Titel: | Auszug aus einer Rede des Hrn. Huerne de Pommense, das Zurükbleiben Frankreichs im Baue der Eisenbahnen betreffend. |
Fundstelle: | Band 74, Jahrgang 1839, Nr. XVIII., S. 87 |
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XVIII.
Auszug aus einer Rede des Hrn. Huerne de Pommense, das
Zuruͤkbleiben Frankreichs im Baue der Eisenbahnen betreffend.
Aus dem Bulletin de la Société
d'encouragement. Jul. 1839, S. 241.
Huerne de Pommense, uͤber das Zuruͤkbleiben
Frankreichs.
Ich habe so eben der Discussion der neuen Eisenbahngeseze in der französischen
Deputirtenkammer beigewohnt, und daselbst die schweren Vorwürfe und Anklagen
vernommen, welche man von der Tribune herab gegen die Ingenieurs und Capitalisten
Frankreichs ertönen ließ. Man verglich hiebei Frankreich mit England, und zog eine
für ersteres so erniedrigende Parallele, daß ich mich veranlaßt fühle, der
Gesellschaft einiges hierüber zu bemerken, obwohl ich hiebei unvorbereitet, wie ich
bin, die ganze Nachsicht meiner verehrten Collegen in Anspruch nehmen muß.
Die mit großer Bitterkeit vorgebrachten Vorwürfe betreffen hauptsächlich:
1) die Mangelhaftigkeit der französischen Voranschläge, welche aus einer Versäumniß
vorläufiger tief genug gehender Untersuchungen abgeleitet wurde;
2) die Art von Hartnäkigkeit, mit welcher man bei dem geringen davon zu erwartenden
Nuzen an unüberdachten Untersuchungen festhält;
3) endlich die Unbestimmtheit in Bezug auf die zur Ausführung dienenden Mittel.
Ich habe mir nun bei Gelegenheit der Forschungen, welche ich in England anstellte, um in der
Eisenbahnfrage auf einen sichern Boden zu kommen, Documente gesammelt, aus denen
hervorgeht, daß man den Engländern, obwohl sie eine zwölfjährige Erfahrung für sich
haben, diese Vorwürfe in noch weit höherem Maaße machen kann, als uns.
Was erstlich die Unzulänglichkeit der Kostenanschläge betrifft, so ist officiell
erwiesen, daß vom 1. Januar 1826 bis zum 1. Januar 1839 in dem englischen Parlamente
für nicht weniger als 107 Eisenbahnen, die mit einem bestimmten als genügend
erkannten Capitale bewilligt wurden, Bills zur Erhöhung des Anlage-Capitales
durchgingen, nachdem in jedem einzelnen Falle nachgewiesen worden, daß man ohne eine
solche Erhöhung zum Aufgeben der ganzen Unternehmung gezwungen seyn würde. Ich will
nur folgende Bahnen namentlich anführen.
Die Cheltenham- und Great-Western-Union-Bahn, deren
Capital ursprünglich 750,000 Pfd. Sterl. betrug, endlich aber durch Anlehen auf eine
Million Pfd. Sterl. kam.
Die Clarence-Bahn, deren Anlags-Capital von 100,000 Pfd. Sterl. durch
Anlehen und bewilligte Erhöhung auf 500,000 Pfd. St. anwuchs.
Die Durham-Sunderland-Bahn mit einem Kosten-Anschlage von
102,000 Pfd. St. und einem definitiven Anlags-Capitale von 256,000 Pfd.
St.
Die Grand-Junction-Bahn mit einem Kosten-Anschlage von 1,040,000
Pfd. St. und einem definitiven Anlags-Capitale von 1,906,000 Pfd. St.
Die Great-Western-Bahn, deren ursprünglich angenommenes Capital von
2,500,000 Pfd. St. durch Anlehen auf 3,333,333 Pfd. St. gesteigert werden
mußte.Die Bahngesellschaft bewirbt sich dermalen um die Erlaubniß, noch 1 1/4.
Mill. Pfd. St. in halben Actien ausgeben und ein Drittheil oder 416,666 Pfd.
St. durch Anlehen erheben zu dürfen, wodurch sich das ganze Capital auf 5
Mill. Pfd. St. oder 125 Mill. Francs steigern wird, so daß die Meile zu 4000
Meter auf beinahe 2 Mill. Fr. zu stehen kommen wird! A. d. O.
Die Leeds-Selby-Bahn mit einem ursprünglichen Capitale von 210,000 Pfd.
St. und einem definitiven von 340,000 Pfd. St.
Die Liverpool-Manchester-Bahn, deren Kosten-Anschlag auf 510,000
Pfd. St. lautete, deren Capital aber durch Anlehen und bewilligte Erhöhung auf
1,465,000 Pfd. St. gebracht werden mußte.
Die London-Birmingham-Bahn, deren Kosten-Anschlag von 2 1/2
Millionen sich definitiv auf das Doppelte, nämlich auf 5 Mill. Pfd. St.
steigerte.
Die London-Croydon-Bahn mit einem Kosten-Anschlage von 140,000
Pfd. St., deren Anlags-Capital jedoch auf 575,000 Pfd. St. anwuchs.
Die London-Greenwich-Bahn mit einem Kosten-Anschlage von 400,000
Pfd. St. und einem definitiven Anlags-Capitale von 733,333 Pfd. St.
Die London-Southampton-Bahn mit einem Kosten-Anschlage von 1
Million Pfd. St. und einem definitiven Anlags-Capitale von 1,860,000 Pfd.
St.
Die Manchester-Birmingham-Bahn mit einem Kosten-Anschlage von
2,100,000 Pfd. St. und einem wirklichen Anlags-Capitale von 2,800,000 Pfd.
St.
Die Manchester-Boston-Bury-Bahn mit einem
Kosten-Anschlage von 204,000 Pfd. St. und einem wirklichen
Anlags-Capitale von 650,000 Pfd. St.
Die Newcastle-upon-Tyne- und Carlisle-Bahn mit einem
Kosten-Anschlage von 300,000 Pfd. St. und einem wirklichen
Anlags-Capitale von 650,000 Pfd. St.
Die Sheffields-Manchester-Bahn mit einem Kosten-Anschlage von
500,000 Pfd. St. und einem definitiven Anlags-Capitale von 706,000 Pfd.
St.
Die Gesammtsumme des Anlage-Capitales der durch das Parlament bewilligten 107
Eisenbahnen, von denen wir hier nur die Vorzüglicheren angeführt haben, belief sich
den für sie ertheilten Bills gemäß auf
41,610,814 Pfd. St.
Erhöht wurde dieses Capital durch
bewilligte Anlehen um
16,177,630 –
–
––––––––––––––––
Gibt also in Summa
57,788,444 Pfd. St.
Aus diesen officiellen Documenten entnommenen Daten geht hervor, daß, was die den
französischen Ingenieurs vorgeworfene Mangelhaftigkeit der Kosten-Anschläge
betrifft, England Frankreich wenigstens gleichsteht.
Was den Vorwurf der Unüberlegtheit der Unternehmungen und die nothwendig hiedurch
bedingte Täuschung in Bezug der gehegten Hoffnungen und erwarteten Einkünfte
anbelangt, so kann man auch ihm nicht minder gewichtige Bemerkungen entgegenstellen.
Von den 107 der durch Parlaments-Bills genehmigten Bahnen sind ungeachtet der
für sie gemachten Anlehen erst 11 beendigt; nur von 46 werden die Curse an der Börse
notirt, und die übrigen 61 haben noch gar keinen Curs. Unter den 46, deren Actien
einen Curs haben, sind aber nur die 9 in nachstehender Tabelle aufgeführten, deren
Actien über Pari, d.h. über dem Preise, zu dem sie ausgegeben wurden, stehen; die übrigen 37
stehen unter Pari, und unter diesen 37 sind nicht weniger als 16, deren Curs nur
zwischen der Hälfte und dem Drittheile der Einzahlungssumme steht!
Textabbildung Bd. 74, S. 89
Namen der Bahnen; Ursprünglicher
Preis der Actien; Dermaliger Curs der Actien; Länge in Lieues zu 4000 Meter;
Bemerkungen; Chester-Birkenheat; Grand-Junction;
Great-Western; Liverpool-Manchester; Leicester-Swannington;
London-Birmingham; Manchester-Leeds; Newcastle-Carlisle;
Stockton-Darlington; Es fahren auf ihr jährlich mehr als 500,000
Personen; Sie verbindet London mit Bristol; Sie verdankt ihre Errichtung der
Ueberladung des Canales des Herzoges von Bridgewater, auf welchem jährlich gegen
2 Mill. Tonnen verfahren wurden, und der für den Verkehr nicht mehr ausreichte;
Es fahren auf ihr jährlich gegen 500,000 Passagiere, die den Hauptertrag geben,
und auf welche bei der Anlage gar nicht gerechnet worden; Es fahren auf ihr
jährlich gegen 500,000 Personen; ihre Errichtung verdankt sie aber hauptsächlich
der Ueberfüllung des Canales von Birmingham, auf dem jährlich 3 Mill. Tonnen
Güter verfahren werden; Auf ihr werden jährlich gegen 500,000 Ton. Steinkohlen
verfahren
Hieraus erhellt zur Genüge, daß in England das Verhältniß, in welchem die
Eisenbahnen, die den Hoffnungen der Unternehmer entsprachen, zu jenen, die ihnen
nicht entsprachen, stehen, wahrlich kein günstigeres ist, als in Frankreich.
Was endlich den dritten Vorwurf, nämlich die in Betreff der Ausführungsmittel
obwaltende Unsicherheit anbelangt, so ist bekannt, daß die Mehrzahl der großen
englischen Bahnen sowohl in Hinsicht auf die Dimensionen der Schienen, als in
Hinsicht auf deren Unterlagen, und in Hinsicht auf die Locomotiven, große
Verschiedenheiten bietet. Ich will nur zwei Beispiele hiefür anführen.
Die London-Birmingham-Eisenbahngesellschaft wollte der größeren
Ersparniß wegen die Bestreitung des Maschinen-Departements im Abstriche
verdingen. Hr. Bury, einer der ausgezeichnetsten
Fabrikanten zu Liverpool, war der einzige Concurrent, und garantirte im Vergleiche mit den Kosten
desselben Departements an der Liverpool-Manchester-Bahn ein Ersparniß
von 25 Procent. Er erbot sich den Transport zu 0,25 Penny auf den Passagier und per Meile zu übernehmen; die Gesellschaft selbst fand es
billig, diesen Betrag auf 0,28 Penny zu steigern. Glüklicher Weise für Hrn. Bury konnte ihm die Gesellschaft nicht in der
festgesezten Zeit und Art die bestimmten Localitäten übergeben, und der Vertrag ward
deßhalb rükgängig. Es ward daher beschlossen, daß Hr. Bury für Rechnung der Gesellschaft arbeiten soll, und dieß war sein Glük,
indem er sonst in Kürze ruinirt gewesen wäre. Denn in der That stiegen die Kosten,
welche mit der Anwendung seiner Apparate verbunden waren, bis auf 0,40 Penny,
nämlich auf einen beinahe doppelt so großen Betrag, als er ihn anfänglich
eingegangen war!
Ein zweites Beispiel liefert die Great-Western-Eisenbahn, an der Hr.
Brunel ein neues System, welches der Theorie nach
große Vortheile versprach, einführte. Dessen ungeachtet haben die ersten hiemit
angestellten Versuche in mehrfacher Beziehung den gehegten und aus Berechnungen
gegründeten Erwartungen so wenig entsprochen, daß sich mehrere Stimmen dahin
aussprachen, man solle zu dem alten Systeme zurükkehren, selbst wenn man das
aufgewendete Material Preis geben müßte!
Es geht hieraus hervor, daß man es in England nach zwölfjähriger Erfahrung noch nicht
zur Lösung einiger die Eisenbahnen und deren Bau betreffenden Fragen von erster
Wichtigkeit gebracht hat. Allein je größer die Hindernisse, desto mehr Rüksichten,
Aufmunterung und selbst Dank erweist man daselbst denjenigen, welche denselben zu
begegnen bemüht sind. Der in England herrschende Gemeinsinn, und die Gunst, mit der
in England die Vorschläge großer Communicationswege, als Gegenstände von größtem und
allgemeinem Nuzen aufgenommen werden, sticht jedoch gar sehr von den ungeheuren
Kosten ab, welche die zur Ausführung solcher Vorschläge erforderlichen Bills
veranlassen. So kostete z.B. die Bill für die Great-Western-Eisenbahn
nicht weniger als 88,710 Pfd. St. 10 Sh. 11 D. oder 2,217,000 Fr.!