Titel: | Ueber die Gährungsfähigkeit der Zukerarten; von Heinrich Rose. |
Fundstelle: | Band 80, Jahrgang 1841, Nr. LXXIV., S. 283 |
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LXXIV.
Ueber die Gaͤhrungsfaͤhigkeit der
Zukerarten; von Heinrich
Rose.
Aus Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie, 1841, Nr.
2.
Rose, uͤber die Gaͤhrungsfaͤhigkeit der
Zukerarten.
Man pflegt in den chemischen und technischen Lehrbüchern die Zukerarten gewöhnlich in
gährungsfähige und in nicht gährungsfähige zu theilen. Zu ersteren rechnet man nur
den Rohrzuker und den Traubenzuker, zu den lezteren den Milchzuker, Mannazuker und
andere Zukerarten. Daß indessen der Milchzuker in Gährung übergehen kann, und daß
Stuten- und Kuhmilch leicht durch Gährung berauschende Getränke geben, wissen
wir schon seit Pallas' Reisen; in neueren Zeiten haben
Schill und Heß noch
besondere Versuche mit dem krystallisirten Milchzuker angestellt, durch welche die
Gährungsfähigkeit desselben von Neuem bewiesen worden ist. Der Milchzuker wird
höchst wahrscheinlich durch die Gährungsmittel erst in Traubenzuker verwandelt, und
dieser ist es, durch welchen die geistige Gährung bedingt wird. Diese Umwandlung des
Milchzukers in Traubenzuker geschieht langsam, und selbst andere Substanzen, die
nicht zu den Zukerarten gerechnet werden, wie Stärkemehl und mehrere Gummiarten, in
denen aber, wie im Zuker, der Sauerstoff- und Wasserstoffgehalt wie im Wasser
enthalten ist, gehen durch Zusaz von stikstoffhaltigen Substanzen leichter in die
geistige Gährung über, als der krystallisirte Milchzuker.
In keinem Lehrbuche wird indessen auf den großen Unterschied aufmerksam gemacht, der
zwischen der Gährungsfähigkeit des Rohrzukers und des Traubenzukers stattfindet, und
doch ist dieser Umstand unstreitig von einem nicht geringen technischen Interesse.
Es ist in der That auffallend, daß man diesen Unterschied ganz übersehen hat,
obgleich er doch so bedeutend ist, daß man dadurch bewogen werden könnte, den
Rohrzuker zu den nicht gährungsfähigen Zukerarten zu rechnen.
Nimmt man gleiche Gewichtstheile vom Traubenzuker und vom Rohrzuker, löst man sie in
gleichen Mengen von destillirtem Wasser auf, und sezt zu beiden Auflösungen eine nur
geringe, aber gleiche Menge von Ferment hinzu, so fängt die Auflösung des
Traubenzukers bei einer gewöhnlichen mittleren Temperatur im Sommer von 16°
R. sehr bald an in Gährung überzugehen, während die des Rohrzukers ganz unverändert
bleibt. Während jene Gährung nach einigen Tagen vollständig vollendet seyn kann,
kann die Auflösung des Rohrzukers selbst nach mehreren Monaten noch unverändert
geblieben seyn, wenn auch die Temperatur derselben bisweilen bis zu 20 und
30° R. erhöht wird.
Der Traubenzuker, der zu diesen Untersuchungen angewendet wurde, war vollkommen rein
und von ganz weißer Farbe; der angewandte Rohrzuker war gute Raffinade. Es wurden
bei diesen Versuchen 2 Loth von jeder Zukerart in 10 Loth Wasser aufgelöst, und die
Auflösungen mit ausgewaschener Bierhefe versezt. Um gleiche Quantitäten von
derselben anwenden zu können, war sie immer von derselben teigartigen
Beschaffenheit. Zwei kleine Theelöffel derselben wogen 1,57 Gramme, und gaben im
Wasserbade getroknet eine hornartige Masse von 0,27 Grammen Gewicht.
Diese Menge von Ferment war vollkommen hinreichend, um jene Auflösung von
Traubenzuker sehr bald in Gährung zu versezen, während sie die des Rohrzukers auch
nach einem Monat noch ganz unverändert ließ. Es mußte die sechsfache Menge von
derselben Heft hinzugefügt werden, um eine langsame Gährung in dieser Auflösung
hervorzubringen. Wollte man beide Auflösungen, die des Traubenzukers und die des
Rohrzukers, in gleicher Zeit in eine Gährung von ungefähr gleichem Gange bringen, so
mußte zu lezterer Auflösung wenigstens sieben- oder achtmal mehr Ferment
hinzugesezt werden, als zu ersterer.
Roher, nicht raffinirter Rohrzuker (braune Moscovade) verhält sich wie Raffinade;
auch er gährte im aufgelösten Zustande bei einem geringen Zusaz von Bierhefe nicht,
und ging erst bei einem stärkeren in Gährung über.
Bei der Gährung des Rohrzukers geht derselbe erst offenbar in Traubenzuker über, und
die größere Menge von Ferment, welche derselbe mehr als lezterer zur Gährung
gebraucht, ist nöthig, um diese Umwandlung zu bewirken.
Die Gährungsfähigkeit des Rohrzukers beruht also auf denselben Gründen, aus welchen
Stärkmehl, viele Gummiarten und Milchzuker unter gewissen Umständen der Gährung
unterworfen werden können. Sie verwandeln sich durch Einfluß von mehreren Stoffen
erst in Traubenzuker, und dieser ist es, durch welchen die geistige Gährung
veranlaßt wird.
Aber von allen Pflanzenstoffen, welche in Traubenzuker verwandelt werden können, ist
unstreitig wohl der Rohrzuker der, bei dem diese Umwandlung am leichtesten und
schnellsten geschieht. Deßhalb wird die geistige Gährung durch ihn so leicht
bedingt, daß man ihn zu
den gährungsfähigen Zukerarten gerechnet hat. Er kann aber auf den Namen einer
Substanz, die in geistige Währung übergehen kann, nicht mehr Anspruch machen, wie
Stärke, mehrere Gummiarten und selbst wie Milchzuker, bei denen freilich die
Umwandlung in Traubenzuker und die daraus erfolgende geistige Gährung bei weitem
schwerer und langsamer vor sich geht. Der Traubenzuker ist daher die einzige
gährungsfähige Zukerart, oder wohl die einzige Substanz überhaupt, welche durch
Ferment in Kohlensäure und Alkohol zerfallen kann, und alle Stoffe, die in die
geistige Gährung übergehen können, müssen vor dieser die Umwandlung in Traubenzuker
erlitten haben.
Einige Chemiker haben schon vermuthet, daß bei der Währung des Rohrzukers derselbe
dabei erst in Traubenzuker verwandelt werdeLiebig, in dessen Bearbeitung von Geiger's Handbuch der Pharmacie S. 812.; aber meines Wissens sind darüber noch keine Versuche angestellt worden. Ich
sezte eine Auflösung von gut raffinirtem Rohrzuker durch eine hinreichende Menge von
ausgewaschener Bierhefe in Gährung; nachdem schon eine bedeutende Menge von
Kohlensäuregas sich entwikelt hatte, unterdrükte ich die fernere Gährung durch
Hinzufügung einer bedeutenden Menge von starkem Alkohol. Die filtrirte Auflösung gab
nach Abdampfung einen schwach gelblich gefärbten Syrup, der nicht zum Krystallisiren
gebracht werden konnte. Er roch auffallend ähnlich dem Honig. Mit einer Auflösung
von Kalihydrat gekocht, schwärzte er sich sogleich stark. Er enthielt also
Traubenzuker, denn ein Syrup von Rohrzuker wird durch Kochen mit Kalilauge
bekanntlich nicht geschwärzt.
Es folgt aus diesem Versuche, daß bei der Gährung des Rohrzukers derselbe erst in
Traubenzuker verwandelt wird, wenn er zu gähren anfängt, und daß diese Umwandlung
nicht allmählich geschieht.
Liebig hat gefunden, daß in dem Safte vieler
Vegetabilien, welche Rohrzuker enthalten, wie in dem Ahorn- und Birkensafte,
Ammoniak enthalten sey.Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie S.
72. In dem Runkelrübensafte war die Gegenwart desselben schon lange bekannt.
Vielleicht hat das Ammoniak im kohlensauren Zustande die Säure im Safte gesättigt,
deßhalb wohl den Rohrzuker gegen die Einwirkung der Säure geschüzt, und verhindert,
daß derselbe sich in Traubenzuker verwandelt hat.
Denn wir finden, daß in allen Obst- und Fruchtsäften, welche neben einem süßen
auch einen sauren Geschmak besizen, Traubenzuker und nicht Rohrzuker enthalten
ist. Es ist leicht möglich und wahrscheinlich, daß der Zuker in denselben im Anfange
als Gummi, oder vielleicht auch als Rohrzuker enthalten war, und daß diese
Substanzen durch die allmähliche Einwirkung der Pflanzensäure in Traubenzuker
verwandelt wurden. Traubenzuker kann in organischen Flüssigkeiten ohne Gegenwart von
Säure enthalten seyn, wie z.B. dieß im diabetischen Harne der Fall ist. Enthält aber
eine organische Substanz eine Säure und ist sie süß, so kann der süße Geschmak nur
von Traubenzuker herrühren.
Es scheinen besonders in den vegetabilischen Säften die nicht flüchtigen organischen
Säuren die Erzeugung des Traubenzukers zu befördern. Ich schließe dieß daraus, daß
ich bei meinen Versuchen über die Gährungsfähigkeit des Rohrzukers, dieselbe durch
keine Substanz leichter befördern konnte, als durch Weinstein, wie dieß vielleicht
schon bekannt ist. Derselbe brachte schon eine Gährung in einer Auflösung von
Rohrzuker hervor, zu welchem nur so viel Hefe gesezt worden war, daß dieselbe ohne
Zusaz von Weinstein nicht in Gährung hätte übergehen können. 2 Loth Rohrzuker, in 10
Loth Wasser aufgelöst, mit 2 Theelöffeln Hefe von der oben angeführten
Beschaffenheit versezt, fingen an zu gähren, als ein Quentchen gepulverter,
gereinigter Weinstein hinzugesezt wurde. Essigsäure und Schwefelsäure brachten
diesen Erfolg nicht hervor.