Titel: | Ueber Hrn. Serveille's neues System auf Eisenbahnen fahrender Waggons zum Ausbeuten von Bergwerken und Steinbrüchen; ein von Hrn. Theodor Olivier der Société d'Encouragement erstatteter Bericht. |
Fundstelle: | Band 87, Jahrgang 1843, Nr. XLIII., S. 162 |
Download: | XML |
XLIII.
Ueber Hrn. Serveille's neues System auf Eisenbahnen fahrender
Waggons zum Ausbeuten von Bergwerken und Steinbruͤchen; ein von Hrn. Theodor Olivier der Société d'Encouragement erstatteter
Bericht.
Im Auszug aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement, Okt. 1842, S. 401.
Olivier, uͤber Serveille's neues System auf Eisenbahnen
fahrender Waggons zum Ausbeuten von Bergwerken etc.
Hr. Serveille legte Ihnen ein System für Waggons zum
Ausbeuten von Bergwerken und zum Transport der zu Tag geförderten Erze auf einer
Eisenbahn nach ihrem Bestimmungsorte vor. Mittelst dieses Systemes bewegen sich die
Waggons auf den Schienen, ohne aus dem Geleise zu treten, so unvollkommen die
Eisenbahn auch construirt seyn mag. So kann die Bahn horizontal oder vertical
unduliren; die Schienen brauchen mit ihren Enden nicht genau einander angepaßt zu
werden. Der Boden, auf welchem die Chairs oder Schienenstühle ruhen, darf
zusammendrükbar seyn. Kurz, die Bahn kann flüchtig und nachlässig erbaut werden, die
Waggons werden nichtsdestoweniger im Geleise fahren, ohne auszutreten.
Es ist einleuchtend, daß dieses System für Erdarbeiten, zum Ausbeuten von
Steinbrüchen, Steinkohlengruben u.s.f. äußerst vortheilhaft ist, weil es die Bahn
schnell zu erbauen und außerdem alle Stüke von einer Bahn hinwegzunehmen, an eine
andere Stelle zu bringen und sie da wieder zu errichten gestattet. Mit Recht kann
daher das von Hrn. Serveille vorgeschlagene System ein
tragbares genannt werden.
Die Bahn wird aus eisernen Stangen, welche man auf die schmale Seite legt, gebildet;
ihre von den Chairs getragenen und durch einen Holzkeil an denselben befestigten
Enden werden aber nicht gegeneinander, sondern seitlich aneinander gelegt.
Der Kasten des Waggons ruht auf zwei Gestellen, deren Achsen parallel liegen; die
Stelle der bei den bisherigen Systemen angewandten zwei Räder mit der mit ihnen fest
verbundenen Achse aber vertreten bei dem neuen System zwei gerade Kegel, welche mit
ihrer großen Basis gegen einander liegen und daselbst mit einem vorspringenden
cylindrischen Reif versehen sind.
Der auf den Schienen fahrende Wagen kann daher sich rechts und links wenden, ohne
einem Hinderniß zu begegnen, wie es die gewöhnlichen Räder an der Schiene erfahren, wenn diese von
dem zur Verhinderung ihres Austretens aus dem Geleise bestimmten Spurkranz einen
Stoß erhält; nur wenn die Abweichung zu groß würde, stieße der cylindrische Reif
gegen die Schiene und der Waggon könnte dann nicht weiter gleiten.
Das System des Hrn. Serveille besteht demnach darin, jedes
Gestell durch Vereinigung zweier Räder mit konischem Spurkranz und konischer Felge
zu bilden.
Wir müssen hier bemerken, daß, als man zum erstenmal auf den Gedanken kam, die
Radfelgen konisch zu machen, dieß in keiner andern Absicht geschah, als um den
Waggons mehr Stabilität zu geben, daß man dabei aber die konische Form nicht dazu
benüzen wollte, um das Austreten der Waggons aus den Schienen zu verhindern oder um
ihre Bewegung auf Curven zu erleichtern; man ließ daher auch zwischen der Schiene
und dem Vorsprung des Rads nur ein paar Millimeter Spielraum, so daß es dem Waggon
nicht möglich war, in der Richtung des Radius auf die Schiene zu gleiten, wenn er
einen Kreis beschrieb.
Hr. Serveille nahm im J. 1837 ein Erfindungspatent für
konische Räder mit sehr breiten Felgen, deren Spurkranz mehrere Centimeter weit von
der Schiene entfernt war, so daß der Waggon sich leicht hin und her bewegen konnte,
ohne daß der Spurkranz in Berührung mit der Schiene kam. Er hat daher das Verdienst
der Priorität dieser Erfindung. Erst im J. 1841 wurden in England, wie aus einem am
Anfang des J. 1842 erschienenen Bericht von Hrn. Brunel
d. Sohn, zu ersehen ist, die Vorzüge dieses Systems erkannt, ohne daß jedoch dabei
des Hrn. Serveille, von dessen Patent man vielleicht
nichts wußte, erwähnt worden wäre.
Hr. Serveille verfiel auf sein System dadurch, daß er ein
sich selbst überlassenes Faß über zwei geneigte Stüke Holz rollen sah; er sah
dasselbe sich bald rechts, bald links drehen, ohne den vorgezeichneten Weg zu
verlassen, und dann glüklich an Ort und Stelle gelangen. Dieses System beruht auf
einem Princip, welches vorher noch nicht zur Anwendung gekommen war und für die
Theorie der Eisenbahnen als neu betrachtet werden kann. Es besteht in Folgendem:
Man denke sich zwei gleiche gerade Kegel, die mit ihrer großen Grundfläche aneinander
liegen und bezeichne diese Grundfläche mit R. Nun denke
man sich das System der beiden Kegel in der Art auf den Schienen angebracht, daß die
Kreisfläche R gleichweit entfernt ist von den
Verticalflächen P und Q,
wovon die eine, P, durch die Schiene rechts und die
andere, Q, durch die Schiene links geht.
In dieser Lage wird die Fläche P den Kegel rechts nach
einem Kreise A, und die Fläche Q den Kegel links nach einem Kreise B
durchschneiden. Die beiden Kreise A und B werden einander gleich seyn; sie werden einerlei
Halbmesser haben und die den beiden Kegeln gemeinschaftliche Achse X wird eine horizontale seyn.
Läßt man das System der beiden Kegel sich auf den beiden Schienen bewegen, so ist
dieß natürlich gerade so, wie wenn die beiden Kreise A
und B allein über die Schienen rollten, oder als wenn
das System der beiden Kegel von einem die beiden Kreise A und B involvirenden Cylinder vertreten
wäre.
Also kann, so lange die große Grundfläche R äquidistant
ist von den Schienenflächen, das System der beiden Kegel in den Berechnungen von
einem Cylinder vertreten werden.
Nimmt man nun aber an, daß die große Grundflächen R sich
gegen die Schiene rechts bewege, so wird die Achse X
sich gegen den Horizont neigen und die Lage X' annehmen,
mit dem Horizont einen Winkel α bildend; die
Fläche R aber erhält die Stellung R' und bildet in dieser Stellung mit dem Horizont den Winkel β Ergänzungswinkel für α.
Führt man durch die Schienen rechts und links die mit der Fläche R' parallelen Flächen P' und
Q', so durchschneidet von diesen Flächen erstere den
Kegel rechts nach einem Kreise A', und die zweite den
Kegel links nach einem Kreise B'; die Radien dieser
Kreise aber sind einander nicht mehr gleich und die Differenz zwischen denselben
wird um so größer seyn, je näher die Fläche R' der
Schiene rechts seyn wird.
Man kann in den Berechnungen das System der beiden Kegel durch einen die Kreise A' und B' involvirenden
Kegel ersezen und die Spize dieses einzigen Kegels wird dann den Schienen um so
näher seyn, je näher die Fläche R' der Schiene rechts
ist.
Aus dem Vorausgehenden ersieht man nun, daß das System der beiden Kegel durch eine
unendliche Anzahl einfacher Kegel ersezt werden kann, deren Winkel an der Spize bei
jedem anders ist. Das cylindrische Gestell kann demnach in unendlich viele konische
Gestelle umgebildet werden und diese Umbildung eines cylindrischen Gestells in
unendlich viele, unter sich ungleiche, konische Gestelle ist es, was das neue, von
Hrn. Serveille angewandte Princip ausmacht.
Bisher wurde das cylindrische Gestell nur in ein einziges konisches Gestell
umgewandelt, indem man eines der Räder auf seinem Spurkranz laufen ließ; oder man
wandelte auch mittelst Räder, welche mit Absäzen versehen waren, das cylindrische
Gestell in eine begränzte Anzahl, drei oder vier unter sich verschiedener konischer Räder um; mit
diesen Systemen war man zugleich gezwungen, die gewöhnliche Construction, die
Gestalt und Legung der Schienen in den Krümmungen zu verändern, während beim Serveille'schen System an dem bisher Eingeführten nichts
geändert zu werden braucht.
Wir wollen hier nicht untersuchen, welche Vortheile für große Bahnen aus der
Anwendung dieses Systems erwüchsen; diese Frage ist schwer zu beantworten, und ihre
mathematische Lösung dürfte noch lange auf sich warten lassen; zur Ausbeutung von
Gruben aber und zu Erdarbeiten kann dieses System gegenwärtig schon empfohlen
werden, da die Geschwindigkeit bei solchen Arbeiten nie bedeutend ist und 3 bis 4
(franz.) Meilen in der Stunde nicht übersteigt.