Titel: | Auszug aus dem Berichte, den Hr. Amédée Durand über die von Hrn. Hennecart in Paris, rue Neuve St. Eustache No. 5, fabricirten Seidengaze für die Beutelkasten der Mühlen erstattete. |
Fundstelle: | Band 69, Jahrgang 1838, Nr. XCVI., S. 422 |
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XCVI.
Auszug aus dem Berichte, den Hr. Amédée Durand
uͤber die von Hrn. Hennecart in Paris, rue
Neuve St. Eustache No. 5, fabricirten Seidengaze fuͤr die Beutelkasten
der Muͤhlen erstattete.
Aus dem Bulletin de la Société
d'encouragement. Junius 1838, S. 199.
Ueber Hennecart's Seidengaze fuͤr Beutelkasten.
Die Fortschritte, welche die Kunst das Getreide zu mahlen, machte, verdanken wir
großen Theils einem genauen Studium der Zusammensezung und des Baues der
Getreidekoͤrner; denn hieraus erhellte die Wichtigkeit und die
Moͤglichkeit der Scheidung der verschiedenen Mehlsorten, und von diesem
Standpunkte ausgehend, macht man dieselben Steine, die fruͤher das Getreide
ohne Unterschied zerquetschten und zerrieben, zu Vorrichtungen, die es nunmehr mit
einer gewissen Auswahl anzugreifen im Stande sind. Waͤhrend man in
fruͤhesten Zeiten durch das Mahlen nur ein einziges Product aus dem Getreide
zu erzielen wußte; waͤhrend man noch vor dreißig Jahren nur Mehl und Kleien
kannte, erzielt man dermalen mit denselben Steinen aus demselben Getreide 8 bis 10
verschiedene Producte! Man nennt die altere Methode, welche noch dermalen in vielen
Gegenden gebraͤuchlich ist, und bei der die Getreidekoͤrner nur ein
einziges Mal zwischen die Muͤhlsteine gebracht werden, die
Grobmuͤllerei (mouture à la grosse); die
neuere dagegen, bei welcher der Mahlproceß auf mehrere Male vollbracht wird, wobei
man inzwischen jedes Mal beutelt, wegen der hiebei sich ergebenden groͤßeren
Production, die Sparmuͤllerei (mouture
économique). Bei lezterer gelangen die Koͤrner zwischen
Steine, welche immer naͤher und naͤher gestellt, und dafuͤr
immer weniger und weniger scharf werden.
Um den Zwek, den man hiebei beabsichtigt, und den man auch wirklich vollkommen
erreicht, gehoͤrig aufzufassen, muß man einen Blik auf die Structur des
Weizenkornes werfen. Dasselbe besteht naͤmlich, vom Standpunkte des
Muͤllers aus betrachtet, aus drei verschiedenen Elementen: aus der
Huͤlle oder Kleie, welche man so frei von Mehl als moͤglich und unter
dem moͤglich groͤßten Volumen zu erhalten suchen muß; aus jenem Theile
des Kernes, der die geringste Consistenz hat, sich unmittelbar unter der Kleie
befindet, und der gepulvert das eigentlich sogenannte Weizenmehl liefert; und
endlich in der Mitte aus einem harten, hornartigen, durchscheinenden Koͤrper,
der zerdruͤkt das gekoͤrnte Weizenmehl (semoule) und in Pulver verwandelt, das Gruͤzenmehl gibt.
Die verschiedene Behandlung, der diese drei Elemente von Seite der Steine unterliegen
muͤssen, beruht auf der Ungleichheit des von ihnen gebotenen Widerstandes.
Haͤtte das Weizenkorn bei der Verschiedenheit der Elemente, aus denen es
besteht, durchaus gleiche Cohaͤsion oder Haͤrte, so waͤre es
nicht moͤglich es mit dem Muͤhlsteine auf verschiedene Weise
anzugreifen. Hieraus erhellt, warum der rohe Weizen, als den groͤßten
Widerstand darbietend, von scharfen und frisch behauenen Steinen angegriffen werden
muß, und warum die Steine einander nicht zu nahe stehen duͤrfen, wenn der
mittlere Theil der Koͤrner oder die Gruͤze unbeschaͤdigt
bleiben soll. Durch die erste Einwirkung des Muͤhlsteines wird die
Huͤlle bloß zerrissen, es wird ihr die groͤßte Entwiklung gegeben, und
man erzeugt also die groͤbste Kleie. Da sich unmittelbar unter dieser
Huͤlle jener Theil des Kernes befindet, der am wenigsten Widerstand leistet,
so wird dieser leicht in Mehl verwandelt. Dieses Mehl, welches wie gesagt das
eigentliche Weizenmehl ist, wird durch das Beuteln abgeschieden; als
Ruͤkstand bleibt hiebei Kleie, welche noch einige Mehltheile enthaͤlt,
und Gruͤze. Bei einem zweiten Durchlaufen durch minder scharfe aber
naͤher stehende Steine und durch ein abermaliges Beuteln erzielt man das
erste Gruͤzenmehl; und dieselben Operationen wiederholt geben noch zwei
andere Gruͤzenmehle, jedoch von geringerer Qualitaͤt. Mit Steinen,
welche einander moͤglichst nahe gebracht, aber dafuͤr immer weniger
und weniger geschaͤrft sind, gelingt es der Kleie auf mehrere Male Alles zu
entziehen, was sie noch an Weizenmehl enthalten haben moͤchte; das hiedurch
erzielte Mehl ist von schlechtester Qualitaͤt. Es erhellt, daß bei so
oftmaligem Durchlaufen der Kleientheilchen durch die Steine, dieselben nothwendig
eine Formveraͤnderung erleiden muͤssen, und daß sich durch
Abloͤsung vieler kleiner Theilchen von ihnen eine Art von Kleienmehl bilden
muß, welche von dem zum Verbaken bestimmten Mehle abgeschieden werden muß.
Diese Operationen koͤnnen nur unter Anwendung guter Beutelvorrichtungen
gelingen. Zu diesem Zweke sind nun die von Hrn. Hennecart
verfertigten Seidengaze bestimmt. Nachdem man die Zeuge aus Metalldraht, aus denen
man sonst die Beutel verfertigte, der Raschheit ihrer Arbeit ungeachtet, wegen des
großen Kraftverlustes, den sie bedingten, und wegen der Unvollkommenheit ihrer
Leistungen aufgegeben, nahm man seine Zuflucht zu eigens hiezu fabricirten
Seidenzeugen. Diese Fabrication gehoͤrte im Jahr 1832 Holland an, welches
auch noch dermalen bedeutende Geschaͤfte darin macht; seit 2–3 Jahren
verbreitete sie sich aber in der Schweiz; und in neuester Zeit erstand sie auch im suͤdlichen
Frankreich, wo ihre Fabrikate als Beutelzeuge von Bordeaux bekannt sind. Die
Hollaͤnder- und Schweizerfabricate sind beinahe gleich und
gehoͤren zu den sogenannten Gazen; jene von Bordeaux dagegen sind bloß Zeuge,
die also ohne Schwierigkeit den hoͤchsten Grad von Feinheit erlangen
koͤnnen. Die Gaze unterscheiden sich von den Zeugen dadurch, daß jeder
Einschußfaden an der Kreuzungsstelle von dem Kettenfaden auf unwandelbare Weise
unterstuͤzt ist, so daß also die beim Weben entstehenden Oeffnungen
gleichfalls unveraͤnderlich bleiben. Es wird dieß dadurch erzielt, daß jeder
Kettenfaden aus zwei Faͤden besteht, die sich, obgleich sie in ihrer Richtung
abwechseln, um einander wikeln, und den Einschußfaden bei jedesmaligem Durchlaufen
zwischen sich fixiren. An den Zeugen dagegen liegen die Faͤden nur
uͤber einander, und da sie hiebei nur durch eine Reibung, welche nicht so
groß ist, als daß nicht leicht eine Ortsveraͤnderung moͤglich
waͤre, an Ort und Stelle erhalten werden, so koͤnnen die zwischen
ihnen gelassenen Oeffnungen gleichfalls nicht unveraͤnderlich bleiben. Diese
Zeuge geben daher, wenn man sie als Beuteltuch verwendet, keine gleichen Producte
mehr, sobald ihnen auch nur der geringste Unfall zugestoßen. Hr. Hennecart hatte also, um den Anforderungen Genuͤge
zu leisten, Gaze mit verhaͤkelten Faͤden zu erzeugen, und zwar zum
Behufe der Scheidung der Kleie vom Mehle von moͤglich groͤßter
Feinheit.
Die Scheidung der durch das Mahlen erzeugten Producte beruht auf der Verschiedenheit
des Volumens der Theilchen, aus denen sie bestehen. Eine Beutelvorrichtung ist
nichts weiter als eine Art Sieb; die Groͤße der Oeffnungen dieses Siebes
bedingt die Scheidungslinie zwischen den Koͤrpern, die man je nach ihrem
Volumen von einander scheiden will. Es kommt daher darauf an, daß diese Oeffnungen
unter einander gleich seyen, und daß sie nach allen Richtungen gleiche Dimensionen
haben. Die groͤßte Vollkommenheit waͤre erreicht, wenn sie kreisrund
waͤren. Die Kleientheilchen, welche nur eine geringe Dike, dagegen aber nach
verschiedenen Richtungen sehr verschiedene Dimensionen haben, werden hienach stets
von dem Gaze in der groͤßten dieser Dimensionen gefangen werden, in welcher
Stellung sie der Zufall auch darauf fuͤhren mag. Zu diesen Bedingungen muß,
wenn es sich um Beutelzeuge handelt, auch noch die Reinheit des Umfanges der
Oeffnungen genommen werden; denn da ohnedieß nur ein unfuͤhlbares Mehl
durchgelassen werden soll, so wuͤrde auch der geringste Flaum hinderlich
werden.
Von allen diesen Gesichtspunkten aus betrachtet, erscheinen nun die Fabricate des
Hrn. Hennecart als ausgezeichnet und empfehlenswerth. Sie enthalten auf den
Linearcentimeter nicht nur eine viel groͤßere Anzahl von Oeffnungen, als dieß
an den Fabricaten des Auslandes der Fall ist, sondern deren Zahl betraͤgt
nach der Richtung der Kette 60, nach jener des Einschusses dagegen 50: ein
Unterschied, der von der verschiedenen Dike der angewendeten Faͤden
herruͤhrt. Diese Oeffnungen sind so regelmaͤßig, als sie auf dem
Webstuhle nur erzeugt werden koͤnnen; sie sind ferner ganz flaumlos; und die
Faͤden, aus denen sie bestehen, behalten selbst bei einer bedeutenden, auf
sie einwirkenden Gewalt die ihnen angewiesene Stellung bei. Alle von uns befragten
Muͤhlenbesizer erklaͤren hienach die Beutelgaze des Hrn. Hennecart fuͤr besser als irgend welche des
Auslandes. Frankreich verdankt diesem Manne die Einfuͤhrung eines bisher noch
fuͤr dasselbe neuen Industriezweiges. Durch seine Ausdauer uͤberwand
er nicht nur die Schwierigkeit, die sich dadurch entgegenstellte, daß man im
Auslande das daselbst uͤbliche Verfahren sorgfaͤltig geheim zu halten
sucht; sondern durch sie war er auch im Stande, die zu seiner Fabrikation
noͤthigen Maschinen herzustellen, und die zu deren Bedienung noͤthigen
Arbeiter heranzubilden. Daß dieß keine leichte Aufgabe war, mag man schon daraus
abnehmen, daß bei jedem Einschusse 85,248 Faͤden in einem Raume von 1018
Meter, welches die Breite des Beutelgazes ist, bewegt werden muͤssen! Das
Princip dieser Gewebe war allerdings bekannt, da es jenes der Gaze uͤberhaupt
ist; allein die Mittel, Gewebe von solcher Feinheit und Vollkommenheit herzustellen,
waren es nicht. Wenn man bedenkt, daß das Gelingen der ganzen Operation davon
abhaͤngt, daß man die Schnur einer Lize in dieser oder jener Richtung dreht;
und wenn man in Anschlag bringt, wie schwer es war und welche Kosten es veranlaßte,
um auf einen so kleinen Kunstgriff zu kommen, so wird man die Verdienste des Hrn.
Hennecart zu schaͤzen wissen. Wir schlagen
daher vor, daß ihm die Gesellschaft eine ihrer Auszeichnungen zu Theil werden
lasse.