Titel: | Technische Notizen, auf einer Reise in England gesammelt von Dr. Mohr (in Coblenz). |
Autor: | Dr. Karl Friedrich Mohr [GND] |
Fundstelle: | Band 79, Jahrgang 1841, Nr. XXI., S. 102 |
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XXI.
Technische Notizen, auf einer Reise in England
gesammelt von Dr. Mohr (in Coblenz).
Mohr's technische Notizen.
1) Selbststeuernde, doppeltwirkende Luftpumpe in der
Victoria-Galerie in Manchester.
Die in Fig. 4
gezeichnete Luftpumpe besizt einen sehr sinnreichen Mechanismus der Selbststeuerung
und Kolbenbewegung, weßhalb ich eine kleine Notiz davon für Physiker und Mechaniker
nicht für uninteressant halte. Der Stiefel ist auf ein Tischchen aufgeschraubt, mit
seiner Stopfbüchse nach unten. Er hat oben und unten einen doppelt gebohrten
Guerik'schen Hahn, welche beide Hähne gemeinschaftlich durch eine Stange um
Vierteldrehung bewegt werden.
Die mit einem Griffe versehene Bewegungsstange b ist mit
der Kolbenstange a durch einen Stift verbunden, und am
äußersten Ende mit einem Balancier beweglich verbunden. Das entgegengesezte Ende des
Balanciers bewegt die Steuerungsstange d der beiden
Hähne. Es muß noch bemerkt werden, daß der Drehpunkt des Balanciers selbst um einen
andern festen Punkt e beweglich ist, wovon man sogleich
den Zwek einsehen wird.
Man bemerkt in der Zeichnung, daß der Kolben ganz oben im Cylinder steht, beim
folgenden Zuge also hinab bewegt werden muß. Drükt man zu diesem Zweke auf den
hölzernen Griff, so wird durch die Reibung des Kolbens an dem Cylinder ein gewisser
Widerstand stattfinden, und der Gelenkpunkt m wird als
ein, relativ für einen schwachen Widerstand, fester Punkt anzusehen seyn; aus diesem
Grunde wird der Balancier mit seinem Ende n nach oben,
folglich mit seinem Ende o nach unten bewegt, und die
Steuerung der Hähne bewerkstelligt. Sobald aber der Punkt o nicht mehr abwärts folgen kann, welches auf irgend eine Art geschehen
muß, wenn die richtige Vierteldrehung der Hähne stattgefunden, kann auch der Punkt
n nicht mehr höher steigen, und die bewegende Kraft
wird den Punkt m herunterziehen, weil der Stüzpunkt n jezt den gehörigen Widerstand leistet. Beim Umkehren
der Bewegung wird zuerst das Ende n des Balanciers
gesenkt, dadurch o gehoben, und wenn dieß geschehen,
fängt erst die Bewegung des Kolbens an. Es ist den nach leicht einzusehen, daß die
Bewegung des Kolbens nicht eher beginnen kann, als bis die Steuerung vollendet ist,
unter der einzigen Voraussezung, daß der Reibungswiderstand des Kolbens größer sey,
als jener der beiden Hähne, eine Bedingung, die wohl unbedenklich zugegeben werden
kann.
Wenn n ein absolut fester Punkt wäre, so müßte m ein Stük eines Kreisbogens beschreiben, welches aber
wegen der Befestigung des Cylinders nicht zulässig ist. Da nun aber der ganze
Balancier sammt seinem Drehpunkte um den Punkt e auf
einem Gelenke beweglich ist, so kann sich der Punkt n
leicht nach rükwärts bewegen, während er nach oben unbeweglich ist, und er kann so
dem Punkte m gestatten, in einer geraden Linie aufwärts
und abwärts zu steigen. Die Hähne blasen seitlich die Luft aus, verhindern aber den
Eintritt durch ein Blasenventil; der Kolben findet also immer geringem Widerstand,
je weiter die Verdünnung geschritten ist.
Die doppelte Stellung der Hähne ist in Fig. 5 ersichtlich. Nach
demselben Principe lassen sich ohne Zweifel noch mehrere, vielleicht sogar
einfachere Combinationen construiren.
2) Einrichtungen in den englischen
Maschinen-Fabriken.
Eine sehr empfehlenswerthe Einrichtung finden wir in den Werkstätten von Sharp,
Roberts und Comp. in Manchester in Ausführung gebracht, wodurch jährlich große
Mengen an Material und Zeit erspart werden. Hr. Roberts
hatte selbst die Gefälligkeit uns als Fremde in seinen ausgedehnten
Atlas-Works mit zuvorkommender Freundlichkeit umherzuführen, und ich glaube
ganz im Sinne dieses als
Mechaniker so wie als Gentleman gleich ausgezeichneten Mannes zu handeln, wenn ich
jener Einrichtung hier erwähne, von der ich noch in keiner einzigen mechanischen
Werkstatt Anwendung gemacht sah.
Bei einer so großen Anstalt, wie die Atlas-Works, fällt täglich eine nicht
unbedeutende Menge von Material ab, welche hier und dort zerstreut liegen bleibt.
Würbe man allen diesen Abfall von Rund-, Band- und Quadrateisen in
einen Haufen zusammenwerfen, so könnte Jemand, der ein kleines Stük Eisen
gebrauchte, in die Lage kommen, eine nicht unbedeutende Zeit in diesen ungeheuren
Haufen umherzustöbern und am Ende das Verlangte doch nicht zu finden, ungeachtet es
zur Genüge sich darin befände. Der Haufen müßte um so rascher wachsen, als es
nothwendig geschehen würde, daß selbst die gesuchten Stüke nicht herausgefunden
würben. Es ist nun die Einrichtung getroffen, daß nach jedem Arbeitstage gewisse
Leute alle Werkstätten durchgehen, und alle einzelnen übriggebliebenen Stüke Eisen
oder Stahl auflesen. Diese werden nun in eine eigene Kammer gebracht und nach der
Leere an diejenige Stelle der Kammer vertheilt, wo auf einem Schildchen das
wirkliche Maaß des Eisenstükes angegeben ist.
So finden sich an einer Wand alle Rundeisenabfälle von zwei Linien an bis zu mehreren
Zollen in ihre einzelnen Nummern vertheilt, an einer andern das vierekige Eisen, an
einer dritten das Flacheisen mit der deutlichen Aufschrift 1/2 auf 1 Zoll, 1 auf 2
Zoll, 1/2 auf 3 Zoll u.s.w.
Jeder, der nun ein kleines Stükchen Eisen gebraucht, findet es nun sicherlich an der
ihm vorher bekannten Stelle, oder es ist überhaupt im Abfalle nicht vorhanden und
muß alsdann aus dem Magazine entnommen werden. Es ist auffallend, wie klein
überhaupt diese Abfälle sind, weil sie sich nie aufhäufen, sondern immer wegen des
leichten Auffindens weggebraucht werden. Es ist verboten in größeren Haufen etwas
aufzusuchen, weil dadurch Zeit verloren geht, ohne daß man sicher ist, das Gesuchte
endlich zu finden. Zeit ist in einem so großen und wohlgeordneten Geschäfte von
unendlichem Werthe, weßhalb alle Sorgfalt genommen ist, daß keine verloren geht. So
ist z.B. in jedem einzelnen Theile der zerstreuten Werke ein Portier, und bei ihm an
der Wand hängen Schildchen, worauf die Namen der Geschäftsherren Sharp, Roberts,
Sharp Jun.., und auf einem andern die Namen der Aufseher
(foremen) stehen, und neben jedem Namen ist ein
messingener Schieber mit den beiden Worten in (drin), out (braus). Tritt nun einer der genannten in das Gebäude ein, so sezt der
Portier den zu seinem Namen gehörigen Schieber so, daß das in
sichtbar, das out aber verdekt ist. Der Portier braucht
sich deßhalb nicht mehr auf sein Gedächtniß zu verlassen, und jeder Fremde findet
angeschrieben, wer im Hause ist und wer nicht.
Es ist natürlich, daß in einer so großen Anstalt alle möglichen Fälle von
Collisionen, Fehlern, Uebertretungen vorgekommen sind. Um diese zu verhindern, sind
gewisse Geldstrafen gesezt, womit die Uebertreter bei der Abrechnung gebüßt werden.
Diese Strafen sind meistens nur 1 Schilling, in wenigen Fällen höher, in einem
einzigen Falle 10 Schilling, wenn nämlich ein Fremder ohne Erlaubniß eingeführt
wird. Es ist interessant, einige der vorhergesehenen Fälle zu erwähnen, wobei wir
die gewöhnlichen Fälle des Betrunkenseyns, Zuspätkommens und ähnliche ganz übergehen
wollen.
Gestraft wird: wenn ein Arbeiter ohne seinen 2 Fuß-Maaßstab, mit Vor-
und Zunamen bezeichnet, in die Werke kömmt; wenn einer Nägel in die Wand schlägt;
wenn einer Feilen als Spizen und Nägel gebraucht; wenn einer Späne und Abfälle mit
nach Hause nimmt; wenn einer sich wäscht, den Rok anzieht oder andere Vorbereitungen
zum Weggehen macht, ehe die Gloke geläutet wird; wenn einer die Gasbrenner aufbohrt;
wenn einer vergißt sein Gas abzuschließen; wenn einer geborgtes Werkzeug nicht zur
rechten Zeit wiedergibt; wenn einer ein zerbrochenes Werkzeug verheimlicht oder
wegwirft; wenn einer auf einem geziegelten oder gedielten Boden hämmert, oder auf
einer Drehbank, Maschine oder anderm Gegenstand, der nicht fünfzigmal schwerer als
der Hammer ist; wenn einer von seiner Dreh- oder Eisenhobelbank an den
Schleifstein geht, ohne diese aus der Bewegung auszulösen, vorausgesezt daß sie
nicht selbstthätig fortarbeitet; wenn einer Schmiede- oder Gußarbeit
bestellt, ohne autorisirt zu seyn; wenn einer Modelle verändert oder verändern läßt,
ohne beauftragt zu seyn; wenn sich jemand in die Aufziehmaschine begibt, statt die
Treppe hinauf zu gehen; wenn einer fünf Minuten länger in den Werkstätten bleibt als
ihm Heimgehen geboten ist; wenn einer seine Hände mit Oehl wäscht u.s.w., woraus man
zur Genüge ersieht, mit welcher Umsicht, Menschenkenntniß und Erfahrung eine solche
Anstalt geleitet wird. Es wird Niemand zweifelhaft seyn, daß die gewaltige
Uebermacht der englischen Industrie unter anderm einer ungemeinen Intelligenz
zugeschrieben werden muß, und die eben mitgetheilte Notiz zeigt genügend, in welcher
Art diese Intelligenz sich auf die praktische Richtung ausdehnt. Fast für jede
bedeutende Arbeit bei der Construction der Locomotiven und Dampfmaschinen sind
eigene Werkzeuge ausschließlich bestimmt, wobei einige so eingerichtet sind, daß der
Arbeiter nicht fehlerhaft arbeiten kann. Dieses ist nicht zu verwundern, wenn ein Mann mit der
Erfindungsgabe von Roberts seine Energie verbindet. Alle
Arbeiten werden mit einer außerordentlichen Genauigkeit gemacht. Hr. Roberts hat unter andern eine Aufgabe gelöst, woran Ramsden verzweifelt ist. Er hat einen Kreis von! sechs
Fuß Durchmesser mit einer Schraubenmutter ohne Ende versehen, welche absolut richtig
ist. Das Merkwürdigste dabei ist, daß er durch ein einfaches Experiment Jedem zeigen
kann, daß diese Randschraube genau richtig ist, und daß dieser Beweis streng richtig
und bindend ist. Ich weiß nicht, ob ich ein Mehreres hierüber sagen darf.
3) Ueber Schwefelsäure-Bereitung mittelst
Schwefelkies.
Durch die sicilianischen Schwefelzwistigkeiten ist der Preis des Schwefels,
ungeachtet der friedlichen Schlichtung, in die Höhe gegangen, so daß man sich in
England nach einem wohlfeilem Material umgethan hat. Dieses hat man im irländischen
Schwefelkiese gefunden, welcher bereits allgemein zu diesem Zweke verwendet wird.
Das Material soll in überschwänglicher Menge vorhanden seyn. Es ist ein glanzloser
grauer Stein, der zufällig sehr wenig, stellenweise gar keinen Arsenik enthält. Der
Schwefelkies wird in etwa 7 Fuß hohen Schachtöfen von beinahe parallelipideischem
Inhalte geröstet. Der Ofen wird durch glühende Schlaken vorgewärmt, dann Kies
eingegeben, welcher sich durch die Wärme der Wände entzündet und nun immer
fortbrennt. Da der Schwefelkies beim Rösten seine Form nicht ändert, so sinkt er
auch nicht zusammen, und man hat deßhalb auf der ganzen Brust des Ofens 4 bis 5
Thüren angebracht, um das Nachsinken durch Stören befördern zu können; die
rothgebrannten Steine werden unten herausgescharrt, und oben neue aufgegeben. Die
Kammern gehen alle ununterbrochen. Man findet weniger Schwierigkeiten als man
vermuthete, und freut sich eines ausländischen Tributes quitt zu seyn.
Die Bleiplatten der Schwefelsäure-Kammern werden häufig ohne Loth
zusammengefügt. Man richtet die Ränder der beiden Platten senkrecht in ungleiche
Länge auf, schlägt dann die hervorragende Kante um, nachdem zuvor Bleiweißfarbe in
den Zwischenraum gebracht wurde, und biegt noch einmal diese beiden Ränder zu einem
halbrunden Wulst mit einem hölzernen Hammer um.
Das Löthen des Bleies mit Blei nach Richemont's Manier
(polytechnisches Journal Bd. LXXVII. S. 33.)
findet wegen der Kosten und des Zeitverlustes bei den kolossalen englischen Kammern,
wo alle Lothstellen
nahe an eine Meile betragen, keine Anwendung.