Titel: | Ueber die Theorie des Bleichens; von Fr. Kuhlmann. |
Fundstelle: | Band 81, Jahrgang 1841, Nr. XIX., S. 70 |
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XIX.
Ueber die Theorie des
Bleichens; von Fr. Kuhlmann.
Aus den Annalen der
Chemie und Pharmacie. April 1841, S.
57.
Kuhlmann, über die Theorie des
Bleichens.
Dumas hat am 18. Nov. 1839 der
Akademie der Wissenschaften einen Brief von Kane mitgetheilt, der sich auf
Untersuchungen dieses Chemikers bezieht, über den ursprünglichen
und im Allgemeinen farblosen Zustand der Farbstoffe, über die
Geseze, welche bei ihren successiven Veränderungen obwalten, und
endlich über ihre Zersezungsweise durch Sauerstoff oder
Chlor.
„Ich habe mich“, sagt Kane, „überzeugt, daß bei der bleichenden
Einwirkung des Chlors auf die Farbstoffe, ebenso wie bei den
anderen organischen Verbindungen, eine
Wasserstoffabscheidung und die Bildung einer neuen
chlorhaltigen Substanz, folglich eigentliche Substitution
stattfindet. Es folgt daraus, daß die Theorie des Bleichens,
nach welcher das Chlor das Wasser zersezen und den
Sauerstoff frei machen soll, unrichtig ist; wenn das Chlor
nur schwach einwirkt, so liegt dieß in seinem
Gaszustand.“
Die auf die Autorität von Dumas
gestüzte Ansicht von Kane wurde
günstig aufgenommen, denn Robiquet
glaubte davon die Priorität in Anspruch nehmen zu müssen, indem
er sich auf die in dem Artikel blanchiment des dictionnaire
technologique gegebenen Entwikelungen berief.
Im gegenwärtigen Augenblik, wo die Existenz von durch längere
Einwirkung des Chlors auf Farbstoffe erhaltenen chlorhaltigen
Substanzen, deren Entstehung schon die Aufmerksamkeit von Dumas in Anspruch genommen hat, außer
Zweifel gesezt ist, hielt ich es für nothwendig, zu untersuchen,
ob die durch diese neuen Untersuchungen dem Chlor zugeschriebene
Rolle mit den abweichenden Thatsachen in Uebereinstimmung sey,
welche ich im Jahre 1833 beobachtet und in den Annal. de chim. Bd. LIV. S. 275Polyt. Journal Bd. LII.
S. 137. mitgetheilt habe.
Meine Beobachtungen bezogen sich auf den
Einfluß des Sauerstoffs bei der Färbung organischer Materien
und besonders auf die Entfärbung durch schweflige
Säure. Ich habe gezeigt, daß viele organische Farben durch
den im Entstehungsmoment einwirkenden Wasserstoff (durch
verdünnte Schwefelsäure und Zink, bei Gegenwart der gefärbten
Materie, erzeugten Wasserstoff) zerstört werden können. Ich
mußte natürlich diese Entfärbung einer Desoxydation zuschreiben
und annehmen, daß die schweflige Säure eine ganz analoge Wirkung
ausübe. Ich mußte um so mehr zu dieser Betrachtungsweise der
Entfärbung geführt werden, als die meisten unter dem Einfluß von
Wasserstoff oder den Sauerstoff leicht aufnehmenden Körpern, wie
Eisen- und Zinnoxydul u.s.w., farblos gewordenen
Farbstoffe ihre ursprüngliche Färbung an der Luft oder im
Sauerstoff wieder annehmen.
Ich habe gleichwohl bemerkt, daß es Farbstoffe gibt, die ihre
Farbe nur unter dem Einfluß eines oxydirenden Körpers wieder
erhalten und daß das Chlor ganz diese Rolle spielt; die
oxydirende Wirkung dieses lezteren schien mir um so
unzweifelhafter, als sie der des
Wasserstoffsuperoxyds oder der den Sauerstoff leicht abgebenden
Säuren völlig analog war.
Eine gefärbte Blume, eine Rose, eine Dahlia u.s.w. erhalten, in
einer Atmosphäre von schwefliger Säure gebleicht, ihre ganze
Farbenintensität wieder, wenn man sie in Chlorgas taucht; die
durch Chlor reproducirte Farbe kann von Neuem durch schweflige
Säure zerstört werden, wenn die Einwirkung des Chlors bei dem
Wiedererscheinen der Farbe aufgehalten wird. Man erhält
dieselben Resultate, wenn man, statt Chlor, dampfförmiges Brom,
Jod oder Untersalpetersäure anwendet. Wenn die primitive, durch
die Einwirkung der Salzsäure etwas veränderte Farbe durch Chlor
wieder hergestellt ist, so tritt, wenn der Contact dieses Gases
fortdauert, eine neue Veränderung ein und bald macht die rothe
oder blaue Farbe der Blumen einer Orangefarbe Plaz, auf welche
die schweflige Säure keine Einwirkung mehr ausübt. Es erzeugen
sich alsdann ohne Zweifel die chlorhaltigen Verbindungen, deren
Existenz von Kane, Dumas und Robiquet angedeutet worden ist.
Beherrscht von den theoretischen Ansichten, welche ich über die
Entfärbung durch schweflige Säure ausgesprochen habe, wurde man
zu der Annahme geführt, daß die Einwirkung des Chlors sich nach
den Umständen und nach der Natur der organischen Materien
modificire, denn bei einer durch schweflige Säure desoxydirten
Farbe mußte seine Wirkung sich augenscheinlich auf das Wasser
erstreken, dessen Sauerstoff nothwendig wurde, um die Farbe
wieder herzustellen, falls man nicht annimmt, was etwas gewagt
wäre, daß das Chlor, wie der Sauerstoff, die Farbe wieder
herstellen kann. Das Chlor würde hienach auf zwei verschiedene
Weisen wirken: in Berührung mit der durch schweflige Säure
entfärbten und folglich leicht Sauerstoff aufnehmenden Materie
würde es das Wasser zersezen, unter Bildung von Salzsäure; so
wie die Farbe wieder hergestellt ist, wirkte es auf diese Farbe,
indem es, ohne irgend eine Intervention von Wasser die Stelle
des Wasserstoffs durch Substitution einnimmt. – Die
Verwandtschaft des durch einen desoxydirenden Körper entfärbten
Farbstoffs zum Sauerstoff rechtfertigt diese verschiedene
Wirkung des Chlors theilweise.
Wenn man, unter Beibehaltung der älteren Ansichten über die
Entfärbung durch Desoxydation, die Möglichkeit dieser so
außergewöhnlichen Aenderungen in der Wirkungsweise des Chlors,
je nach der Beschaffenheit des Farbstoffs, nicht zugeben will,
so muß man annehmen, daß bei der Einwirkung des Chlors die
Färbung der desoxydirten Farben und die Entfärbung der
Farbstoffe unter Wasserzersezung und immer durch Oxydation vor
sich gehe, und daß die Bildung chlorhaltiger Verbindungen erst
nach der Entfärbung eintritt; als Stüze
ließe sich die geringe Menge von Sauerstoff erwähnen, die zur
Wiederfärbung einer desoxydirten Farbe nothwendig ist.
Untersucht man aber alle diese Erscheinungen näher, unter
Beachtung der seit der Publication meiner ersten Arbeit
gefundenen Thatsachen, so findet man, daß sich die Entfärbung
durch schweflige Säure und die Wirkung des Chlors auf die durch
diese Säure entfärbten Farbstoffe auch auf andere Weise erklären
lassen. Dumas hat auf analytischem
Wege bewiesen, daß der blaue Indigo unter Wasserstoffaufnahme
weiß wird. Kane nimmt in dem
erwähnten Briefe an, daß bei der Entfärbung durch Wasserstoff
kein Sauerstoff entzogen, sondern Wasserstoff aufgenommen werde.
Es wird also wahrscheinlich, daß die Entfärbung durch schweflige
Säure ebenso vor sich geht, und daß in diesem Falle Wasser
zersezt wird. Man weiß, daß die an Basen gebundene schweflige
Säure an der Luft leicht in Schwefelsäure übergeht; diese
Umwandlung ist aber schwieriger bei der freien schwefligen Säure
zu erklären; die Zersezung könnte indessen vermittelt werden
durch den vereinten Einfluß der Verwandtschaft der schwefligen
Säure zum Sauerstoff und einer Verwandtschaft des Farbstoffs zum
Wasserstoff; es ist aber eine Frage, ob diese leztere
Verwandtschaft wirklich vorhanden oder ob sie mächtig genug ist,
um durch die schweflige Säure unterstüzt, die Zersezung des
Wassers zu bedingen. Will man die beobachteten Thatsachen
erklären, so muß man sie nothwendig annehmen. Das Chlor würde
also dem Farbstoff, der durch die Berührung mit schwefliger
Säure reicher an Wasserstoff geworden ist, zuerst Wasserstoff
ohne Substitution entziehen, bis zur Wiederherstellung der
Farbe, von welchem Zeitpunkt an, der neuen Theorie zufolge,
sogleich Austausch gegen Wasserstoff eintreten würde.