Titel: | Ueber das Rhusma und seine Anwendung zum Enthaaren der Häute; vom Lector Thaulow. |
Fundstelle: | Band 79, Jahrgang 1841, Nr. XLVII., S. 226 |
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XLVII.
Ueber das Rhusma und seine Anwendung zum
Enthaaren der Haͤute; vom Lector Thaulow.
Aus dem in Christiania erscheinenden
„Constitutionellen“, 1840, Nr. 249.
Thaulow, uͤber das Rhusma und seine Anwendung zum Enthaaren
der Haͤute.
Bekanntlich wenden einige Volksstämme im Orient und einzelne Religionssecten, bei
denen der Gebrauch der Barbiermesser verboten ist, eine Substanz an, welche die
Eigenschaft hat, in kurzer Zeit die Haare aufzulösen, so daß sie abgewaschen werden
können; diese Substanz heißt Rhusma. In älteren
Schriftstellern wird sie öfters genannt, aber in den neueren Handbüchern der Chemie
findet man sie nicht erwähnt. Durch eine Notiz in einem englischen Journal wurde sie
zuerst in Erinnerung gebracht und bei der Versammlung der deutschen Naturforscher in
Freiburg im J. 1838 kam ihre Zusammensezung zur Sprache. Ungeachtet man nun aber
wußte, daß Rhusma gewonnen wird, wenn man 1 Theil Schwefelarsenik mit 2 – 3
Th. Kalkhydrat (gelöschtem Kalk) zusammenreibt, und daß bei deren Einwirkung
einerseits arsenigsaurer Kalk und andererseits eine Verbindung von Schwefelcalcium
mit Schwefelarsenik entsteht, so war doch noch nicht untersucht, welchem von diesen
Bestandtheilen die bekannte Wirkung zugeschrieben werden müsse. Durch spätere
Untersuchungen ist erwiesen, daß die chemische Verbindung von Schwefelcalcium mit
Schwefelarsenik allein das Wirksame dieses Gemisches ist; die Anwesenheit von
Arsenik macht dieses Mittel jedoch zu einer giftigen Substanz, deren Anwendung sehr
leicht gefährliche Folgen haben kann.
Ein ähnliches Gemisch ist das Mittel, welches in neuerer Zeit bei J. und E. Atkinson in London (Old
Bond-street No. 24) verkauft wird; dasselbe kommt unter der
Benennung Atkinson's depilatorium im Handel in
vierekigen versiegelten Flaschen vor, welche mit einem gedrukten Umschlag versehen
sind, der die Beschreibung der Anwendung enthält. Darauf heißt es, daß die Substanz,
welche ein gelbes Pulver ist, mit Wasser zu einem Brei angerührt und auf die Haut
gelegt werden soll; nach 5 Minuten soll man denselben wieder wegnehmen und dann sey
die Haut ganz frei von Haaren. Es soll besonders dazu dienen, alle überflüssigen
Haare im Gesicht, auf dem Hals und Arm wegzuschaffen; zugleich aber empfiehlt man,
es nicht allzulange liegen zu lassen, weil es leicht Entzündung erzeuge, und darauf
zu achten, daß die Substanz keine Wunde berühre. Bei einer chemischen Untersuchung
dieses Depilatoriums fand manSie ist von Dr. R. Böttger; man vergleiche Annalen der Chemie und Pharmacie, März
1840, S. 348.A. d. R. es zusammengesezt aus 1 Th. Auripigment, 6 Th. gebranntem Kalk, etwas Mehl und einem
gelben Farbstoff. Da das Mehl bloß zugesezt ist, damit das Pulver mit dem Wasser
leicht einen Brei gibt, und der Farbstoff, um die weniger angenehme graue Farbe in
eine gelbe zu verwandeln, so sieht man leicht, daß das Depilatorium dieselben
wirksamen Bestandtheile wie das Rhusma enthält, und daß es überhaupt nichts anderes
als Rhusma ist. Wegen seines Arsenikgehalts verdient aber dieses Mittel nicht nur
nicht empfohlen, sondern der Verkauf desselben streng verboten zu werden.
Die Thatsache, daß das eigentlich Wirksame im Rhusma eine Verbindung von
Schwefelcalcium mit Schwefelarsenik ist, gab Veranlassung, die Wirkung anderer
Schwefelsalze auf die Haare zu versuchen, um möglicherweise ein unschädliches Mittel
zu finden. So wurde vor nicht langer Zeit von einem deutschen ChemikerNämlich von Hrn. Dr. R. Böttger, dessen Abhandlung über das neue Haarvertilgungsmittel und
seine Bereitung für Gerber im Großen, auch im polytechnischen Journal Bd. LXXII. S. 455 mitgetheilt wurde.
Hr. Thaulow bestätigt in der Hauptsache bloß die
Angaben des genannten deutschen Chemikers, welche so sehr verdienen wieder
in Erinnerung gebracht und möglichst verbreitet zu werden.A. d. R. entdekt, daß das sogenannte Calciumsulfhydrat (Verbindung von
Schwefelcalcium mit Schwefelwasserstoff) die Eigenschaft besizt, in sehr kurzer Zeit
die Haare zu einer weißen Gallerte aufzulösen. Um mich selbst hievon zu überzeugen,
habe ich die Wirkung dieser Substanz an mir und Andern erprobt. Bringt man sie in
Form eines dünnen Breies auf die Haut des Arms oder der Hand, so werden die Haare in
1 – 2 Minuten so aufgelöst, daß sie nach dem Abwaschen mit Wasser völlig
verschwunden sind; die Haut bleibt weiß und glatt und man sieht und fühlt nicht die
geringste Einwirkung darauf. Selbst wenn man die Masse so dik wie ein
Brodmesserrüken auf den Arm streicht und über 10 Minuten darauf liegen läßt, bemerkt
man keine Einwirkung auf die Haut. Dagegen wird die porösere Haut im GesichtDie Poren der Haut oberhalb des Mundes sind nämlich, (wie Hr. Dr. Böttger in den
Annalen der Chemie und Pharmacie a. a. O. bemerkt) weit geöffneter als die
des Armes, was man auch leicht schon daraus erkennen kann, daß an diesen
Stellen unmittelbar nach dem gewöhnlichen Barbieren mittelst eines Messers,
der Schweiß tropfenweis hervortritt, sobald man sich nur im mindesten
echauffirt.A. d. R. nicht unbedeutend angegriffen. Es sind etwa 5 Minuten erforderlich, um den
steifen Bart so aufzulösen, daß man ihn leicht mit Hülfe eines hölzernen oder
beinernen Messers oder eines gewöhnlichen Taschenmessers abnehmen kann. Man fühlt
inzwischen, besonders das erstemal, ein starkes Brennen in der Haut, und an
einzelnen Stellen wird diese so stark angegriffen, daß man Oehl einschmieren muß, um den Schmerz zu
vermindern. Doch ist bei verschiedenen Personen die Haut nicht gleich reizbar und
manche werden ohne Zweifel mit weniger Beschwerlichkeit dieses Mittel anwenden
können. Hr. E. Siller, Mitherausgeber des in Petersburg
erscheinenden Nordischen Centralblattes für Pharmacie, sagt, daß bei der ersten
Anwendung dieses Mittels die Haut in solchem Grade angegriffen wurde, daß er sich
genöthigt sah, die schmerzenden Stellen mit Oehl zu bestreichen, um die
unerträgliche Empfindung in der Haut zu vermindern, daß aber bei fortgeseztem
Gebrauch die Haut sich so daran gewöhnt habe, daß er jezt das Mittel anwende, ohne
daß die Epidermis im Geringsten mehr als bei der Anwendung eines Barbiermessers
afficirt werde. Ungeachtet es wahrscheinlich ist, daß die Haut sich mit der Zeit an
diese Substanz gewöhnen kann, so zweifle ich doch, daß sie als kosmetisches
(barthaarvertreibendes) Mittel in allgemeinen Gebrauch kommen wird. Alte Leute,
deren Hand zittert, oder Personen mit schwachem Gesicht, welche sich nicht barbieren
lassen wollen, werden ohne Zweifel das Mittel mit Vortheil anwenden. Vielleicht
gelangt man noch dahin, durch Zusäze seine Einwirkung auf die Haut zu verhindern,
ohne daß dadurch seine Eigenschaft, schnell auf die Haare einzuwirken, vermindert
wird.
Von sehr großer Wichtigkeit ist dagegen die technische Anwendung des neuen Rhusma's
zu einer fast augenbliklichen Enthaarung der Thierhäute. Um die thierische Haut in
Leder zu verwandeln, wird bekanntlich das Gerben vorgenommen, und eine wichtige
vorbereitende Operation ist dabei das Enthaaren. Man wendet dazu gelöschten Kalk an,
in der Art, daß man die Häute mit Kalk in einer großen Grube zusammenbringt. Nach 6
– 8 Tagen, manchmal erst nach 3 Wochen, sind die Häute so angegriffen, daß
die Haare abgeschaben werden können; die Wirkung des Kalks erfolgt hiebei durch
seine Reaction auf die Oberhaut selbst, wodurch das Zellengewebe zerstört wird, so
daß die Haare nicht mehr in ihren Zellen festsizen; die schwächere oder stärkere
Einwirkung des Kalks auf die Haut hängt von der Temperatur ab. Nachdem die Haare
mittelst eines dazu construirten Messers abgeschaben sind, werden die Häute gut
gewässert, um sie von dem Kalk zu befreien, welcher auf das Gerben nachtheilig
einwirken würde; der Kalk hat sich zum Theil in die Haut selbst eingedrängt, daher
man auch die Häute nach dem Wässern mit einem Schiefersteine oder etwas Aehnlichem
streicht, um allen Kalk auszupressen. Anstatt des Kalkens läßt man bisweilen auch
die feucht zusammengerollten Häute in einem gut verschlossenen Keller liegen, wobei
nach einiger Zeit eine Gährung eintritt, wodurch die Epidermis gleichfalls so
angegriffen wird, daß die Haare sich lösen; dabei werden jedoch die Häute weniger beschädigt als bei
der Behandlung mit Kalk, weßhalb auch diese Methode besonders zur Fabrication des
stärkeren Sohlleders angewendet wird; unterbricht man hingegen die Gährung (das
sogenannte Schwizen) nicht zur rechten Zeit, so können die Häute dabei auch so stark
angegriffen werden, daß sie ganz unbrauchbar sind. Eine dritte Methode, nämlich die
Haut auf der Fleischseite mit Kochsalz einzureiben, ist nicht praktisch. Aus dem
Angeführten ist ersichtlich, daß man bisher genöthigt war, die Häute einer
beginnenden Zersezung zu unterziehen, um die Haare loszubekommen.
Das neue Rhusma bietet ein vorzügliches Mittel dar, um diesem Nachtheil bei der
Enthaarung vorzubeugen. Während der Kalk seine Wirkung auf die Haut, nicht aber auf
die Haare ausübt, wirkt umgekehrt das Rhusma auf die Haare und nicht auf die Haut.
Ich habe selbst Versuche mit verschiedenen Häuten angestellt: sogar die steifen
Haare auf einem trokenen Dachsfell wurden in wenigen Minuten so angegriffen, daß ich
sie mit einem Holzspahn leicht abnehmen konnte; da man, wie oben bemerkt wurde, das
Mittel längere Zeit auf dem Arme liegen lassen kann, ohne die mindeste Einwirkung
auf die Haut zu spüren, so scheint es durchaus unwahrscheinlich, daß es eine
Einwirkung auf die todte Haut haben sollte, besonders weil es nur einige Augenblike
in Berührung mit den Haaren bleibt und also nicht Zeit genug hat auf die Haut zu
wirken, was doch erst geschehen würde, nachdem die Haare aufgelöst sind. Vor einiger
Zeit hat man dem Gewerbvereine in Berlin eine Haut vorgelegt, welche durch das neue
Mittel von den Haaren befreit und unmittelbar darauf dem Gerbeproceß unterzogen
worden war; das Leder wurde in jeder Hinsicht ausgezeichnet gut befunden. Es ist
unzweifelhaft, daß die Eigenschaft des Leders zu brechen nicht ganz der Einwirkung
der Wichse zugeschrieben werden darf, sondern vielmehr als eine Folge der thörichten
Methode des Enthaarens mittelst Kalk anzusehen ist. Der Hauptzwek meines Aufsazes
ist daher, alle Gerber aufzufordern, diese Methode zu verlassen, und ich hoffe, daß
nach meiner Auseinandersezung jeder Gerber klar einsehen wird, welchen Nuzen die
Anwendung des neuen Mittels gewährt, so daß in Zukunft kein rationeller Gerber seine
Zuflucht zu der alten Methode mehr nehmen wird. Man schmiert das neue Rhusma auf die
Haut (auf der Haarseite) ein, schabt es nach sehr kurzer Zeit wieder ab und kann
dann die Haut sogleich dem Gerben unterziehen. Auch erspart man dabei viel Zeit und
Arbeit, und das Mittel selbst ist nicht kostspielig; die Haare gehen bei dieser
Methode allerdings verloren, man kann aber zuvor die längsten mit einer Schere
abschneiden. Das
Wichtigste ist, daß die Haut in ihrem natürlichen Zustande bleibt, und daß also der
Zwek, welchen man bei dem Gerben hat, in einer viel größeren Vollkommenheit erreicht
werden kann; wenn auch das Leder dabei etwas theurer werden sollte, so wird sich
doch jeder Consument dabei besser stehen als jezt, wo das Leder mittelmäßig ist.