Titel: | Ueber eine neue Verbindung von Chlor mit Sauerstoff; von Hrn. Millon. |
Fundstelle: | Band 86, Jahrgang 1842, Nr. LXXIX., S. 348 |
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LXXIX.
Ueber eine neue Verbindung von Chlor mit
Sauerstoff; von Hrn. Millon.
Aus dem Echo du monde savant. Okt. 1842, Nr.
29.
Millon, über eine neue Verbindung von Chlor mit
Sauerstoff.
In einer früheren Abhandlung (polyt. Journal Bd.
LXXVII. S. 425) habe ich gezeigt, daß die Verbindung von Chlor mit
Sauerstoff, welche man gewöhnlich Chloroxyd (Chlordeutoxyd) nannte und welche die
Formel ClO⁴ hat, eine complicirte Säure ist,
welche keine Salze bilden kann, sondern in Berührung mit alkalischen Basen sich in
ein chlorsaures und chlorigsaures Salz verwandelt.
Dieß machte es sehr wahrscheinlich, daß eine Verbindung von Chlor und Sauerstoff
existirt, welche zur Formel ClO³ hat. Ich war
auch so glüklich, dieselbe zu isoliren und mehrere einfache Verfahrungsarten
auszumitteln, wonach man sie in Menge bereiten kann. Man muß diese Säure chlorige Säure nennen, weil sie sich jedesmal bildet,
wenn man Chlorsäure desoxydirt. Die chlorige Säure ist allen Desoxydationsmitteln
gegenüber die beständigste Verbindung von Chlor mit Sauerstoff (vorausgesezt, daß
man sich in den Gränzen der Temperatur hält, wobei diese Säure oder ihre
Verbindungen nicht zerstört werden). So widersteht die chlorige Säure der
reducirenden Wirkung fast aller organischen Substanzen, fast aller Metalle, und sie
entsteht beim Calciniren von überchlorsaurem Kali, welches chlorigsaures Kali gibt,
ehe es Chlorkalium liefert.
Man erhält die chlorige Säure leicht, wenn man einen gläsernen Kolben (von 3 bis 400
Kubikcentimeter Rauminhalt) fast bis zum Halse mit einem Gemisch von Weinsteinsäure,
chlorsaurem Kali, Salpetersäure und Wasser anfüllt; diese Substanzen werden in
folgendem Verhältnisse angewandt:
Weinsteinsaͤure
1
Chlorsaures Kali
4
Salpetersaͤure (von 1,327 spec.
Gew.)
6
Wasser
8
Zuerst füllt man die Weinsteinsäure und das chlorsaure Kali, grob gemengt, aber nicht
gepulvert, hinein und gießt dann die vorläufig mit dem Wasser gemischte
Salpetersäure hinzu. Aus dem Kolben leitet man das Gas zuerst durch eine
Chlorcalcium enthaltende Röhre, um es auszutroknen und dann in trokene Flaschen oder
in einen Woolf'schen Apparat, um es in Wasser
aufzulösen.
Die Reaction beginnt von selbst, wenn man einige Augenblike wartet (bei + 25°
C.); man kann jedoch ohne Gefahr eine einzige glühende Kohle unter den Kolben bringen, um die
Gasentbindung zu beschleunigen. Man erhizt dann so fort, daß die Temperatur 45 bis
50° C. nicht überschreiet. Die Operation ist beendigt, wenn das Gemisch sich
entfärbt; man erhält nach diesem Verfahren die chlorige Säure mit kohlensaurem Gase
gemischt.
Die chlorige Säure ist ein Gas von sehr dunkler, grünlich gelber Farbe: ihr Geruch
reizt den Schlund und die Lungen sehr und ist demjenigen der Unterchlorsäure
ähnlich. Sie bleicht das Lakmuspapier und den schwefelsauren Indig. In der Kälte
verdichtet sie sich zu einer rothen Flüssigkeit, von hellerer Farbe als die
Unterchlorsäure. Bei + 57° C. zersezt sie sich mit einem leichten Stoß.
Ihre Auflösung hat einen äzenden Geschmak. Wenn sie wenig Gas enthält, ist sie grün;
hat aber das Wasser sein 5–6faches Volum von dem Gase ausgenommen, wo es dann
gesättigt zu seyn scheint, so ist es sehr dunkel goldgelb gefärbt; bei + 20°
färbt diese Auflösung die Haut in einigen Augenbliken gelb. Eine einzige Gasblase
reicht schon hin, um 1 Liter Wasser zu färben.
Drei Analysen des Gases (es wurde über erhiztes metallisches Kupfer geleitet)
ergaben, daß es 60,15 Proc. Chlor enthält, also der Formel CLO³ entspricht. Diese Formel wird bestätigt: 1) durch die Analyse
der chlorigsauren Salze, deren allgemeine Formel CLO³, MO ist; 2) durch die Dichtigkeit des
Gases, welche durch den Versuch = 2,646 gefunden wurde, daher 2 Volume Chlor und 3
Volume Sauerstoff zu 3 Volumen gasförmiger Säure verdichtet sind.
Die chlorige Säure hat in gasförmigem Zustande fast gar keine Wirkung auf die
Metalle. Sehr feine Feilspäne von Kupfer, Blei, Zinn, Antimon, Zink und Eisen
verändern sich nach einer Stunde und länger in ihrer Atmosphäre gar nicht. Das
Queksilber hingegen absorbirt das Gas bei der gewöhnlichen Temperatur ohne
Rükstand.
Anders verhält sich die in Wasser aufgelöste chlorige Säure. So gibt das Queksilber
damit Oxydchloride; das Kupfer ein Gemisch von chlorsaurem Kupfer und Kupferchlorid;
das Zink und Blei geben Chloride und chlorigsaure Salze.
Die Alkalien und Erden verbinden sich nur sehr schwer mit dem chlorigsauren Gase.
Kalkhydrat hat keine Wirkung darauf.
Kali, Natron und Baryt bilden saure chlorigsaure Salze, welche stark roth gefärbt
sind, die man aber nicht in krystallisirtem Zustand erhalten kann. Chlorigsaures
Blei, Silber, Baryt und Strontian geben krystallisirte Salze, welche leicht zu
analysiren sind. Behandelt man die chlorigsauren Salze mit verdünnter Salpetersäure,
so entwikeln sie chlorigsaures Gas.
Von dem Chlor unterscheidet sich dieses Gas wesentlich dadurch, daß es durch eine Auflösung von
arseniger Säure in Salzsäure seine Bleichkraft nicht verliert; so viel arsenige
Säure man ihm auch zusezen mag, wirkt es doch noch immer auf den Indig. Von der
Unterchlorsäure unterscheidet sich dieses Gas dadurch, daß es mit Kali kein
chlorsaures Salz liefert und aus seiner Auflösung in Wasser durch einen Strom von
Kohlensäure ausgetrieben werden kann, ohne eine Spur Chlorsäure zurükzulassen.