Titel: | Notizen über die pneumatische oder atmosphärische Eisenbahn der HHrn. Clegg und Samuda. |
Fundstelle: | Band 77, Jahrgang 1840, Nr. LXIII., S. 264 |
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LXIII.
Notizen uͤber die pneumatische oder
atmosphaͤrische Eisenbahn der HHrn. Clegg und Samuda.
Aus dem Civil Engineers and Architects Journal. Jul. 1840,
S. 253.
Notizen uͤber Clegg's und Samuda's pneumatische oder
atmosphaͤrische Eisenbahn.
Die erste Idee der Anwendung der Kraft der atmosphärischen Luft gegen einen
luftverdünnten Raum, der in einer zwischen den Schienen gelegten Röhre erzeugt wird,
und die weitere Fortpflanzung der auf diese Weise erzielten Triebkraft zum Behufe
des Treibens von Wagen auf Bahnen, verdanken wir, wenn wir nicht irren, Hrn. Medhurst, der im J. 1827 sein System in einer eigenen
Broschüre bekannt machteDiese Broschüre erschien unter dem Titel: „A
New System of Inland Conveyance, by Mr. Medhurst.“
, und dessen Arbeiten über diesen Gegenstand in der That bis zum Jahr 1812
zurük reichen. Im Jahr 1835 stellte Hr. Pinkus in Wigmore
Street mit einem Modelle Versuche an, welches mit dem von Medhurst vorgeschlagenen Apparate große Aehnlichkeit hatte. Diese Versuche
führten jedoch zu keinem günstigen Resultate, und zwar wahrscheinlich aus demselben
Grunde, aus dem Medhurst an der Ausführung seiner Idee
scheiterte: nämlich in Folge der Unmöglichkeit zwischen dem Innern der Röhre und dem
Wagen eine ununterbrochene und so luftdicht schließende Communication herzustellen,
daß dabei ein hinreichender Grad von Luftverdünnung zu erzielen gewesen wäre. Den
HHrn. Clegg und Samuda ist es
gelungen, diese Schwierigkeit auf eine höchst einfache Weise zu heben; und in der
That liegt die Hauptsache ihrer Erfindung in einem Ventile, welches bei dem
jedesmaligen Durchlaufen eines Wagenzuges mittelst einer Composition luftdicht
geschlossen wird.
Die Streke, welche an der Bristol und Thames Junction-Eisenbahn zu einem
Versuche mit dem neuen Systeme bestimmt worden, hat eine halbe engl. Meile in der
Länge, und in der einen Hälfte dieser Streke eine Steigung von 1 in 120, in der
anderen dagegen eine solche von 1 in 115. Zwischen den beiden Schienen ward eine
ununterbrochen fortlaufende gußeiserne Röhre von 9 Zollen im Durchmesser gelegt, und
auf den die Schienenstühle tragenden Querschwellen mit Bolzen befestigt. Das Innere
dieser Röhre, die nicht ausgebohrt ist, ist ungefähr in der Dike von 1/10 Zoll mit
gepreßtem Talge ausgefüttert, welcher die Oberfläche ausgleicht, und beim
Durchlaufen des Kolbens durch die Röhre alle unnöthige Reibung verhindert. An der
oberen Seite dieser Röhre läuft ihrer ganzen Länge nach eine Spalte von 1 1/2 Zoll Weite,
welche mit einem Ventile, das sich durch ihre ganze Länge erstrekt, bedekt ist.
Gebildet wird dieses Ventil von einem Lederstreifen, der zwischen eiserne Platten
genietet ist. Die oberen dieser Platten sind etwas breiter als die Spalte, und
verhindern, daß das Leder nicht von der äußeren Luft in die Röhre hineingetrieben
werden kann, sobald in dieser die Luft verdünnt wird. Die unteren Platten dagegen
passen, wenn das Ventil geschlossen ist, genau in die Spalte, so daß sie den Kreis,
den die Röhre auf ihrem Durchschnitte bildet, voll machen, und das Eindringen von
Luft in die Röhre verhüten. Der eine Rand dieses Ventils wird durch Eisenstäbe,
welche mit Schraubenbolzen festgemacht werden, auf eine an die Röhren gegossene
Längenrippe niedergehalten, so daß sich also das Leder zwischen den Platten und dem
Stabe, den gewöhnlichen Pumpenventilen ähnlich, wie ein Angelgewinde bewegen kann.
Der andere Ventilrand dagegen fällt in eine Fuge ein, in welcher eine aus
Bienenwachs und Talg bestehende Composition enthalten ist. Diese Composition ist bei
der gewöhnlichen Temperatur der Luft fest, sie wird aber bei einer etwas höheren
Temperatur leicht flüssig. Um nun diese Art von Ventil gegen Schnee, Regen etc. zu
schüzen, ist über demselben ein Dekel angebracht, der aus dünnen Eisenplatten von
ungefähr 5 Zoll Länge zusammengesezt ist. Diese Platten sind mit Ledergewinden
versehen, und so angebracht, daß immer das eine Ende einer Platte in der Richtung
der Kolbenbewegung unter das Ende der nächstfolgenden Platte zu liegen kommt, damit
auf diese Weise alle die Platten nach einander und mit Sicherheit aufgehoben werden.
An der unteren Seite des ersten Wagens eines jeden Wagenzuges ist der Kolben mit den
dazu gehörigen Theilen angebracht. Ungefähr 6 Fuß hinter dem Kolben ist die
horizontale Kolbenstange an einem Verbindungsarme befestigt, der durch die Spalte
der Röhre sezt, und, da er an dem Wagen festgemacht ist, dem Wagenzuge die durch die
Auspumpung der Röhre erzeugte Bewegung mittheilt. An der Kolbenstange sind vor dem
Verbindungsarme zwei stählerne Räder befestigt. Diese haben das Ventil aufzuheben,
damit der Verbindungsarm durchlaufen, und die atmosphärische Luft unmittelbar gegen
den Rüken des Kolbens drüken kann. Ein drittes stählernes Rad, welches mittelst
einer Feder an dem Wagen festgemacht ist, sichert die Schließung des Ventils, indem
es unmittelbar, nachdem der Kolben durchgelaufen, über das Ventil hinrollt, und es
somit schließt, im Falle es sich nicht schon vermöge seiner eigenen Schwere
geschlossen haben sollte. An der untern Seite des Wagens ist ferner auch noch eine
ungefähr 10 Fuß lange kupferne Röhre angebracht, welche mittelst eines kleinen Ofens
fortwährend in erhiztem Zustande erhalten wird, und die, indem sie über die Oberfläche der
Composition, welche durch das Ausheben des Ventils aus ihr aufgebrochen wurde,
hinläuft, die Composition in Fluß bringt, und damit beim Abkühlen der Composition
wieder einen luftdichten Verschluß der Röhre erzeugt. Der Durchgang eines jeden
Wagenzuges bringt demnach die Röhre sowohl als das Ventil in den zum Durchgange
eines zweiten Wagenzuges erforderlichen Zustand zurük.
Zum Auspumpen der in der Röhre enthaltenen Luft dient eine Dampfmaschine von 16
Pferdekräften, welche eine Luftpumpe von 37 1/2 Zoll Durchmesser und 22 1/2 Zoll
Kolbenhub in der Art in Bewegung sezt, daß in jeder Minute 40 bis 43 Hube gemacht
werden. Die Luftpumpe steht durch eine von ihr auslaufende Röhre von 9 Zoll
Durchmesser mit der in der Mitte der Bahn befindlichen und auszupumpenden Röhre in
Zusammenhang.
Zum Behufe der Berechnung der Kraft, mit der nun ein derlei Apparat arbeitet, muß man
den Grad der Luftverdünnung in der Röhre und die Differenz, welche zwischen dem
Druke in der Röhre und dem Druke der atmosphärischen Luft, durch den der Kolben
vorwärts getrieben wird, kennen. Bei den zulezt angestellten Versuchen betrug die
Luftverdünnung 18 bis 20 Zoll Queksilber, wonach also auf jeden Quadratzoll des
Kolbens ein nuzbarer Luftdruk von ungefähr 9 Pfd. kam. Da die Röhre 9 Zoll
Durchmesser hat, so gibt dieß für den Kolben einen Flächenraum von 63,62 Quadratz.;
und multiplicirt man diese mit dem Druke, so gibt dieß 9 × 63,62 = 572,58
Pfd. für den auf den Rüken des Kolbens wirkenden Druk oder für die Triebkraft.
Die Last betrug bei den Versuchen in Summa 8 Tonnen: nämlich für 2 Wagen 4 Tonnen,
für den Apparat 1 Tonne, und für die 45 Passagiere 3 Tonnen.
Die zum Betriebe dieser Art von Eisenbahnsystem erforderlichen stehenden Maschinen
und Luftpumpen lassen sich je nach der Größe des auf der Bahn stattfindenden
Verkehres und den sonstigen Eigenthümlichkeiten der Bahn in Entfernungen von 1 bis
zu 4 engl. Meil. von einander anbringen. Jede Section oder jede Röhrenlänge, welche
zu einer Maschine gehört, befindet sich zwischen zwei Ventilen. Die Luftverdünnung
wird vor dem Eintritte des Kolbens in die Röhre auf 18 bis 20 Zoll Queksilber
getrieben, und während des Durchlaufens des Zuges durch das Spiel der Maschine auf
dieser Höhe erhalten. Hat der Wagenzug eine Röhrensection durchlaufen, so wird das
von ihm erlangte Bewegungsmoment genügen, um ihn bis zur nächsten Section, welche in
einer Entfernung von ungefähr 100 bis 200 Yards beginnt, zu treiben; und wenn das
Eintrittsventil der zweiten Section durch den Wagenzug eröffnet worden, so wird der in ihr erzeugte
luftverdünnte Raum sogleich seine Wirkung auf den Kolben äußern. Der Wagenzug kann
somit ohne Ende und ohne einen Aufenthalt zu erleiden von einer Section in die
andere übergehen.
Um nun auf der eine halbe engl. Meile langen Probebahn die auf verschiedenen Streken
derselben erlangte Geschwindigkeit bemessen zu können, ward die ganze Bahn in 20
Sectionen zu je 2 Ketten oder 44 Yards Länge abgetheilt. Die Wagen liefen vom Fuße
der Schrägfläche aus, deren Gefäll 1 in 120 betrug, und man ließ sie die ganze eine
halbe engl. Meile betragende Streke laufen, bevor man zum Anhalten derselben die
Bremsung wirken ließ. Zwei angehängte Wagen durchliefen auf diese Weise, nachdem sie
die fünf ersten Sectionen mit Geschwindigkeiten von 7, 6 und 5 Secunden zurükgelegt
hatten, jede der weiteren Sectionen mit einer Geschwindigkeit von 4 Secunden, was
einer Geschwindigkeit von 13, 15,18 und 22 1/2 engl. Meilen in der Zeitstunde
entspricht. Wurde nur ein Wagen angehängt, so betrugen die Geschwindigkeiten 6, 5, 4
und 3 Secunden, wonach also 15, 18, 22 1/2 und 30 engl. Meilen auf die Zeitstunde
kamen. Die lezte Section ward bei jedem der Versuche mit der größten Geschwindigkeit
zurükgelegt, woraus folgt, daß wenn die Probebahn statt einer halben engl. Meile
eine ganze in der Länge gehabt hätte, der Versuch noch weit günstiger hätte
ausfallen müssen. Auch darf nicht vergessen werden, daß wenn die Bahn kein Gefäll
gehabt hätte, eine viermal größere Last als die angegebene mit derselben
Geschwindigkeit auf ihr fortgeschafft worden wäre.
Um das Vacuum bei jeder Fahrt auf 18 Zoll Queksilber zu treiben, waren 1 1/2 Minuten
Zeit erforderlich.
Diese Versuche mm, die dabei fortgeschafften Lasten und die erlangte Geschwindigkeit
sprechen sehr zu Gunsten der fraglichen, noch in ihrer Kindheit befangenen und auf
keine Erfahrung gestüzten Erfindung, und zwar um so mehr, als dieselbe auch noch
mehrere andere Vortheile von Belang zu gewähren scheint. Die Wagen laufen nämlich
ohne Geräusch, und sowohl Explosionen, als ein Ablaufen der Wagen von der Bahn sind
unmöglich. Auch scheint ein Zusammenstoßen zweier Wagenzüge unmöglich, da zwei
Wagenzüge nicht zu gleicher Zeit in einer Bahnsection in Bewegung gesezt werden
können, und da die Triebkraft auch nicht nach entgegengesezten Richtungen wirken
kann. Die bei dem neuen Systeme zu erlangende Geschwindigkeit richtet sich nach der
Kraft der Luftpumpen, und kann daher leicht auf jeden Wünschenswerthen Grad
getrieben werden.