Titel: | Die Schwarzwälder Uhrenindustrie nach ihrem Stand im Jahre 1838 technisch und statistisch dargestellt von Dr. Adolph Poppe, Lehrer der Technologie und Mathematik in Frankfurt am Main. |
Autor: | Dr. Adolph Poppe [GND] |
Fundstelle: | Band 75, Jahrgang 1840, Nr. LIV., S. 273 |
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LIV.
Die Schwarzwaͤlder Uhrenindustrie nach
ihrem Stand im Jahre 1838 technisch und statistisch dargestellt von Dr. Adolph Poppe, Lehrer der
Technologie und Mathematik in Frankfurt am Main.
Poppe, uͤber die Schwarzwaͤlder
Uhrenindustrie.
Geschichte der Schwarzwälder
Uhrenindustrie von ihrem Beginn an bis zum Jahre 1839.
Der Hauptsiz jener blühenden Industrie, welche den Gegenstand vorliegender
Darstellung bilden soll, liegt auf einem schmalen, mit Waldungen, Hochebenen und
freundlichen Wiesenthälern abwechselnden Striche, welcher sich auf der südlichen
Hälfte des badischen Schwarzwaldes in einer Länge von beiläufig 5 geographischen
Meilen zwischen Hornberg und St. Blasien ausdehnt. Hier, in der Eke von Deutschland,
regt sich, in den Raum weniger Quadratmeilen gedrängt, ein talentvolles, durch
seinen Kunstfleiß und angebornen Handelsgeist merkwürdiges Gebirgsvolk. Isolirt von
dem geräuschvollen Treiben der Welt, und unberührt von dem Gifthauche der
Demoralisation gibt es sich mit stiller Anspruchslosigkeit und unermüdlichem Fleiße
der Fabrication hölzerner Wanduhren, diesem eigentümlichen national gewordenen
Erwerbszweige, hin, dessen Producte in allen Zonen des Erdballs Eingang gefunden und
den Namen des Schwarzwälders über die ganze Erde verbreitet haben. Findet einerseits
die Arbeitsamkeit und das ausgezeichnete mechanische Talent des Schwarzwälders volle
Anerkennung, so muß auch auf der anderen Seite der mit diesem Industriezweig
erwachte Speculationsgeist und Handelssinn, so wie die Kühnheit, Ausdauer und
Klugheit, womit der schlichte Gebirgsbewohner, die Producte seines Fleißes in
eigener Person feilbietend, die Handelswege selbst in die entferntesten Welttheile
sich zu bahnen wußte, hervorgehoben werden. Es gehört zu den interessantesten
Aufgaben, den Gang dieser Industrie von ihrem Ursprünge an zu verfolgen, wie sie aus
dem rohen Keime allmählich sich entwikelte, sich selbst überlassen und vom Staate,
ohne dessen Zuthun sie entstanden war, nur von Ferne beobachtet, mehr und mehr sich
erweiterte, und ihrem zwanglosen Laufe folgend zu einem fabrikmäßigen Betriebe sich
heranbildete, wie endlich ein bescheidener Wohlstand über jenen betriebsamen
District sich ausbreitete, eine sichtbare Zunahme der Bevölkerung nach sich ziehend.
Der bei einer solchen Isolirung aus sich selbst sich entwikelnde natürliche Verstand
des Wälders, jener durch Mühseligkeiten aller Art gewekte und vielfach geprüfte
Scharfsinn, das ihm eigene Talent, mit geringen Mitteln Vieles zu leisten, so wie auch
seine besondere Empfänglichkeit für intellectuelle Bildung: alles dieses sind höchst
interessante Motive, welche zu einer näheren Bekanntschaft mit diesem merkwürdigen
Gebirgsvolke aufmuntern. Bewunderung verdient unter Anderm auch der Tact und die
Klugheit, womit sich der Uhrenhändler im Auslande zu bewegen weiß, und sein
unverkennbares Talent für die Auffassung fremder Sprachen.
Um jedoch nicht zu weit vorzugreifen, lasse ich nun die Geschichte der
Uhrenindustrie, nach selbst gesammelten und schon vorhandenen Notizen geordnet,
folgen.
––––––––––
Auf demselben Districte, welcher jezt der Schauplaz einer so überaus thätigen
Gewerbsamkeit ist, lebte der Schwarzwälder bis zum 17ten Jahrhundert ohne alle
Kenntniß der Industrie. Akerbau und Viehzucht gewährten ihm den Unterhalt; seine
Hauptnahrung bestand aus Haferbrod, Butter, Milch und Sauerkraut. In seinem einsamen
Wiesenthale, von dunklen Waldungen und starrenden Felsen umgeben, verlebte er,
abgeschnitten von der übrigen Welt und ihrem Verkehr, an die Erdscholle gebannt,
sein einfaches stilles Daseyn. Erst die Kriege im 17ten Jahrhundert, wo häufige
Einquartirungen dem Wälder Berührungspunkte mit der Außenwelt und die Gelegenheit
darboten, sich mit den Verhältnissen des Verkehrs etwas bekannt zu machen, besonders
aber die Notwendigkeit, gegen Verdienstlosigkeit und Mangel an Unterhalt, die
traurigen Folgen des Krieges, sich stemmen zu müssen, rüttelten ihn aus seiner
phlegmatischen Ruhe auf.
Im Jahre 1683 ließ der Abt Paul von St. Peter in den dem
Kloster angehörigen Waldungen im Pfarrsprengel Neukirch eine Glashütte anlegen.
Dieses Unternehmen enthält nicht nur den Keim, aus welchem der gegenwärtig so weit
ausgedehnte Glas- und Strohhuthandel erblühte, sondern gab auch die erste,
wiewohl nur zufällige, Veranlassung zur Entstehung der Holzuhrenmacherei; überhaupt
gab es der gewerblichen und commerciellen Betriebsamkeit der Umwohner einen
wohlthätigen Impuls. Einige Jahre nach Erbauung der erwähnten Hütte brachte nämlich
ein derselben angehöriger Glasblaser eine hölzerne Stundenuhr von seiner
Handelsreise mit nach Hause, die er einem böhmischen Glashändler abgekauft hatte.
Ein Schreiner, Namens Lorenz Frey, sah diese Uhr, deren
Bewegungen nicht durch den Perpendikel, sondern durch eine sogenannte Unruhe, nach
Art der Taschenuhren, regulirt wurde, und ruhte nicht, bis er auf eine mühsame Weise
ein ähnliches Werk zu Stande gebracht hatte. Ein anderer ebenso wißbegieriger
Künstler aus der Gemeinde Waldau, Namens Kreuz, machte dieselbe Holzuhr glüklich
nach. Obgleich diese Versuche in der ganzen Umgegend Aufsehen erregten, so konnte
doch dazumal an eine weitere Ausdehnung derselben nicht wohl gedacht werden, indem
diese ersten Funken industriellen Auflebens gerade in die Zeit kriegerischer
Bewegungen und drükender Einquartirungen fielen, unter welchen die Bewohner dieser
rauhen Gebirge vom Jahre 1689–1712 leiden mußten. Doch nach dem Utrechter
Frieden konnte jener unter der Asche fortglimmende Funke der Betriebsamkeit um so
lebhafter wieder erwachen, als gerade um diese Zeit der Schwarzwald mit dem Anbau
der Kartoffel anfing bekannt zu werden.
Zu Anfang des 18ten Jahrhunderts traten Simon Dilger,
Drechsler aus der Gemeinde Urach, Johann Duffner aus
Schönwald, Franz Ketterer aus derselben Gemeinde, und
Matthias Löffler von Gütenbach mit ihren, aus eigenem
Erfindungsgeiste gefertigten Holzuhren auf den Schauplaz ihres bürgerlichen Lebens.
Duffner und Löffler gaben
das begonnene neue Gewerbe bald wieder auf, Dilger und
Ketterer dagegen sezten dasselbe ununterbrochen fort;
sie sind es, welche als die Patriarchen der zahlreichen Uhrmacherfamilien betrachtet
werden.
Höchst einfach waren die ersten Holzuhren; sie zeigten nur die Stunde und bestanden
aus drei Rädern nebst Getrieben und einem Zeiger; eine Unruhe ersezte die Stelle des
Perpendikels. Einige Feilen, Bohrer und Messer eine kleine Säge und ein Cirkel,
womit man den Umkreis des Rades verzeichnete, bildeten den ganzen Apparat des
Uhrmachers. Ungeachtet ihrer noch großen Unvollkommenheit machten diese sonderbaren
Uhren doch viel Aufsehen, und bei dem guten Absaze, den sie fanden, fehlte es nicht
an unternehmenden Waldbewohnern, die sich in diesem neuen Gewerbe festzusezen
suchten. Nun verbreitete sich, obgleich die ersten Künstler das Geheimniß ihrer
Uhren eifersüchtig zu bewahren suchten, diese Industrie in der ersten Hälfte des
18ten Jahrhunderts in weiteren Kreisen und erreichte bald eine nicht unbedeutende
Ausdehnung. Mit ihr verschwand jene Apathie und Trägheit, welche immer ein
charakteristischer Zug eines rohen Zustandes der Gesellschaft ist, und ein Munterer
Geist der Betriebsamkeit belebte den ganzen Bezirk. In Folge der unter diesen
Umständen erwachenden Concurrenz sank der Preis einer Unruhuhr von 3 fl. bis auf 50
kr. herab.
Mit der steigenden Nachfrage nach den Holzuhren wurde indessen auch das Bedürfniß
besserer Instrumente fühlbar. Matthias Löffler in
Gütenbach erfand in den Jahren 1720 das erste Zahngeschirr, eine Vorrichtung; zum bequemeren Eintheilen und Einschneiden
der Räderzähne, und
legte sich von dieser Zeit an ausschließlich auf die Erfindung und Ausarbeitung der
zur Fabrication der Holzuhren tauglichen Instrumente. Friedrich Dilger führte zuerst die Idee einer Theilscheide aus. Diese Vervollkommnungen und Erweiterungen der
technischen Hülfsmittel waren für die Uhrenindustrie von sichtbar wohlthätigem
Einflusse, denn nun fand sich der Gewerbtreibende in den Stand gesezt, in einem Tage
eine Uhr fertig zu machen, wozu vorher, ehe das Räderschneidzeug eingeführt wurde, 6
Tage erforderlich waren. Die Trennung der Werkzeugfabrication von der Uhrmachern
aber bildete den ersten Schritt zu der später bis in die Details sich erstrekenden
Arbeitstheilung, welche diesem Nationalgewerbszweige seine staatswirthschaftliche
Bedeutung gegeben hat.
Da inzwischen vorauszusehen war, daß bei der noch unvollkommenen Construction und dem
immer noch hohen Preise der Uhren, sobald diese den ersten Reiz der Neuheit verloren
haben würden, dieß Gewerbe sich nicht auf die Dauer hätte halten können, so fand
sich der Erfindungsgeist angespornt, mit dem Uhrwerke allerlei mechanische
Künsteleien in Verbindung zu sezen. Anton Ketterer hatte
im Jahre 1730 den glüklichen Gedanken, die Uhr mit einem sich bewegenden Vogel zu
zieren, welcher durch den Kukukruf die Stunden anzeigte. Diese Kukukuhren, deren
ursprünglicher Preis von 3 fl. auf 1 fl. 40 kr. herabfiel, fanden einen vorzüglichen
Abgang, und bilden noch heute einen gesuchten Artikel.
Um die nämliche Zeit begab sich Friedrich Dilger, Sohn des
Stifters der Holzuhrenmacherei, nach Paris, um sich mit der dortigen Uhrmachern,
namentlich aber mit den zu diesem Gewerbe erforderlichen Instrumenten und Werkzeugen
bekannt zu machen. Mit mannichfachen Kenntnissen ausgerüstet, kehrte er nach einem
Jahre in seine Heimath zurük. Aus seiner Werkstatt gingen nun künstliche und zum
Theil sehr complicirte Uhrwerke mit beweglichen Figuren aller Art hervor. Auf einer
dieser Uhren war unter Anderm eine Figur angebracht, welche auf den Druk einer Feder
Feuer schlug und einen Schwefelfaden anzündete. Franz Ketterer in Schönwald lieferte die erste Repetiruhr, und Kaspar Dorer brachte gar den Lauf des Mondes und der zwölf
Himmelsgestirne auf seiner Uhr an. Um dieselbe Zeit fing man an, das Räderwerk
mittelst Uebersezung so einzurichten, daß eine Uhr, welche bisher alle 12 Stunden
aufgezogen werden mußte, nun 24 Stunden lang fortging.
Das Jahr 1740 brachte eine Reihe von Erfindungen und Verbesserungen, welche für das
Aufblühen der Uhrenindustrie von dem wichtigsten Einflüsse waren, so wie von dieser
Zeit an die Verfertigung der Wälderuhren überhaupt ein fabrikmäßiges Ansehen gewann. Als ein großer
Fortschritt in der Technik der Uhr ist die Einführung des Perpendikels an die Stelle
der Waage oder Unruhe zu bezeichnen, wodurch nicht nur ein gleichförmigerer Gang,
sondern auch eine wesentliche Vereinfachung des Mechanismus erreicht wurde. In
dieselbe Zeit fällt auch die Erfindung des Spindlenbohrers durch Georg Willmann in
Neustadt, eines Instrumentes, welches dazu dient, die kleinen Locher für die
Triebstöke in die Getriebscheiben exact und in gleichen Distanzen von einander zu
bohren. Wenn gleich dieses Instrument in seiner damaligen Gestalt dem jezigen
Spindlenbohrer gegenüber als unvollkommen erscheint, so erleichterte es doch die
Arbeit ungemein und war daher dem Uhrmacher eine erwünschte Gabe. Friedrich Dilger suchte zuerst den bisher angewendeten gläsernen
Glökchen der Schlaguhren metallene Glökchen, welche er von den Metallgießern in
Solothurn bezog, zu substituiren. Diese Veränderung fand allgemeine Nachahmung. Bald
darauf führte der wohlfeilere Preis und die prompte Bedienung die Uhrmacher von
Solothurn nach Nürnberg, welches sofort den ganzen Bedarf an Gloken und später auch
an gegossenen Rädern, Zeigern u.s.w. bis in die 60ger Jahre lieferte.
Bis zum Jahre 1740 wurde das Bemalen der Zifferblätter mühsam mit Tinte,
Leimwasser- oder Oehlfarben aus freier Hand bewerkstelligt. Da kam Matthias
Grieshaber in Gütenbach aus den Gedanken, eine
Kupfertafel in der Größe der gewöhnlichen gemeinen Holzuhrenschilde stechen und
diese gestochenen Schilde in zahlreichen Exemplaren abdruken zu lassen. Die
Kupferstiche illuminirte er darauf selbst mit Wasserfarben. Der Erfolg dieses
Unternehmens war, daß in kurzer Zeit drei Drukerpressen in Gütenbach und zwei in
Neukirch in Thätigkeit sich befanden, welche jährlich viele Tausende solcher
Zifferblätter mit mannichfachen Abwechslungen lieferten. Matthias Faller machte sich mit der Kunst auf Kupfer zu äzen und
zu graviren bekannt.
In dem Jahre 1750 erhielt die Uhrenmanufactur durch Verbesserungen an den Werkzeugen
und durch die Erfindung und Einführung neuer zwekdienlicher Instrumente einen
kräftigen Impuls. Als nämlich einige Uhrenhändler aus England feine Werkzeuge und
Instrumente mit nach Hause brachten, ruhte der industriöse, durch keine
Schwierigkeiten einzuschüchternde Wälder nicht eher, als bis er sie in einer Güte,
welche nichts zu wünschen übrig ließ, nachgefertigt hatte. Johann Camerer in Gütenbach zeichnete sich in solchen Arbeiten
besonders aus. Als Folge dieser Fortschritte in den mechanischen Hülfsmitteln
konnten nun unter den fleißigen Händen des Uhrenkünstlers zierlichere Arbeiten entstehen;
namentlich machte sich bald ein sichtbares Streben nach Abwechslung bemerkbar, und
bald konnte man Schwarzwälder Uhren von allen Abstufungen in der Größe sehen, von
der großen Thurmuhr bis zum kleinsten Hängührchen. Matthias Hummel verfertigte unter Anderem sogar eine Taschenuhr aus Buchsbaumholz,
deren ganze Einrichtung bis auf die Zug- und Spiralfeder aufs Feinste in Holz
gearbeitet war. Dieses Werk kam zwar wenigstens eben so hoch zu stehen als eine
gewöhnliche Taschenuhr, und fand auch keine weitere Anwendung, allein der Versuch
ist jedenfalls schon insofern interessant, als er das den Schwarzwälder
charakterisirende mechanische Talent, den Scharfsinn dieses Naturmenschen und seine
Beharrlichkeit in Ueberwindung von Schwierigkeiten auf eine sprechende Weise
beurkundet. Um dieselbe Zeit verfertigte man bereits manche Uhren mit metallnen
Rädern; auch sing man an, die Uhrenschilde mit plastischen Schnizarbeiten zu
verzieren, worin namentlich Matthias Faller im Fallgrund,
ein ungewöhnliches Künstlergenie, sich ausgezeichneten Ruf erwarb.
Ungefähr ums Jahr 1760 wagte Paulus Kreuz aus der Gemeinde
Waldau die ersten Versuche, die Gloken zu den Schlaguhren, für welche jährlich eine
bedeutende Summe außer Landes gewandert war, nachzugießen. Der glüklichste Erfolg
krönte seine Bemühungen. Obgleich er nebenher auch noch Uhren verfertigte, so zog er
doch aus dem Glokenhandel den meisten Gewinn. Nachdem er eine Gießhütte errichtet
hatte, dehnte er später mit seinen beiden Söhnen dieß Geschäft so aus, daß er
jährlich 50 bis 60 Cntr. Gloken, von denen 15 auf 2 Pfd. gehen, mithin ungefähr
40,000 Stük erzeugte. Bald darauf entstanden auch in Neustadt, Furtwangen und
Neukirch Glokengießereien, und innerhalb weniger Jahre hatte sich dieser neue
Seitenzweig der Uhrenindustrie auf dem Schwarzwalde so ausgebildet, daß von nun an
die Nürnberger Glokenwaaren gänzlich verdrängt wurden.
Ums Jahr 1768 verfertigte Johann Wehrle in Simonswald die
erste Spieluhr, wozu er Glasglökchen anwendete. Sein Sohn Christian vervollkommnete
des Vaters Arbeit und wußte mit den Glökchen ein Saitenspiel geschikt zu verbinden.
Matthias Hummel sezte dem Spielwerke tanzende Figuren
bei.
Das Jahr 1770 bildet wiederum eine wichtige Epoche in der Entwikelungsgeschichte der
Schwarzwälder Nationalindustrie. Salomon Scherzinger, ein
berühmter Meister in Furtwangen, verfertigte um diese Zeit das erste musikalische
Spielwerk mit Pfeifen, und legte durch diese Kunstarbeit den Grund zu einem neuen
Erwerbszweige, welcher mit Eifer ergriffen und überall mit Beifall aufgenommen, dem
industriellen Districte des Schwarzwaldes eine neue ergiebige Quelle des Einkommens
erschloß. Die Spieluhrenfabrication, ein Feld, auf welchem der Scharfsinn und die
Erfindungsgabe des Wälders in freier Thätigkeit sich bewegen konnte, hat innerhalb
der 68 Jahre, welche seit ihrem ersten winzigen Beginn verflossen sind, eine Stufe
erreicht, auf welche selbst die kühnsten Ideen vormaliger Künstler sich nicht zu
schwingen vermochten.
Um dieselbe Zeit fängt auch die Uhrenschildmalerei an, sich zu entwikeln. Der
sogenannte Dörstes Mathis aus der Rothwasserhütte trat
zuerst mit Zifferblättern auf, welche er mit bunten Oehlfarben bemalt hatte. Georg
Gfell fing 1775 an, die Flachschilde zu lakiren. Doch
erst, nachdem Cajetan Kreutzer in Furtwangen, Dionys Steyrer und Martin Körner in
Eisenbach ums Jahr 1780 den trokenen Lak erfunden hatten, welcher aus einem Grund
von Bleiweiß und Kreide mit Leimwasser angerieben bestand, worauf die Farben mit
Terpenthin aufgetragen wurden, verbreitete sich die Schildmalerei in einem größeren
Wirkungskreise, und die gestochenen Zifferblätter verloren sich allmählich. Die
sauberen glatten Schilde mit den in bunten und schreienden Farben auf schneeweißem
Grunde ausgeführten Blumen waren geeignet, die Augen des dem feineren Geschmake
unzugänglichen Landvolkes zu bestechen. So hatte die Schildmalerei keinen
unbedeutenden Einfluß auf die Erhöhung der Nachfrage und den Aufschwung der
Uhrenindustrie überhaupt. Unter den Männern, welche den Arbeiten eine haltbarere und
gefälligere Appretur zu geben verstanden, zeichnete sich der früher schon erwähnte,
nunmehr 73jährige Matthias Faller in Furtwangen aus,
welcher die Schildmalerei durch geschmakvollere Zeichnung und angenehmeres Colorit
auf einen künstlerischen Standpunkt zu erheben sich bemühte.
Um das Jahr 1780 erschienen Uhren und fanden guten Absaz, deren Gewichte alle acht
Tage nur einmal aufgezogen werden durften. 10 oder 12 Jahre darauf wurden jene
niedlichen kleinen Hänguhren erfunden, welche heutzutage unter allen Uhrenforten
einer der gesuchtesten Artikel sind. Sie gehen im Verkehr unter der Bezeichnung
„Zweimal Jokele“, welche der Volkswiz von ihrem Erfinder,
der sowohl mit dem Vor- als Geschlechtsnamen Jakob hieß, ableitete.
In den neunziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts hatte sich die Uhrenmanufactur
des Schwarzwaldes bereits auf einen sehr beachtenswerten Standpunkt erhoben, und
blühenden Wohlstand unter dem gewerbsamen Volke verbreitet. Da sich die
Manufacturisten je nach den Haupttheilen der Uhr oder den verschiedenen Gattungen in
einzelne Classen, wie: Großuhrenmacher, Kleinuhrenmacher, Spieluhrenmacher,
Schildmaler, Glokengießer u.s.w. abgesondert hatten, so zeigte sich auch der Einfluß der Arbeitsteilung
und eines fabrikmäßigen Betriebes auf die Vermehrung der Production und die
Verminderung des Preises in einer unverkennbaren Weise. Die Zahl aller
Uhrmachermeister wurde damals auf 500 geschäzt, welche zusammen jährlich 150,000
Uhren im durchschnittlichen Werthe von 450, 000 fl. producirten. Eine
„übersezte“ Uhr wurde damals aus der Hand des Arbeiters mit
3 st. 18 kr., eine Spieluhr mit 2–16 Louisd'or, eine Thurmuhr mit 60 fl.
bezahlt. Salomon Scherzinger verkaufte unter Anderem eine
Spieluhr mit Glokenspiel und Harfe für 300 fl. Es befanden sich ungefähr 10
Gießhütten auf dem Schwarzwalde, in welchen wenigstens 600 Cntr. Uhrengloken
jährlich gegossen wurden. Messingene Uhrenräder bezog man dazumal wohlfeiler, als
man sie auf dem Schwarzwalde gießen konnte, aus Nürnberg, nämlich das Pfund für 45
kr. Die Maschinen und Instrumente, womit der Uhrmacher seine Werkstube ausgestattet
hatte, waren einfach, sogar plump, doch erreichte der Uhrmacher durch sie seinen
Zwek, nämlich einen mechanischeren und deßwegen productiveren Betrieb seines
Handwerkes, auf eine befriedigende Weise. Durch ihre Vervollkommnung erwarb sich am
Ende des vorigen Jahrhunderts Professor Thaddens Rinderle in Freiburg, welcher die betriebsamen Bewohner mit
edler Uneigennüzigkeit in ihren Kunstbemühungen unterstüzte, ein hohes
Verdienst.
Im Jahre 1808 zählte der Amtsbezirk Tryberg 375 Uhrmacher, 36 Vorarbeiter,
Gestell- und Werkzeugmacher, 76 Nebenarbeiter, Schildmaler, Gießer u.s.w.,
und 303 Uhrenhändler. Unter 9013 Einwohnern nahmen also 790 Personen thätigen
erwerbenden Antheil an der Manufactur. Die Zahl sämmtlicher Uhrmacher wurde auf 688
geschäzt, welche jährlich 107, 328 Stük Uhren, im Werthe von 321, 984 fl.,
verfertigten.
Obgleich die politischen Stürme, welche in den beiden ersten Jahrzehnten des 19ten
Jahrhunderts Deutschland bewegten, auch auf die Uhrenindustrie des Schwarzwaldes
ihren nachtheiligen Einfluß bewährten, so war doch ein eigentliches Stoken der
Gewerbsamkeit und des Handels keineswegs zu bemerken; vielmehr suchte der Wälder die
Zeit, welche er in Folge verminderten Absazes erübrigen konnte, zur weiteren
Ausbildung und rationelleren Begründung seiner Kunst zu verwenden.
Die überraschendsten Fortschritte machte indessen die Spieluhrenfabrication. Sie sind
durch folgende, der unten citirten SchriftTryberg, oder Versuch einer Darstellung der
Industrie und des Verkehrs auf dem Schwarzwalde. Constanz 1826.
entnommene Stelle mit
viel Wahrheit bezeichnet: „die Musik früherer Spielwerke wurde hüpfend,
hart, schneidend im Tone und schwankend im Tacte vorgetragen. Die Auswahl der
Musikstüke blieb noch unter dem Werthe des damaligen steifen musikalischen
Geschmaks. Erst durch die Bemühungen der Musikkünstler Jakob Eberhard, Chorherrn in St. Märgen, und Philipp Weigel in St. Peter erwachte der gefälligere
einschmeichelnde Ton, der in den kleinen musikalischen Galanterien der bessern
Spieluhren entzükte. Der gebildete musikalische Geschmak eines Hrn. Eckhard, Regierungssecretär in
Donaueschingen, und anderer Eingeweihten in der Tonkunst, welche Pleyel's, Haydn's und Mozarts Compositionen für Spielwerke der Uhrenmacher übersezten,
hauchte endlich in diese Wälderautomate jenen Geist der Lieblichkeit, jenen
Schmelz der Harmonie, der die wohlhabenderen Europäer verleitet, ein
Wälderspielwerk als ein zur Vollständigkeit eines reichen Ameublements gehöriges
Stük anzusehen. Dieser feinere musikalische Geschmak wäre aber für solche
Spielwerke unerreichbar geblieben, hätte nicht die Kunst, die Noten auf die
Walzen zu stechen, und die Pfeifen so rein zu stimmen, in den Uhrenmachern
Martin Blessing in Furtwangen und Matthias Siedle in Gütenbach zwei Männer gefunden, welche den
Vortheil erlauschten, das sanft Schleichende der spielenden Finger in die
Stifte, und das melodisch Hauchende der Flöte in die Pfeifen zu legen. Auch die
mechanische Einrichtung ihrer Spielwerke wußten sie so zu vervollkommnen, daß
das Geklapper der Tasten und das Unsichere des Tactes in ihren Arbeiten
verschwand.“
Von den neuesten Fortschritten der Schwarzwälder Uhrenmanufactur und ihren
Nebenzweigen werden die Hauptabschnitte dieser Abhandlung eine ausführliche
Uebersicht geben. Es bleibt uns nur noch übrig, von der Entwiklung des Uhrenhandels
nach den vorhandenen Notizen eine gedrängte Darstellung in historischer Folge zu
geben. Bis zum Ende des 17ten Jahrhunderts hatten die Bewohner des Schwarzwaldes
keinen oder nur wenigen Verkehr mit dem offenen Lande, und erst der Verschluß der
Stroh- und Glaswaaren lokte um diese Zeit einen größeren Theil der nördlichen
Schwarzwälder zu einer Art von Handelsverkehr, der bald einen bedeutenden Umfang an
Waarenverlag und Handlungsterrain sich eroberte. Diese Glas- und
Strohhuthändler nahmen die ersten Uhren unter ihre Verlagsartikel. Da die
Uhrenmacher sahen, daß die Uhren ihnen reichen Gewinn gewährten, so pakten sie
selbst ihre Waare auf und durchwanderten mit denselben Schwaben, Breisgau und
Sachsen. Einer von ihnen, Jakob Winterhalter, trat schon
1720 eine Reise nach Sachsen an. Hier machte er eine neue Speculation, indem er von
da Kanarienvögel
heraustrug und sie rheinabwärts und endlich selbst nach Holland verhandelte. Als
dieser Versuch glükte, bildete sich eine eigene Gesellschaft von Uhren- und
Vogelhändlern in Gütenbach; Joseph Scherzinger und Franz
Faller waren die Hauptunternehmer derselben. Nun
dehnte sich der Uhrenhandel mehr und mehr aus. Im Jahre 1740 etablirte sich der
erste Stapelplaz für die Uhrenversendung im Magkraut bei Eisenbach, wohin die Uhren
gebracht, dann verpakt und von da versendet wurden. Das erste auswärtige Reich,
wohin diese Producte ihren Weg nahmen, war Frankreich.
Drei Händler, Philipp Föhrenbach von Schönwald, Christian
und Martin Grimm, vereinigten sich in eine Societät,
kauften von den Uhrmachern mehrere hundert Uhren auf, und reisten mit einigen
Knechten ins Innere des Landes. Nachdem sie dort eine Hauptniederlage etablirt
hatten, welche in der Folge vom Schwarzwalde aus mittelst Spedition mit Uhren
versehen wurde, vertheilten sie sich mit ihren Knechten im Lande, und durchzogen
Städte und Dörfer mit ihrer Waare. Innerhalb drei Decennien von 1740 bis 1770 dehnte
sich sofort der Uhrenhandel der Reihe nach auf folgende Länder aus: England, Irland, Schottland, Holland, Rußland, Polen, Ungarn,
Siebenbürgen, Italien, Spanien, Portugal, Dänemark, Schweden, Nordamerika,
Türkei und Aegpten.
Anfangs wurden dem freien Handel der Schwarzwälder in einigen Ländern, namentlich
Preußen, Rußland und Schweden, Hindernisse in den Weg gelegt. Allein sie wußten
diese Hindernisse hier durch ihre treuherzigen Vorstellungen, dort durch Geschenke
von Producten ihrer Kunst, womit sie die hohen Potentaten ergözten, größtentheils
glüklich zu beseitigen. Mit Schweden allein konnten sie nicht anders fertig werden,
als daß sie die Uhren in ihre einzelnen Theile zerlegt über die Gränze brachten, und
erst im Innern des Landes wieder zusammensezten. Sie durften daher ihre
Kunstproducte an der Gränze für keine Uhren, sondern für Materialien dazu ausgeben.
Als einer der nach Rußland handelnden Wälder der Kaiserin Katharina II. eine
künstliche Uhr verehrte, erhielt er mit seiner ganzen Gesellschaft die Erlaubniß,
den Handel durch das ganze russische Reich fortzusezen. Fünf Gebrüder Faller aus dem Schafhofe bei
Friedenweiler (Amtsbezirk Neustadt) hatten einen reinen Gewinn von 40, 000 fl. aus
ihrem Uhrenhandel gezogen, und als einer derselben, Matthias Faller, welcher nach der Türkei und Aegypten handelte, im Jahre 1779 den
Sultan mit einer Spieluhr beschenkte, so erhielt er einen Freibrief, in der ganzen
Türkei, ohne die geringste Abgabe, handeln zu dürfen. Derselbe Faller dehnte in den 90ger Jahren seinen Handel bis ins Innere von Asien aus, dessen
Bewohner besonders durch die Kukukuhren, welche sie für Zauberwerke hielten, in
Erstaunen gesezt wurden. Steyrer schäzt die Zahl der um
diese Zeit im Auslande umherhausirenden Schwarzwälder auf 500, meistens aus dem
Bezirke Neustadt und Tryberg.
Es ist und bleibt eine merkwürdige Thatsache, wie diese ins Große und Ausgedehnte
gehenden Handelsunternehmungen über ein Jahrhundert lang von Leuten betrieben werden
konnten, welche in die Theorie der Wechsel- und Handlungsnegotiationen eben
so wenig, wie in die Buchführung eingeweiht waren. „Sie brachten
aber“, sagt Jäckle in seiner Schrift über Tryberg, „einen
soliden, religiösen Charakter zu ihrem Geschäft. Ein offenes Herz, ohne
Falschheit gegen die ihnen Waaren liefernden Arbeiter, war das Comptoir, worin
sie ihr Soll und Haben heilig aufbewahrten, Vaterlandsliebe und Anhänglichkeit
an ihre Mitbürger war des Wälderwechsels unfehlbarste Ordre, worauf jeder
Arbeiter das Endossement an Bäker und Krämer, von denen er einstweilen einen
Theil seiner Bedürfnisse bezog, sezen konnte.“ Ueber die allmählich
einreißende Corruption der Uhrenhändler fügt er noch folgende Notizen, welche wir in
abgekürzter Form mittheilen, bei. Gegen das Ende des 18ten Jahrhunderts fing diese
ungekünstelte Assecuranz des Wälderhandels zu sinken an. An die Stelle der redlichen
geraden Veteranen des Schwarzwälder Nationalgewerbes traten lokere gehaltlose Leute,
welche im Auslande die aus dem Vaterlande auf Credit erhaltenen Waaren
verschwendeten. Andere wurden Abenteurer im fremden Lande, siedelten sich an,
trieben die Uhrmachern und wurden Verräther ihres Vaterlandes.
Schwarzwälder waren es, die in Preußen Klage gegen ihre Landsleute erhoben, ihnen den
Eintritt in dieses Reich sperrten und den freien Handel dahin zernichteten;
Schwarzwälder waren es, die als eingekaufte Bürger Schwedens ihren Brüdern den
Handel in diesem Reiche entrissen u.s.w. Selbst ein Theil der Uhrmacher fing an
lokerer zu werden. Die Arbeiten wurden allmählich nachlässiger betrieben; ohne auf
den inneren Gehalt Rüksicht zu nehmen, sah man nur auf die Menge der Lieferung. Der
sinkende Credit der Arbeiter und allerlei Betrügereien zogen sogar Bankerotte nach
sich. Es fehlte zwar nicht an Vorschlägen und Versuchen, eine zunftähnliche
Gesellschaftsordnung für Uhrenmacher und Händler einzuführen, welche den bei einer
vollkommen freien Ausübung des Handwerks einreißenden Mißbräuchen vorbeugen, der
übermäßigen Concurrenz und deren Folgen Einhalt thun und dem Schwarzwalde seinen
bisherigen Credit erhalten sollte. Ein solcher Plan wurde im Jahre 1806 entworfen und von 35
Meistern, Händlern und Speditoren unterschrieben. Allein dieses Project, so
wohlmeinend seine Tendenz auch war, fand bei dem größten Theile der Uhrenmacher,
welche darin nur einen die Gewerbsamkeit und das Verdienst einengenden Zunftzwanz
sahen, keinen Anklang.
Uebrigens würde man zu weit gehen, wenn man annehmen wollte, das Uebel, welches jener
Gelehrte in zu grellen Farben schildert, habe sich auf eine für das Fortbestehen der
Industrie selbst beunruhigende Weise ausgebreitet. Verfall des Gewerbes konnte von
einem aufmerksamen Beobachter selbst in der ungünstigsten Periode nicht erkannt
werden. Periodische Schwankungen aber liegen in der Natur dieser von Wechselfällen
und mannichfachen mercantilischen Verhältnissen allerdings abhängigen Industrie.
Noch steht das Gebäude dieses Industriezweiges fest, Handel und Gewerbe blühen, noch
ist die alte Biederkeit und handfeste Treue des Schwarzwälders, jene anspruchslose
Zutraulichkeit, um seinen einfachen Herd zu finden. Das Gift der Corruption, welches
startbevölkerte Fabrikdistricte heimzusuchen Pflegt, hat in diesen hohen isolirten
Waldgegenden noch auf keine beunruhigende Weise Eingang finden können. Wenn auch
jene absolute Selbstständigkeit des Holzuhrenmachers, deren er sich vormals
erfreute, einem zum Theil von den Launen des Händlers abhängigen Verhältnisse Plaz
gemacht hat, wenn er auch eben nicht mehr spielend wie vordem, sondern im Schweiße
seines Angesichts sein Brod erwerben muß, so findet doch jeder fleißige Arbeiter ein
Auskommen, welches ihm die Ansprüche auf höheren Lebensgenuß sichert.
Erster Abschnitt. Ueber den
Umfang des Manufacturdistricts im Allgemeinen. Zahl der an der Uhrenindustrie
thätigen Antheil Nehmenden. Fabrikartige Theilung der Arbeit. Aufzählung der
einzelnen Manufacturzweige. Lebensart des Uhrmachers.
Wenn auf der einen Seite die große Ausdehnung des Schwarzwälder Uhrenhandels und die
Lebhaftigkeit, womit derselbe bis in die entferntesten Regionen sich die Bahn
gebrochen hat, Bewunderung erregt, so muß man auf der andern Seite nicht minder über
den kleinen District erstaunen, auf welchem dieser provincielle Industriezweig
betrieben wird, dessen Producte in so großen Massen nach allen Weltgegenden wandern.
Der Hauptsiz und die Wiege der Wälderuhren-Fabrication sind die beiden
badischen Amtsbezirke Neustadt und Tryberg. In einigen angränzenden-Aemtern, wie Hornberg, Villingen, Bräunlingen und
Waldkirch haben sich zwar auch hin und wieder Uhrenmacher zerstreut angesiedelt,
ihre Anzahl jedoch ist in Vergleich mit der Menge der in den genannten zwei Aemtern
ansässigen sehr gering. Als ein Ableger der badischen Wälderuhrenindustrie ist die
im Marktfleken Schwenningen im Würtembergischen, an der Gränze des Schwarzwaldes
betriebene Holzuhrenmacherei bemerkenswerth. Hierüber werden später einige nähere
Notizen folgen.
Die neueste Volkszählung ergab für das Bezirksamt Neustadt
15,281 Einwohner in 32 Gemeinden, für das Amt Tryberg
11,858 Einwohner in 11 Gemeinden. Der Flächeninhalt beider Bezirke beträgt ungefähr
7 Quadratmeilen, wonach auf die Quadratmeile eine Bevölkerung von 3800 Seelen kommt.
Im Neustädter Bezirk wird in 29 Gemeinden die Uhrmachern mit ihren Nebenzweigen
betrieben, und die Zahl der an dieser Industrie thätigen Antheil nehmenden Meister beträgt 545 mit Inbegriff von 162 Uhrenhändlern
und Speditoren. Im Amte Tryberg ist in allen 11 Ortschaften die Uhrenmacherei zu
treffen, und die Zahl aller in diesem Gewerbe thätigen Meister belief sich im Laufe des Jahres 1838 auf 668, worunter 61
Spediteurs. Die Uhrenindustrie in beiden Bezirksämtern zusammen wird demnach durch
1213 selbstständige Individuen repräsentirt, und kommt auf 22 Bewohner 1 Meister.
Die Zahl der in den oben genannten angränzenden Amtsbezirken hin und wieder
zerstreuten Uhrenmacher, Vor- und Nebenarbeiter konnte ich nicht genau
ermitteln; sie dürfte indessen schwerlich 80–100 übersteigen. Ich füge diese
Zahl obigem numerischem Resultate absichtlich nicht bei, um den Werth der
vorliegenden verbürgten Angaben über die Zahl der in den Aemtern Tryberg und
Neustadt Beschäftigten durch Hinzusezung unverbürgter näherungsweiser Berechnungen
nicht zu mindern. Uebrigens ist zu bemerken, daß die Producte der auch außerhalb
Tryberg und Neustadt etablirten Meister mit den diesseitigen Producten an bestimmten
Orten gemeinschaftlich verpakt werden, und daher bei der Untersuchung der
Gesammtproduction mit in Rechnung gezogen sind.
Da nun nach den Mittheilungen sachkundiger Männer auf jeden Meister der fabricirenden
Classe im Durchschnitt 2 Gesellen und 2 Gehülfen zu rechnen sindDie Angabe der Gesellen- und Gehülfenzahl darf in den
Gewerbsteuerkatastern nicht als durchgängig richtig angenommen werden, weil
viele Meister aus leicht zu errathenden Gründen die Zahl ihrer Hülfsarbeiter
geringer angeben, als sie wirklich ist., so ergibt sich als sehr wahrscheinliches Resultat die Zahl von 5173
Individuen, welche in den Amtsdistricten Tryberg und Neustadt, in 40 Ortschaften
vertheilt, durch den Betrieb der Schwarzwälder Uhrenmanufactur und des Uhrenhandels
Beschäftigung und Nahrung finden. Im Amte Neustadt, dessen Arbeiterzahl mit
Inbegriff der Speditoren unter obiger Annahme 2077 beträgt, kommt demnach auf 7 3/10
Einwohner, im Amte Tryberg, dessen Arbeiterzahl sich auf 3096 beläuft, auf 3 8/10,
oder beinahe 4 Einwohner ein in der Uhrenindustrie Beschäftigter, woraus hervorgeht,
daß im Tryberger Districte in Beziehung auf den in Rede stehenden Gewerbszweig eine
größere Thätigkeit herrscht, als im Neustädter. Im Amtsbezirke Neustadt kommt auf 94
Einwohner ein Spediteur oder Paker, und auf 8 Einwohner ein Manufacturist, in
Tryberg auf 194 Einwohner ein Spediteur, und auf 4 Einwohner ein Manufacturist.
Hieraus ergibt sich die Folgerung, daß im ersteren der Uhrenhandel, im lezteren die Uhrenfabrication mehr
blüht. Von allen diesen Verhältnissen werden die am geeigneten Orte folgenden
statistischen Tabellen genaue Rechenschaft geben.
Da der stiefmütterliche Boden unvermögend ist, eine Bevölkerung zu ernähren, welche
in Folge steigender Gewerbsamkeit und des mit derselben parallel gehenden
Wohlstandes innerhalb 30 Jahren sich verdoppelt hat, und noch fortwährend im
Zunehmen begriffen ist, so beruht die Existenz des Manufacturisten einzig und allein
auf der industriellen Basis. Würde diese untergraben, so stände den bezeichneten
Industriebezirken ein gänzlicher Verfall und Verarmung bevor. Der größte Theil der
geringen, außerhalb der Waldungen disponiblen Bodenstreke dient als Mattfeld, d.h.
Waideplaz für die Viehzucht, der übrige Theil wird zum Anbau der Kartoffel, welche
die Hauptnahrung des Gewerbsmannes bildet, benuzt. Vor 40 Jahren betrieb der
Schwarzwald als Nebenerwerbsquelle mit der benachbarten Baar und Schwaben einen Handelsverkehr mit den
Ergebnissen der Viehzucht, mit Butter, Schmalz und Spek. Als aber die Bewohner der
Baar, durch die in den 90ger Jahren herrschende Viehseuche gewizigt, sich selbst
einem sorgfältigeren Betriebe der Viehzucht Hingaben und zur Ueberzeugung gelangten,
daß sie den Schwarzwald entbehren können, so ging auch dieser Nahrungszweig für den
Wald verloren.
Der äußere Anblik derjenigen Ortschaften, welche die Schwarzwälder Nationalindustrie
belebt, ist geeignet, durch jenes unverkennbare, überall durchblikende Gepräge der
Reinlichkeit und Nettigkeit einen freundlichen, zum Voraus für die Inwohner
einnehmenden Eindruk zu machen. Als das acht nationale Bild eines Schwarzwälder
Manufacturortes darf der Marktfleken Furtwangen mit 2483
Seelen im Tryberger Amtsdistricte angesehen werden. Furtwangen, der Brennpunkt der
Uhrenmanufactur, dehnt sich in den Windungen eines freundlichen, von waldigen Höhen umgebenen
Wiesenthales in einer Länge von beinahe 2 Stunden aus, eine Menge
„Zinken“ (einzelne Häusergruppen) in die Seitenthäler
erstrekend. Die Häuser selbst stehen entweder vereinzelt, oder in regellosen Gruppen
weit von einander ab, und nur um die Kirche herum bilden sich einige
zusammenhängende Reihen. Sie sind äußerst sauber mit Holzziegeln bedekt, beinahe
durchgängig mit Blizableitern versehen, und verfehlen nicht, durch ihr nettes und
reinliches Aussehen in dem Reisenden den Eindruk eines heitern Bildes zu
hinterlassen. Die Werkstätte des Uhrmachers erkennt man, wenn die Aufmerksamkeit
durch das aus derselben hervorbringende Geräusch nicht zum Voraus darauf hingelenkt
wird, schon an der auffallenden Reihe von Fenstern, welche ohne Zwischenräume dicht
an einander liegen, und in der Werkstube eine solche Helligkeit verbreiten, daß der
Besuchende sich beinahe ins Freie versezt fühlt.
Ueber die Anzahl der in den verschiedenen Ortschaften mit der Uhrenindustrie im
Allgemeinen beschäftigten Meister, so wie auch über die Intensität der Industrie in
jedem einzelnen Orte, gibt folgende, aus den Gewerbsteuerkatastern vom Jahre 1838
zusammengestellte Tabelle den nöthigen Aufschluß:
Amtsbezirk Tryberg.
Namender
Orte
Einwohnerzahl
Zahl derMeister
Verhaͤltniß der Einwohnerzahl
zurder Ortezahl der Meister
1
Furtwangen
2483
184
13,4
: 1
2
Gremelsbach
575
6
95,8
: 1
3
Guͤtenbach
1145
101
11,3
: 1
4
Neukirch
1065
105
10,1
: 1
5
Niederwasser
549
6
91,5
: 1
6
Nusbach
1060
52
20,3
: 1
7
Rohrbach
552
30
15 :
1
8
Rohrhardsberg
294
1
294 :
1
9
Schoͤnwald
1756
117
15 :
1
10
Schonach
1306
32
40,6
: 1
11
Tryberg
1073
34
30,6
: 1
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Summa:
11, 858
668
Amtsbezirk Neustadt.
Namender
Orte
Einwohnerzahl
Zahl derMeister
Verhaͤltniß der Einwohnerzahl
zurder Ortezahl der Meister
1
Altglashuͤtte
224
16
14 :
1
2
Baͤrenthal
168
7
24 :
1
3
Berg
107
6
17,8
: 1
4
Bregenbach
148
4
148 :
1
5
Dittishausen
380
1
280 :
1
6
Gisenbach
577
50
11,5
: 1
7
Falkau
261
23
11,3
: 1
8
Fischbach
217
4
54,2
: 1
9
Friedenweiler
190
8
23,7
: 1
10
Goͤschweiler
405
3
135 :
1
11
Gruͤnwald
132
1
132 :
1
12
Hinterhaͤuser
57
1
57 :
1
13
Kappel
521
35
14,8
: 1
14
Langenbach
386
15
25,4
: 1
15
Langenordnach
300
6
50 :
1
16
Linach
266
13
20,4
: 1
17
Loͤffingen
1010
6
168,3 :
1
18
Neuglashuͤtten
97
2
48,5
: 1
19
Neustadt
1804
91
19,8
: 1
20
Oberlenzkirch
669
53
20,2
: 1
21
Raithenbuch
156
7
22,2
: 1
22
Roͤthenbach
636
30
21,2
: 1
23
Rudenberg
295
22
13,4
: 1
24
Saig
465
2
38,7
: 1
25
Schoͤnenbach
541
26
20,8
: 1
26
Schollach
458
18
25,4
: 1
27
Schwarzenbach
384
18
21,3
: 1
28
Schwende
36
1
36 :
1
29
Unterlenzkirch
387
23
16,8
: 1
30
Urach
607
24
25,2
: 1
31
Bierthaͤler
1088
16
68 :
1
32
Boͤhrenbach
1052
26
40,4
: 1
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Summa:
14,024
445
Nimmt man als Maaßstab für die Größe der Industrie in den einzelnen Ortschaften die
absolute Zahl der vorhandenen Meister, so stellen sich den vorliegenden Tabellen
gemäß als die industriösesten Orte heraus: Furtwangen mit 184, Schönwald mit 117,
Neukirch mit 105, Gütenbach mit 101, Neustadt mit 96, Eisenbach mit 50, Tryberg mit
34 Meistern u.s.w. Berüksichtigt man aber das Verhältniß der Ortseinwohnerzahl zur
Zahl der Manufacturisten und Händler, so bietet Neukirch das für die Industrie
günstigste Verhältniß dar, und nach ihm folgen: Gütenbach und Falkau, Eisenbach,
Furtwangen und Rudenberg, Altglashütte, Kappet, Schönwald und Rohrbach u.s.w. In der Tabelle
für Neustadt sind folgende 12 Orte: Eggbach, Hammereisenbach, Kirnberg, Krähenbach,
Olpenhütte, Raiterswies, Reiselfingen, Seppenhofen, Siedelbach, Stallegg, Weiler und
Windgfäll, zusammen mit 1257 Einwohnern nicht aufgeführt, weil in ihnen die
Uhrenindustrie gar nicht vorkommt.
Die Schwarzwälder Uhrenmanufactur bietet das interessante Beispiel eines
Industriezweiges dar, welcher, sich selbst überlassen, zu einem ungekünstelten,
vollkommen fabrikartigen Betriebe sich erhoben hat. Sein gesunder praktischer
Verstand ließ den Wälder jene wichtigen Principien, auf deren Anwendung die
großartigen Resultate der Fabriksthätigkeit sich gründen, in ihrer vollen Bedeutung
auffassen und durchschauen. So kommt es, daß das wohlthätige Princip der
Arbeitsteilung im ausgedehntesten Sinne im Districte der Uhrenfabrication
einheimisch geworden ist. Zwei Hauptclassen sind es zunächst, in welche sich die
Uhrenindustrie absondert, und beide sind in gewisser Rüksicht scharf von einander
getrennt, nämlich Manufactur und Handel. Wer die industriellen Verhältnisse etwas
näher zu beobachten die Gelegenheit hat, dem kann die eigentümliche Stellung, welche
diese beiden Geschäftszweige zu einander haben, nicht entgehen. Man wird durch den
Grad industrieller Überlegenheit, welchen die Ergreifung der mercantilischen
Laufbahn dem Uhrenhändler über den Manufacturisten gibt, unwillkürlich an das
Verhältniß eines Fabrikherrn zu seinen Arbeitern erinnert. Der Händler ist es,
welcher vom fernen Auslande und von fremden Welttheilen aus die Fabrication
gewissermaßen regiert; er kauft vom Uhrmacher die Waare auf oder läßt sie aufkaufen,
und bestellt sie nach seiner Willkür bei diesem und jenem Meister; von der
Ausdehnung seiner Handelsspeculationen hängt die Quantität der Production ab, so wie
es auch in seiner Macht liegt, die Fabrikpreise der Uhren zu seinem Vortheile
herabzudrüken, wobei die freie Concurrenz der Arbeiter ihm zu Hülfe kommt. Diese
Verhältnisse sollen am geeigneten Orte näher beleuchtet werden.
Die Uhrenmanufactur selbst sondert sich, je nach den einzelnen Hauptbestandteilen der
Uhr und ihren Gattungen, auf eine durchaus fabrikgemäße Weise in eben so viele
einzelne für sich bestehende, aber vollkommen in einander greifende Zweige ab. Es
ist höchst interessant, dieses ungekünstelte System zu beobachten, wie seine Theile,
von dem Geiste nationaler Einheit und Ordnung regiert, zusammenwirken, in einander
greifen und jenes natürliche Gleichgewicht zu einander behaupten, ohne welches kein
regelmäßiger Betrieb einer Fabrik denkbar ist.
In Rüksicht auf diejenigen Uhrentheile, welche einer fabrikmäßigen Bearbeitung unterliegen und
zugleich einen für sich bestehenden Erwerbszweig begründen, so wie auch auf die mit
der in Rede stehenden Fabrication zusammenhängenden Vorarbeiten, lassen sich
sämmtliche in dem technischen Gebiete der Uhrenindustrie Beschäftigten in folgende 9
Classen eintheilen:
1) Der Brettermacher und Schilddreher, welcher das fürs Zifferblatt bestimmte Brett aus gespaltenem
Tannenholze bereitet und mit der bekannten Wölbung abdreht;
2) der Schildmaler, welcher die Uhrenschilde lakirt,
bemalt und mit den Ziffern versieht;
3) der Uhrengloken- und Uhrenrädergießer;
4) der Tonfedernmacher;
5) der Kettenmacher, welcher die zum Aufziehen der Uhren
anstatt gewöhnlicher Schnüre häufig gebräuchlichen Messing- oder Eisenketten
verfertigt;
6) der Uhrengestellmacher;
7) der Uhrenräderdreher, welcher die aus der Gießhütte
kommenden rohen unverzahnten Räder glatt dreht;
8) der Uhrenmacher. Dieser arbeitet die von den
vorhergehenden, zum Theil in rohem Zustande ihm zukommenden Theile ins Feinere aus,
sezt sie zusammen, regulirt und adjustirt sie u.s.w.;
9) der Verfertiger der Uhrmacherwerkzeuge.
Alle diese speciellen Zweige werden in der angeführten Reihenfolge im folgenden
Abschnitte ausführlich abgehandelt werden. Eine besondere technische Abtheilung,
welche sich nach und nach von der Uhrenmanufactur losgetrennt und zu einem für sich
bestehenden selbstständigen Kunstzweig erhoben hat, bildet die Fabrication größerer
musikalischer Spielwerke. Ich werde ihr einen eigenen Abschnitt widmen.
Das vorliegende System der Arbeitstheilung erstrekt sich über das ganze Gebiet der
Uhrenindustrie, zum Beweis, daß dasselbe als eine wesentliche Bedingung zum
Fortbestehen dieser Manufactur allgemein erkannt wird. Zieht man den Umstand in
Erwägung, daß in Folge des Entstehens anderweitiger Metalluhrenfabriken, ihres
mechanischen Betriebes und der Concurrenz solcher Etablissements die Preise
eleganter Standuhren beinahe auf den Preis gewöhnlicher Taschenuhren herabgesunken
sind, so wird man es begreiflich finden, daß der Schwarzwälder nur durch die ins
Einzelne gehende Theilung der Beschäftigung, verbunden mit seinem unermüdlichen
Fleiße, es ermöglichen konnte, die Preise seiner Producte in entsprechendem Maaße so
weit herabzusezen, daß die Nachfrage auf constantem Niveau blieb. Bergleicht man den
gegenwärtigen Zustand der Uhrenfabrication mit früheren Perioden, so tritt, wie überall, so auch
hier, der Einfluß der Arbeitstheilung auf Vermehrung der Production, Verminderung
des Preises und Erhöhung der Geschiklichkeit des Arbeiters, so wie auch auf die
Erwekung des Erfindungsgeistes und Vervollkommnung des Fabricates augenscheinlich
vor die Seele. Indem der Manufacturist mit einem einzelnen Theile der Uhr Jahr aus
Jahr ein beschäftigt ist, gewinnt er offenbar die Zeit, welche früher beim
abwechselnden Uebergange von einem Geschäfte zum andern, z.B. vom Gestellmachen zum
Uhrenmachen, nothwendig verloren gehen mußte.Smith bemerkt in stimm Werke über Nationalreichthum Ad. I. S. 16 der Garve'schen Uebersezung sehr treffend:
„Jeder faullenzt und zaubert ein wenig, wenn er eine Art der Arbeit bei Seite legt, um eine
andere vorzunehmen. Beim ersten Anfang
der neuen geht der Arbeiter selten recht herzhaft und thätig zu Werke.
Sein Geist ist noch nicht gleich dabei, wenn er auch schon die Hand
angelegt hat, und eine Zeit lang spielt er mehr, als daß er ernstlich
und mit Erfolg arbeiten sollte.“
Durch beständige Wiederholung einer und derselben Arbeit eignet er sich
einen Grad von Geschiklichkeit und mechanischer Fertigkeit in den Manipulationen an,
welche der mit verschiedenen technischen Operationen Beschäftigte nie erreichen
kann; bei seiner ungetheilten, auf einen und denselben mechanischen Zweig
fortwährend gerichteten Aufmerksamkeit wird das ihm angeborne Erfindungstalent
unwillkürlich auf die Verbesserung und Erfindung von Werkzeugen und Maschinen, so
wie auch überhaupt auf eine Menge mechanischer Kunstgriffe geleitet, welche ihm
entgehen müßten, wenn seine Aufmerksamkeit unter eine Menge heterogener Arbeiten
zerstreut wäre. Bei der Uhrenmanufactur nun hat sich dieser allgemeine Saz so
evident wie nur irgendwo anders bestätigt gefunden. Daß endlich überdieß bereits
eigene mechanische Werkstätten für die Verfertigung der zur Uhrmachern und deren
Vor- und Nebenarbeiten dienlichen Instrumente, Maschinen und Werkzeuge im
Betriebe sind, darf als ein weiteres industrielles Beförderungsmittel und als ein
ersprießlicher Zweig der Arbeitsteilung nicht übersehen werden. Die lezteren
Anstalten liefern dem Producenten das erforderliche Arbeitszeug weit vollkommner,
als wenn er selbst mit deren Verfertigung sich befassen wollte, und bilden ein Glied
jener den Wohlstand des Schwarzwälder Inbustriebezirkes fördernden und
zusammenhaltenden Kette.
Ehe wir auf die speciell technischen und statistischen Darstellungen der einzelnen
Fabricationszweige übergehen, dürften einige Bemerkungen über den bürgerlichen
Charakter, den Haushalt und die Lebensart des industriellen Wälders, sein Verhältniß
zum Staat u.s.w. nicht überflüssig seyn.
In dumpfer Unwissenheit und Trägheit verlebte der Schwarzwälder vor 150 Jahren sein
einförmiges Daseyn. Aber dieses Volk barg einen Bildungskeim in sich, welcher, unter
dem Aufleben der Industrie Wurzel fassend, eine durchgreifende Reform seiner
geistigen und materiellen Zustände herbeigeführt hat. Industrielle Betriebsamkeit
wirkt mächtig auf das innere Volksleben. Sie gibt nicht allein den materiellen
Interessen einen höheren Schwung, sondern rükwirkt sichtbar auf die geistige Bildung
des Volkes, indem sie den schlummernden Funken der Intelligenz wekt, den Tausch der
Gedanken fördert und den Geist in reger speculativer Thätigkeit erhält.
Der Schwarzwälder Uhrenmanufacturist besizt, wie schon bemerkt, einen
unerschöpflichen Fleiß. Nur durch diesen ist er im Stande, bei den durch die
Concurrenz unter sich und die Schlauheit des Handelspersonals herabgedrükten
Productenpreisen seine Existenz zu sichern und sich auf dem Niveau eines
bescheidenen Wohlstandes zu erhalten. Reichthum ist höchst selten bei einem
Uhrmacher zu treffen, wogegen die Beispiele reicher Uhrenhändler häufig sind. Leider
veranlaßte die größere Wahrscheinlichkeit, als Uhrenhändler reich zu werden und die
mehrfachen günstigen Beispiele zu dem noch immer stark verbreiteten Vorurtheil, als
sey der Uhrenhandel ein Geschäft, welches so von selbst, ohne vieles Zuthun, seine
Früchte trage; ein unseliger Irrthum, welcher das Glük mancher Familie untergraben
hat. Denn da es als ein Leichtes angesehen wurde, vermittelst des Uhrenhandels seine
Existenz sicher zu stellen, so drängten sich viele leichtsinnige und talentlose
Subjecte, oder solche, welche zur Ausübung eines Handwerks zu faul waren, zum
Uhrenhandel; die verblendeten Uhrenmacher gaben ihnen auf Credit ihre Uhren mit auf
die Reise, und nach wenigen Jahren kam ein Theil als Bettler zurük, von andern hörte
man gar nichts mehr. Ohne speculativen Scharfsinn, Thätigkeit, Sparsamkeit und
Ordnung in der Buchführung schwingt sich der Uhrenhändler eben so wenig auf einen
grünen Zweig, als der Uhrenmacher, wenn er schlecht und nachlässig arbeitet, oder
das, was er sich in der Woche verdient, am Sonntag verpraßt. Das Risico des
Fabrikanten ist nicht groß; arbeitet er gut, so darf ihm wegen Abgang seiner Waare
nicht bange seyn. Der Händler, welcher bedeutende Quantitäten Uhren zugleich
aufkauft und sie baar bezahlt, was freilich nicht immer der Fall ist, darf mit Recht
wegen des mit seinem Geschäfte verbundenen Risico's auf einen bedeutenderen
Unternehmergewinn Anspruch machen, als der Uhrenmacher, dessen Geschäft, wenn er
fleißig und gut arbeitet und mit dem Verkaufe seiner Waare vorsichtig ist, einen
ruhigen und ungefährdeten Fortgang hat. Daher darf es nicht auffallend scheinen,
wenn die Unternehmungen der Uhrenhändler öfter und schneller zum Reichthum führen,
als die der Producenten. Der Uhrmacher arbeitet mit seinen Gesellen regelmäßig von Morgens 5 Uhr bis Abends
9 Uhr; nach Umständen, wenn z.B. die Nachfrage stärker wird, auch bis 10 Uhr. Um 11
Uhr nimmt er mit seinen Gesellen das einfache gesunde Mittagmahl zu sich, welches in
Kartoffeln, Milch und Spek besteht; zweimal in der Woche kommt Fleisch auf den
Tisch. Die ganze Woche über kommt der Industrielle nicht aus dem Hause; den Sonntag
dagegen widmet er dem Vergnügen und der Geselligkeit. Höchst selten überschreitet er
hierin das Maaß; sein solides und nüchternes Wesen verläßt ihn auch jezt nicht, wo
er nach einer streng durcharbeiteten Woche zwangloser sich gehen zu lassen
berechtigt ist. Das Wirthshaus indessen ist für ihn nicht der Tummelplaz der Lust,
es ist vielmehr seine Börse. Nirgends hat man wohl Gelegenheit, das Geschäftsleben,
die Nationalität des industriellen Wälders besser zu beobachten, als in Furtwangen
an einem Sonntage. Unmittelbar nach der Kirche ist das Wirthshaus von Uhrenmachern
und Handelsleuten angefüllt. Man sezt sich nicht, sondern gehend oder in Gruppen
vertheilt, und bei einem Gläschen Liqueur wird über gewerbliche Gegenstände
discutirt, Handel aller Art werden geschlossen, Bestellungen gemacht, und in die
Brieftaschen notirt. Hier erzählt, von einem Kreise aufmerksamer Zuhörer umgeben,
ein aus dem Auslande Zurükgekehrter seine Schiksale, berichtet über den Gang der
Geschäfte, theilt seine Beobachtungen über Sitten und Gebräuche fremder Völker mit;
dort liest der Vater seinen Freunden und Verwandten einen Brief von seinem in
Amerika befindlichen Sohne vor. Hinsichtlich der Kleidung des Uhrmachers, so wie
überhaupt seiner ganzen Lebensart und seiner Manieren ist zu bemerken, daß alles
Bäurische daraus verschwunden ist, und einem mehr bürgerlich städtischen Gepräge
Plaz gemacht hat.
Dem fremden Besuchenden erscheint der Gewerbsmann anfänglich wohl etwas kalt, oft
auch zurükhaltend und verlegen, selten aber mißtrauisch. Seine Zurükhaltung geht
jedoch in offenes Vertrauen über, sobald er sich von dem Interesse des Fremden für
sein Gewerbe überzeugt hat. Seine Maschinen, seine sinnreichen, einfachen Apparate,
seine mannichfachen technischen Kunstgriffe zeigt und erklärt er alsdann mit der
größten Bereitwilligkeit, ohne dem geringsten Mißtrauen Raum zu geben. Für ihn gibt
es nur eine Classe, welcher er kein unbedingtes Vertrauen zu schenken scheint, die
Uhrenhändler und Speditoren. Der Umstand, daß in seinem mechanischen Gewerbe doch
nicht jenes abstumpfende, geisttödtende Einerlei liegt, sondern daß vielmehr seine
Geistesthätigkeit durch ein fortwährendes Streben nach Vervollkommnung und durch das
Bedürfniß nach Abwechslung in der Form der Producte in steter Uebung gehalten wird,
schärft seinen praktischen Verstand und erwekt in ihm zugleich eine besondere
Empfänglichkeit für Bildung. Den Reisenden überrascht der Grad von Intelligenz,
welcher in jeder Hütte zu finden ist. An der Ursache dieser Erscheinung hat der
Handel ohne Zweifel den Hauptantheil. Der lebhafte Verkehr mit dem Auslande, mit
allen Nationen, das beständige Ab- und Zugehen der Handelsleute muß auch auf
die zurükbleibende Bevölkerung in gewissem Grade civilisirend wirken. Die Begriffe
über Geographie, Völker- und Sprachkunde prägen sich ihr auf diesem
ungekünstelten Wege gleichsam spielend tief und dauernd ein. So äußern sich unter
Anderm die Wirkungen des Verkehrs mit England durch viele englische Ausdrüke, welche
sich in die Schwarzwälder Volkssprache eingenistet haben. Am Sonntag hört man in
einem gewöhnlichen Dorfwirthshause in der Wirthsstube oft in mehreren Sprachen,
Englisch, Französisch und Italienisch, sehr lebhaft reden. Es sind Schwarzwälder
Uhrenhändler, welche, von ihren Reisen auf einige Wochen in die Heimath
zurükgekehrt, sich das Vergnügen nicht versagen können, durch die im Ausland
erworbene Sprachkenntniß ihren Landsleuten zu imponiren. Der Händler verräth bei
seinem speculativen Talente, seiner natürlichen Auffassungsgabe, seiner
Empfänglichkeit für Geistesbildung, häufig eine gewisse Neigung zum Luxus, welche
bei gutem Fortgange des Geschäftes, durch die Umgebungen und die Gelegenheit, sie zu
befriedigen, genährt, nicht selten in zweklose Prahlerei ausartet. Der Verfasser sah
junge Leute, welche in goldenen Ketten sich brüstend, mit den nachgeahmten Manieren
eines Gentleman den brittischen Dandysmus auf den Schwarzwald überpflanzen zu wollen
schienen. Schädlich wirkt ein solches Benehmen einzelner jedoch nur insofern, als es
leicht nichtsnuzige Individuen reizen kann, sich dem Uhrenhandel hinzugeben. Allein
leider kehrt ein nicht unbedeutender Theil des Handelspersonals, welcher roh und
ungebildet das Land verlassen, nachdem er sich im Ausland unter den niedrigsten
Volksclassen herumgetrieben, und sich deren Laster zu eigen gemacht, weit roher nach
Hause zurük, und verbreitet allmählich das in fernen Ländern eingesogene Gift der
Demoralisation unter den zurükgebliebenen Landsleuten.
Bis auf die neuere Zeit hat es der Staat für gut gefunden, die ohne sein Zuthun
entstandene Uhrenindustrie ganz ihrem selbstgewählten Entwikelungsgange zu
überlassen. Er hat sie weder künstlich zu fördern sich bemüht, noch mit Lasten
beschwert, oder besondere, die commerciellen und technischen Verhältnisse speciell
berührende Geseze vorgeschrieben. Die Besteuerung der Gewerbsleute ist auf folgende
Weise regulirt: das Steuercapital beträgt
für den
Schildbrettmacher
625 fl.
–
Schildmaler
625 –
–
Räderdreher
625 –
–
Kettenmacher
625 –
–
Uhrenmacher
625 –
–
Spediteur
625 –
–
Gestellmacher
500 –
–
Glokengießer
875 –
Von 100 fl. des Steuercapitals zahlt der Gewerbsmann jährlich
23 kr. Für den Gesellen ist das Steuercapital zu 1/5 von demjenigen des Meisters
angesezt.
So lieferte diese kräftig aus sich selbst sich entwikelnde Industrie ein Beispiel,
wie ein emporkommender Gewerbszweig auch ohne künstliche Nachhülfe von Seiten des
Staats unter sonst günstigen Conjuncturen die rechte Bahn zu finden und sich ins
Gleichgewicht zu sezen weiß. Das Bewußtseyn, am Staate keinen Rükhalt zu haben,
wirkt auf der einen Seite wohlthätig auf die Elemente der Industrie, es spornt die
Kräfte zu selbstständigerselstständiger Thätigkeit; auf der andern Seite ist es aber auch nicht zu läugnen, daß
manches Talent, zu Höherem bestimmt, durch den Mangel an Hülfsmitteln in die
Schranken der Alltäglichkeit zurükgewiesen wird. In der That birgt der Schwarzwald
auch gegenwärtig manches ausgezeichnete mechanische Talent, manches eminente
Künstlergenie, welches in Ermangelung der Mittel zur weitern Ausbildung oder zur
freien Ausübung seines Kunstfleißes der Welt verloren geht. Ich werde am geeigneten
Orte diejenigen dieser Künstler, deren persönliche Bekanntschaft ich gemacht habe,
nennen.
Seit Kurzem nun fängt der badische Staat an, durch Errichtung technischer
Lehranstalten in den Uhrenmanufactur-Districten einem längst gefühlten
Bedürfnisse zu entsprechen. Wenn der Gewerbsmann selbst sich nach einer Anstalt
sehnt, wodurch er seinen natürlichen Kunstsinn zu vervollkommnen und seinen Geschmak
zu verfeinern hofft, wie dieß hier in der That der Fall ist, so darf dieses
Bedürfniß gewiß dringend genannt werden. Der Schwarzwälder Uhrenmanufacturist muß
daher, die Organisirung von Gewerbsschulen als die größte Wohlthat betrachten,
welche ihm der Staat erweisen kann. Ihm fehlte bis jezt bei seinem praktischen
Scharfsinne, bei seiner glüklichen Combinationsgabe und seinem guten Willen nichts
als eine Basis, nach welcher er sein Gewerbe auf eine rationellere Weise zu
betreiben im Stande ist. Der Uhrmacher, Werkzeugfabrikant u.s.w. vermißt die
Elementarbegriffe in der Mechanik, Mathematik und Zeichnenkunst, ersterer namentlich
im Ornamentenzeichnen; dem Schildmaler fehlt es noch an Geschmak in der Malerei, am
Kunstsinn, um seinen Producten den Weg in die Gemächer der höheren Welt zu bahnen.
Ist einmal Eleganz in der äußern Form vorhanden, wozu, wie wir unten sehen werden,
bereits der erste Schritt gethan ist, so wird sich der Schwarzwälder dadurch ein
neues Publicum schaffen. Dieß Alles nun hat der Manufacturist durch die Errichtung
zwekmäßiger Lehranstalten zu erwarten; ihre Wirkungen auf den Fortgang der
Uhrenindustrie können nicht ausbleiben.
(Die Fortsezung folgt im nächsten Hefte.)