Titel: | Ueber die Fortschritte der Seidenwürmerzucht seit dem Anfange dieses Jahrhunderts; vom Grafen Gasparin, Pair von Frankreich und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. |
Fundstelle: | Band 84, Jahrgang 1842, Nr. XXI., S. 124 |
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XXI.
Ueber die Fortschritte der
Seidenwuͤrmerzucht seit dem Anfange dieses Jahrhunderts; vom Grafen Gasparin, Pair von
Frankreich und Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
Aus dem Echo du monde savant. Decbr. 1841, Nr. 690 und
Jan. 1842, Nr. 697.
Gasparin, über die Fortschritte der Seidenwürmerzucht.
Am Ende des vorigen Jahrhunderts war die Seidenproduction auf unserm Continent in
vollkommenem Verfall. Die französische Revolution hatte die großen Capitalien
entweder vernichtet oder vermindert und diejenigen, welche noch wohlhabend
geblieben, durften es noch nicht zu zeigen wagen. Die Gleichwerdung erstrekte sich
über Alles, allein die Gleichheit herrschte vorzüglich in der Kleidung. Lyon war
gefallen und mit ihm unsere schönen Seidenfabriken. Der Süden ließ seine
Maulbeerbäume verkümmern, deren Ernte die Arbeit des Landwirths nicht mehr lohnte.
Italien verlor einen großen Absazweg, indem es den französischen Markt einbüßte und
der Krieg zerstörte noch vollends, was der Revolutionssturm nicht schon vernichtet
hatte. Napoleon, indem er die gesellschaftliche Ordnung
wieder herstellte, suchte auch die Industrie wieder aufzurichten. Unsere
Seidenfabriken erstanden wieder aus ihrer Asche und Alles schien ihnen wieder eine
glükliche Zukunft zu versprechen, als der Bruch des Friedens von Amiens und hierauf
die Continentalsperre ihnen einen bedeutenden Theil des auswärtigen Marktes entzog,
hauptsächlich aber ihnen eine Concurrenz erzeugte, die nur wieder ins Gedächtniß
zurükgerufen zu werden braucht. Die Seltenheit schöner Baumwollzeuge brachte diese
damals in die Mode. Schöner Musselin wurde den reichsten Seidenstoffen vorgezogen.
Troz der Bemühungen des Schmuggelhandels erhoben sich allerorten in Frankreich von
strenge gehandhabten Prohibitivgesezen geschüzte Fabriken, in welchen Baumwolle
gesponnen, gewoben und gedrukt wurde; allein der hohe Preis des Rohstoffs erhielt
ihre Producte auf enormen Preisen, und die Mode, welche die Seltenheit oft der
Schönheit und Annehmlichkeit vorzieht, wandte sich jeden Tag mehr von der
inländischen Seide ab zu Gunsten ihrer neuen Nebenbuhlerin. Umsonst ermunterte der
Kaiser durch seine
persönliche Zurede die Damen seines Hofes, wieder zum Gebrauch der Seide
zurükzukehren und mit diesem Beispiel der Stadt voranzugehen; Frankreich richtete
sich in der Mode nicht mehr nach dem Pallaste und der Hof selbst, im Uebrigen so
ergeben, legte das officielle Kleid des großen Empfangs bei Hof vor den Augen der
Stadt eilends ab.
Im Jahre 1815 endigte dieser Zustand und sobald die See wieder frei wurde, verloren
die Baumwollstoffe wieder mit ihrem käuflichen auch ihren eingebildeten Werth,
während die Seide, deren Werth durch eine ungeheure Ausfuhr verdoppelt wurde, ihrem
vollen Rechte entsprechend, wieder in Aufnahme kam. Von da an datiren sich die neuen
Fortschritte, wovon ich nun sprechen will.
In welchem Zustande befand sich damals diese Kunst? Damit man sich hievon eine
gehörige Vorstellung machen kann, muß ich einige Bemerkungen vorausschiken. Ohne
Zweifel ist die Wahl der Maulbeerbaumspecies, ihre Pflanzung, Behandlung, ihre
Beschneidung von höchster Wichtigkeit; derjenige, welcher ihre Cultur zum erstenmal
unternimmt, wird zwar von seiner Gewohnheit, andere Bäume zu Pflegen, geleitet
werden, aber bald die Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten gewahr werden, die ihm
zur Richtschnur dienen müssen. Ganz anders verhält es sich jedoch mit den
Seidenwürmern. Ein einziges Insect, die Biene, wurde der Herrschaft des Menschen
unterworfen und die Biene verlangte von ihm keinen andern Dienst, als daß er sie mit
einer Wohnung versehe; in diese ist ihr geheimnißvolles Leben eingeschlossen und es
bedurfte beharrlicher Beobachtungen, um den Hergang desselben zu entschleiern; der
Seidenwurm hingegen erheischte täglich fortgesezte Sorgfalt; seine Nahrung mußte
gesammelt und ihm vorgelegt, er mußte in einer für ihn geeigneten Atmosphäre
erhalten, alle Abschnitte seines Lebens mußten sorgfältig verfolgt, jedem die ihm
nöthige Aufmerksamkeit gewidmet und jeder Fehler konnte durch einen Nichterfolg
bestraft werden.
Jemehr man aber auch Fortschritte in der Erkennung der Bedürfnisse dieses Insectes
machte, desto mehr lernte man die ihm geeignete Lebensweise kennen, desto
befriedigender fiel seine Pflege aus und desto gewinnbringender wurde dieser
Erwerbszweig. Es ist mehr merkwürdig als nüzlich zu wissen, daß der Seidenwurm,
einer vollkommenen Gefrierung ausgesezt, diese harte Probe aushält; nüzlich war es
aber zu wissen, daß die Entwikelung der Organisation im Ei während seines ganzen
Foetuslebens bei einer mittlern Temperatur von 12,5° C. vor sich geht, wie
dieß vor Kurzem von H. Hérold dargethan wurde; daß
dieselbe Temperatur, welche auch zur Vegetation des Maulbeerbaums nöthig ist, die
niedrigste ist, bei welcher er zu fressen anfängt, daß aber, wenn man sie während
seines ganzen Lebens beständig so erhält, vier Fünftheile der Würmer zu Grunde
gehen; daß bei 17,50° C. zwei Drittheile verloren gehen und daß man endlich
bei 22 bis 25° starke Würmer erhält, welche seidenreiche Cocons machen. Diese
Untersuchungen Dandolo's geben uns die niederste Gränze
an; in neuerer Zeit hat Hr. Camille Beauvais die oberste
Gränze, bei welcher sie sich zu ernähren aufhören, zu 50° C. bestimmt.
Man sieht, daß die Vorsehung, indem sie der Existenz dieses Insectes einen so großen
Spielraum der Temperatur einräumte, für die Erhaltung der Gattung Fürsorge getroffen
hat, wenn sie im wilden Zustande, dem Witterungswechsel ausgesezt, tägliche
Variationen, welche sich innerhalb dieses Spielraums bewegen, in den wärmsten, so
wie in den gemäßigtsten Himmelsstrichen ertragen muß. Wirklich lebt der Seidenwurm
in der gewöhnlichen Wärme der Atmosphäre überall, mit Ausnahme der Eiszone. In
Jahrgängen, wo der Temperaturwechsel nicht bedeutend war, soll man die Zucht unter
bloßen offenen Schoppen ohne alle weitere Vorsichtsmaßregeln schon oft mit dem
besten Erfolg betrieben haben.
Auch hat die Beobachtung gelehrt, daß der Seidenwurm die feuchte Luft nicht fürchtet.
Man ließ ihn in beinahe mit Feuchtigkeit gesättigter Atmosphäre leben; man fütterte
ihn mit beständig angefeuchteten Blättern; dieser Versuch wurde in diesem Jahr von
Hrn. Robinet angestellt. Er erträgt aber auch eine sehr
trokene Luft, obwohl er sich weniger behaglich darin befindet. Genug, er würde
vollkommen an freier Luft gedeihen, wenn man ihn vor den Ratten, Vögeln und Ameisen
schüzen würde.
Erscheint es hienach nicht sonderbar, von der Schwierigkeit der Zucht dieses Insects
zu sprechen? Ist es nicht zum Erstaunen, daß man in so vielen Jahrhunderten, wo man
sich damit schon beschäftigt, doch noch so weit darin zurük ist, daß ein Unterschied
wie von 1 zu 3 besteht zwischen dem Producte, welches die Masse der damit
Speculirenden einsammelt und dem durch verbesserte Verfahrungsweisen erhaltenen? Um
dieß begreiflich zu machen und den Gang der bisherigen Fortschritte darzulegen,
bedarf es nur einiger Worte.
Wenn der Seidenwurm sich im Naturzustande befindet, wenn der Schmetterling seine Eier
um einen Zweig legt und die jungen auskriechenden Insecten an die umgebenden Blätter
kommen, hat die Natur durchaus nicht dafür gesorgt, ihre Anzahl der Menge der von
dem Maulbeerbaum hervorgebrachten Blätter anzupassen; auf Gerathewohl dahinlaufend,
lassen sie sehr viele unberührt. Wenn der Mensch aber einen Baum cultivirt, muß er
so viel möglich Nuzen daraus zu ziehen suchen; er darf daher das Insect nicht seinem
natürlichen Instincte überlassen; auch darf es ihm nicht einfallen, den Maulbeerbaum
selbst mit demselben bevölkern zu wollen; außerdem, daß der Seidenwurm in seinem
freien Lauf einen Theil der Zweige unabgefressen ließe, würden ihm auch so viele
Unglüksfälle begegnen, sowohl durch die Anfälle seiner natürlichen Feinde, als durch
Abfallen, daß es sehr schwer wäre, eine große Pflanzung zu überwachen; man mußte
also auf diese Zucht im Freien (welche von systematischen Köpfen von Zeit zu Zeit
als Vervollkommnung immer wieder zum Vorschein gebracht wird) bei Zeiten
verzichten.
Bei dem Leben der Seidenwürmer im Freien konnte man nicht erkennen, wie nöthig ihnen
die reine Luft sey; sie umgab sie in reichster Fülle; aber in engen, abgeschlossenen
Räumen, auf Tischen aufgehäuft mitten unter dem ihnen zur Nahrung dienenden Laube,
welches beim Welken Kohlensäuregas in Menge entwikelt, und von ihren Excrementen
umgeben, welche gähren und die Luft verderben, konnte nur eine kleine Anzahl der
stärksten das natürliche Lebensende erreichen; als man also fand, daß die
Coconsernte, bei übrigens gleichen Umständen, im Verhältniß stand zur Reinlichkeit
und Lüftung, mußten die mit dem künstlichen Zustande in Verbindung zu bringenden
Vorkehrungen wohl ermittelt werden.
Wie oft muß die Luft in einer Anstalt erneuert werden, um die Seidenwürmer ganz
gesund zu erhalten? Die Meinungen hierüber mußten so verschieden seyn, als die Größe
der Anstalten, wo die Versuche angestellt wurden, als der Zwischenraum zwischen den
Würmern, als die Sorgfalt, welche der Reinlichkeit gewidmet wird, als die
Wiederholung der Mahlzeiten und die Menge der vorgelegten Blätter, durch welche
Elemente auch die Ursachen der Verdorbenheit der Luft verschieden werden. Kein den
Arbeitern zu Gebote stehendes Instrument zeigt die Verdorbenheit der Atmosphäre an;
unsere Lunge und unser Geruchsvermögen allein sind empfindlich genug, um sie uns zu
verkünden. Wir müssen in einer solchen Anstalt ganz bequem athmen können und keinen
übeln Geruch empfinden.
Die Ventilation wird mittelst Windräder, Windöfen, warmer Luftströme bewerkstelligt.
Man hat auch Blasebälge vorgeschlagen. Ueber alle diese Mittel muß die Erfahrung
sich erst noch aussprechen, welche allein über ihre praktischen und ökonomischen
Resultate mit Sicherheit entscheiden kann. Bei der von Hrn. Darcet angegebenen Einrichtung der Anstalt, wo die Ventilation von Unten
nach Oben stattfindet, wurde beobachtet, daß der aufsteigende Strom allerdings die
Luft der die Stokwerke von Tischen umgebenden Gänge erneuert, daß aber diese über
einander gestellten Tische selbst seiner Bewegung Einhalt thun und die zwischen denselben
befindliche Luft an der aufsteigenden Bewegung keinen Theil nehme. Es wurden mehrere
Auskunftsmittel vorgeschlagen, um diese seitliche Fortschaffung der Luft zu
bewirken. In Italien construirte man ein System von kreisrunden Tischen, welche sich
um eine Achse drehen, mit breiten Zwischenwänden von Leinwand versehen sind, welche
bei ihrer Bewegung die Luft verdrängen und dabei von seitlich angebrachten
Windrädern unterstüzt werden, deren Flügel durch denselben Motor wie das System
selbst in Bewegung gesezt, die Luft nach allen Richtungen bewegt. Die Complicirtheit
dieses Mittels, die Kostspieligkeit desselben und die Schwierigkeit, es in allen
Localen anzubringen, gestatten dessen allgemeine Einführung nicht. Hr. Vasseur hat bewegliche Tische vorgeschlagen und im Süden
Frankreichs zu verbreiten angefangen, welche Tische sich von Oben gegen Unten und
von Unten aufwärts drehen und nacheinander vor den Arbeiter gebracht werden können;
sie sind hierin zum Dienste bequem und verdrängen zu gleicher Zeit die Luft durch
ihren horizontalen Gang, wenn sie von der aufsteigenden zur absteigenden Bewegung,
indem sie ihre Rotation vollenden, übergehen. Diese sinnreiche Erfindung scheint mir
eine große Verbesserung in der Seidenwürmerzucht zu seyn. Hr. Reboul endlich hat kürzlich vorgeschlagen, das System der erzwungenen
Ventilation des Hrn. Darcet wie es ist, mit der Aenderung
jedoch einzuführen, die Richtung derselben von der verticalen in die horizontale
umzuändern; dieser horizontale Luftzug würde dann die zwischen den Tischen
eingeschlossenen Luftschichten durch kräftige Erneuerung reinigen. Dieses Verfahren
hat die Prüfung durch Versuche noch nicht bestanden.
Um aber die Luft rein zu erhalten, indem man die Ursachen beseitigt, welche sie
verderben können, wurde der Gebrauch über die Tische ausgebreiteter und mit Blättern
bedekter Neze, mittelst welcher man alle Seidenwürmer auf einmal entfernt, um sie
auf einen reinen Tisch zu legen, indem der Mist auf dem vorigen Tisch zurükbleibt
— dieser chinesische Gebrauch, welchen wir durch die Missionäre kennen
lernten und der uns schon längst zur Nachahmung empfohlen wurde — durch
Einführung von Nezen mit vierekigen Maschen, welche sich durch die Ausspannung nicht
verziehen und den Seidenwurm nicht zu kneipen drohen, beinahe allgemein eingeführt.
Es wurde hiemit dem Seidenzüchter einer der größten Dienste erwiesen, da die
Ausräumung eine der mühsamsten und folglich wenigst gut ausgeführten Arbeiten
desselben war, und durch diese Anwendung der Neze allein wurden die Ernten überall,
wo sie eingeführt wurde, um ein Bedeutendes vergrößert.
Da ich eben eines aus China zu uns gekommenen Gebrauches erwähne, kann ich die
nüzliche Uebersezung chinesischer Notizen über den Maulbeerbaum und die Seide nicht
mit Stillschweigen übergehen, welche wir Hrn. Stanislaus Julien verdankenUeber die Maulbeerbaumzucht und Erziehung der Seidenraupen. Aus dem
Chinesischen ins Franzoͤsische uͤbersezt von St. Julien. Auf Befehl Sr. Majestaͤt des
Koͤnigs von Wuͤrtemberg aus dem Franzoͤsischen
uͤbersezt und bearbeitet von Fr. L. Lindner. J. G. Cotta'sche
Buchhandlung., welches Werk unter schlechten und allgemein
bekannten Gebräuchen auch manche gute und brauchbare Vorschrift gibt. Derselbe
Gelehrte verspricht uns die Uebersezung eines noch weit wichtigern Werks über
denselben Gegenstand.
Hiemit hätten nun die Seidenwürmer eine geeignete und gleichbleibende Temperatur und
reine Luft; wir kommen nun auf ihre Nahrung. Vor Dandolo's Reform gab man ihnen in 24 Stunden vier Mahlzeiten; auch geschah
es, daß ein großer Theil der Blätter schon welkte, ehe er vom Insecte noch berührt
worden und daher ohne Nuzen zu bringen verloren ging. Dandolo läßt die Mahlzeiten näher aufeinander folgen und gibt für jedes
Lebensalter die Menge der von den Würmern verzehrten Blätter an. Er brachte Ordnung
in diese Sache. Die Praxis wurde nach ihm noch weiter verbessert. Man reichte
weniger große aber mehr dem Hunger der Seidenwürmer entsprechende Mahlzeiten. Aber
es bedarf großer Aufmerksamkeit und Einsicht, um dieses Verfahren gut auszuführen;
denn hier kann die Zwischenzeit von einer Mahlzeit zur andern nicht mehr fest
angegeben werden, eben so wenig die vorzulegende Portion; beide hängen von dem
Appetit des Seidenwurms ab, welcher in allen seinen Lebensperioden anders ist; sie
hängen ferner von der Wärme des Locals und endlich von der Beschaffenheit des
Blattes selbst ab, wovon manche Varietäten schneller welken und folglich von den
Insecten eher verschmäht werden. Eine gute und vortheilbringende Zucht kann nur
Folge der Einsicht in Verbindung mit beständiger Beobachtung seyn. Allein der
gemeine Züchter bedarf unwandelbarer Regeln und seinem Hang für die Gewohnheit muß
eine Verbesserung geopfert werden, welche noch schwerere Uebelstände nach sich
ziehen könnte. Es muß also, nachdem bestimmte Regeln über die Zwischenräume bei den
Seidenwürmern festgestellt sind, auch die mittlere Zeitlänge von einer Mahlzeit zur
andern, welche aus einer bestimmten Menge Blätter auf dem Quadratmeter besteht, mit
Rüksicht auf die Temperatur ausgemittelt werden. Diese Arbeit ist denjenigen, welche
sich gegenwärtig mit der Verbesserung der Seidenindustrie beschäftigen, zu
empfehlen.
Die Warte der Seidenwürmer wird in den lezten Tagen ihres Lebens so ermüdend, daß man
sie denjenigen, welche den Tag damit zubrachten, die Nacht über nicht zumuthen kann.
Auch wird die Arbeit in der gewöhnlichen Praxis einige Stunden ausgesezt. Nach der
Strenge der Theorie sollte dieß nie der Fall seyn, denn das Insect hat keinen
täglichen Schlaf. Doch behaupten einige Züchter, aus der langen Zwischenzeit von der
Abend- bis zur Morgenmahlzeit keinen Nachtheil erwachsen gesehen zu haben,
wenn nur während der Nacht die Temperatur erniedrigt wird. Es scheint dieß bloß eine
längere Dauer der Zucht zur Folge zu haben. Dieser Punkt ist übrigens von großer
Wichtigkeit und verdient genauer untersucht zu werden.
Die Ungleichheit der Temperatur, welche in den alten Localen nothwendig stattfinden
mußte, die in der Nähe der Oeffnungen und in dem untern Theil des Locals kältere, in
der Nähe der Oefen hingegen und in den obern Räumen wärmere Luft führte nothwendig
einen großen Unterschied in der Dauer jeder Lebensperiode der für diese Unterschiede
so empfindlichen Seidenwürmer herbei. Es entsprang hieraus eine je nach dem Vorrüken
ihres Alters immer fühlbarere Ungleichheit und es zeigten sich alle Uebelstände,
welche Folge einer gleichen Behandlung der in Alter und in ihrer Stärke
verschiedenen Insecten, oder einer Verschiedenheit der Behandlung der verschiedenen
Kategorien von Würmern in einem und demselben Locale seyn konnten. Die Gleichheit
der Temperatur, welche man durch die neuen Magnanerien erhält, machte diese
Anomalien verschwinden und die durch die Gleichförmigkeit des Ganges der Zucht
herbeigeführte ungemeine Erleichterung brachte auch eine Verbesserung in die andern
Anstalten, welche mitgetheilt zu werden verdient. Man hat dieß die Kategorisation
der Seidenwürmer benannt. Bekanntlich verlieren die Raupen ihre Haut viermal, hören
während dieser Häutung zu fressen auf und scheinen zu schlafen. In gut
beaufsichtigten Zimmerbevölkerungen sollen diese Lebensabschnitte des Wurms bei
allen Individuen gleichzeitig anfangen; allein es ist leicht, die zurükgebliebenen
von den weiter vorgeschrittenen zu trennen, weil die leztern zuerst wieder das
Fressen anfangen und mittelst Nezen, die mit Blättern versehen sind, von dem Miste
weggehoben werden können worauf die Spätlinge noch schlafen; man kann dann besondere
Zimmer mit lezteren bevölkern, welche nach ihren relativen Fortschritten behandelt,
und wovon die weniger vorangeschrittenen auch geopfert werden können. Es hat sich
gezeigt, daß ein solches frühzeitig gemachtes Opfer, auf welches man sich dadurch
vorbereiten muß, daß man eine größere Quantität Eier auskriechen läßt, hauptsächlich
diejenigen trifft, deren krankhafte Beschaffenheit, mehr als jede andere Ursache, ihre Entwikelung
verspätet hatte und daß dadurch die unsere Seidenanstalten bedrohende fürchterliche
Krankheit, die Muscardine, weniger häufig wird.
Man wird die Verzweiflung unserer Seidenzüchter leicht erklärlich finden, wenn sie
nach großen Aufopferungen und langer Arbeit sich endlich am Ziele ihrer Bemühungen
und den Lohn dafür zu ernten glauben, ihre Würmer aber sich mit einem weißlichen
Flaum überziehen, sich in ein Stük Kalk zu verwandeln scheinen und umkommen, ohne
ihr Cocon zu machen; oder wenn sie sich, was zwar das Uebel etwas mildert, im Cocon
mumificiren, welcher dann am Gewichte verliert; leider beschränkt sich dieses Unglük
auch nicht auf die Verheerungen eines einzigen Jahres sondern diejenigen, welche es
einmal erlitten, haben es auch für die Zukunft zu befürchten.
Vergebens forschte man nach den Ursachen dieser contagiösen Krankheit, und doch war
es von der größten Wichtigkeit sie aufzufinden, um auch das Mittel dagegen ermitteln
zu können. Hr. Rigaud in Lille erwirkte bei der
Regierung, daß ein gelehrter Physiolog behufs ihres Studiums nach dem Süden geschikt
wurde. Hr. Nysten wurde hiezu auserwählt, welcher seine
Versuche bei und gemeinschaftlich mit Hrn. Rigaud
anstellte; beinahe alle waren sie negativ. Der Seidenwurm, den verschiedensten
Einflüssen der Kälte und der Wärme, der Feuchtigkeit und der Trokne, der
Elektricität u. s. f. ausgesezt, erhielt die Muscardine nicht; er erhielt sie aber
durch die Berührung mit den Inficirten, wodurch aber nur bestätigt wurde, was man
vorher schon wußte. Diese Sendung erfüllte also ihren Hauptzwek nicht, hatte aber
interessante Untersuchungen zur Folge.
Erst vor wenigen Jahren machte dann Hr. Bassi von Lodi
bekannt, daß die Muscardine durch ein Schmarozergewächs erzeugt wird, welches durch
seine Entwikelung im Zellgewebe des Thieres die dasselbe bedekenden weißen Fäden
hervorbringt und es in den Mumienzustand überführt. Diese Ansicht wurde zur
bestätigten Thatsache durch die Versuche unseres Collegen, Hrn. Andouin, welcher die Keime der Muscardine nicht nur
Seidenwürmern, sondern auch andern Insecten einimpfte. Hr. Bérard machte sogleich den Vorschlag, behufs ihrer Zerstörung Waschungen
mit schwefelsaurem Kupfer (blauem Vitriol) anzuordnen, dessen Wirksamkeit gegen die
Schmarozerpflanze des Kornbrandes anerkannt war. Seine Versuche schienen diese
Analogie zu rechtfertigen. Wir sahen, daß im Jahr 1783 Hr. Blancard von Lauriol in anderer Absicht, nämlich um den Mist auszutroknen,
die Anwendung von Kalkpulver vorgeschlagen hatte. In Drôme, namentlich aber in
Vaucluse, hatte dieses Verfahren constanten Erfolg. In dem erstern dieser
Departements, wo es
erfunden wurde, hatte man den Gebrauch desselben wieder aufgegeben, weil man
befürchtete, daß der mit Kalk vermengte Mist den Lämmern, welche man ihn, um sie zu
mästen, fressen ließ, schädlich würde. Scheinen diese Erfolge nicht zu beweisen, daß
der Kalk gegen mehr als eine Zerstörungsursache, und wahrscheinlich gegen die
Muscardine gewirkt habe? Die Entdekung des Hrn. Bassi ist
also, indem sie den Forschungen nach einem Heil- und
Präservativ-Verfahren eine sichere Basis gibt, einer der größten Dienste,
welche seit dem Anfange unseres Jahrhunderts der Industrie von der Wissenschaft
geleistet wurden.
Nachdem man bisher in der Wahl der Seidenwurmracen im Blinden herumtappte, fängt man
jezt einzusehen an, daß dieses Studium von großer Wichtigkeit werden kann. Man ließ
Eier aus China und Indien kommen, und studirte die Species und Varietäten der Seide
producirenden Insecten; aber ein noch viel wichtigeres Studium ist das der Varietät,
welche unter gegebenen Umständen auch hinsichtlich der Kraft, der Feinheit und Menge
der Seide die beste Qualität gibt. Hr. Robinet hat im
verflossenen Jahre zu Poitiers in dieser Hinsicht interessante Versuche
angestellt.
Aus allem Gesagten ersieht man, daß die neuen Reformen vorzüglich zum Zweke hatten,
das Verfahren der Seidenwürmerzucht einem Schlendrian zu entreißen und es auf das
Gebiet der von der Wissenschaft unterstüzten Intelligenz überzuführen, die
Einrichtung der Anstalten zu verbessern, aber auch zu compliciren, den guten Erfolg
an kostspieligere Vorrichtungen zu knüpfen, welche aber auch die den Würmern
gewidmete Arbeit gleichförmiger, regelmäßiger und so zu sagen mechanischer machten
und durch dieses Alles die beständige Aufmerksamkeit und umsichtige Beurtheilung,
welche die unaufhörlich wechselnden Zustände der ältern Anstalten erheischten,
entbehrlich zu machen; kurz, die Reform ersezt das intelligente Handeln des Menschen
durch jenes der Vorrichtungen, die persönlichen Kräfte durch das Capital; sie strebt
folglich, den Kreis derjenigen, welche die Seidenwürmerzucht mit Erfolg unternehmen,
zu verengern, sie aus den Hütten weichen und sich in großen Anstalten concentriren
zu lassen, indem sie den kleinen Anstalten den Kampf gegen die großen, von allen
Mitteln der Kunst unterstüzten, unmöglich macht. Es ist das Monopol der Industrie
durch Capitalien, welches sich hier wie in allen Fabricationszweigen Geltung
verschafft.
Noch ist zu hoffen, daß die Industrie der Seidenwürmerzucht, welche so vielen kleinen
Landwirthen im Süden Beschäftigung und Wohlstand verschafft, dem Geseze unserer
Zeit, welches in so viele Verhältnisse ändernd, aber nicht immer beglükend eingreift, entgehen wird. Ich
glaube es, weil derjenige, welcher die Zucht im Großen unternehmen will, mehrere
offenbare Nachtheile gegen sich hat; erstens die kostspieligen Bauten, während der
Züchter im Kleinen sich mit seinem Zimmer und Speicher begnügt; ferner besorgen Frau
und Kinder des leztern ohne besondere Kosten die Seidenwürmer bis zum lezten
Lebensalter, während die große Anstalt nur durch Geld in Gang erhalten werden kann;
endlich halte ich es nicht für unmöglich, einen großen Theil des Verfahrens, welches
im Augenblike den Musteranstalten einen großen Vortheil gewährt, zu popularisiren
und allgemein anwendbar zu machen.