das vergroͤßerte Maaß zu erhalten, fuͤr jeden Fuß 12 1/8 Zoll des
wahren Maaßes, und theilt diese Laͤnge in 12 Zoll u.s.w. ein.
2) Messing. Das Messing schwindet bedeutend mehr als das
Eisen, doch ist, nach den oben angegebenen Umstaͤnden, das Schwindmaaß sehr
verschieden. Ich habe mehrere Gußstuͤke von verschiedener Gestalt und
Gloͤße, theils in Sand, theils in Lehm gegossen, mit den zum Einformen
angewendeten Modellen genau verglichen, und die Abmessungen in folgender Uebersicht
zusammengestellt, wobei freilich ein kleiner Theil des Schwindens auf Rechnung der
Verkleinerung kommt, welche die Formen beim Troknen erlitten haben. Die Maaße sind
in Sechzehnteln eines Zolls angegeben:
Textabbildung Bd. 67, S. 201
Dimensionen; des Modells; des
Gusses; Schwindmaaß
Wenn es sich um eine mittlere Bestimmung handelt, so wird man dafuͤr etwa 1/65
bis 1/60 annehmen koͤnnen.
3) Bronze. Die Mischung aus Zinn und Kupfer schwindet im
Allgemeinen nicht so stark als Messing, und desto weniger, je weniger sie Zinn
enthaͤlt.
a) Glokenmetall, aus 100
Theilen Kupfer und 18 Theilen Zinn:
Textabbildung Bd. 67, S. 202
Maaß des Modells; Maaß des Gusses;
Schwindmaaß.
b) Kanonenmetall, aus 100
Theilen Kupfer und 12 1/2 Theilen Zinn:
Textabbildung Bd. 67, S. 202
Maaß des Modells; Maaß des Gusses;
Schwindmaaß
4) Zink, Blei, Zinn, Wismuth. Aus diesen Metallen wurden
quadratische Staͤbchen in einem offenen eisernen Eingusse gegossen, dessen
Vertiefung sehr scharfwinkelig gearbeitet war, so daß die Staͤbe eine genaue
Messung zuließen. Die Laͤnge der Vertiefung betrug, als der Einguß zum Gießen
erhizt war, 129 3/4 Theile; die Staͤbe zeigten erkaltet folgende
Laͤngen:
Textabbildung Bd. 67, S. 202
Schwindmaaß; Zink; Blei; Zinn;
Wismuth; heiß gegossen; kuͤhl gegossen
Das Schwinden ist, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, die Wirkung zweier Ursachen,
welche einander unterstuͤzen oder auch theilweise aufheben koͤnnen:
lezteres in jenen Faͤllen, wo ein Metall beim Festwerden sich ausdehnt.
Metalle werden deßhalb am meisten schwinden, wenn sie sich beim Erstarren und beim
nachfolgenden Abkuͤhlen stark zusammenziehen; am wenigsten hingegen, wenn sie
sich beim Erstarren ausdehnen, beim Abkuͤhlen wenig zusammenziehen.
Fuͤr die praktische Gießerei ist das Schwinden in zwei Hinsichten wichtig: 1)
wegen genauer Vorausbestimmung der Groͤße der Guͤsse; 2) wegen der
Schaͤrfe der Guͤsse. Ein Metall koͤnnte denkbarer Weise stark
schwinden und dennoch gut die Eindruͤke der Form annehmen, wenn
naͤmlich das Schwinden hauptsaͤchlich oder ganz auf Rechnung des
Erkaltens kaͤme, wo die Zuͤge oder Verzierungen auf dem Gusse schon da
sind und nur sich verkleinern, ohne stumpf zu werden. Dieser Fall wird
hauptsaͤchlich bei strengfluͤssigen Metallen eintreten koͤnnen,
die von dem hochliegenden Schmelzpunkte an bis zum gaͤnzlichen Erkalten
natuͤrlich eine starke Zusammenziehung erleiden. Umgekehrt kann ein wenig
schwindendes Metall stumpfe Guͤsse liefern, wenn das Schwinden zum großen
Theile schon beim Erstarren Statt findet, und die Zusammenziehung beim Erkalten nur
gering ist (wie bei leichtfluͤssigen Metallen).
Diese Bemerkungen sollen durch folgende Auseinandersezung erlaͤutert
werden.
1) Gußeisen. Nach Daniell liegt
der Schmelzpunkt des Gußeisens bei 1224° R. Die lineare Ausdehnung kann nach
den Untersuchungen von Roy zu 0,00001387 fuͤr
jeden Grad R. genommen werden, was fuͤr 1224° betraͤgt
0,01697688; oder nahe 1/59; das nach dem Schmelzen eben erstarrte Gußeisen muß sich
folglich um 1/60 bis zum gaͤnzlichen Erkalten zusammenziehen, wobei (freilich
gegen die Erfahrung, doch ohne Nachtheil fuͤr das Wesentliche der
Betrachtung) die Ausdehnung als gleichfoͤrmig bei allen Temperaturen
angenommen ist. Nun lehrt die Beobachtung, daß das Schwinden des Gußeisens nur etwa
1/96 betraͤgt, mithin bedeutend geringer ist, als die eben berechnete
Zusammenziehung beim Erkalten. Man muß hieraus schließen, daß das Eisen im Erstarren
selbst sich ausdehnt; und die Erfahrung bestaͤtigt
dieß, da man weiß, daß auf schmelzendem Gußeisen die noch ungeschmolzenen
Stuͤke desselben Eisens schwimmen, folglich das Metall im festen Zustande
(aber bis nahe zum Schmelzpunkte erhizt) specifisch leichter ist, als im
geschmolzenen Zustande. Laͤßt man die oben aufgestellten Zahlen gelten, so
muß die Ausdehnung des erstarrenden Eisens 36/5664 oder nahe 1/157 betragen. Mißt
naͤmlich bei dieser Voraussezung die Hoͤhlung in der Gießform 5664
Theile in der Laͤnge, so verlaͤngere sich das Gußstuͤk um 36,
d.h. auf 5700 Theile, welche dann, um 1/60 beim Abkuͤhlen sich
zusammenziehend, zulezt noch ein Maaß von 5605 Th. hinterlassen. Diese 5605 sind
aber 95/96 von der zu 5664 angenommenen Dimension der Form, und daher hat das
wirkliche Schwinden nur 1/96 betragen. Vermoͤge seiner Ausdehnung beim
Erstarren liefert das Eisen, weil es gewaltsam in die kleinsten Vertiefungen der
Form hineindringt, so aͤußerst scharfe und vollkommene Abguͤsse.
2) Messing. Die Schmelzhize desselben ist im Mittel auf
730° R. anzunehmen; die lineare Ausdehnung betraͤgt (nach Smeaton) 0,001875 fuͤr den Temperaturunterschied
von 0° bis 80° R., folglich 0,00002344 fuͤr jeden Grad, oder
0,0171112 = etwa 1/59 oder 1/58 bis zum Schmelzpunkte, von wo also die
Zusammenziehung beim Erkalten ungefaͤhr 1/60 betraͤgt, wie beim Eisen.
Dieß kommt der mittleren Schwindung des Messings so nahe, daß offenbar keine, oder
nur eine sehr unbedeutende Ausdehnung des Messinggusses durch das Erstarren
angenommen werden kann. Deßhalb liefert auch das Messing stets viel minder scharfe
Abguͤsse als das Eisen.
3) Zink. Der Schmelzpunkt dieses Metalls faͤllt auf
329° R. Von 0° bis 80° dehnt sich das Zink (nach Horner) um 0,002968, folglich bis zum Schmelzen um
0,012206, d.h. 1/82 aus. Die Zusammenziehung waͤhrend des Erkaltens
betraͤgt demnach 1/83. Da das Schwinden aber auf 1/62 steigt, so folgt, daß
schon durch die Erstarrung eine Volumsverminderung eintreten muß, welche man in der
That beim Gießen sehr deutlich bemerkt. Auch Marx hat
dieß beobachtet. Die Zusammenziehung des erstarrenden Zinks ist um so
merkwuͤrdiger, als die starke Krystallisation gerade das Gegentheil vermuthen
lassen sollte. Zink kann demnach keine scharfen Guͤsse liefern. Berechnet man
aus vorstehenden Daten die Zusammenziehung beim Erstarren, so findet man sie =
1/242; ziehen sich naͤmlich 5084 Laͤngentheile, die das Metall im
fluͤssigen Zustande einnimmt, durch die Erstarrung auf 5063, und diese durch
das folgende Abkuͤhlen auf 5002 zusammen.
4) Blei. Da das Blei von 0° bis 80° um
0,002902 (nach Horner) sich ausdehnt, so kann seine
Ausdehnung bis zum Schmelzpunkte (258° R.) auf 0,009359 = 1/107 angenommen
werden, oder die Zusammenziehung durch das Erkalten auf 1/108. Die Schwindung
betraͤgt 1/92, und es scheint daher schon durch das Erstarren eine
Verkleinerung, wenigstens keine Ausdehnung, Statt zu finden. Andere Beobachtungen
stimmen damit uͤberein.
5) Zinn. Horner fand die Ausdehnung des Zinns von
0° bis 80° = 0,002093, was bis zur Schmelzhize (182° R.)
0,0047616 oder 1/210 betraͤgt. Die Zusammenziehung durch das Erkalten ist
demnach = 1/211; und da das Schwinden im Durchschnitte 1/147 betraͤgt, so muß
nothwendig schon das Erstarren eine Verkleinerung des Volumens hervorbringen. Daher
erhaͤlt man von Zinn, ungeachtet es sehr wenig schwindet, keine sehr scharfen
Abguͤsse.
6) Wismuth. Von 0° bis 80° betraͤgt
die Ausdehnung des Wismuths (nach Smeaton) 0,00139167,
folglich bis zu 199°, wo es schmilzt, 0,00346178 oder 1/289. Die
Zusammenziehung, welche vom Erkalten allein herruͤhrt, ist demnach = 1/290. Hiemit stimmt die
Schwindung (1/265) so nahe uͤberein, daß man beide fuͤr gleich ansehen
darf. Dieß beweißt, daß beim Erstarren des Wismuths keine Zusammenziehung Statt
findet. Ob im Gegentheile eine Ausdehnung eintritt, konnte bei dem Gießen in einer
unnachgiebigen eisernen Form nicht an der Laͤnge der Staͤbe bemerkbar
werden. Versuche Anderer lassen jedoch keinen Zweifel daruͤber.