Titel: | Ueber die Theorie der Brükenwaage und die Mittel dieselbe richtig zu construiren; von Dr. Mohr in Coblenz. |
Autor: | Dr. Karl Friedrich Mohr [GND] |
Fundstelle: | Band 78, Jahrgang 1840, Nr. XXXIX., S. 195 |
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XXXIX.
Ueber die Theorie der Bruͤkenwaage und die
Mittel dieselbe richtig zu construiren; von Dr. Mohr in Coblenz.
Mit einer Abbildung auf Tab. III.
Mohr, uͤber die Theorie der Bruͤkenwaage.
Die Brükenwaage (Quintenz'sche Waage) hat vor allen andern
Waagen den Vortheil, daß ihre Schale, worauf die Lasten zu liegen kommen, ganz frei
und zugänglich ist, und mit Leichtigkeit dem Erdboden sehr nahe gebracht werden
kann, so daß Lasten aller Art und von sehr verschiedenem Umfange auf dieselbe gelegt
werden können. Sie verdankt diese Vorzüge einem verborgenen Mechanismus von Hebeln,
wodurch die Lastschale eine an allen Stellen gleiche senkrechte Hebung beim
Gebrauche erleidet. Denn es findet hier das allgemeine mechanische Gesez statt, daß
wenn in einer Maschine Gleichgewicht stattfinden soll, die Last sich zur Kraft
verhält umgekehrt wie der Weg, den die Last durchläuft, zu dem Wege, den die Kraft
durchläuft. Wenn also das Gewicht (hier die Kraft) eben so schwer seyn soll als die
Last, so muß die Waage so eingerichtet seyn, daß Gewicht und Last in der Maschine
(Waage) gleiche Wege durchlaufen, d.h. die Waage muß ein gleicharmiger Hebel seyn.
Soll aber das Gewicht nur 1/10 der Last seyn (Decimalwaage), so müssen die Arme der
Waage so eingerichtet seyn, daß bei der Bewegung die Last nur den zehnten Theil des Weges von dem
Wege des Gewichts zu durchlaufen hat. Dieses erreicht man bekanntlich an der
Schnellwaage dadurch, daß man den Hebelarm der Last ein Zehntel von dem Hebelarm der
Schale macht, und jede Last, welche an diesem kürzern Hebelarm aufgehangen wird,
mögen die Schnüre oder Ketten noch so lang seyn, oder die Waagschale eine beliebige
Gestalt haben, muß mit sich selbst parallel bleibend, 1/10 des Weges vom Gewicht
durchlaufen. Allein hier treten die Uebelstände der unzugänglichen Schale ein, und
der Zwek der Brükenwaage ist lediglich der, ohne Hülfe von Schnüren der Lastschale
eine mit sich selbst parallele Bewegung zu ertheilen, welche genau 1/10 (oder jeder
andere beliebige Bruch) von jener des Gewichts ist. Es ist klar, daß wenn die
Lastschale nicht parallel mit sich selbst bleibt, sondern wenn sie an einer Stelle
mehr gehoben wird, als an der andern, daß auch eine Last ganz anders schwer
erscheinen wird, wenn sie auf diese oder jene Stelle hingestellt wird, und es würde
mit einer solchen Waage jede zuverlässige Wägung ganz unmöglich seyn. Daß aber
dieser Fehler nicht stattfinde, ist Sache des Mechanikers und muß durch dessen
Kenntniß, Sorgfalt und Mühe vermieden werden. Es handelt sich hier um das Verfahren
diesen Zwek am leichtesten und bestimmtesten zu erreichen.
Wir wollen annehmen, die Waage soll eine Decimalwaage werden, so ist das erste
Erforderniß, daß der Hebelarm ba zehnmal so lang
sey wie der Hebelarm ac. Diese Aufgabe sucht man
gewöhnlich durch sorgfältiges Messen zu erreichen; allein abgesehen, daß eine solche
Messung unter den günstigsten Bedingungen nicht haarscharf gemacht werden kann,
kommt noch hinzu, daß die Schneiden durch ihre entgegengesezte Stellung eine genaue
Messung sehr erschweren. Man hat also nichts zu thun, als erstlich die Messung so
genau zu machen als man kann, und dann zu prüfen, ob die Messung gelungen sey. Dieß
geschieht dadurch, daß man an den Punkt c, Fig. 61, und
an den Punkt b Schalen anhängt, und nachdem man erst den
Balken sammt den Schalen zum Einspielen gebracht hat, sehr genaue Gewichte auf die
beiden Schalen legt; wenn nun 10 Pfd. einem Pfund, und 100 Pfd. 10 Pfunden das
Gleichgewicht halten, so ist die erste und wichtigste Bedingung der Decimalwaage
gelöst. Erscheinen im zweiten Falle 10 Pfd. schwerer als die 100 Pfd., so ist der
Arm ba zu lang, erscheinen sie leichter als 100
Pfd., so ist der Arm ba zu kurz; man muß also im
ersten Falle die Schneide b näher zur Mitte, im zweiten
weiter von der Mitte abbringen, und nachher die Probe wiederholen, bis sie Stich
hält. Diese Probe ist ungleich genauer und zuverlässiger als die bloße Messung und
streng genommen ganz unerläßlich, so selten sie auch angewendet wird.
Das zweite ist nun die Bestimmung des Punktes d, welche
an sich ganz willkürlich ist, sobald man aber darüber entschieden hat, so sind auch
in dem Hebelwerk der Schale gewisse Verhältnisse unabänderlich bestimmt. Nimmt man
die Entfernung cd zu kurz, so schnappt die
Waagschale zu leicht am breiten Ende auf; wir wollen hier annehmen cd sey doppelt so groß als ac.
Die Schneide c hängt mit einer eisernen Stange mit dem
spizen Ende der Schale durch einen Haken zusammen, eben so die Schneide d mit dem spizen Ende des verborgenen Hebels.
Da nun ad dreimal so lang ist als ac, so zieht auch die Stange dg dreimal so hoch auf als die Stange ch; die Waagschale wird nun von der Stange ch an einem Ende um eine bestimmte Größe in die
Höhe gezogen; wenn man nun sie noch an zwei andern Punkten f um eben diese Größe in die Höhe drükt, so muß die Schale auf ihrer
ganzen Länge um eben diese Größe steigen, um welche sich der Punkt c hebt, und da dieser bereits auf 1/10 von ba ajustirt ist, so wird die Waagschale eben
denselben Weg durchlaufen, als wenn sie unmittelbar an dem Punkte c aufgehangen wäre, wodurch offenbar der Aufgabe genügt
wird. Dieses alles wird geschehen, wenn fe der
eben so vielste Theil von ge ist, als ac von ad ist.
Wenn also ac ein Drittel von ad ist, so muß auch fe ein Drittel von ge seyn.
Der Punkt h macht nun offenbar 1/3 vom Wege des Punktes
d, der Punkt f macht 1/3
vom Wege des Punktes g. d und f machen aber gleiche Wege, weil sie durch eine eiserne Stange verbunden
sind; da nun die Drittel von zwei gleichen Größen unter sich selbst auch gleich seyn
müssen, so macht h denselben Weg wie die zwei Schneiden
f, folglich, da drei Punkte jede Ebene bestimmen,
muß die Schale parallel mit sich selbst aufsteigen.
Um dieses zu erreichen, seze man die Schneiden f so genau
als es Messungen zulassen, auf 1/3 der Länge von ge und mache die Schneide g mit gezogenen
Löchern und flachen Schraubenköpfen beweglich, so daß man sie durch leichte
Hammerschläge vor dem Festschrauben noch ein wenig hin- und herschieben kann.
Nun bringt man die ganze Waage ins Gleichgewicht und probirt wieder durch Auflegen
genauer Gewichte, ob das Gewicht genau einer zehnfachen Last das Gleichgewicht hält.
Dann verschiebt man die Last auf die entferntesten Eken der Schale, und beobachtet,
ob durch diese Ortsveränderung der Last nichts im Gleichgewichte der Waage gestört
wird. Erscheint die Last an dem breiten Ende, also bei f, zu schwer, also schwerer als der zehnte Theil ihrer selbst an Gewicht, so
ist klar, daß die Last einen zu großen Weg an dieser Stelle beschreibt, daß also die beiden Schneiden f zu weit nach der Schneide g hinstehen, man muß also in diesem Falle die Schneide g von f entfernen; erscheint
dagegen die Last bei f zu leicht, so macht f einen zu kleinen Weg, und man muß die Schneide g dem Punkte f nähern; man
hat also so lange nach diesen beiden Resultaten die Schneide g zu verschieben, bis das zehnfache Gewicht auf jeder beliebigen Stelle
der Schale dem einfachen Gewichte in der hängenden Schale das Gleichgewicht hält.
Bringt man dieß ungeachtet der richtigen Anwendung dieser Versuchsmethode gar nicht
zuwege, sondern erscheint das Gewicht in der Nähe von g
immer zu leicht oder zu schwer, so ist dieß ein Zeichen, daß die Schneide c falsch gestellt ist, und wenn dieses der Fall ist, so
gibt es gar keine Mittel in der Welt, aus einer solchen Waage eine richtige
Decimalwaage zu construiren. Darum muß auf die Erfüllung jener ersten Bedingung mit
der allergrößten Strenge gehalten werden.
Es ist in der Praxis schon häufig der Fall vorgekommen, daß Decimalwaagen, welche bei
geringen Belastungen scheinbar richtig anzeigten, bei hohen Belastungen um 10 bis 15
Pfd. unrichtig angaben. Der Grund dieses Fehlers liegt offenbar in dem Umstande, daß
in dem Hebel die Schneiden nicht genau das richtige Verhältniß der Entfernung
hatten, daß aber dieser Fehler so gering war, um erst bei hohen Belastungen, wobei
er sich multiplicirte, bemerkbar zu werden. Der Mechanikus Schneider in Linz am Rhein hat diesen Fehler dadurch verbessert, daß er
die Schneide g an eine starke Feder anbrachte, welche
sich bei hohen Belastungen etwas beugte und dadurch den Fehler, der aus ihrer
unrichtigen Stellung entsprang, einigermaßen oder ganz corrigirte. Die Punkte d und g waren alsdann nicht
durch eine gleichbleibende Stange getrennt, sondern g
konnte sich weniger senken als d. Diese Feder ist jedoch
bei einer richtigen Construction ganz überflüssig, und Hr. Schneider hat sich davon, nachdem ich ihm die
obige Anweisung gegeben, auch überzeugt. Die obige Verfahrungsweise ist ohne Zweifel
die einfachste und sicherste, um die genannte Brükenwaage in ihrer größten
Richtigkeit darzustellen.
Es ist jedem Praktiker bekannt, daß die Schneiden b, c, d
und f nach Aufwärts, dagegen a,
g und e nach Abwärts gerichtet sind, und ferner
daß die Schneiden b, a, c, d und wiederum g, f und e im Zustande der
Ruhe in einer horizontalen und geraden Linie liegen müssen.