Titel: | Ueber die seit mehreren Jahren in Deutschland beobachtete Trokenfäule oder Stokfäule der Kartoffeln. |
Fundstelle: | Band 86, Jahrgang 1842, Nr. LXXXVI., S. 385 |
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LXXXVI.
Ueber die seit mehreren Jahren in Deutschland
beobachtete Trokenfaͤule oder Stokfaͤule der Kartoffeln.
Auszug aus einer von dem k. b. Hofrath
und Professor der Botanik zu München Dr. v. Martius im Verlag der k. b. Akademie der
Wissenschaften (1842) erschienenen Abhandlung.
Ueber die Trokenfäule der Kartoffeln.
Diese Krankheit der Kartoffeln zeigt sich seit zwölf Jahren in einem großen Theil
Deutschlands. Die davon befallenen Kartoffeln werden steinhart, so daß sie oft mit
dem Hammer nicht zerschlagen werden können; sie behalten diese Härte auch im
kochenden Wasser und sollen sogar in den Branntweinbrennereien der Wirkung des
Dampfes widerstehen; können demnach zu gar nichts benüzt werden. In diesem höchsten
Grade der Krankheit verlieren sie ihre natürliche Beschaffenheit so sehr, daß man
sie beinahe nicht mehr erkennt. Was diese Krankheit so sehr zu fürchten macht, ist,
daß sie bei ihrem ersten Auftreten beinahe gar keine Veränderung wahrnehmen läßt,
während die in die Erde gelegten Knollen keine Stengel mehr treiben können, und wenn
dieß doch hie und da der Fall ist, diese bald wieder welken und der Landmann sich in
seinen Hoffnungen völlig betrogen sieht.
In der bayerischen Pfalz richtete diese Krankheit im Jahr 1840 solche Verheerungen
an, daß in mehreren Bezirken die Ernten sich auf das Drittheil reducirten. –
Im Jahr 1830 scheint sie zuerst in mehreren dem Rheine benachbarten Landstrichen
aufgetreten zu seyn. Seitdem wurde sie in der Pfalz, zwischen Köln und Neuwied, bei
Erfurt, im Königreich Sachsen, in Mecklenburg, Böhmen und Schlesien beobachtet. Sie
erscheint wie eine wahrhafte Epidemie und zeigt, wie jede solche, sonderbare, schwer
zu erklärende Eigenthümlichkeiten. In der Pfalz glaubte man sie hauptsächlich durch
die seit einigen Jahren dort herrschende Trokne erklären zu können; in den untern
Rheinprovinzen hingegen suchte man ihre Ursache in der zu großen Feuchtigkeit und
den kalten Nächten; andere schrieben sie der Kraftlosigkeit der Kartoffelvarietät
und der unzwekmäßigen Cultur derselben zu. Sie zeigte sich bei allen Varietäten der
Pflanze. In Deutschland wird diese Krankheit gewöhnlich mit dem Namen Stokfäule bezeichnet.Auch Fruchtkrebs, Umschlagen der Sezkartoffel, Ausbleiben der Kartoffel,
Knollenfäule, Knollenbrand.
Ich untersuchte aus verschiedenen ziemlich von einander entlegenen Gegenden
Deutschlands eingesandte brandige Knollen des Solanum
tuberosum und fand auf allen einen mehr oder weniger
entwikelten Schimmelpilz, welchen ich Fusisporium Solani
benenne. Ich habe mich überzeugt, daß das Vorhandenseyn dieses kleinen Pilzes die
Ursache dieser Krankheit ist, nicht die Wirkung derselben, wie mehrere Agronomen und
selbst ausgezeichnete Botaniker behaupteten. Die Kartoffel-Epidemie scheint
daher in die Classe derjenigen zu gehören, welche man dem Entstehen und der
Entwikelung einer Schmarozerpflanze zuschreibt; sie hat große Aehnlichkeit mit dem
Mutterkorn, dem Mehlthau, dem Kornbrand etc., und es ist zu befürchten, daß sie eben
so schwer zu zerstören sey wie diese leztern, welche schon seit so langer Zeit in
gewissen Gegenden eine wahre Calamität sind.
Während der Entwikelung dieses Parasiten verliert die Kartoffel einen so großen Theil
ihrer Feuchtigkeit, daß sie davon nur mehr 35 Proc. behält, während sie im gesunden
Zustand ungefähr 73 Proc. enthält. Die faserigen Bestandtheile nehmen eine bläuliche
Farbe an und verwandeln sich zum Theil in Ulmin; die Schleimsubstanz hat sich
vermindert und das Eiweiß ist ganz verschwunden. Die Bildung dieses Pilzes im Innern
des Knollens und die Art seiner Fortpflanzung durch Keimkörner (Sporae), welche man nicht durch die Schichten des
Epidermis-Gewebes in das Innere des Zellgewebes hineindringen sieht, wo
nichtsdestoweniger der Siz seiner ersten Entwikelung zu seyn scheint, ist sehr
schwer zu erklären. Da nach den von mir angestellten Versuchen die Körner des Fusisporium die Epidermis nicht durchlöchern können, um
in das Innere zu dringen, so muß ihre Fortpflanzung auf andere Weise stattfinden,
und es kann nach meinem Dafürhalten der Pilz sich weder durch Aussäen noch durch
Propfen vermehren, welche Meinungen von verschiedenen Theoretikern aufgestellt
wurden. Ich bin vielmehr überzeugt, daß dieß durch einen organischen Proceß
geschieht, welchen ich Infection benenne, weil er mit der
Inoculation eines contagiösen Gifts die größte Aehnlichkeit hat.
Die Trokenfäule ist um so mehr in der Landwirthschaft zu fürchten, als die Körner des
Fusisporium in unzähliger Menge vorhanden sind, sich
überall verbreiten können und es erwiesen ist, daß die Keimkörner der Pilze ihre
Lebenskraft sehr lange behalten. Es ist daher von sehr großer Wichtigkeit, der
Fortpflanzung dieser Schmarozerpflanze Einhalt zu thun und die Körner derselben, so
wie das Pilzweiß (die Rudimente der Fusisporium Solani;
Mycelium) zu zerstören. Zu diesem Behufe sind die gesunden Ernten zu
schüzen und streng von der Berührung mit afficirten Kartoffeln abzuhalten; diese
leztern, wenn das Uebel schon so weit vorgeschritten ist, daß sie gar nicht mehr
gebraucht werden können, völlig zu vernichten; die Keller, wo die Keimkörner des schädlichen Gewächses in
Unzahl ausgestreut seyn können, zu reinigen, endlich die zur Vermehrung bestimmten
Kartoffeln, ehe man dieselben dem Boden anvertraut, einzukalken; durch Befolgung
aller dieser Mittel wäre vielleicht die Kartoffel vor der gerade die zahlreichste
Volksclasse am schwersten treffenden Gefahr zu bewahren.
Hinzuzufügen ist, daß die Krankheit vorzüglich in Bezirken beobachtet wurde, wo seit
einiger Zeit das Verfahren befolgt wird, nur mit einigen Augen versehene Schnitten
von Kartoffelknollen in den Boden zu legen, und wieder in andern Orten, wo man die
leidige Gewohnheit hat, ganze Keller mit nicht gehörig ausgetrokneten Kartoffeln
anzufüllen, welche keinem Luftzug ausgesezt worden waren, um die Gährung fern zu
halten. Mehrere haben diese beiden Verfahrungsweisen unter die mitwirkenden Ursachen
gereiht, welche zur Entwikelung der Krankheit mächtig beitragen.
Man kennt in Deutschland noch einige andere Krankheiten des Solanum tuberosum wie die Krause oder Kräuselkrankheit und den Rost, welche ich aber noch nicht beobachtet habe. Eine
vierte, die Räude oder Kräze
wurde vorzüglich im Thüringer Kalkboden, in Oberbayern und Oesterreich wahrgenommen.
Sie steht mit der Entwikelung eines kleinen, sehr einfach gebauten Pilzes aus der
Gattung der Protomyeen in Zusammenhang, befällt
vorzüglich die unter der Epidermis liegenden Theile und ist weniger als die
Trokenfäule zu fürchten.