Titel: | Ueber strengflüssige Substanzen; von Hrn. Gaudin. |
Fundstelle: | Band 81, Jahrgang 1841, Nr. LVI., S. 223 |
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LVI.
Ueber strengflüssige
Substanzen; von Hrn. Gaudin.
Aus den Comptes
rendus, Mai 1841, Nr. 21, S. 947.
Gaudin, über strengflüssige
Substanzen.
Ich habe der Akademie schon früher in Kürze das Resultat meiner
Versuche über die strengflüssigen Substanzen vorgetragen. Ich
komme nun auf denselben Gegenstand zurük, indem ich einige
nähere Details gebe, damit man meine Versuche mit Erfolg
wiederholen kann. Vorzüglich werde ich von der Einwirkung des
Feuers auf die Thonerde und Kieselerde, den Kalk und die
Bittererde handeln und dabei die thonerdehaltigen Verbindungen
im Zustande künstlicher Sapphire und Rubine, und die
kieselhaltigen Verbindungen in Beziehung auf ihre Dehnbarkeit
betrachten.
Ehe ich, wie ich es jezt thue, den gebrannten Alaun unter Zusaz
von 2 bis 3 Proc. chromsauren Kalis als färbender Substanz
anwandte, hatte ich es mit einer Menge chemischer, aus
Kieselerde und Thonerde bestehender Niederschläge versucht,
welche mir aber nur eine Art Schlaken gaben, die mehr dem
Bouteillenglas als edeln Steinen ähnlich sahen.
Bei Wiederholung meiner Versuche mit künstlichen Rubinen in der
École des Mines vor der
von der Akademie hiezu ernannten Commission (Brongniart, Pelouze und Regnault) kam ich zuerst auf die
Vermuthung, daß die Kieselerde in starker Hize ein kleberiger
(visqueux) Körper sey. Als ich
nämlich in meinen aus Kienruß verfertigten Schmelztiegel ein
Stükchen Quarz warf, bemerkte ich mit Erstaunen und zu meiner
Befriedigung, daß derselbe, sobald er durch die Hize erweicht
war, sich in seinen durch das Löthrohr hervorgebrachten
Bewegungen wie ein kleberiger Körper verhielt; ich nahm mir dann
sogleich vor, den Versuch zu machen, solchen auszuziehen oder zu
streken, um Mikroskoplinsen daraus zu machen. Nach vielen
mühsamen Versuchen gelang es mir endlich, den Bergkrystall so
leicht zu spinnen wie Glas, mit dem Unterschiede, daß ich wegen
der großen Strengflüssigkeit dieses Körpers nur auf die
kleinsten Massen zu wirken und die ausziehende Bewegung mit der
größten Schnelligkeit auszuführen mich gezwungen sah. Das ganze
Geheimniß besteht darin, ein für allemal zwei kleine Stäbchen
von geschmolzenem Bergkrystall zu fertigen, welche als Werkzeug
dienen, um neuerdings solchen auszuziehen.
Die in Fluß befindliche Kieselerde ist die dehnbarste Substanz,
welche es gibt; niemals krystallisirt oder bricht sie beim
Erkalten, so schnell auch dieses stattfinde. Die Fäden derselben
widerstehen bei gleichem Durchmesser besser und sind biegsamer
als die des Glases; die stärkere Biegsamkeit scheint von der
größeren Härtung herzurühren.
Bei der Behandlung vor dem Löthrohre zeigt sich die Flüchtigkeit
der Kieselerde so augenscheinlich, daß dieß der Grund ist, warum
sich keine größeren Kügelchen als von 3 Millimeter Durchmesser
daraus schmelzen lassen; auch bei dieser unbedeutenden Größe
nehmen sie zusehends ab durch die rasche Verdampfung, welche die
hohe Temperatur verursacht, die zur Ausgleichung der durch die
oberflächliche Verdampfung verursachten Erkaltung nothwendig
ist. Diese Flüchtigkeit der Kieselerde ist das einzige
bedeutende Hinderniß, welches sich ihrem fortwährenden Filiren
und Mouliniren widersezt; denn die Temperatur sinkt dadurch so
weit herab, daß sie ihren Erstarrungspunkt wenig mehr
übersteigt. Auch wird sie niemals recht flüssig; doch kann man
sehr zarte Fäden daraus machen; ich erhielt deren so feine wie
Spinnfäden, welche wie leztere Regenbogenfarben spielten und in
der Hand geknüpft und gewikelt werden konnten, daß sie einem
kleinen Baumwollenknäuel ähnlich waren. – Die
Kieselerdefäden haben ganz das Ansehen der Glasfäden; nicht so
die von Sandstein, Mühlstein und Kieselsteinen jeder Art, welche
ohne Ausnahme von herrlichem Perlmutterweiß sind, neben welchem
Atlaß blaß erscheint.
Die Thonerde hingegen spinnt sich durchaus nicht; so groß ist
ihre Neigung zu krystallisiren.
Amianth, edler Granat (Almandin) und Smaragd spinnen sich sehr
gut; die beiden ersten könnten am Rädchen gesponnen werden
gerade wie Glas. Die Almandinfäden sind schön dunkelbraun,
gerade wie Haare, und die Smaragdfäden gleichen zu Kügelchen
vereinigt vollkommen dem Opal.
Aus Kieselerdekügelchen machte ich Linsen zu Mikroskopen von
wundervoller Reinheit, und die farbenzerstreuende Kraft dieser
Substanz ist so groß, daß diese Linsen beinahe achromatisch zu
nennen sind.
Ich behalte mir vor, der Akademie nächstens eine Reihe solcher
Linsen nebst einem Löthrohre mit vier verschiedenen Feuern
vorzulegen, welches ganz gefahrlos ist und
Jedermann in den Stand sezt, meine Versuche mit Erfolg zu
wiederholen.