Titel: | Ueber die Bereitung des Getreidestärkmehls. — Eine Vorlesung des Hrn. Payen am Conservatoire des arts et métiers. |
Fundstelle: | Band 84, Jahrgang 1842, Nr. LIII., S. 283 |
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LIII.
Ueber die Bereitung des
Getreidestaͤrkmehls. — Eine Vorlesung des Hrn. Payen am Conservatoire des arts et métiers.
Aus dem Moniteur industriel 1842, No.
592.
Payen, über das Getreidestärkmehl.
Das Getreidestärkmehl wird auf zweierlei Weise gewonnen; das eine Verfahren, welches
der neueren Zeit angehört, verdient den Vorzug vor dem älteren. Es sollen hier beide
mit den ihnen nach der Theorie zu gebenden Modificationen beschrieben werden. Auf
den ersten Blik scheint das neue Verfahren sich mehr für das Laboratorium als die
Fabriken zu eignen und das alte, bei welchem die Zeit alles thut, weniger Kosten zu
veranlassen, als das neue, welches eine beständige Thätigkeit der Hände in Anspruch
nimmt. Doch verdient lezteres den Vorzug wegen der Schönheit des Products und der
Benuzung von Substanzen, die beim ersten verloren gehen — ein Nachtheil für
den Farikanten und die Gesundheit der Nachbarschaft.
Gewinnung durch Säuerung. — Bis zur neuesten Zeit
wurde das Getreidestärkmehl durch die Zersezung des Klebers mittelst der Fäulniß
bereitet; man bedient sich hiezu gewöhnlich des Weizens. Das Korn muß vorher
zwischen weniger eng (als behufs der Bereitung des Bakmehls) schließenden
Mühlsteinen gemahlen (geschroten) werden, damit es weniger durch die Rauhigkeit des
Steines zerdrükte oder zerrissene Stärkmehlkörner enthält. Einige
Stärkmehlfabrikanten haben sogar das Mahlen durch das Einweichen (hydratation) der Körner ersezt, welche sie sodann in
Wasser auspressen, damit alle mehligen Stoffe in schleimiger Form austreten; dieses
Verfahren muß, wenn es gut geleitet wird, bedeutend mehr Stärke liefern, weil die
Stärkmehlkörnchen bei demselben keiner so nachtheiligen Veränderung durch die
Reibung ausgesezt sind. Wie dem auch sey, so überläßt man das Mehl in Form einer
Brühe drei Wochen bis einen Monat lang der Selbstzersezung in Fässern, nachdem man
das Sauerwasser einer früheren Operation hinzugesezt. Es
tritt sogleich Gährung ein, welche eine fette Schaumdeke erzeugt, unter welcher
Blasen vermischter Gasarten zerplazen, die einen übeln und ungesunden Geruch
verbreiten. Wenn die Gährung zu Ende ist, erscheint das Ganze in drei Abtheilungen:
1) Sauerwasser, welches durch die bedeutende Menge Kleber, Kleien, zerplazter
Tegumente, öhliger Kügelchen, die es schwebend enthält, opalisirt; 2) eine Schicht,
die von den aus dieser Flüssigkeit niedergefallenen Resten der Kleie und des Klebers
verunreinigt ist; 3) eine Widerstand leistende weiße Schicht, das noch mit einigen
fremdartigen Körpern vermengte Stärkmehl.
Es wird nun mittelst eines Hebers alles Sauerwasser
abgezogen, eine frische Quantität Wasser auf den Bodensaz gegossen und das Ganze
dann mit einer hölzernen Krüke umgerührt. Wenn sich alles Stärkmehl wieder zu Boden
gesezt hat, wird von Neuem decantirt und hierauf das Stärkmehl auf ein Sieb
gebracht, durch welches ein Gemenge von Kleie und Stärkmehl, schwarzes Grobstärkmehl (gros noir),
abgesondert wird; diese Operation wiederholt man zwei- oder dreimal, wobei
immer bei jeder neuen Auswaschung das abgesezte Stärkmehl mittelst der Krüke
sorgfältig aufgerührt wird; man muß hiebei die gleichförmige Rotation des Wassers zu
stören suchen, damit der Bodensaz sich nicht in einen in der Mitte hohlen Klumpen
zusammensezt. Das Stärkmehl wird sodann in Innen mit Tuch belegten Weidenkörben auf
den Speicher gebracht und auf einen Gypsboden, und später an einem dem Luftzug
ausgesezten Ort auf Gestellen von weichem Holz ausgebreitet; die Austroknung wird in
einer auf 32° R. erwärmten Trokenkammer beendigt. Das von den feuchten
Stärkmehlbroden zuerst abfließende Wasser bringt auf ihrer Oberfläche rinnenförmige
Vertiefungen hervor; diese Vertiefungen sind in ihrer Richtung nach der Gestalt und
Neigung des Brodes verschieden; wenn das Brod in der Mitte ausgehöhlt ist, so daß
das überstehende Wasser keinen Abfluß findet und nur durch Verdunstung von den
Stärkmehlbroden hinweggeht, so bilden sich diese Vertiefungen gar nicht.
Manchmal wird das Stärkmehl in zusammengeklebten Stükchen geliefert, welche gar keine
Aehnlichkeit mit Stängchen haben. Das Stärkmehl zweiter Qualität, welches nicht
vollkommen weiß ist, wird in Pulverform verkauft; es wird wie das Kartoffelstärkmehl
getroknet und sogar gebeutelt.
Das so eben beschriebene Verfahren wird zur Gewinnung des Stärkmehls aus der Gerste und
dem Roggen, deren Kleber nicht knetbar ist, fortgebraucht werden; hinsichtlich des
Weizens aber werden sich einst alle Fabrikanten gezwungen sehen, an dessen Stelle
das Folgende zu wählen, welches mit dem Vortheil, schneller von Statten zu gehen,
bald auch den verbinden wird, wohlfeiler zu kommen und mehr Ausbeute zu geben, indem
es auch jene Quantität Stärkmehl, die bei dem anderen Verfahren durch die Gährung
zersezt wird, liefert, und überdieß den Kleber, welcher dort vollkommen zerstört
wird.
Gewinnung durch Kneten. — Vor einigen Jahren hatte
Hr. Martin die glükliche Idee, das zur Darstellung des
Klebers angewandte Verfahren zur Bereitung des Stärkmehls anzuwenden. Es hatte dieß
zwar schon Hr. Herpin versucht; allein in der
mechanischen Bewerkstelligung des Auswaschens hatten sich Schwierigkeiten gezeigt,
und doch ist der ökonomische Gesichtspunkt am allerwichtigsten, wenn man es mit
Producten von geringem Werth zu thun hat. Nach verschiedenen Modificationen seiner
Verfahrungsweise blieb er endlich bei folgender stehen.
Man knetet das Mehl mit einem Drittheil seines Gewichts Wasser in einem mechanischen
Baktrog mit Stampfern und läßt den Teig einige Augenblike an der Luft stehen, d. h.
bis die Oberfläche desselben etwas aufzubersten anfängt und den Fingern nicht mehr
anhängt. Dieser Baktrog hat einen doppelten Boden; der untere kann mittelst Falze
herausgeschoben werden, und der obere ist sehr fein durchlöchert. Man bringt den
Teig in den Trog. Der Teig muß hart seyn, und um ihn zu bereiten, mischt man 75
Kilogr. Mehl mit 3 7/10 Kilogr. Wasser und läßt das Ganze ungefähr eine
Viertelstunde ruhen, damit der Kleber Zeit hat sich zu hydratisiren, was die
Abtrennung desselben erleichtert. Während der Knetung des Teigs im Baktrog durch
eine Art mechanischer Stampfer oder Stößel wird ein cylindrischer Sprizkolben
darüber hingeführt, welcher auf der unteren Hälfte seiner Oberfläche durchlöchert
ist. In Folge der Bewegung des mechanischen Stampfers und der Besprengung gibt der
Teig sein Stärkmehl an das Wasser ab, welches dasselbe auswäscht und aus dem Troge
führt, während der zerrissene Kleber sich wieder zusammenhängt, um eine
gleichartige, fadenziehende Masse zu bildet. Ein unter den Baktrog gestellter
hölzerner Trog nimmt das Wasser auf, aus welchem sich das Stärkmehl absezt, das
durch eine wohl angeordnete Aufeinanderfolge von Waschungen und Schlämmungen
gereinigt wird. Die Waschwasser geben noch einen Bodensaz von Kleber und
Stärkmehl.
Das abgelagerte Stärkmehl hält noch eine namhafte Quantität Kleber und verschiedene
Substanzen zurük, welche es im Mehle begleiteten. Um es davon zu befreien, schüttet
man die darüber stehende Flüssigkeit ab, ersezt sie durch eine frische Quantität
Wasser, rührt den Bodensaz ein zweitesmal um und überläßt das Ganze in einer großen
Kufe im Sommer ein oder zwei Tage lang einer Gährung, welche sich von der Gährung
beim alten Verfahren dadurch wesentlich unterscheidet, daß sie langsam und
regelmäßig vor sich geht und nur Alkohol bei derselben gebildet wird. Nach Verlauf
dieser Zeit wird die gegohrene Flüssigkeit abgegossen und nach einer dritten
Waschung das Stärkmehl, wie beim alten Verfahren, zum Troknen gebracht. Der Kleber
schließt noch eine ziemlich beträchtliche Menge Stärkmehl ein, dessen Gewinnung aber
die Kosten nicht mehr deken würde. Man erhält durch dieses Verfahren 55 Proc.
Stärkmehl und etwa 30 Proc. Kleber, während beim Gährungsverfahren kaum 45 Proc.
Stärkmehl gewonnen werden und der Kleber ganz verloren geht. Das Waschwasser kann
eine bedeutende Menge Weingeist liefern und statt Wasser der Bierwürze zugesezt
werden. An manchen Orten kann man es unmitttelbar zum Mästen der Schweine
benuzen.
Das aus den Waschwassern sich später absezende Gemenge von Kleber und Stärkmehl ist
von graulichweißer Farbe; beim Troknen wird es weiß und gibt Stärkmehl der zweiten
und dritten Sorte. Dasselbe liefert einen Kleister von guter Consistenz, welcher für
die Buchbinder oder zu ordinärem Appret brauchbar ist; da er aber ziemlich schwer
auszutroknen ist, so thut man oft besser, diese Bodensäze auf Branntwein zu
verarbeiten.
100 Kilogr. Mehl geben ungefähr 3/10 Kilogr. Waschwasser und 10 Kilogr. helle Brühe
(bouillie). Ueberläßt man dieß Alles der Gährung,
nachdem etwas Hefe zugesezt worden, so erhält man eine geistige Flüssigkeit, welche
19 bis 19,5 Liter Weingeist von 19° geben kann. Zu diesem Behufe bringt man
die trübe Brühe mit 100 Liter Waschwasser in einen Kessel und erhizt sie bis zum
Sieden. Den erhaltenen Kleister schüttet man in den Gährbottich; wenn die Temperatur
auf 75° C. (60° R.) gesunken ist, sezt man 15 Kilogr. Roggenmehl oder
gekeimte Gerste hinzu. Auch kann dieses Wasser zur Bereitung einer ziemlich
angenehmen Sorte Biers verwendet werden.
Wir haben nun gesehen, wozu der durch dieses Verfahren gewonnene Kleber dienen kann;
Hr. Martin bemerkt noch, daß der in sieben oder acht
Tagen bei 16° C. (13° R.) sauer gewordene Kleber mit Wasser einen
guten Leim bildet. Dieser Leim, welcher durch Zusaz von etwas Essigsäure noch
bindender wird, läßt sich zum Appretiren der Hutfilze benuzen. Kurz, wenn man 1000
Kilogr. Weizenmehl
von guter Qualität in Arbeit nimmt, so kann man 550 Kilogr. feines Stärkmehl, 300
Kilogr. frischen Kleber und 90 Liter Weingeist von 19° erhalten. Das
Stärkmehl fällt, wie man sieht, besser aus. Diese Bereitungsart des Stärkmehls ist
so vervollkommnet, als man es nur wünschen kann; sie ist nicht ungesund, liefert ein
reineres und weißeres StärkmehlWenn das Staͤrkmehl noch Kleber enthaͤlt, so bringt sein
Kleister auf den Geweben gelbe Fleken hervor., und überdieß eine
Substanz, welche man sich bisher noch nicht auf eine ökonomische Weise zu
verschaffen wußte. Der Arbeitslohn beträgt nicht viel. Um 700 Kilogr. Teig zu
bearbeiten, braucht man nur vier Arbeiter; zwei Frauen zum Auswaschen, einen Mann
zur Bereitung des Teigs und einen, der das Troknen besorgt.
Der in der Stärkefabrik des Hrn. Martin gewonnene Kleber
findet auch eine sehr nüzliche Anwendung bei der Bereitung des italienischen Teigs. Wirklich sind diese Teige um so besser, je reicher
das dazu angewandte Mehl an Kleber war. Bekanntlich kommen die Getreidearten, deren
sich die Italiäner zur Bereitung der Maccaroni, Vermicelli u. dergl. bedienen,
größtentheils aus Afrika; nun sind aber die harten Getreidearten des Südens die
reichsten an Kleber; diese Anwendung (des Klebers) ist daher eine sehr glükliche,
indem sie das Getreidemehl unseres Klima's, so wie des nördlichen, zur Bereitnng der
Vermicelli und Maccaroni eben so tauglich macht.