Titel: | Ueber eine eigenthümliche Calomelbildung und Chlorentwikelung; von Dr. K. Schaffhäutl. |
Fundstelle: | Band 87, Jahrgang 1843, Nr. XV., S. 57 |
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XV.
Ueber eine eigenthuͤmliche Calomelbildung
und Chlorentwikelung; von Dr. K.
Schaffhaͤutl.
Auszug aus den Annalen der Chemie und Pharmacie Bd. XLIV. S.
25.
Schaffhaͤutl, uͤber eine eigenthuͤmliche
Calomelbildung und Chlorentwikelung.
Als ich im verflossenen Sommerhalbjahre meinen verehrten Freund, den Hrn.
Oberbergrath Prof. Fuchs in München in der Ausführung
eines etwas ins Große getriebenen Amalgamationsprocesses unterstüzte, bei welchem
sogenannte rothe Schwände, durch Rösten von Schwefelkiesen erhalten, mit
Kochsalzlösung gemischt und dann mit metallischem Queksilber zusammengerieben wurde,
bemerkte ich ein auffallend schnelles und so vollständiges Verschwinden des
Queksilbers, daß es auch unter dem Mikroskope nicht mehr von der Schwände zu
unterscheiden, und überhaupt zulezt nur sehr schwer wieder zu gewinnen war.
Als wir das Queksilber mit der Schwände zusammenarbeiteten, ohne vorher Kochsalz
hinzu gemengt zu haben, zeigten sich die gewöhnlichen regelmäßigen Erscheinungen,
d.h. das Queksilber war nur schwierig mit der Masse zu vermengen und auch in seiner
feinsten Vertheilung noch mit dem Mikroskope zu erkennen; sobald aber Kochsalz
hinzugefügt wurde, war auch das Queksilber in der kürzesten Zeit wie früher
verschwunden.
Da ich schon früher ähnliche Erscheinungen bemerkt hatte, und auch überzeugt war, daß
z.B. das sogenannte Zerschlagenwerden des Queksilbers einer andern als bloß
mechanischen Ursache zugeschrieben werden müsse, beschloß ich eine etwas
ausführlichere Untersuchung über das Verhalten des Queksilbers unter obigen
Umständen und zu Metallsalzauflösungen überhaupt vorzunehmen, wovon ich hier ein paar
interessante und noch unbekannte Fälle anführen will.
1) Wird metallisches Queksilber vorsichtig mit einer Lösung von schwefelsaurem
Eisenoxyd oder Eisenchlorid in Berührung gebracht, so geht keine, wenigstens keine
durch unsere Reagentien zu entdekende Veränderung in der chemischen Constitution der
Lösung hervor. Wird jedoch das Queksilber mit der Metallsalzlösung stark
geschüttelt, so daß es sich in feine Körner vertheilt, so entfärbt sich die Lösung
in demselben Augenblike, und sie ist dann, wenn Queksilber genug vorhanden war, aus
einer Oxyd- oder Chloridverbindung in ein Oxydulsalz oder in ein Chlorür
umgewandelt worden. Ein Theil des Queksilbers hat sich dann in schwefelsaures
Queksilberoxyd, oder, merkwürdig genug, in Queksilberchlorür umgewandelt, das dann
die Hüllen der außerordentlich feinen Queksilberkügelchen bildet, in welche das
Metall durchs Schütteln verwandelt worden war. Die Wirkung erfolgt am
geschwindesten, wenn die Auflösung etwas sauer war, geht aber auch noch vollständig
in einer neutralen Salzlösung von statten, eine basische Metallsalzlösung jedoch
wird auf diese Art nicht merklich Verändert.
Zur weiteren Erläuterung des eben angeführten Experiments diene folgender
Versuch.
Wird schwefelsaures Eisenoxyd mit Kochsalz zusammengerieben, die Masse mit Wasser zur
breiartigen Consistenz gebracht und dann auf diese Masse in der Reibschale ein
Tropfen Queksilber gesezt, so verliert das metallische Queksilber im Momente der
Berührung seine ihm eigenthümliche Flüssigkeit, und bleibt auf seiner Stelle
breiartig, wie im Zinnamalgam liegen. Wird dieß Queksilber nun mit der Masse, auf
der es ruht, zusammengerieben, so bildet sich ruhig und ohne Temperaturerhöhung
Queksilberchlorür, das, wie wir später sehen werden, durch Sublimation sehr leicht
wieder erhalten werden kann. Zu gleicher Zeit verwandelt sich der zusammenziehende
Geschmak des Eisenoxydsalzes in den süßlichen des Eisenoxyduls, während sich die
früher dunkelrothe Masse stark verdikt und fleischroth erscheint.
Mischt man ferner schwefelsaures Eisenoxyd mit so viel Kochsalz, als gerade zur
wechselseitigen Umsezung der Bestandtheile nöthig ist, rührt es mit Wasser an, und
läßt es in der Kälte auch noch so lange stehen und selbst eintroknen, so entsteht
nie eine wechselseitige Zersezung der beiden Salze. Der Geschmak der Masse bleibt
unverändert, das Kochsalz krystallisirt in Muscheln wieder heraus und die Zersezung,
in Berührung mit Queksilber, geht noch eben so
schnell vor sich, als im Momente des ersten Zusammenreibens. Das Queksilber erregt also hier
durch bloße Berührung das Spiel der chemischen Verwandtschaft, zugleich geräth es
aber selbst in einen Zustand der Halbflüssigkeit, die seine eigenthümliche
Theilnahme an den aufgeregten Zersezungskräften sehr deutlich beurkundet, und die
darum höchst merkwürdig ist, weil in der chemischen Natur des Queksilbers selbst
durchaus keine Veränderung hervorgegangen ist, und weil also dieser eigenthümliche
halbstarre Zustand deßhalb nur als ein Symptom derjenigen Spannung chemischer
KräfteOder auch elektrischen; denn das Queksilber,
mittelst eines Platindrahtes in den Kreis einer galvanischen Säule gebracht,
zeigt ganz analoge Erscheinungen., wenn ich mich so ausbrüten darf, gelten kann, in welcher sich die nach
gegenseitiger Zersezung strebenden Salze befinden, ohne sich jedoch wirklich
zersezen zu können, vielleicht entfernt zu vergleichen der Spannung beider einander
entgegengesezten Elektricitäten, auf den beiden Armaturen einer geladenen Leidner
Flasche.
Ein Beispiel der Art, ein Kundbarwerden von Kraftäußerungen, die das Streben zweier
einander nahe gebrachten chemischen Verbindungen nach wechselseitiger Zersezung
bezeichnen, ist bisher noch nicht bekannt geworden; denn selbst auf mit Queksilber
amalgamirten Flächen ist die obere Lage des Queksilbers vollkommen flüssig,
spiegelnd und Kugelform anzunehmen sich bestrebend, so oft es in einer etwas
größeren Masse sich zu sammeln im Stande ist.
Betrachten wir ferner die Erscheinungen, die während der wirtlichen wechselseitigen
Zersezung des obigen Salzgemisches, nämlich schwefelsaures Eisenoxyd und
Chlornatrium, vor sich gehen, so ist der Vorgang dabei eben so unerwartet als
sonderbar.
Wir haben dabei schon oben gesehen, daß in unserem Gemenge auch im feuchten Zustande,
in der Kälte, keine Zersezung vor sich geht. Erhizt man jedoch die feuchte Masse bis
etwa zu 60° C., so entwikelt sich salzsaures Gas. Ist jedoch alles Wasser
verdampft, so entwikelt sich Chlor allein, und Eisenoxyd
und schwefelsaures Natron bleiben zurük. Wird jedoch das schwefelsaure Eisenoxyd und
das Kochsalz vorher geglüht, so erscheint während der Dauer des ganzen
Zersezungsprocesses Chlor allein, das sich, auch wenn man
das Gas nicht auffängt und die Mischung in einem offenen Gefäße glüht, sogleich
durch den Geruch zu erkennen gibt, und durch die Erscheinung, daß wenn man vor dem
Glühen Blattgold mit der Mischung zusammengerieben hat, Wasser nach dem Glühen ein
Goldsalz auszieht, das mit Zinnsesquioxydul den schönsten Goldpurpur gibt.
Die Entwikelung von Chlorwasserstoffsäure ließ sich natürlich erwarten; die Entwikelung von reinem
gasförmigen Chlor weniger; ja sie ist bei Experimenten ähnlicher Art, die ich schon
früher im Großen angestellt, von ausgezeichneten bekannten Chemikern als unmöglich
bestritten worden, weil nach der Theorie der Schule nicht abzusehen war, woher das
Natrium des Chlorids bei Abwesenheit von Wasser den Sauerstoff nehmen könnte, um mit
der Schwefelsäure ein Oxydsalz zu bilden.
Woher das Natrium seinen Sauerstoff nehme, um sich in Natron zu verwandeln, werden
wir im Verlaufe unserer Untersuchung finden.
Untersucht man nun ferner das Gemenge von schwefelsaurem Eisenoxyd und Kochsalz im
ersten Stadium der glühenden Zersezung, so stößt man zuerst auf die unerwartete
Bildung von Eisenoxydul, dessen Menge wächst bis zur Mitte des Processes, und nimmt dann in der lezten
Hälfte eben so regelmäßig wieder ab, bis am Ende desselben wiederum nichts mehr
weiter als Oxyd zu finden ist. Wasser, das vor dem Glühen das schwefelsaure
Eisenoxyd auflöste, zieht nun nichts mehr als schwefelsaures Natron aus, und reines
Eisenoxyd bleibt zurük.
Um uns den Vorgang bei diesem chemischen Processe recht klar zu machen, will ich mich
statt auf allgemeine – auf quantitative – Verhältnisse der ins Spiel
gebrachten Elemente berufen.
Um nämlich unter denselben Umständen, die bei dem erst erwähnten
Amalgamationsprocesse stattfanden, auch bei meinen analytischen Versuchen wieder zu
arbeiten, bereitete ich wieder aus chemisch reinem Eisenoxyd durch Uebergießen mit
etwas concentrirter Schwefelsäure, Digeriren, Abdampfen, Einkochen und Glühen eine
Masse, die in 20 Gram. 3,456 Schwefelsäure, 2,29 an die Schwefelsäure gebundenes
Eisenoxyd, dann 14,254 Theile freies Eisenoxyd enthielt. Diese Quantität von 20
Gram. wurde nun mit 5,102 Gram. chemisch reinem geglühtem Kochsalz gemengt, mit
Wasser breiartig angerührt und dann 17,45 Gram. Queksilber hinzugefügt, das durch
Umrühren mit dem Pistille sogleich verschwand, während sich die Masse auffallend
Verdikte und troken wurde.
Die Masse wurde nun in der Reibschale selbst in ganz gelinder Hize vollständig
getroknet, so genau als möglich aus der Reibschale in eine gläserne Retorte
gebracht, und mit der Retorte gewogen. Sie wog jezt 43,73 Gram., sie hatte also 1,18
Gram. Wasser gebunden. Die trokene Masse hatte im Mörser eine röthlich graue Farbe
angenommen, die sich durch Zerreiben in eine kugellakrothe Farbe verwandelte.
Nachdem die Retorte eine Stunde lang im Sandbade über der Weingeistlampe geglüht worden,
hatte sie verloren 2,01 Gram. Im Retortenhalse und in der Vorlage fand sich etwas
Salzsäure, die nicht mehr als 0,03 Gram, betrug.
Im obern Theil des Retortenhalses hatte sich Queksilberchlorür in schönen Nadeln
krystallisirt, die gewaschen, getroknet und gewogen 19,03 Gram. ausmachten; das
Waschwasser enthielt nichts als Salzsäure, aber keine Spur von Queksilber. –
Das in Chlornatrium wirklich vorhandene Chlor würde mit dem angewendeten Queksilber
20 Gram. Calomel gegeben haben. Es fand also ein Verlust von 0,95 Gram. statt.
Nachdem der Bauch der Retorte jedoch noch einmal dem freien Feuer ausgesezt worden
war, sublimirten sich noch nahe 0,65 Gram. Calomel.
Am Gewölbe der Retorte hatte sich etwas Eisenchlorid sublimirt, das mit einem nicht
mehr bestimmbaren pulverigen Sublimate, vielleicht Eisenchlorür, oder auch Calomel,
0,22 Gram. wog.
Aus diesen einfachen Daten ergibt sich erstens, wie wenig Chlorwasserstoffsäure frei
werde, selbst wenn das Gemenge 10 Proc. Wasser enthält.
2) daß um reinen Calomel auf eine einfache und wenig
kostspielige Weise zu bereiten, es nichts weiter bedürfe, als Schwände von nicht
ganz kalt gerösteten Schwefelkiesen, oder überhaupt wasserfreies schwefelsaures
Eisenoxyd mit der nöthigen Menge Kochsalz und Queksilber zu vermengen und das
Ganze der Sublimation zu unterwerfen; während die gewöhnliche Art der
Calomelbereitung zuerst Sublimat nöthig hat, um diesen mittelst Queksilber in das
Chlorür zu verwandeln.
Um uns nun weiter zu überzeugen, ob der Calomel in der feuchten Mischung schon als
solcher vorhanden oder erst ganz durch erhöhte Temperatur gebildet werde, diente
folgender Versuch:
Die oben angeführte Mengung von 20 Gram. schwefelsäurehaltigem Eisenoxydul, Kochsalz
und Queksilber, die zusammen 42,55 Gram. wiegt, wurde in einem wohlverstopften
Kolben mit Wasser übergossen, und über der Lampe bis zum anfangenden hörbaren Kochen
erhizt.
Das Unaufgelöste wurde auf einem Filtrum gesammelt, nicht gewaschen und in sehr
gelinder Hize getroknet. Der Rükstand wog nun 32,08 Gram.; es waren also 10 Gram. in
der Auflösung enthalten.
Die durchgelaufene Flüssigkeit wurde nun unter andern auf Chlor untersucht. Die Auflösung enthielt 1,948 Gram. Chlor, es waren also
1,052 Gram. Chlor, das ist etwas weniger als die Hälfte des wirklich vorhandenen Chlors,
mit Queksilber als Calomel unauflöslich in dem Rükstande geblieben. Nun, 1,052 Chlor
brauchen 0,69 Natrium, und dieß Natrium hat 0,237 Sauerstoff nöthig, um in Natron
verwandelt zu werden. Deßhalb, wenn die vorhandene Menge schwefelsauren Eisenoxyds
diese Menge Sauerstoff hergeben würde, so würde es dadurch gerade in schwefelsaures
Eisenoxydul umgewandelt worden seyn, wie auch ein zweites Experiment gelehrt hat, in
welchem das Eisenoxydul durch kohlensauren Kalk bestimmt worden war.
Auf nassem Wege deßhalb, ohne Glühen, geht die gleich anfangs erwähnte Zersezung nur
die Hälfte ihres Ganges, doch das Queksilber reducirt das schwefelsaure Eisenoxyd
zum schwefelsauren Eisenoxydul, wie uns auch gleich das erste Experiment gezeigt, wo
wir schwefelsaures Eisenoxyd bloß mit Queksilber geschüttelt, nur bildet sich hier,
bei der Gegenwart von Kochsalz statt des schwefelsauren Queksilberoxyds
Queksilberchlorür.
Dasselbe Resultat wurde auch erhalten bei einem Gemenge von schwefelsaurem Eisenoxyd
und Kochsalz allein, wo erhöhte Temperatur die Stelle des Queksilbers vertrat.