Titel: | Nachträgliche Bemerkungen über die Verwandlung des Wassers in Dampf bei höheren Temperaturen. Von Hrn. Dr. Carl Schafhäutl. |
Fundstelle: | Band 73, Jahrgang 1839, Nr. XVII., S. 81 |
Download: | XML |
XVII.
Nachträgliche Bemerkungen über die Verwandlung
des Wassers in Dampf bei höheren Temperaturen. Von Hrn. Dr. Carl Schafhäutl.Diese Bemerkungen, welche wir nicht unerwähnt lassen zu dürfen glaubten, leihen
sich unmittelbar an die Abhandlung des Hrn. Dr.
Schafhäutl, welche unsere Leser aus dem polyt. Journal Bd. LXXI. S. 351 kennen. A. d. R.
Aus dem Mechanics' Magazine, No. 808.
Schafhaͤutl, uͤber die Verwandlung des Wassers in
Dampf bei hoͤheren Temperaturen.
Hr. Tomlinson hatte die Güte, mich in einer auf meine
frühere Abhandlung bezüglichen Notiz (Polyt. Journal Bd. LXXI. S. 355) auf einen mir unbekannt
gebliebenen Versuch des Hrn. Perkins zu verweisen. Dieser
Versuch, den er als einen schlagenden Beweis für die Repulsion, welche gewisse
verschiedenartige Körper in der Wärme gegen einander äußern, aufstellt, lautet wie
folgt:
„Wenn man eine Platinschale nach Art eines Theeseihers mit vielen kleinen
Löchern durchbohrt, so wird Wasser, welches in sie gegossen wird, alsogleich und
ohne Aufenthalt von einer Minute durchfließen; bringt man aber die Schale
mittelst eines gehörigen Holzkohlenfeuers, welches keine Flamme erzeugt, zum
Weißglühen, und tropft man dann Wasser in dieselbe, so wird sich dieses in einer
großen Kugel sammeln und ganz dieselben Erscheinungen darbieten, als wenn es
sich in einem undurchlöcherten Platintiegel befände.“
Wenn ich nun meine Ansicht hierüber äußern soll, so scheint mir dieser Versuch nicht
mehr und nicht weniger zu beweisen, als die bekannte Thatsache, daß ein
Wassertropfen in einem glühenden Gefäße nur sehr langsam verdampft.
Die durch unsere Sinne wahrnehmbare Erscheinung ist, daß ein Wasserkügelchen in einem
zum Glühen erhizten metallenen Gefäße nur sehr langsam verdampft. Forschen wir nach
der Ursache dieser langsamen Verdampfung, so ergeben sich uns zweierlei Erklärungen
für dieselbe. Einige schreiben nämlich die langsame Zunahme der Temperatur im
Wassertropfen der Repulsion zu, welche das heiße Metall gegen ihn ausübt; ich
hingegen halte sie für die Folge der Schwierigkeit, mit der sich irgend eine
Flüssigkeit erhizen läßt, wenn man die Wärme auf deren Oberfläche wirken läßt, und
für die Folge der Dampfentwikelung, welche da Statt findet, wo die Flüssigkeit das
erhizte Metall berührt.
In beiden Fällen ist die erhizte Oberfläche das Medium, welches die fragliche Wirkung
hervorbringt, und wo diese erhizte Oberfläche fehlt, fehlt auch die Wirkung. Da nun
eine heiße Metalloberfläche absolut nothwendig ist, so kann ein in dieser
befindliches Loch dieses Medium nicht bieten und keinen Einfluß auf den
Wassertropfen üben. Wenn der Tropfen einen kleineren Durchmesser hat als das Loch,
und wenn er sich in der Richtung der Achse des Loches bewegt, so wird er gewiß durch
das Loch fallen; und dieß wird geschehen, das Gefäß mag heiß oder kalt seyn:
vorausgesezt, daß der Tropfen durch die Strömung der Luft nicht aus der Achse des
Loches gebracht wird. Ist der Tropfen größer als das Loch, so muß er nothwendig mit
der heißen Oberfläche in Berührung kommen, wo dann die Dampfentwikelung und die
Bewegung des Tropfens dieselbe seyn wird, als wenn gar kein Loch vorhanden wäre. Es
ist sogar schwer, einen Wassertropfen durch das Loch einer nicht erhizten Platte zu
drüken, wenn das Loch einen kleineren Durchmesser hat als der Tropfen. Bekanntlich
verfertigt man sich ein Wassermikroskop am leichtesten auf die Weise, daß man durch
eine geschwärzte Platte ein Loch von beiläufig 1/10 Zoll im Durchmesser bohrt, und
daß man einen Tropfen Wasser in dieses Loch fallen läßt. Der Tropfen wird nämlich
hiebei so fest in dem Loche hängen bleiben, daß eine bedeutende Erschütterung der
Platte erforderlich ist, um ihn durchfallen zu machen.
Daß eine Flüssigkeit durch einen Seiher läuft, ist die Folge der Gravitation des
oberen Theiles, welcher auf den unteren Theil derselben drükt, und dadurch die
Cohäsionskraft der Molecule aufhebt. So lange die Cohäsionskraft vorherrscht, wie es
bei einem kleinen Tropfen Wasser stets der Fall ist, wird derselbe nur mit großer
Schwierigkeit durch die zahlreichen Löcher eines reinen trokenen Seihers zu treiben
seyn.
Hr. Perkins führt aber auch noch einen anderen viel mehr
wunderbaren Versuch an, dem gemäß die Repulsivkraft eines zum Rothglühen gebrachten
Cylinders so groß gewesen seyn soll, daß selbst Dampf von mehreren 500 Atmosphären
Druk nicht durch ein in ihn gebohrtes Loch von einem ganzen Achtelzoll im
Durchmesser entweichen konnte. Berzelius, welcher zu den
Anhängern der Lehre von der Repulsion, die zwischen heterogenen Körpern in der Wärme
Statt findet, gehört, glaubt, daß dieser Versuch noch einer weiteren Bestätigung
bedarf, womit ich um so mehr übereinstimme, als alle Attractiv- und
Repulsivkraft der Molecule nur auf unendlich kleine Entfernungen, welche in
Wirklichkeit mit einer wahren Berührung zusammenfallen, ihre Wirkung äußern. Wenn
aber die Angabe des Hrn. Perkins in der That ihre
Richtigkeit hat, so kann auch hier die Ursache in nichts anderem gelegen seyn, als in
der Schwierigkeit, womit Flüssigkeiten durch Canäle, deren Seitenwände nicht von ihr
befeuchtet sind, getrieben werden können. Allein auch hier scheint die Größe des
Loches abermals wieder eine unüberwindliche Schwierigkeit in den Weg zu legen.
Ein anderer weit schwerer zu erklärender Versuch, den Berzelius in seinem Handbuche der Chemie anführt, ist folgender:
„Wenn man an dem Ende eines Platindrahtes etwas Borax oder
Natron-Biphosphat schmilzt, und wenn man das Drahtende später so heiß als
möglich macht, so wird man finden, daß der Tropfen von dem Punkte, an welchem
die Hize am größten ist, zurükweicht; und dieß wird nicht nur der Fall seyn,
wenn man den Draht horizontal hält, sondern auch dann, wenn man ihn so geneigt
hält, daß der Tropfen gezwungen ist, an ihm aufzusteigen.“
Berzelius schreibt dieses Hinaufsteigen der Repulsivkraft
des Platindrahtes zu; allein es ist leicht zu zeigen, daß bei diesem Versuche keine
wirkliche Repulsivkraft thätig ist: denn es ist, um die fragliche Erscheinung zu
erhalten, kein bestimmter Grad von Hize erforderlich; und man kann sie an einem
rothglühenden Drahte eben so gut beobachten wie an einem weißglühenden. Die einzige
Bedingung, auf welche zu achten ist, ist die, daß die beiden Enden jenes Theiles des
Drahtes, womit der Tropfen in Berührung kommt, verschiedene Hizgrade haben müssen,
indem hiedurch allein die fragliche Wirkung bedingt ist. Wenn man den Tropfen und
den Draht mittelst eines Löthrohres auf das Höchste erhizt, dabei aber Sorge trägt,
daß beide Enden des Drahtes eine und dieselbe Temperatur haben, so wird der Tropfen
unbeweglich bleiben; so wie hingegen die Hize ungleich ist, wird sich der Tropfen
bewegen. Besäße der Platindraht wirklich eine Repulsivkraft, so müßte diese in dem
Maaße größer seyn, als sich die Hize steigert; und wenn die Repulsivkraft den
Tropfen in einer seiner Schwerkraft entgegengesezten Richtung zu treiben vermag, so
müßte sie in der Richtung der Schwerkraft eine noch viel größere Wirkung äußern und
in dieser den Tropfen von dem Drahte abstoßen. Es findet aber gerade das Gegentheil
Statt, denn ein weißglühender Draht hält den Boraxtropfen so fest an, daß man ihn
auch durch die heftigste Erschütterung nicht gänzlich davon abzuschütteln vermag.
Weit genügender läßt sich, wie mir scheint, der ganze Versuch durch die
Cohäsionskraft der Molecule eines Tropfens erklären.
Die Cohäsionskraft eines Wassertropfens ist weit größer, als man gewöhnlich meint.
Ein einziger Versuch beweist dieß zur Genüge. Man lasse aus dem Ende eines etwas
weiten, in eine Haarröhre ausgezogenen gläsernen Trichters Wasser tropfen, und einen
der Tropfen, die, wenn
das Wasser im Trichter stets auf gleicher Höhe und der Trichter selbst bewegungslos
erhalten wird, immer gleich seyn werden, zur Ermittelung seines Gewichtes auf eine
empfindliche Waage fallen. Dann seze man den Trichter in den verschiebbaren Ring
eines Gestelles ein, und lasse den Tropfen auf ein Brett fallen, welches mit einer
dünnen Schichte Bärlappsamen bedekt ist. Unter diesen Umständen nun wird man finden,
daß die Tropfen sogleich eine kugelige Gestalt annehmen, ganz so, wie sie sie in
einem weißglühenden Tiegel zu haben Pflegen; und daß sie mit derselben Leichtigkeit
bewegt werden können, obwohl der Bärlappsamen hier keine Repulsivkraft ausübt.
Solche Tropfen nun widerstanden mir einer mit dem Löthrohre sorgfältig auf sie
gerichteten Flamme ebenso lange, als die Tropfen in einem zum Weißglühen erhizten
Platintiegel der Verdampfung widerstanden. Erhebt man den Trichter so lange, bis die
Wassertropfen beim Herabfallen in Folge ihrer Geschwindigkeit in Stüke gehen, und
mißt man die Entfernung zwischen dem Ende des Trichters und dem Brette, auf welches
die Tropfen sielen, so kann man aus dem durchfallend Raume und dem Gewichte der
Tropfen mit Leichtigkeit deren Bewegungsmoment oder die Kraft berechnen, welche zur
Ueberwältigung der Cohäsionskraft der Wassertropfen erheischt wird.
Bei den mit gewöhnlichem Wasser angestellten Versuchen sielen bei 20maliger
Wiederholung die Tropfen, welche genau 0,651 eines Granes wogen, im Durchschnitte 2,
4 Zoll hoch herab, ehe sie in Stüke gingen. Den Raum, den ein Körper in der ersten
Minute durchfällt, zu 16 Fuß angenommen, gibt dieß also 3,062 Fuß als das
Bewegungsmoment des Tropfens, woraus sich ergibt, daß es einer Kraft von 1,993 Gran
bedarf, um die Cohäsionskraft eines einzigen Wassertropfens zu überwältigen, und daß
sich die Kraft der Gravitation zu jener der Cohäsion hier wie 1 zu 3,062
verhält.
Das Boraxkügelchen wird nun selbst von dem heißen Platindrahte angezogen; denn würde
es davon abgestoßen, so würde es schon bei der leisesten Erschütterung von demselben
herabfallen, was nicht der Fall ist. Der Boraxtropfen umgibt vielmehr den Draht, und
dieser läuft gleichsam als eine Art von Achse durch den oberen Theil desselben. Die
Gestalt, welche der Tropfen an dem Drahte annimmt, hängt von drei verschiedenen
Kräften ab: nämlich 1) von der Attractivkraft des Platindrahtes; 2) von der
Cohäsionskraft der Molecule des Tropfens selbst; und 3) von der Gravitation. Ich
versuchte die erste dieser Kräfte zu messen, indem ich das eine Ende des
Platindrahtes fixirte, und das Maaß des Beugungswinkels suchte, welcher erforderlich
war, um den flüssigen Tropfen von ihm, wenn man ihn in schwingende Bewegung versezte, abfallen zu
machen. Da jedoch hiebei stets einige Theile des Tropfens an dem Drahte hängen
blieben, so schloß ich, daß, da die Attractivkraft des Drahtes die Cohäsionskraft
des Tropfens überwältigte, erstere der lezteren zum wenigsten gleichkommen
müsse.
Die drei genannten Kräfte bewirken, wenn sie einander vollkommen das Gleichgewicht
halten, daß der Tropfen eine längliche Form annimmt, deren Längendurchschnitt von
einer parabolischen und einer Kettenlinie begränzt ist, und wo der Draht für beide
eine Abscissenlinie bildet. Wird nun das Gleichgewicht der drei Kräfte dadurch
aufgehoben, daß man den Draht an dem einen Ende erhizt, und daß man hiedurch die
Attractivkraft dieses Drahttheiles theilweise aufhebt, so wird sogleich die
Cohäsionskraft des auf solche Weise frei gewordenen Theiles des Tropfens zu wirken
beginnen, und die Folge wird seyn, daß sich der Tropfen an diesem Ende
zusammenzieht, indem er von dem erhizten Theile des Drahtes zurükweicht. Zu gleicher
Zeit wird das auf solche Weise von den entgegenwirkenden Kräften der zurükweichenden
Hälfte des Kügelchens befreite entgegengesezte Ende des Tropfens durch die
Attractivkraft des anderen weniger heißen Drahtendes vorwärts bewegt, wobei sich der
Tropfen verlängert, bis er seine ursprüngliche Form wieder erlangt und bis hiemit an
einer höher gelegenen Stelle des Drahtes abermals das Gleichgewicht zwischen den
drei genannten Kräften eintritt. Da hieraus klar hervorgeht, daß die
Cohäsions- und Attractionskraft stets eine größere Wirkung äußern als die
Gravitation, so folgt auch ganz natürlich, daß der Tropfen selbst gegen das Gesez
der Schwere an dem Drahte emporsteigen wird.
Die Aufgabe in diesem, wie in allen ähnlichen Fällen ist eine genügende Erklärung von
einer bestimmten Thatsache zu geben, und diese Thatsache beruht in gegenwärtigem
Falle darin, daß ein Tropfen Wasser in einem stark erhizten metallenen Gefäße sich
nur wenig erhizt. Je mehr wir von den Erscheinungen, die sich uns darbieten, nach
bereits bekannten Gesezen zu erklären vermögen, um so mehr gewinnt die Wissenschaft
an Einfachheit und Wahrheit. Ich suchte deßhalb auch den oben angeführten Versuch
durch das schon längst bekannte Factum zu erklären, daß es beinahe unmöglich ist,
flüssige Körper dadurch zu erhizen, daß man Wärme auf deren Oberfläche wirken läßt.
Um sich hievon zu überzeugen, braucht man nur Schwefeläther auf einem Glas Wasser
abzubrennen; denn das Glas Wasser ist hier nichts mehr als ein nach dem Radius
genommener Durchschnitt einer großen Wasserkugel, wobei die Wirkung der übrigen
Theile durch die Wände des Glases vertreten werden. Andererseits sind die Vertheidiger der bei
gewissen heterogenen Körpern in der Wärme eintretenden Repulsion gezwungen, zur
Erklärung der angeführten Erscheinungen eine neue hypothetische Kraft anzunehmen:
nämlich eine Repulsion, welche gewisse heterogene oder ungleichartige Körper bei
allen ihren verschiedenen Aggregationszuständen ausüben, mit der aber die sogenannte
Repulsivkraft des Wärmestoffes in einer homogenen Masse, durch welche man die
Ausdehnung der Körper in der Wärme zu erklären Pflegt, in keinem wissenschaftlichen
Zusammenhange steht.