Titel: | Ueber die Percussionswirkung des Dampfes. Von F. A. Taurinus. |
Autor: | F. A. Taurinus |
Fundstelle: | Band 85, Jahrgang 1842, Nr. XXXIX., S. 161 |
Download: | XML |
XXXIX.
Ueber die Percussionswirkung des Dampfes. Von
F. A.
Taurinus.
Mit einer Abbildung auf Tab. III.
Taurinus, uͤber die Percussionswirkung des
Dampfes.
Im zweiten Aprilheft (Bd. LXXXIV. S. 81)
dieses Journals befindet sich eine aus dem Englischen mitgetheilte Abhandlung
„über Josiah Parkes' neue Theorie der
percussiven Thätigkeit des Dampfes.“ Ich habe diese Abhandlung mit um
so größerem Interesse gelesen, als ich seit einigen Jahren die Ueberzeugung gewonnen
habe, daß außer der Drukwirkung des Dampfes in allen geeigneten Fällen auch die
Stoßwirkung desselben beachtet werden muß. Es ist dieß einer von den mehreren
wichtigen Punkten in der Theorie der Dampfmaschinen, die noch ihre Aufklärung
erwarten; denn daß diese Theorie troz der verdienstlichen Bemühungen de Pambour's und anderer, noch sehr viel zu wünschen übrig
läßt, daß die wichtigsten Probleme derselben nicht aufgelöst, sondern sämmtlich erst
noch in Frage gestellt sind, dürfte von jedem gründlichen Mathematiker zugegeben
werden. Ich habe die Ansicht von der Stoßwirkung des Dampfes in einer Schrift
„Theorie der Bewegung auf Eisenbahnen“, die hoffentlich
nächstens erscheinen kann, behandelt und auch meinem Freunde, Hrn. Robert Lautz, gegenwärtig Director einer großen Maschinenfabrik
in Warschau, vor mehr als zwei Jahren Mittheilung davon gemacht, so daß ich mich
wohl als den ersten betrachten darf, der diese übrigens ganz nahe liegende Ansicht
aufgefaßt hat.
Man kann sich davon, daß auch die Percussion des Dampfes in Betracht kommen muß,
nicht augenscheinlicher überzeugen, als indem man zwei Fälle zur Vergleichung
zusammenstellt, die, ob zwar durchaus analog, doch von der Theorie ganz verschieden
behandelt werden, nämlich erstlich den Fall, wo ein gegebenes Dampfvolum außer der
durch constante Spannung hervorgebrachten Wirkung auch noch eine abnehmende Kraft
ausübt, indem es sich allmählich weiter bis zu einer niedrigeren Spannung ausdehnt;
und zweitens den Fall, wo der in dem Kessel unter einem höheren Druk erzeugte Dampf
unmittelbar zu einer niedrigeren Spannung im Cylinder übergeht, weil die Belastung
des Kolbens geringer ist, als sie jenem Druk im Kessel gemäß seyn müßte. Wir wollen
hier beide Fälle betrachten.
I. Es heiße ν das Volum des Dampfes in Kubikfußen,
P seine Pressung im Kessel, ϱ der Gegendruk der Atmosphäre oder des bis zu einer gewissen
Temperatur condensirten Dampfes, beides auf den Quadratfuß in Pfunden. Es entsteht
hier eine doppelte Wirkung:
1) ohne Expansion, so lang der Zugang des Dampfes offen ist
= v (P
– ϱ)
2) durch Expansion, nachdem der Zugang des Dampfes abgesperrt ist. Diese Wirkung
fällt etwas verschieden aus, je nachdem man das Mariottische Gesez dabei in
Anwendung bringt oder nicht. Nach der wie es scheint nun allgemein angenommenen
Theorie, daß der Dampf bei seiner Ausdehnung so viel an Temperatur verliere, daß
seine Dichte immer das Maximum für die Temperatur bleibt (wobei die absolute
Wärmemenge des Dampfes als constant betrachtet wird) läßt sich die Expansionswirkung
nicht weniger einfach als nach dem Mariottischen Gesez berechnen. Man darf nämlich
hier die Näherungsformel anwenden:
V = S/(m + np')
wo V das Volum des Dampfes in
Kubikfußen, S in Kubikfußen die Menge Wasser, die
verdampft wird, p den Dampfdruk auf den Quadratfuß in
Pfunden bezeichnet: m, n sind zwei constante
Coefficienten, die so bestimmt werden können, daß die Formel das Volum mit den
bekannten genauesten Erfahrungen möglichst übereinstimmend gibt. Da hier V und p veränderlich sind,
so hat man den Zuwachs der Expansionswirkung
= pdV = dV [S/nV – m/n],
folglich die ganze Wirkung, wenn ν und P wie vorhin Volum und Pressung
des Dampfes ohne Expansion bezeichnen
= S/n log. V/ν – m/n (V – ν)
– (V – ν)ϱ.
Die beiden Wirkungen 1 und 2 zusammen sind also
= S/n log. V/ν + (P + m/n) ν – (ϱ + m/n) V.
Oder, da nach der obigen Formel auch ν = S/(m +
nP')
= S/n (log. V/(ν + 1)) – (ϱ + m/n)
V.
Dehnt sich der Dampf so weit aus, daß seine Spannung nur noch
= ϱ, so ist auch (ϱ + m/n) V = S/n, folglich der
Ausdruk für die absolute bewegende Kraft eines Dampfvolums ν von der Spannung P, wenn es sich so weit als möglich
ausdehnt, nämlich bis in den Raum V
= S/n log. V/ν.
II. Es sey für den zweiten Fall P die höhere Spannung des
Dampfes im Kessel, p die niedrigere im Cylinder. Wenn
sich jene höhere Spannung bei offenem Ventil beständig erhalten soll, so wird
vorausgesezt, daß die Dampfwege eng genug sind, um eine Ausgleichung des Druks im
Kessel und Cylinder zu hindern. Für diesen Fall stellt de
Pambour folgende Theorie auf: es ist das Volum des Dampfes im Cylinder
V = S/(m + np) oder p = S/nV – m/n,
die Pressung auf den Kolben = p
– ϱ,
folglich die Wirkung = V (p – ϱ),
oder p eliminirt, = S/n – (m/n +
ϱ)V.
Nach dieser Theorie ist es ganz einerlei, ob die Spannung im Kessel und im Cylinder
verschieden ist oder nicht. Ist die Spannung verschieden, so ist das Volum des
Dampfes, der in dem Kessel mit der Spannung P erzeugt
wird
ν = S/(m + nP)
und dieses dehnt sich erst im Cylinder in das größere
Volum
V = S/m + np
aus. Ist dagegen die Spannung im Kessel und Cylinder gleich,
so wird das größere Volum V schon im Kessel erzeugt.
Vergleicht man nun die Wirkungen I und II, so hat man
für I
S/n log. V/ν + S/n
– (m/n + ϱ)V,
für II
S/n – (m/(n + ϱ))V,
folglich die Wirkung im ersten Falle um S/n log. V/ν größer.
Dagegen ist es a priori einleuchtend, daß die bewegende
Kraft in beiden Fällen ganz gleich ist, indem das einemal wie das andere dieselbe
Menge Dampf mit derselben Spannung erzeugt wird; der Unterschied ist nur der, daß
die bewegende Kraft hier eine Expansionswirkung ausübt; während sie dort eine
bedeutende Geschwindigkeit hervorbringt. Diese große Geschwindigkeit, mit welcher
der Dampf in den
Cylinder strömt, und die daher rührende bewegende Kraft darf aber nicht
unberüksichtigt bleiben, wenigstens nicht ohne den Beweis, daß sie für den reinen
Effect ganz verloren sey. Die natürlichste Idee ist, daß hier auch eine Stoßwirkung
stattfinde, indem der Dampf durch Anstoß an den Kolben seine Geschwindigkeit
verliert. Ueber die nähere Wirkungsart dieses Stoßes dürften aber Zweifel obwalten,
daher ist auch noch eine andere Vorstellung zulässig.
Es läßt sich vorerst an einem festen Körper zeigen, welche Wirkung die allmählich
verminderte Geschwindigkeit nicht sowohl durch Stoß, als durch successive
Mittheilung des mechanischen Moments ausüben kann. Es sey Fig. 14
A ein Cylinder, in welchem sich der Kolben B mit einer constanten geringen Geschwindigkeit c bewegt: seine Oberfläche ist concav, so daß sie mit
der innern Fläche des Cylinders in eine Fläche verläuft; auf die nämliche Art ist
auch der feste Boden C des Cylinders ausgehöhlt. Denkt
man sich nun eine Kugel D, der man eine bedeutende
Geschwindigkeit C ertheilt hat und die in dem Cylinder
einen beständigen Kreislauf macht, so wird sie durch ihre Schwungkraft dem Kolben
ihre bewegende Kraft mittheilen, indem sie ihre Geschwindigkeit nach und nach
verliert.
Es sey m die Masse der Kugel, ϱ der Krümmungshalbmesser für einen Punkt der concaven Fläche des
Kolbens, φ der Winkel, den er mit der Achse des
Cylinders macht, so hat man die Schwungkraft bekanntlich
= mC²/2gφ
und zerlegt nach der Richtung der Cylinderachse = m
C²/2gϱ cos φ.
Die Zeit, in welcher der kleine Bogen – ϱdφ zurükgelegt wird, ist = ϱdφ/2gϱ,
folglich der in dieser Zeit dem Kolben mitgetheilte Druk
= ϱdφ/C . mC²/2gϱ
cos φ = – mC/2g cos φdφ
und das bei dem einmaligen Kreislauf der Kugel dem Kolben
mitgetheilte mechanische Moment
= mCc/g.
Hiebei ist C veränderlich, indem bei jeder Rükkehr der
Kugel ihre Geschwindigkeit um die doppelte Größe c vermindert wird. Sucht man also die ganze Wirkung für
den Fall, daß die Geschwindigkeit zulezt = 0 sey, so darf man c als sehr klein gegen C, = dC
/2 sezen, also für die ganze Wirkung das Integral mC
2/4g annehmen, das heißt,
die Kugel theilt ihr gesammtes Bewegungsmoment, welches eben dem Product ihrer Masse
in ihre Geschwindigkeitshöhe oder die Höhe ihres Falls gleich ist, dem Kolben mit.
Hiebei ist aber die Reibung nicht berüksichtigt, die allerdings bedeutend ist und
also die nüzliche Wirkung vermindert.
Diese Betrachtung auch auf flüssige und expansive Körper angewandt, so läßt sich
denken, daß der Dampf, der mit großer Geschwindigkeit in den Cylinder einströmt,
bloß durch seine Circulation in demselben eine bedeutende bewegende Kraft auf den
Kolben ausübt. Man kann sie, abgesehen von aller Reibung, aus der Geschwindigkeit
berechnen, mit welcher der Dampf in den Cylinder strömt. Hiebei stoßen wir wieder
auf ein anderes Problem, nämlich wie groß die Geschwindigkeit sey, mit welcher Dampf
von der Spannung P in einen Raum ausströmt, wo die
Spannung nur p ist. Man muß annehmen, daß die Dichte des
Dampfes in jedem Punkte des Gefäßes, in dem die Bewegung statt hat, sich nach dem
Druk richtet, also bei der Einmündung nur noch die ist, die der Spannung p entspricht, und um consequent zu seyn, muß man das
obige de Pambour'sche Gesez anwenden.
Es sey also in irgend einem Querschnitt A des Gefäßes die
in der Zeit dt durchgehende Dampfmasse = Aδcdt, wo c die Geschwindigkeit des Dampfes und δ seine Dichte bezeichnet, so ist für den Zuwachs
dc die bewegende Kraft
= Aδcdt .
dc/2gdt = Aδcdt/2g
und diese muß gleich seyn dem Verlust an Pressung = –
Adp.
Man hat also die Gleichung
δcdc/2g =
– dp.
Nun drükt in der Formel
V = S/(m + np)
der Quotient S/V auch die Dichte
δ aus, oder es ist δ = m + np,
folglich erhält man auch
(m + np)
cdc/2g = – dp,
woraus
c²/4g = –
1/n log. (m + np)/(m + nP)
oder auch, wenn man nach den obigen Formeln m + np = V, m + nP = ν sezt:
c²/4g = 1/n log. V/ν.
Die bewegende Kraft der Dampfmasse S ist, wie wir vorhin fanden,
= Sc²/4g
= S/n log. V/ν,
also ersezt sie gerade das, was nach der de Pambour'schen Theorie in dem Fall II der Wirkung fehlt,
um der des Falles I gleich zu seyn.
Wir müssen hiebei bemerken, daß die Bestimmung der Ausflußgeschwindigkeit des Dampfes
nach der Formel
c²/4g = –
1/n log. (m + nP)/(m + np)
abweicht von der gewöhnlichen Theorie, welche für Gase
überhaupt gibt
c²/4g = (P –
p)/δ,
wo δ die Dichte bei der
Spannung P bezeichnet. Um diese Formel mit der ersten in
Einklang zu bringen, muß man vorerst m = 0 sezen,
wodurch zugleich n = S/νP = δ/P wird, und die Formel jezt für das
Mariottische Gesez gültig ist, für welches daher die folgerechte Theorie
c²/4g = P/δ
log. P/P
sezen müßte; dann muß man zweitens den Näherungswerth für den
Fall nehmen, daß P von p
nicht viel verschieden ist, so daß man für log. P/P =
log. (1 + (P –
p)/p) nur das erste Glied der Reihe, nämlich
(P – p)/p sezen darf; man erhält also
c²/4g = P/δp . P – p,
was jedoch von der gewöhnlichen Formel noch dadurch abweicht,
daß P/δp. P –
p = (P – p)/δ' ist, wenn δ' die Dichte für
die Spannung p bezeichnet, während die gewöhnliche
Formel (P – p)/δ hat, also eine geringere Geschwindigkeit gibt. Morin, der die gewöhnliche Formel mittheilt, bemerkt
dabei, daß sie nur anwendbar sey, wenn der innere Druk den äußern um nicht mehr als
1/4 oder 1/3 übertreffe, wie es meistens der Fall sey.
Es ist nach dem Gesagten außer Zweifel, daß in dem Falle II eine größere bewegende
Kraft gegeben ist, als die Theorie bisher berüksichtigt hat. Nimmt man nun auch an,
daß die Reibung und der Widerstand der Bewegung einen großen Theil dieser Kraft
verzehrt, so bleibt doch noch immer ein Theil der Wirkung übrig, dessen Größe wohl
durch Versuche am ersten ermittelt werden könnte. So oft also die Spannung im Kessel
und im Cylinder beträchtlich verschieden ist, muß eine größere Kraft angenommen
werden, als nach der gewöhnlichen Theorie.
Daß diese Ansicht durch die That bestätigt wird, läßt sich aus vielen von de Pambour mitgetheilten Erfahrungen an Locomotiven
schließen, wo die Wirkung größer war, als sie der Theorie nach seyn konnte. Allein
sie gewinnt eine noch größere Gewißheit, wenn man sich überzeugt hat, daß der
Widerstand des Dampfes in den Locomotiven bei weitem beträchtlicher ist, als man
bisher angenommen hat. Die größere Verdampfungskraft der Maschinen wird in der That
nur durch einen bedeutenden Kraftverlust gewonnen, und die Enge der Ausmündungen der
Cylinder und des Blasrohrs bedingen bei der großen Geschwindigkeit des Kolbens einen
Widerstand, dessen Ueberwindung allein durch eine größere Kraft, als die man
gewöhnlich voraussezt, erklärbar ist. Es folgt ferner aus dieser Theorie der
merkwürdige Umstand, daß die Wirkung einer Maschine keineswegs dann am größten ist,
wenn die Spannung im Cylinder oder die Belastung des Kolbens am größten, nämlich dem
Druk im Kessel gleich ist; das größte Moment der Kraft entsteht vielmehr dann, wenn
die Geschwindigkeit des Kolbens größer ist, oder der Dampf sich im Cylinder mehr
ausdehnt als im Kessel.