Titel: | Bericht des Hrn. Theod. Olivier über den von Hrn. Ch. Dietz construirten Dampfwagen zum Befahren gewöhnlicher Landstraßen. |
Fundstelle: | Band 79, Jahrgang 1841, Nr. LXXXIII., S. 401 |
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LXXXIII.
Bericht des Hrn. Theod. Olivier uͤber den von Hrn. Ch. Dietz construirten Dampfwagen
zum Befahren gewoͤhnlicher Landstraßen.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement. Decbr. 1840, S. 457.
Olivier, uͤber Dietz's Dampfwagen zum Befahren
gewoͤhnlicher Landstraßen.
Schon mehrere Jahre hört man von den Versuchen sprechen, die von verschiedenen
Mechanikern angestellt wurden, um das Problem, gewöhnliche Landstraßen mit Dampf zu
befahren, zu lösen; Jedermann war erstaunt über die Schwierigkeiten, welche bei
dieser Aufgabe zu besiegen waren, und man zweifelte an dem Erfolg. Man frug sich,
wie wird man den Mechanismus des Wagens aufhängen, damit er die Stoße nicht
empfindet, wenn der Dampfwagen die Furchen der Straße durchschneidet? Wie wird man
ihn in einem kleinen Kreise, von nur einigen Metern Halbmesser, drehen können? Wie
wird man ihn jeden Augenblik von der geraden Linie ablenken können, um ihn dann in
einer Schlangenlinie zu führen; und nicht allein den Dampfwagen, sondern auch noch
den Tender und die großen Wägen oder Diligencen, welche er mit sich führen soll?
Alle diese vorhergesehenen Schwierigkeiten wurden durch Hrn. Dietz glüklich besiegt, der sich nicht durch unfruchtbare Versuche
entmuthigen ließ, und dessen Beharrlichkeit alles Lob verdient.
In der Industrie, wie in allen Dingen, bedarf es beständiger Anstrengungen, um etwas
Gutes hervorzubringen; diejenigen, welche die Lösung einer Aufgabe aufgeben, weil
ihre ersten Versuche mißglükten, werden nie etwas Nüzliches hervorbringen. Alle
diejenigen, welche den Dampfwagen „Dietz“ mit seinem Tender und
zwei großen Wagen in der Form von Diligencen oder Omnibus fahren sahen, sind
überzeugt worden, daß das vorgesezte Problem in der That gelöst wurde, und zwar auf
eine in mechanischer Hinsicht befriedigende Weise.
Dieser Dampfwagen kann sich in einem Kreise von 3 Meter Halbmesser wenden; d.h. wenn
der Dampfwagen sich z.B. rechts herumdreht, so können alle Räder auf der rechten
Seite einen Kreis von 3 Meter Halbmesser beschreiben, welches der kleinste Kreis
ist, der ihnen zu beschreiben möglich ist; und da der Wagen 2 Meter Spurweite hat,
so kann er auf einer Landstraße oder in einer Straße, die 10 bis 11 Meter Breite
hat, sich leicht drehen, um umzukehren.
Der Dampfkessel und der ganze Mechanismus werden durch sechs Räder getragen, von
denen sich auf jeder Seite der Locomotive drei befinden; die Achse oder Nabe von
jedem dieser Räder dient einer verticalen Stange, an deren Ende eine Feder befestigt
ist, als Stüzpunkt; diese Feder ist mit dem Gestell oder horizontalen Rahmen
verbunden, auf welchem der Dampfkessel und die verschiedenen Theile des Mechanismus
ruhen, welche bestimmt sind, einer horizontalen Achse eine beständige Kreisbewegung,
aus der hin- und hergehenden Bewegung des Kolbens abgeleitet, mitzutheilen;
durch diese Einrichtung kann jedes Rad auf- und niedersteigen, wie es die
Ungleichheiten des Weges erfordern und die Schwingungen und Stöße werden durch die
Federn unschädlich gemacht.
Das Aufhängen auf diese Art ist glüklich gewählt, indem man während des Ganges des
Dampfwagens keine heftige Bewegung empfindet, sowohl wenn er von der Mitte der
Straße ab auf die niedere Seite des Weges geht, als auch, wenn er die Straße quer
über fährt, um von der niederen Seite rechts auf die niedere Seite links der
Straßenmitte zu kommen. Ueberdieß fuhr er auch auf schlecht gepflasterten Theilen
des Weges, so wie auch über mehrere Rinnen, und die Erschütterungen waren nicht sehr
fühlbar, sondern man bemerkte nur ein Zittern des Wagens.
Die horizontale Achse, welche die Kreisbewegung von zwei Kolben mittelst zweier
Krummzapfen erhält, trägt sie mit Hülfe einer Kette ohne Ende auf eine Wagenachse
über, auf welcher zwei große Räder sizen. Diese Wagenachse ist auf einem zweiten
horizontalen Nahmen befestigt, mit dessen Hülfe man den Wagen lenkt, und mit welchem
man ihn rechts oder links vom Wege ablenkt.
Zwei von den drei Leiträdern, welche auf jeder Seite des Dampfwagens angebracht sind,
stehen vor den Rädern, die dem Wagen Bewegung geben, und bilden die vordere
Abtheilung. Wenn man durch den Mechanismus, womit man dem Wagen seine
Bewegungsrichtung gibt, die zwei Räder der vorderen Abtheilung von ihrer geraden
Richtung beide nach einer Seite hin ablenkt, so wird dadurch zu gleicher Zeit das
dritte hinter den Bewegungsrädern befindliche Rad nach der entgegengesezten Richtung
abgelenkt, und zwar in der Art, daß die Punkte, wo die vier Räder auf jeder Seite
des Dampfwagens den Boden berühren, ungefähr in dem Umfange eines Kreises liegen,
dessen Mittelpunkt in der Verlängerung einer geraden Linie liegt, die durch die zwei
Punkte gezogen ist, wo die Bewegungsräder den Boden berühren.
Diese kurze Beschreibung genügt nicht, um einen vollständigen Begriff von dem Spiele
des Mechanismus und von seiner Eigenthümlichkeit zu geben; durch Zeichnungen
allein könnte man die Einrichtung des Ganzen und die Verbindung der einzelnen Theile
wie auch ihre Bewegungen ganz verständlich machenWir werden in einem der folgenden Hefte eine gute Abbildung dieses
Dampfwagens liefern, welche das Januarheft 1841 des Bulletin enthält.A. d. R.; sie genügt aber, um zu zeigen, daß der Rahmen, auf welchem die
Bewegungsräder so wie der Mechanismus, der dem Wagen die verlangte Richtung gibt,
angebracht ist, vollkommen unabhängig von dem anderen Rahmen ist, der den
Dampfkessel und die Achse trägt, welche ihre kreisförmige Bewegung von den beiden
Krummzapfen erhält, die durch die beiden Kolben bewegt werden; dieser zweite Rahmen
ist es, an welchem die sechs Federn befestigt sind, welche mittelst verticaler
Stangen auf den sechs Leiträdern ruhen.
Wenn es erlaubt ist sich so auszudrüken, könnte man sagen: der zweite Rahmen, und was
mit ihm verbunden ist, bildet den Wagen mit seinen sechs Rädern, während man sich
bei dem ersten Rahmen und seinem Zugehör die zwei Bewegungsräder als die Pferde, den
Mechanismus, welcher den sechs Leiträdern die Richtung gibt, als die Zügel, und die
Kette ohne Ende als das Geschirr und die Stränge vorstellen kann.
Um die Erfindung des Hrn. Dietz zu prüfen, hat man mit
seinem Dampfwagen drei Versuche angestellt:
Der erste fand am 13. Mai, der zweite den 5. Jul., und der dritte am 6. Okt. 1840
statt. Beim ersten Versuche bestand der Zug aus dem Dampfwagen, dem Tender mit
Brennmaterial und Wasser versehen, und zwei Omnibus, die ungefähr 42 Personen
enthielten. Der Zug ging von dem Atelier des Hrn. Dietz
in der rue Marbœuf um 7 Uhr 51 Minuten Morgens
ab, und kehrte um 8 Uhr 46 Minuten zurük. Der Versuch dauerte also 55 Minuten. Der
in diesem Zeitraume durchlaufene Weg betrug 12,119 Meter, was 13,220 Meter oder 13
Kilometer und 220 Meter per Stunde beträgt. Bei diesem
ersten Versuche hatten die Commissäre die Menge des vor und während der Fahrt
verbrauchten Brennmateriale nicht selbst beobachtet, sondern Hr. Dietz notirte sie für sich allein und gab den Aufwand an
Kohks zu 180 Kilogr. 100 Gr. für die Stunde an.
Bei dem zweiten und dritten Versuche begab sich einer der Commissäre am Morgen in das
Atelier des Hrn. Dietz, wo man die Kohle in seiner
Gegenwart wog, worauf der Ofen um 7 Uhr zum erstenmal und um 7 3/4 Uhr zum
zweitenmal geschürt wurde. Der Zug bei den beiden lezten Versuchen bestand aus denselben
Wagen wie das erstemal. Beim zweiten Versuche wurde um 10 Uhr 24 Minuten abgefahren
und um 11 Uhr 35 Minuten zurükgekehrt; der durchlaufene Weg betrug 15,460 Meter in
71 Minuten, was 13,065 Meter oder 13 Kilometer und 65 Meter (3 1/4 Stunden nach
altem Maaß) in der Stunde betrug; der Aufwand an Kohks betrug 152 1/2 Kilogr. per Stunde. Beim dritten Versuche ging der Zug um 11 Uhr
18 Minuten ab und kehrte um 1 Uhr 55 Minuten zurük. Der Versuch dauerte also 2
Stunden und 37 Minuten; allein der Zug war einmal genöthigt, 5 Minuten lang
anzuhalten, um eine Schraubenmutter anzuziehen, und ein zweitesmal 10 Minuten lang,
um etwas Wasser einzunehmen, weil der Tender nur für ungefähr eine Stunde solches
fassen konnte; der Zug war also im Ganzen 2 Stunden und 22 Minuten im Gange und
durchlief während dieser Zeit 31,225 Meter, was 13 Kilometer und 193 Meter für die
Stunde, oder 3 1/3 Stunden altes Maaß beträgt; während 2 Stunden 37 Minuten, die der
Versuch dauerte, wurden 453 Kil. Kohks verbraucht, was 170 Kil. 350 Gr. für die
Stunde beträgt.
Bei diesem lezten Versuche hatte man, um von dem Ende der Brüke von Neuilly bis auf
die Höhe von Courbevoie zu kommen, 8 Minuten nöthig, welches als mittlere
Geschwindigkeit 2 Stunden in einer gibt, die Stunde zu 4000 Meter angenommen. Die
Anhöhe von Courbevoie hat einen Abhang von ungefähr 1 auf 22.
Während dieser Versuche arbeitete der Dampfwagen beständig unter einem Druke von 4
Atmosphären.
Hr. Dietz hat als Mittel aus verschiedenen Versuchen, die
während 2 Jahren angestellt wurden, berechnet, daß das Maximum des Aufwandes an
Kohks in der Stunde 180 Kil. bei einer Geschwindigkeit von mindestens 3 Stunden in
einer beträgt, und auf einer Route, welche wenig Hindernisse darbietet.
Die Frage, ob gewöhnliche Straßen mit Dampf befahren werden können, ist höchst
wichtig, weil sie zu nüzlichen Anwendungen führen könnte; sie hängt von der Lösung
zweier Aufgaben ab. In mechanischer Beziehung ist diese Aufgabe nun gelöst, und zwar
auf eine Art, daß dem Problem zugleich auch in finanzieller Beziehung Genüge
geleistet ist.